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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus Maximilian Rlingers Leben

Klinger gehört zu den wenigen aus kleinen und dürftigen Verhältnissen
auf eine hohe gesellschaftliche Stufe emporgehobnen Menschen, die sich in die
Veränderung so zu schicken wissen, daß ihnen nicht die nachschleppenden Zeichen
des Emporkömmlings ihr äußeres Glück vor der Welt verkümmern und ver¬
leiden. Er war nach vielversprechenden, aber abenteuerlichen Fahrten einer
unruhigen Jugend als Offizier in den persönlichen Dienst des Großfürsten und
spätern Kaisers Paul von Rußland, in eine sichere, bequeme und an Zer¬
streuungen und Anregungen aller Art ergiebige Stellung gekommen, hatte sich in
Petersburg verheiratet und stieg in Amt und Ehren zuletzt bis zum Kommandeur
des Kadettenkorps mit dem Range eines Generalleutnants und zum Kurator der
neu eingerichteten Universität Dorpat. Später, nach der Ermordung Pauls, wurde
er der besondre Vertraute der geistvollen Kaiserin-Witwe und hielt sich auch
unter ihrem Sohne Alexander, ohne diesem persönlich naher zu treten. Er
war zwar nach russischen Begriffen keineswegs reich, aber angesehen, wenn
auch in den eigentlich russischen Kreisen nicht gern gesehen, seit sich hier, etwa
mit dem Jahre 1812, die Eifersucht auf die deutschen Einwandrer immer
mehr hervorthat. Seine amtliche Thätigkeit erfüllte er mit einem Ernst, der
vielen als Pedanterie erschien, und der namentlich die fremden Besucher zu
enttäuschen pflegte, wenn sie sich ihn nur als deutschen Dichter und Roman¬
schriftsteller gedacht hatten. Seine Stellung bot ihm vor allem später, als
er nicht mehr bloßer Hofkavalier war, viele Schwierigkeiten. Ohne streng
durchzugreifen, konnte er weder mit den Kadetten fertig werden, noch mit
den Professoren und den akademischen Behörden in Dorpat, und so lag auf
seinen Schultern eine Arbeitslast, gegen deren Bürde gehalten sein großer
Jugendfreund in Weimar den Inhalt seines ebenso vornehmen Amtes gleichsam
spielend erledigen konnte. Klinger hätte in Deutschland nicht so hoch steigen
können, und bei verschiednen Versuchen, zurückzukehren, empfand er seinen Rang
als das Hindernis einer stir ihn passenden Stellung. Die große Liebe zu
seiner alten Mutter in Frankfurt und zu seinen Schwestern, ein starkes Heimats-
gefühl, das mit zunehmendem Alter zur Sehnsucht wurde, endlich deutscher
Sinn, nicht nur Litteraturinteresse, sondern kräftige und sogar zornige Vater¬
landsliebe zogen seine Gedanken nach dem Westen, den er doch nicht wieder¬
sehen sollte, nachdem eine erste große europäische Reise mit dem glanzvollen
Hofstaat des Großfürstenpaares gemacht worden war (1781 und 1782).

Klinger pflegte seinen an äußern Erfolgen reichen, aber auch keineswegs
mühelosem Lebenslauf gern als ein "Glückmachen" zu bezeichnen. Mitten darin
war es ihm immer ein wirkliches Bedürfnis, litterarisch thätig zu sein, und
in unbegreiflich kurzen Zeiträumen entstanden die verschiedenartigsten Dramen
und Romane, die heute niemand mehr liest. Sie gehörten mit zu seinem
Leben, denn sie haben seine Unruhe gestillt, aber Glück haben sie ihm nicht
gebracht. Er hätte, wie Rieger richtig bemerkt, den Zeitraum uach Lessing


Aus Maximilian Rlingers Leben

Klinger gehört zu den wenigen aus kleinen und dürftigen Verhältnissen
auf eine hohe gesellschaftliche Stufe emporgehobnen Menschen, die sich in die
Veränderung so zu schicken wissen, daß ihnen nicht die nachschleppenden Zeichen
des Emporkömmlings ihr äußeres Glück vor der Welt verkümmern und ver¬
leiden. Er war nach vielversprechenden, aber abenteuerlichen Fahrten einer
unruhigen Jugend als Offizier in den persönlichen Dienst des Großfürsten und
spätern Kaisers Paul von Rußland, in eine sichere, bequeme und an Zer¬
streuungen und Anregungen aller Art ergiebige Stellung gekommen, hatte sich in
Petersburg verheiratet und stieg in Amt und Ehren zuletzt bis zum Kommandeur
des Kadettenkorps mit dem Range eines Generalleutnants und zum Kurator der
neu eingerichteten Universität Dorpat. Später, nach der Ermordung Pauls, wurde
er der besondre Vertraute der geistvollen Kaiserin-Witwe und hielt sich auch
unter ihrem Sohne Alexander, ohne diesem persönlich naher zu treten. Er
war zwar nach russischen Begriffen keineswegs reich, aber angesehen, wenn
auch in den eigentlich russischen Kreisen nicht gern gesehen, seit sich hier, etwa
mit dem Jahre 1812, die Eifersucht auf die deutschen Einwandrer immer
mehr hervorthat. Seine amtliche Thätigkeit erfüllte er mit einem Ernst, der
vielen als Pedanterie erschien, und der namentlich die fremden Besucher zu
enttäuschen pflegte, wenn sie sich ihn nur als deutschen Dichter und Roman¬
schriftsteller gedacht hatten. Seine Stellung bot ihm vor allem später, als
er nicht mehr bloßer Hofkavalier war, viele Schwierigkeiten. Ohne streng
durchzugreifen, konnte er weder mit den Kadetten fertig werden, noch mit
den Professoren und den akademischen Behörden in Dorpat, und so lag auf
seinen Schultern eine Arbeitslast, gegen deren Bürde gehalten sein großer
Jugendfreund in Weimar den Inhalt seines ebenso vornehmen Amtes gleichsam
spielend erledigen konnte. Klinger hätte in Deutschland nicht so hoch steigen
können, und bei verschiednen Versuchen, zurückzukehren, empfand er seinen Rang
als das Hindernis einer stir ihn passenden Stellung. Die große Liebe zu
seiner alten Mutter in Frankfurt und zu seinen Schwestern, ein starkes Heimats-
gefühl, das mit zunehmendem Alter zur Sehnsucht wurde, endlich deutscher
Sinn, nicht nur Litteraturinteresse, sondern kräftige und sogar zornige Vater¬
landsliebe zogen seine Gedanken nach dem Westen, den er doch nicht wieder¬
sehen sollte, nachdem eine erste große europäische Reise mit dem glanzvollen
Hofstaat des Großfürstenpaares gemacht worden war (1781 und 1782).

