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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Organisation des Handwerks

darischen Kleinmeistern in Zwergbetriebe der kümmerlichsten Art auslösen. Da¬
neben muß die Vergrößerung des Angebots von Gesellen eine Verschlechterung
ihrer Arbeitsbedingungen herbeiführen; viele werden nach der Lehrzeit zu einem
vollständigen Berufswechsel gedrängt, und nicht wenige dürften dem Elend
und dem Verbrechen anheimfallen, die nicht die nötige Beweglichkeit haben, sich
noch in späteren Alter in neue Verhältnisse zu schicken.

Aber auch all die andern Aufgaben der Innungen können zum Segen
des Handwerks gelöst werden, aber nur wenn der Geist der Lauheit und der
Gleichgiltigkeit weicht. Zur erfolgreichen Thätigkeit gehört auf jeder Organi¬
sationsstufe im Handwerk eine ungeheure Summe von Arbeitskraft, Arbeits¬
freudigkeit und Umsicht bei den leitenden Personen und eine Fülle von Opfer¬
willigkeit, Gemeinsinn und kraftvoller Mitarbeit bei jedem einzelnen Hand¬
werksmeister. Die äußere Form der Organisation ist schließlich nur durch den
Geist, der in ihr lebt, zu beseelen, und wenn dieser Geist im Handwerk lebendig
wird, so wird man auch in dem Umfange, wie es überhaupt möglich ist, Er¬
folge haben. Ist aber dieser Geist nicht wirksam, so wird ihn auch die äußere
Organisationsform nicht schaffen können, sie bleibt eine tote Maschine, deren
bloßes Dasein dem Handwerk gar keinen Nutzen bringt.

Es ist ja etwas schönes um den Begriff der Interessenvertretung. Er
hat seinen ersten amtlichen Ausdruck in der Gründung von Handelskammern
gefunden, die man in bemerkenswerter Würdigung der Aufgaben, die ihnen
gestellt sind, zu selbständigen Behörden machte. Aber man darf dabei nicht
vergessen, daß große Einsicht und ein starkes Gefühl für die Thatsache, daß
wir Deutschen eine Volksgenossenschaft bilden, in der kein Teil eigennützige
Ziele verfolgen darf, dazu gehört, eine solche Korporation vor dem Hervor¬
kehren bloßer Geldbeutelpvlitik zu bewahren. Die sorgfältige Abwägung, wie
weit sich die Interessen einer Gruppe im Erwerbsleben mit dem Wohle des
Ganzen decken, und die Selbstzucht, die sich hütet, über die dadurch gegebnen
Grenzen bei der Vertretung der Interessen hinauszugehen, ist bei den
Handelskammern, die ihre Aufgabe richtig verstehen -- und das sind nicht
wenige --, verhältnismüßig oft zu finden. Wir finden sie aber nicht oder
doch schon weit weniger bei den Landwirtschaftskammern; die haben sich be¬
dauerlicherweise in den Dienst politischer Parteien gestellt. Und wir werden
sie zunächst auch bei den Handwerkskammern vermissen müssen. Der Hand¬
werker überblickt gewöhnlich nur einen kleinen Ausschnitt des vielgestaltigen
wirtschaftlichen Lebens; das ist zum Teil die Folge einer außergewöhnlichen
Inzucht im Handwerke, die an vielen Orten mit der Beseitigung des Wander¬
zwanges aufgetreten ist, zum Teil verrät es einen Mangel an Erziehung. Der
Handwerker ist außerdem außerordentlich mißtrauisch gegen den eignen Berufs¬
genossen, und das wird das Zusammenarbeiten einer größern Anzahl von
Meistern in einer Korporation wie der Handwerkskammer außerordentlich er¬
schweren. Es gehört für den Einzelnen immer ein gewisser Gleichmut, eine


Die Organisation des Handwerks

darischen Kleinmeistern in Zwergbetriebe der kümmerlichsten Art auslösen. Da¬
neben muß die Vergrößerung des Angebots von Gesellen eine Verschlechterung
ihrer Arbeitsbedingungen herbeiführen; viele werden nach der Lehrzeit zu einem
vollständigen Berufswechsel gedrängt, und nicht wenige dürften dem Elend
und dem Verbrechen anheimfallen, die nicht die nötige Beweglichkeit haben, sich
noch in späteren Alter in neue Verhältnisse zu schicken.

