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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Organisation des Handwerks

kammer darum, eine Aufgabe der Erziehung fast an jedem einzelnen Mitgliede
zu erfüllen, die Vertreter der Kammer zu freiem Blicke, zu höhern Anschauungen
zu bilden, und das kann nur allmählich geschehen. So angesehen, ist der Auf¬
gabenkreis der Kammer in seiner Beschränkung auf wenige Punkte vielleicht
sogar weise gewählt. Anfangen müssen die Kammern jedenfalls im kleinen,
eine zu große Fülle von Stoff können sie zunächst nicht verdauen, das
würde sie nur verwirren und ihnen den Blick für das zunächst notwendige
und die Festigkeit, dies erreichen zu suchen, benehmen. Schulung an kleinern,
leicht zu übersehenden Aufgaben, um später größere angreifen zu können, das
muß der Grundsatz für die Arbeit dieser Kammern sein. Die Bundesregierungen
scheinen freilich der Ansicht zu sein, daß sich die Handwerkskammern dauernd
auf den kleinen Aufgabenkreis beschränken sollen, der ihnen nach dem Wort¬
laute des Gesetzes zugewiesen ist. Man kann dies daraus schließen, daß in
der Begründung zu dem Gesetzentwurf seinerzeit ausgesprochen wurde, die
Kosten, die der Verwaltung der Kammern entspringen, würden selbst für
größere Bezirke nicht hoch sein. Wir sind der Ansicht, daß sich die Kräfte
in der Handwerkskammer allmählich entwickeln müssen, und daher können wir
uns auch nicht mit dem befreunden, was Huber als Programm aufgestellt hat.*)
Wir billigen das Programm, wenn es ganz allmählich und vorsichtig durch¬
geführt werden soll, wenn eine so ins Breite gehende Thätigkeit der Hand¬
werkskammern, wie Huber will, für die Zukunft gedacht ist. Wenn man aber
sofort an die vollständige Durchführung dieses Programms gehen wollte,
würde man mehr schaden als nützen.

Huber möchte die Bezirke der Kammern möglichst groß gemacht sehen.
Er erinnert an den Grundsatz, der 1892 für die Größe der Handelskammer¬
bezirke von dem ehemaligen Handelsminister von Berlepsch aufgestellt wurde:
"Je größer der Bezirk einer Kammer ist, desto besser wird sie die verschieden¬
artigen, vielfach auseinander gehenden wirtschaftlichen Interessen objektiv be¬
urteilen und die ihr gestellten Aufgaben erfüllen," und fügt hinzu: Die er¬
sprießliche Thätigkeit einer Handwerkskammer hängt in noch viel höherm Grade
von einer derartigen Ausgleichung ab; der Horizont der Mitglieder ist eng,
das Kirchturminteresse vorwiegend; je größer der Kammerbezirk ist, umso mehr
wird der Gefahr vorgebaut, daß nur einige, der Zahl nach starke Gewerbe,
wie Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Schneider usw., die andern Gewerbtreibenden
meistern und terrorisiren. Gleichwohl wurden damals, 1892, für deren Orga¬
nisation kleinere Bezirke in Aussicht genommen. Wir glauben, daß damit von
Anfang an die Wirksamkeit der Kammern lahm gelegt werden würde. Soll
die Handwerkskammer ein Organ werden, von dem die Ortsvereine immer
wieder neue Gesichtspunkte, immer wieder neue Anregung und Auffrischung er-



") Professor Dr. Huber in Stuttgart' Zur Einführung des Neichsgesetzes über die Innungen
und HandwertAnmmern, Als Manuskript gedruckt.
Die Organisation des Handwerks

kammer darum, eine Aufgabe der Erziehung fast an jedem einzelnen Mitgliede
zu erfüllen, die Vertreter der Kammer zu freiem Blicke, zu höhern Anschauungen
zu bilden, und das kann nur allmählich geschehen. So angesehen, ist der Auf¬
gabenkreis der Kammer in seiner Beschränkung auf wenige Punkte vielleicht
sogar weise gewählt. Anfangen müssen die Kammern jedenfalls im kleinen,
eine zu große Fülle von Stoff können sie zunächst nicht verdauen, das
würde sie nur verwirren und ihnen den Blick für das zunächst notwendige
und die Festigkeit, dies erreichen zu suchen, benehmen. Schulung an kleinern,
leicht zu übersehenden Aufgaben, um später größere angreifen zu können, das
muß der Grundsatz für die Arbeit dieser Kammern sein. Die Bundesregierungen
scheinen freilich der Ansicht zu sein, daß sich die Handwerkskammern dauernd
auf den kleinen Aufgabenkreis beschränken sollen, der ihnen nach dem Wort¬
laute des Gesetzes zugewiesen ist. Man kann dies daraus schließen, daß in
der Begründung zu dem Gesetzentwurf seinerzeit ausgesprochen wurde, die
Kosten, die der Verwaltung der Kammern entspringen, würden selbst für
größere Bezirke nicht hoch sein. Wir sind der Ansicht, daß sich die Kräfte
in der Handwerkskammer allmählich entwickeln müssen, und daher können wir
uns auch nicht mit dem befreunden, was Huber als Programm aufgestellt hat.*)
Wir billigen das Programm, wenn es ganz allmählich und vorsichtig durch¬
geführt werden soll, wenn eine so ins Breite gehende Thätigkeit der Hand¬
werkskammern, wie Huber will, für die Zukunft gedacht ist. Wenn man aber
sofort an die vollständige Durchführung dieses Programms gehen wollte,
würde man mehr schaden als nützen.

Huber möchte die Bezirke der Kammern möglichst groß gemacht sehen.
Er erinnert an den Grundsatz, der 1892 für die Größe der Handelskammer¬
bezirke von dem ehemaligen Handelsminister von Berlepsch aufgestellt wurde:
„Je größer der Bezirk einer Kammer ist, desto besser wird sie die verschieden¬
artigen, vielfach auseinander gehenden wirtschaftlichen Interessen objektiv be¬
urteilen und die ihr gestellten Aufgaben erfüllen," und fügt hinzu: Die er¬
sprießliche Thätigkeit einer Handwerkskammer hängt in noch viel höherm Grade
von einer derartigen Ausgleichung ab; der Horizont der Mitglieder ist eng,
das Kirchturminteresse vorwiegend; je größer der Kammerbezirk ist, umso mehr
wird der Gefahr vorgebaut, daß nur einige, der Zahl nach starke Gewerbe,
wie Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Schneider usw., die andern Gewerbtreibenden
meistern und terrorisiren. Gleichwohl wurden damals, 1892, für deren Orga¬
nisation kleinere Bezirke in Aussicht genommen. Wir glauben, daß damit von
Anfang an die Wirksamkeit der Kammern lahm gelegt werden würde. Soll
die Handwerkskammer ein Organ werden, von dem die Ortsvereine immer
wieder neue Gesichtspunkte, immer wieder neue Anregung und Auffrischung er-



") Professor Dr. Huber in Stuttgart' Zur Einführung des Neichsgesetzes über die Innungen
und HandwertAnmmern, Als Manuskript gedruckt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/374>, abgerufen am 29.06.2024.