Klinger pflegte seinen an äußern Erfolgen reichen, aber auch keineswegs
mühelosem Lebenslauf gern als ein „Glückmachen" zu bezeichnen. Mitten darin
war es ihm immer ein wirkliches Bedürfnis, litterarisch thätig zu sein, und
in unbegreiflich kurzen Zeiträumen entstanden die verschiedenartigsten Dramen
und Romane, die heute niemand mehr liest. Sie gehörten mit zu seinem
Leben, denn sie haben seine Unruhe gestillt, aber Glück haben sie ihm nicht
gebracht. Er hätte, wie Rieger richtig bemerkt, den Zeitraum uach Lessing


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[0038] Aus Maximilian Rlingers Leben Klinger gehört zu den wenigen aus kleinen und dürftigen Verhältnissen auf eine hohe gesellschaftliche Stufe emporgehobnen Menschen, die sich in die Veränderung so zu schicken wissen, daß ihnen nicht die nachschleppenden Zeichen des Emporkömmlings ihr äußeres Glück vor der Welt verkümmern und ver¬ leiden. Er war nach vielversprechenden, aber abenteuerlichen Fahrten einer unruhigen Jugend als Offizier in den persönlichen Dienst des Großfürsten und spätern Kaisers Paul von Rußland, in eine sichere, bequeme und an Zer¬ streuungen und Anregungen aller Art ergiebige Stellung gekommen, hatte sich in Petersburg verheiratet und stieg in Amt und Ehren zuletzt bis zum Kommandeur des Kadettenkorps mit dem Range eines Generalleutnants und zum Kurator der neu eingerichteten Universität Dorpat. Später, nach der Ermordung Pauls, wurde er der besondre Vertraute der geistvollen Kaiserin-Witwe und hielt sich auch unter ihrem Sohne Alexander, ohne diesem persönlich naher zu treten. Er war zwar nach russischen Begriffen keineswegs reich, aber angesehen, wenn auch in den eigentlich russischen Kreisen nicht gern gesehen, seit sich hier, etwa mit dem Jahre 1812, die Eifersucht auf die deutschen Einwandrer immer mehr hervorthat. Seine amtliche Thätigkeit erfüllte er mit einem Ernst, der vielen als Pedanterie erschien, und der namentlich die fremden Besucher zu enttäuschen pflegte, wenn sie sich ihn nur als deutschen Dichter und Roman¬ schriftsteller gedacht hatten. Seine Stellung bot ihm vor allem später, als er nicht mehr bloßer Hofkavalier war, viele Schwierigkeiten. Ohne streng durchzugreifen, konnte er weder mit den Kadetten fertig werden, noch mit den Professoren und den akademischen Behörden in Dorpat, und so lag auf seinen Schultern eine Arbeitslast, gegen deren Bürde gehalten sein großer Jugendfreund in Weimar den Inhalt seines ebenso vornehmen Amtes gleichsam spielend erledigen konnte. Klinger hätte in Deutschland nicht so hoch steigen können, und bei verschiednen Versuchen, zurückzukehren, empfand er seinen Rang als das Hindernis einer stir ihn passenden Stellung. Die große Liebe zu seiner alten Mutter in Frankfurt und zu seinen Schwestern, ein starkes Heimats- gefühl, das mit zunehmendem Alter zur Sehnsucht wurde, endlich deutscher Sinn, nicht nur Litteraturinteresse, sondern kräftige und sogar zornige Vater¬ landsliebe zogen seine Gedanken nach dem Westen, den er doch nicht wieder¬ sehen sollte, nachdem eine erste große europäische Reise mit dem glanzvollen Hofstaat des Großfürstenpaares gemacht worden war (1781 und 1782). Klinger pflegte seinen an äußern Erfolgen reichen, aber auch keineswegs mühelosem Lebenslauf gern als ein „Glückmachen" zu bezeichnen. Mitten darin war es ihm immer ein wirkliches Bedürfnis, litterarisch thätig zu sein, und in unbegreiflich kurzen Zeiträumen entstanden die verschiedenartigsten Dramen und Romane, die heute niemand mehr liest. Sie gehörten mit zu seinem Leben, denn sie haben seine Unruhe gestillt, aber Glück haben sie ihm nicht gebracht. Er hätte, wie Rieger richtig bemerkt, den Zeitraum uach Lessing

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/38>, abgerufen am 26.06.2024.