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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Koalitionsrecht und Roalitionspraxis

möglich auch international, durchgeführt werde, weil es eben nur so möglich
ist, die Übermacht der Arbeitgeber dauernd zu brechen und zugleich die Über¬
macht der Arbeiter dauernd zu sichern. Man wird also, wenn man den Stand-
Punkt Rottenburgs vertritt, auch notwendigerweise den Beweis zu bringen
haben, daß für das Gemeinwohl die Übermacht der Arbeiter vorteilhafter
wäre als die Übermacht der Arbeitgeber, und das hieße schließlich, daß die
Übermacht der ungebildeten Bevölkerungsschichten vorteilhafter wäre als die
Übermacht der gebildeten.

Mau wolle darüber nicht aus dem Häuschen geraten. Es giebt freilich
in Stadt und Land, in Handel, Industrie und Ackerbau ungebildete Arbeit¬
geber genug und unter den gebildeten viele, die für ihr Recht und ihre
Pflicht halten, ihre Übermacht in roher Rücksichtslosigkeit geltend zu machen.
Man kann den Groll verstehen, zu dem der Götzendienst vor Reichtum und
materiellem Wohlleben und die lieblose Überhebung über alle, die Sorgen
um das Notwendigste haben, die Masse der Nichtbesitzenden herausfordert.
Ja man könnte zu dem Glauben kommen, daß unsre nationale Bildung und
die Kultur der ganzen Welt keinen Schuß Pulver wert wäre, wenn es nicht
gelingen sollte, in den Gebildeten und Besitzenden wieder Idealismus und
Nächstenliebe zu erwecken an Stelle des jämmerlichen Krämergeistes, der die
vielgerühmten Kulturfortschritte unsrer Zeit vielfach zur Karrikatur macht.
Aber darüber sollten bei einem gebildeten Mann mit reifer Erfahrung im
praktischen Leben doch keine Zweifel bestehen können, daß die traurigste
Verirrung der Zeit in dem Wahne liegt, daß der Unterschied zwischen Bildung
und Unbildung weggeleugnet werden könne, und daß man die Fähigkeit
der handarbeitenden Massen zu politischem und volkswirtschaftlichen Ver¬
ständnis der Fähigkeit der höhern Klaffen gleichstellen dürfe. Das ist der
Irrtum, den man auch in der Koalitionsfrage in erster Linie bekämpfen muß.
Er führt zu Kurversuchen nach Art des Doktor Eisenbart, zum Austreiben des
Teufels durch Beelzebub. Er ist umso schlimmer, weil es wieder einmal ge¬
lungen ist, ihn mit dem Nimbus einer neuen Weltanschauung zu umgeben, die
die alte absterbende bekämpfe. Eine Weltanschauung ist er freilich, und auch
sehr "modern"; aber neu ist diese Weltanschauung weder für die Menschheit
im allgemeinen, noch für das deutsche Volk, nicht einmal für die deutschen
Arbeiter ist sie es, so zahlreich auch ihre Nachbeter sein mögen. Sie ist im
Grunde genommen weiter nichts als der alte Inhalt aller Demagogie aller
Zeiten. Vor hundert und vor tausend Jahren haben es die Ungebildeten
ebenso gern gehört wie heute, wenn ihnen Gebildete sagten, daß die Bildung
gar nichts besondres sei und keinen besondern Einfluß im Staats- und Wirt¬
schaftsleben haben sollte.

Da will man nun aber durch Induktion beweisen, daß die Koalition die
Wunderwirkung habe, daß der Gesamtheit der zusammengeschlossenen Unge-


Grenzboten IV 18S7 47
Koalitionsrecht und Roalitionspraxis

möglich auch international, durchgeführt werde, weil es eben nur so möglich
ist, die Übermacht der Arbeitgeber dauernd zu brechen und zugleich die Über¬
macht der Arbeiter dauernd zu sichern. Man wird also, wenn man den Stand-
Punkt Rottenburgs vertritt, auch notwendigerweise den Beweis zu bringen
haben, daß für das Gemeinwohl die Übermacht der Arbeiter vorteilhafter
wäre als die Übermacht der Arbeitgeber, und das hieße schließlich, daß die
Übermacht der ungebildeten Bevölkerungsschichten vorteilhafter wäre als die
Übermacht der gebildeten.

