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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Anthropologische Fragen

Entfernungen zwischen den Schläfen und zwischen Stirn und Hinterhaupt, also
die Breite und die Länge gemessen. Man dividirt die Breite durch die Länge,
und je mehr die Länge, also der Divisor, im Verhältnis zur Breite wächst,
desto kleiner wird natürlich der Quotient. Diesen Quotienten nennt man den
Index. Die langen Schädel haben also einen kleinen, die breiten oder runden
einen großen Index. Man hat zur Bezeichnung des Falles, daß Länge und
Breite einander gleich sind, statt des Quotienten 1 die bequemere Zahl 100
gewählt und nennt also einen Index, der eigentlich 0,83 oder 0,75 heißen
müßte, statt dessen lieber 83 oder 75. Die langschädligen Menschen nennt
man dolichozephcil, die kurzschüdligen brachhzephal, und indem man auch die
Zwischenformen unterscheidet, stellt man folgende Stufenleiter auf: dolicho¬
zephal (Index 70 bis 74), mesozephal (75 bis 79), brachhzephal (80 bis 84),
hyperbrachyzephal, ultrabrachyzephal, extrembrnchyzephal (über 84).*) Eine,
auch nur oberflächliche Betrachtung der europäischen Bevölkerung ergiebt, daß
die Leute mit Heller Komplexion durchschnittlich größer sind als die mit dunkler,
und die Messung der Köpfe lebender Menschen wie die der Schädel in Gräber¬
funden, hat dann weiter ergeben, daß die Langschädligkeit meistens mit hoher
Statur verbunden ist. (Beides bezieht sich nur auf die europäische Bevölkerung,
denn es giebt auch sehr große Mongolen- und Negerstämme und kleine Rassen
mit langen Schädeln, zu ihnen gehören die Hottentotten.) Der Schluß liegt
also nahe, daß die bei uns vorkommenden Mischtypen nicht etwas Ursprüng¬
liches, sondern aus einer wirklichen Mischung zweier Nassen entstanden sind,
von denen die eine groß, langschädlig und hellfarbig, die andre klein, kurz-
schädlig und dunkel gewesen sein muß. Nehmen wir das als ausgemacht an,
so lehrt dann die Erfahrung weiter, daß erstens die Determinanten**) des
Skeletts und der Schädelbildung mit denen der Komplexion nicht unlöslich ver¬
bunden sind, sondern daß sich Körpergröße, Schüdelform, Augenfarbe, Haar¬
farbe, Hautfarbe ein jedes besonders vererben, und daß zweitens das Skelett
sich am beständigsten vererbt, während die Färbung der Augen, der Haare,
der Haut bei den Nachkommen leichter Veränderungen erleidet, sodaß sie darin
den Eltern eher unähnlich werden.

Ammon hat nun in seinein Material folgendes gefunden. Die Stadt¬
bevölkerung ist langköpfiger als die ländliche. Unter den Städtern sind wieder




") Die Anthropologen unterscheiden noch die Hvpcrdolichozcphalen mit einem Index, der
unter 7et bleibt; die Unterscheidungszahlen sür die drei letzten Klassen, deren Index über 84
liegt, finden wir nirgends angegeben.
"*) Auch wenn man Weismanns Theorie nicht annimmt und an die von ihm in die
Keimsubstanz hincingcdachten Idealen, Ite und Determinanten nicht glaubt, kann man sich
einiger der von ihm geschaffnen Kunstausdrücke bedienen, weil sie bequem sind; das Wort
Determinante bedeutet dann nur die unbekannte Ursache, die einem Organ, einem Körperteil,
einer Körperstelle die eigentümliche Struktur und das eigentümliche Gepräge verleiht.
Anthropologische Fragen

Entfernungen zwischen den Schläfen und zwischen Stirn und Hinterhaupt, also
die Breite und die Länge gemessen. Man dividirt die Breite durch die Länge,
und je mehr die Länge, also der Divisor, im Verhältnis zur Breite wächst,
desto kleiner wird natürlich der Quotient. Diesen Quotienten nennt man den
Index. Die langen Schädel haben also einen kleinen, die breiten oder runden
einen großen Index. Man hat zur Bezeichnung des Falles, daß Länge und
Breite einander gleich sind, statt des Quotienten 1 die bequemere Zahl 100
gewählt und nennt also einen Index, der eigentlich 0,83 oder 0,75 heißen
müßte, statt dessen lieber 83 oder 75. Die langschädligen Menschen nennt
man dolichozephcil, die kurzschüdligen brachhzephal, und indem man auch die
Zwischenformen unterscheidet, stellt man folgende Stufenleiter auf: dolicho¬
zephal (Index 70 bis 74), mesozephal (75 bis 79), brachhzephal (80 bis 84),
hyperbrachyzephal, ultrabrachyzephal, extrembrnchyzephal (über 84).*) Eine,
auch nur oberflächliche Betrachtung der europäischen Bevölkerung ergiebt, daß
die Leute mit Heller Komplexion durchschnittlich größer sind als die mit dunkler,
und die Messung der Köpfe lebender Menschen wie die der Schädel in Gräber¬
funden, hat dann weiter ergeben, daß die Langschädligkeit meistens mit hoher
Statur verbunden ist. (Beides bezieht sich nur auf die europäische Bevölkerung,
denn es giebt auch sehr große Mongolen- und Negerstämme und kleine Rassen
mit langen Schädeln, zu ihnen gehören die Hottentotten.) Der Schluß liegt
also nahe, daß die bei uns vorkommenden Mischtypen nicht etwas Ursprüng¬
liches, sondern aus einer wirklichen Mischung zweier Nassen entstanden sind,
von denen die eine groß, langschädlig und hellfarbig, die andre klein, kurz-
schädlig und dunkel gewesen sein muß. Nehmen wir das als ausgemacht an,
so lehrt dann die Erfahrung weiter, daß erstens die Determinanten**) des
Skeletts und der Schädelbildung mit denen der Komplexion nicht unlöslich ver¬
bunden sind, sondern daß sich Körpergröße, Schüdelform, Augenfarbe, Haar¬
farbe, Hautfarbe ein jedes besonders vererben, und daß zweitens das Skelett
sich am beständigsten vererbt, während die Färbung der Augen, der Haare,
der Haut bei den Nachkommen leichter Veränderungen erleidet, sodaß sie darin
den Eltern eher unähnlich werden.

