Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Aus Maximilian Rlingers Leben neuen Ausgabe seiner Werke (seit 1809), die unter ungünstigen Zeitverhältnissen Aber wir können uns doch angesichts dieser zahlreichen Bände, deren rein Anziehend und vielfach neu wird uns das Verhältnis Klingers zu Goethe Aus Maximilian Rlingers Leben neuen Ausgabe seiner Werke (seit 1809), die unter ungünstigen Zeitverhältnissen Aber wir können uns doch angesichts dieser zahlreichen Bände, deren rein Anziehend und vielfach neu wird uns das Verhältnis Klingers zu Goethe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226272"/> <fw type="header" place="top"> Aus Maximilian Rlingers Leben</fw><lb/> <p xml:id="ID_78" prev="#ID_77"> neuen Ausgabe seiner Werke (seit 1809), die unter ungünstigen Zeitverhältnissen<lb/> nur durch große Geldopfer Klingers möglich wurde. Rieger setzt uns alle<lb/> diese Ereignisse bis ins kleinste genau auseinander (auch lange nach Klingers<lb/> Tode 1842 erschien noch eine Ausgabe bei Cotta), aber es ist keineswegs,<lb/> wie man denken möchte, bloß Bibliographie, sondern ein Beitrag zu dem<lb/> ganzen litterarischen Leben Deutschlands in jener Zeit, auf dessen interessanten<lb/> Inhalt wir nur hinweisen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_79"> Aber wir können uns doch angesichts dieser zahlreichen Bände, deren rein<lb/> äußerliche Herstellung einem bedeutenden Manne ein Maß von Arbeit auferlegte,<lb/> dem kein äußerer Gewinn und kein Erfolg entsprach, eine Bemerkung nicht<lb/> versagen. Klinger spricht einigemale in seinen Briefen aus, daß seine Schriften<lb/> dieser zweiten Periode ihm „geradezu Selbstzweck" gewesen seien, daher sei es<lb/> natürlich gewesen, „daß sie vermöge der Individualität dem großen Publikum<lb/> das nicht wurden, was sie nur Geistesverwandten werden konnten." An einer<lb/> andern Stelle heißt es: „Wohl glaube ich, daß meine Schriften der Menge<lb/> nicht zusagen, denn ich wußte es, da ich sie schrieb oder schreiben mußte. Ein<lb/> Autor, der seine Individualität, zur Sicherheit und Befestigung seines eignen<lb/> Innern im Kampfe gegen die Wirkungen der Erscheinungen der Welt auf ihn,<lb/> mit der Wahrheit und dem Mute darstellt, wie sie ihn beleben, kann nur denen<lb/> etwas sein, die nach gleichem streben." Wir meinen nun, und das ist unsre<lb/> Bemerkung, unsre heutigen sogenannten Modernen, bei denen das Recht der<lb/> einzelnen Individualität eine so wichtige Rolle spielt, sollten doch noch bis¬<lb/> weilen in diesen Bänden blättern. Sie würden daraus wieder einmal lernen,<lb/> daß es lange vor Ilion schon Agamemnone gab, und sehen, wie ein origineller<lb/> Geist schon mit weit mehr Weltkenntnis diese jetzt wieder so beliebte Kunst<lb/> der Aphorismen und Fragmente getrieben hat. Ans seinen „Betrachtungen,"<lb/> einer Art von modernen „Tischreden," und aus „Weltmann und Dichter,"<lb/> ferner aus seiner „Geschichte eines Teutschen" könnten sie ohne weiteres ab¬<lb/> schreiben, sie würden damit bessere Figur machen und dem Publikum ebenso<lb/> modern vorkommen, als wenn sie bei bekanntern Autoren auf die Suche gehen<lb/> und das Entlehnte leicht umfärben.</p><lb/> <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Anziehend und vielfach neu wird uns das Verhältnis Klingers zu Goethe<lb/> geschildert. Hier erscheint der ernste und zugeknöpfte Pessimist gegenüber dem<lb/> Heitern und Leutseligen, der — als Schriftsteller — alles zum Besten zu<lb/> kehren wußte, doch persönlich als der nicht nur heftiger empfindende, sondern<lb/> auch weicher gestimmte. Er hatte nichts in sich von dem erhabnen Egoismus<lb/> im Ausbau der eignen Persönlichkeit, mit dem Goethe viel später in Beziehung<lb/> auf Klinger zum Kanzler Müller sagte: „Alte Freunde muß man nicht wieder¬<lb/> sehen, man versteht sich nicht mehr mit ihnen, jeder hat eine andre Sprache<lb/> bekommen; wem es Ernst um seine innere Kultur ist, hüte sich davor." Er<lb/> hatte vergeblich das alte Mißverständnis aufzuklären und die Entfremdung zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Aus Maximilian Rlingers Leben
neuen Ausgabe seiner Werke (seit 1809), die unter ungünstigen Zeitverhältnissen
nur durch große Geldopfer Klingers möglich wurde. Rieger setzt uns alle
diese Ereignisse bis ins kleinste genau auseinander (auch lange nach Klingers
Tode 1842 erschien noch eine Ausgabe bei Cotta), aber es ist keineswegs,
wie man denken möchte, bloß Bibliographie, sondern ein Beitrag zu dem
ganzen litterarischen Leben Deutschlands in jener Zeit, auf dessen interessanten
Inhalt wir nur hinweisen können.