Mau wolle darüber nicht aus dem Häuschen geraten. Es giebt freilich
in Stadt und Land, in Handel, Industrie und Ackerbau ungebildete Arbeit¬
geber genug und unter den gebildeten viele, die für ihr Recht und ihre
Pflicht halten, ihre Übermacht in roher Rücksichtslosigkeit geltend zu machen.
Man kann den Groll verstehen, zu dem der Götzendienst vor Reichtum und
materiellem Wohlleben und die lieblose Überhebung über alle, die Sorgen
um das Notwendigste haben, die Masse der Nichtbesitzenden herausfordert.
Ja man könnte zu dem Glauben kommen, daß unsre nationale Bildung und
die Kultur der ganzen Welt keinen Schuß Pulver wert wäre, wenn es nicht
gelingen sollte, in den Gebildeten und Besitzenden wieder Idealismus und
Nächstenliebe zu erwecken an Stelle des jämmerlichen Krämergeistes, der die
vielgerühmten Kulturfortschritte unsrer Zeit vielfach zur Karrikatur macht.
Aber darüber sollten bei einem gebildeten Mann mit reifer Erfahrung im
praktischen Leben doch keine Zweifel bestehen können, daß die traurigste
Verirrung der Zeit in dem Wahne liegt, daß der Unterschied zwischen Bildung
und Unbildung weggeleugnet werden könne, und daß man die Fähigkeit
der handarbeitenden Massen zu politischem und volkswirtschaftlichen Ver¬
ständnis der Fähigkeit der höhern Klaffen gleichstellen dürfe. Das ist der
Irrtum, den man auch in der Koalitionsfrage in erster Linie bekämpfen muß.
Er führt zu Kurversuchen nach Art des Doktor Eisenbart, zum Austreiben des
Teufels durch Beelzebub. Er ist umso schlimmer, weil es wieder einmal ge¬
lungen ist, ihn mit dem Nimbus einer neuen Weltanschauung zu umgeben, die
die alte absterbende bekämpfe. Eine Weltanschauung ist er freilich, und auch
sehr „modern"; aber neu ist diese Weltanschauung weder für die Menschheit
im allgemeinen, noch für das deutsche Volk, nicht einmal für die deutschen
Arbeiter ist sie es, so zahlreich auch ihre Nachbeter sein mögen. Sie ist im
Grunde genommen weiter nichts als der alte Inhalt aller Demagogie aller
Zeiten. Vor hundert und vor tausend Jahren haben es die Ungebildeten
ebenso gern gehört wie heute, wenn ihnen Gebildete sagten, daß die Bildung
gar nichts besondres sei und keinen besondern Einfluß im Staats- und Wirt¬
schaftsleben haben sollte.

Da will man nun aber durch Induktion beweisen, daß die Koalition die
Wunderwirkung habe, daß der Gesamtheit der zusammengeschlossenen Unge-


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[0379] Koalitionsrecht und Roalitionspraxis möglich auch international, durchgeführt werde, weil es eben nur so möglich ist, die Übermacht der Arbeitgeber dauernd zu brechen und zugleich die Über¬ macht der Arbeiter dauernd zu sichern. Man wird also, wenn man den Stand- Punkt Rottenburgs vertritt, auch notwendigerweise den Beweis zu bringen haben, daß für das Gemeinwohl die Übermacht der Arbeiter vorteilhafter wäre als die Übermacht der Arbeitgeber, und das hieße schließlich, daß die Übermacht der ungebildeten Bevölkerungsschichten vorteilhafter wäre als die Übermacht der gebildeten. Mau wolle darüber nicht aus dem Häuschen geraten. Es giebt freilich in Stadt und Land, in Handel, Industrie und Ackerbau ungebildete Arbeit¬ geber genug und unter den gebildeten viele, die für ihr Recht und ihre Pflicht halten, ihre Übermacht in roher Rücksichtslosigkeit geltend zu machen. Man kann den Groll verstehen, zu dem der Götzendienst vor Reichtum und materiellem Wohlleben und die lieblose Überhebung über alle, die Sorgen um das Notwendigste haben, die Masse der Nichtbesitzenden herausfordert. Ja man könnte zu dem Glauben kommen, daß unsre nationale Bildung und die Kultur der ganzen Welt keinen Schuß Pulver wert wäre, wenn es nicht gelingen sollte, in den Gebildeten und Besitzenden wieder Idealismus und Nächstenliebe zu erwecken an Stelle des jämmerlichen Krämergeistes, der die vielgerühmten Kulturfortschritte unsrer Zeit vielfach zur Karrikatur macht. Aber darüber sollten bei einem gebildeten Mann mit reifer Erfahrung im praktischen Leben doch keine Zweifel bestehen können, daß die traurigste Verirrung der Zeit in dem Wahne liegt, daß der Unterschied zwischen Bildung und Unbildung weggeleugnet werden könne, und daß man die Fähigkeit der handarbeitenden Massen zu politischem und volkswirtschaftlichen Ver¬ ständnis der Fähigkeit der höhern Klaffen gleichstellen dürfe. Das ist der Irrtum, den man auch in der Koalitionsfrage in erster Linie bekämpfen muß. Er führt zu Kurversuchen nach Art des Doktor Eisenbart, zum Austreiben des Teufels durch Beelzebub. Er ist umso schlimmer, weil es wieder einmal ge¬ lungen ist, ihn mit dem Nimbus einer neuen Weltanschauung zu umgeben, die die alte absterbende bekämpfe. Eine Weltanschauung ist er freilich, und auch sehr „modern"; aber neu ist diese Weltanschauung weder für die Menschheit im allgemeinen, noch für das deutsche Volk, nicht einmal für die deutschen Arbeiter ist sie es, so zahlreich auch ihre Nachbeter sein mögen. Sie ist im Grunde genommen weiter nichts als der alte Inhalt aller Demagogie aller Zeiten. Vor hundert und vor tausend Jahren haben es die Ungebildeten ebenso gern gehört wie heute, wenn ihnen Gebildete sagten, daß die Bildung gar nichts besondres sei und keinen besondern Einfluß im Staats- und Wirt¬ schaftsleben haben sollte. Da will man nun aber durch Induktion beweisen, daß die Koalition die Wunderwirkung habe, daß der Gesamtheit der zusammengeschlossenen Unge- Grenzboten IV 18S7 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/379>, abgerufen am 29.06.2024.