Ammon hat nun in seinein Material folgendes gefunden. Die Stadt¬
bevölkerung ist langköpfiger als die ländliche. Unter den Städtern sind wieder




") Die Anthropologen unterscheiden noch die Hvpcrdolichozcphalen mit einem Index, der
unter 7et bleibt; die Unterscheidungszahlen sür die drei letzten Klassen, deren Index über 84
liegt, finden wir nirgends angegeben.
"*) Auch wenn man Weismanns Theorie nicht annimmt und an die von ihm in die
Keimsubstanz hincingcdachten Idealen, Ite und Determinanten nicht glaubt, kann man sich
einiger der von ihm geschaffnen Kunstausdrücke bedienen, weil sie bequem sind; das Wort
Determinante bedeutet dann nur die unbekannte Ursache, die einem Organ, einem Körperteil,
einer Körperstelle die eigentümliche Struktur und das eigentümliche Gepräge verleiht.
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[0386] Anthropologische Fragen Entfernungen zwischen den Schläfen und zwischen Stirn und Hinterhaupt, also die Breite und die Länge gemessen. Man dividirt die Breite durch die Länge, und je mehr die Länge, also der Divisor, im Verhältnis zur Breite wächst, desto kleiner wird natürlich der Quotient. Diesen Quotienten nennt man den Index. Die langen Schädel haben also einen kleinen, die breiten oder runden einen großen Index. Man hat zur Bezeichnung des Falles, daß Länge und Breite einander gleich sind, statt des Quotienten 1 die bequemere Zahl 100 gewählt und nennt also einen Index, der eigentlich 0,83 oder 0,75 heißen müßte, statt dessen lieber 83 oder 75. Die langschädligen Menschen nennt man dolichozephcil, die kurzschüdligen brachhzephal, und indem man auch die Zwischenformen unterscheidet, stellt man folgende Stufenleiter auf: dolicho¬ zephal (Index 70 bis 74), mesozephal (75 bis 79), brachhzephal (80 bis 84), hyperbrachyzephal, ultrabrachyzephal, extrembrnchyzephal (über 84).*) Eine, auch nur oberflächliche Betrachtung der europäischen Bevölkerung ergiebt, daß die Leute mit Heller Komplexion durchschnittlich größer sind als die mit dunkler, und die Messung der Köpfe lebender Menschen wie die der Schädel in Gräber¬ funden, hat dann weiter ergeben, daß die Langschädligkeit meistens mit hoher Statur verbunden ist. (Beides bezieht sich nur auf die europäische Bevölkerung, denn es giebt auch sehr große Mongolen- und Negerstämme und kleine Rassen mit langen Schädeln, zu ihnen gehören die Hottentotten.) Der Schluß liegt also nahe, daß die bei uns vorkommenden Mischtypen nicht etwas Ursprüng¬ liches, sondern aus einer wirklichen Mischung zweier Nassen entstanden sind, von denen die eine groß, langschädlig und hellfarbig, die andre klein, kurz- schädlig und dunkel gewesen sein muß. Nehmen wir das als ausgemacht an, so lehrt dann die Erfahrung weiter, daß erstens die Determinanten**) des Skeletts und der Schädelbildung mit denen der Komplexion nicht unlöslich ver¬ bunden sind, sondern daß sich Körpergröße, Schüdelform, Augenfarbe, Haar¬ farbe, Hautfarbe ein jedes besonders vererben, und daß zweitens das Skelett sich am beständigsten vererbt, während die Färbung der Augen, der Haare, der Haut bei den Nachkommen leichter Veränderungen erleidet, sodaß sie darin den Eltern eher unähnlich werden. Ammon hat nun in seinein Material folgendes gefunden. Die Stadt¬ bevölkerung ist langköpfiger als die ländliche. Unter den Städtern sind wieder ") Die Anthropologen unterscheiden noch die Hvpcrdolichozcphalen mit einem Index, der unter 7et bleibt; die Unterscheidungszahlen sür die drei letzten Klassen, deren Index über 84 liegt, finden wir nirgends angegeben. "*) Auch wenn man Weismanns Theorie nicht annimmt und an die von ihm in die Keimsubstanz hincingcdachten Idealen, Ite und Determinanten nicht glaubt, kann man sich einiger der von ihm geschaffnen Kunstausdrücke bedienen, weil sie bequem sind; das Wort Determinante bedeutet dann nur die unbekannte Ursache, die einem Organ, einem Körperteil, einer Körperstelle die eigentümliche Struktur und das eigentümliche Gepräge verleiht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/386>, abgerufen am 29.06.2024.