Aber wir können uns doch angesichts dieser zahlreichen Bände, deren rein
äußerliche Herstellung einem bedeutenden Manne ein Maß von Arbeit auferlegte,
dem kein äußerer Gewinn und kein Erfolg entsprach, eine Bemerkung nicht
versagen. Klinger spricht einigemale in seinen Briefen aus, daß seine Schriften
dieser zweiten Periode ihm „geradezu Selbstzweck" gewesen seien, daher sei es
natürlich gewesen, „daß sie vermöge der Individualität dem großen Publikum
das nicht wurden, was sie nur Geistesverwandten werden konnten." An einer
andern Stelle heißt es: „Wohl glaube ich, daß meine Schriften der Menge
nicht zusagen, denn ich wußte es, da ich sie schrieb oder schreiben mußte. Ein
Autor, der seine Individualität, zur Sicherheit und Befestigung seines eignen
Innern im Kampfe gegen die Wirkungen der Erscheinungen der Welt auf ihn,
mit der Wahrheit und dem Mute darstellt, wie sie ihn beleben, kann nur denen
etwas sein, die nach gleichem streben." Wir meinen nun, und das ist unsre
Bemerkung, unsre heutigen sogenannten Modernen, bei denen das Recht der
einzelnen Individualität eine so wichtige Rolle spielt, sollten doch noch bis¬
weilen in diesen Bänden blättern. Sie würden daraus wieder einmal lernen,
daß es lange vor Ilion schon Agamemnone gab, und sehen, wie ein origineller
Geist schon mit weit mehr Weltkenntnis diese jetzt wieder so beliebte Kunst
der Aphorismen und Fragmente getrieben hat. Ans seinen „Betrachtungen,"
einer Art von modernen „Tischreden," und aus „Weltmann und Dichter,"
ferner aus seiner „Geschichte eines Teutschen" könnten sie ohne weiteres ab¬
schreiben, sie würden damit bessere Figur machen und dem Publikum ebenso
modern vorkommen, als wenn sie bei bekanntern Autoren auf die Suche gehen
und das Entlehnte leicht umfärben.
Anziehend und vielfach neu wird uns das Verhältnis Klingers zu Goethe
geschildert. Hier erscheint der ernste und zugeknöpfte Pessimist gegenüber dem
Heitern und Leutseligen, der — als Schriftsteller — alles zum Besten zu
kehren wußte, doch persönlich als der nicht nur heftiger empfindende, sondern
auch weicher gestimmte. Er hatte nichts in sich von dem erhabnen Egoismus
im Ausbau der eignen Persönlichkeit, mit dem Goethe viel später in Beziehung
auf Klinger zum Kanzler Müller sagte: „Alte Freunde muß man nicht wieder¬
sehen, man versteht sich nicht mehr mit ihnen, jeder hat eine andre Sprache
bekommen; wem es Ernst um seine innere Kultur ist, hüte sich davor." Er
hatte vergeblich das alte Mißverständnis aufzuklären und die Entfremdung zu
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