Aber auch all die andern Aufgaben der Innungen können zum Segen
des Handwerks gelöst werden, aber nur wenn der Geist der Lauheit und der
Gleichgiltigkeit weicht. Zur erfolgreichen Thätigkeit gehört auf jeder Organi¬
sationsstufe im Handwerk eine ungeheure Summe von Arbeitskraft, Arbeits¬
freudigkeit und Umsicht bei den leitenden Personen und eine Fülle von Opfer¬
willigkeit, Gemeinsinn und kraftvoller Mitarbeit bei jedem einzelnen Hand¬
werksmeister. Die äußere Form der Organisation ist schließlich nur durch den
Geist, der in ihr lebt, zu beseelen, und wenn dieser Geist im Handwerk lebendig
wird, so wird man auch in dem Umfange, wie es überhaupt möglich ist, Er¬
folge haben. Ist aber dieser Geist nicht wirksam, so wird ihn auch die äußere
Organisationsform nicht schaffen können, sie bleibt eine tote Maschine, deren
bloßes Dasein dem Handwerk gar keinen Nutzen bringt.

Es ist ja etwas schönes um den Begriff der Interessenvertretung. Er
hat seinen ersten amtlichen Ausdruck in der Gründung von Handelskammern
gefunden, die man in bemerkenswerter Würdigung der Aufgaben, die ihnen
gestellt sind, zu selbständigen Behörden machte. Aber man darf dabei nicht
vergessen, daß große Einsicht und ein starkes Gefühl für die Thatsache, daß
wir Deutschen eine Volksgenossenschaft bilden, in der kein Teil eigennützige
Ziele verfolgen darf, dazu gehört, eine solche Korporation vor dem Hervor¬
kehren bloßer Geldbeutelpvlitik zu bewahren. Die sorgfältige Abwägung, wie
weit sich die Interessen einer Gruppe im Erwerbsleben mit dem Wohle des
Ganzen decken, und die Selbstzucht, die sich hütet, über die dadurch gegebnen
Grenzen bei der Vertretung der Interessen hinauszugehen, ist bei den
Handelskammern, die ihre Aufgabe richtig verstehen — und das sind nicht
wenige —, verhältnismüßig oft zu finden. Wir finden sie aber nicht oder
doch schon weit weniger bei den Landwirtschaftskammern; die haben sich be¬
dauerlicherweise in den Dienst politischer Parteien gestellt. Und wir werden
sie zunächst auch bei den Handwerkskammern vermissen müssen. Der Hand¬
werker überblickt gewöhnlich nur einen kleinen Ausschnitt des vielgestaltigen
wirtschaftlichen Lebens; das ist zum Teil die Folge einer außergewöhnlichen
Inzucht im Handwerke, die an vielen Orten mit der Beseitigung des Wander¬
zwanges aufgetreten ist, zum Teil verrät es einen Mangel an Erziehung. Der
Handwerker ist außerdem außerordentlich mißtrauisch gegen den eignen Berufs¬
genossen, und das wird das Zusammenarbeiten einer größern Anzahl von
Meistern in einer Korporation wie der Handwerkskammer außerordentlich er¬
schweren. Es gehört für den Einzelnen immer ein gewisser Gleichmut, eine


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[0372] Die Organisation des Handwerks darischen Kleinmeistern in Zwergbetriebe der kümmerlichsten Art auslösen. Da¬ neben muß die Vergrößerung des Angebots von Gesellen eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen herbeiführen; viele werden nach der Lehrzeit zu einem vollständigen Berufswechsel gedrängt, und nicht wenige dürften dem Elend und dem Verbrechen anheimfallen, die nicht die nötige Beweglichkeit haben, sich noch in späteren Alter in neue Verhältnisse zu schicken. Aber auch all die andern Aufgaben der Innungen können zum Segen des Handwerks gelöst werden, aber nur wenn der Geist der Lauheit und der Gleichgiltigkeit weicht. Zur erfolgreichen Thätigkeit gehört auf jeder Organi¬ sationsstufe im Handwerk eine ungeheure Summe von Arbeitskraft, Arbeits¬ freudigkeit und Umsicht bei den leitenden Personen und eine Fülle von Opfer¬ willigkeit, Gemeinsinn und kraftvoller Mitarbeit bei jedem einzelnen Hand¬ werksmeister. Die äußere Form der Organisation ist schließlich nur durch den Geist, der in ihr lebt, zu beseelen, und wenn dieser Geist im Handwerk lebendig wird, so wird man auch in dem Umfange, wie es überhaupt möglich ist, Er¬ folge haben. Ist aber dieser Geist nicht wirksam, so wird ihn auch die äußere Organisationsform nicht schaffen können, sie bleibt eine tote Maschine, deren bloßes Dasein dem Handwerk gar keinen Nutzen bringt. Es ist ja etwas schönes um den Begriff der Interessenvertretung. Er hat seinen ersten amtlichen Ausdruck in der Gründung von Handelskammern gefunden, die man in bemerkenswerter Würdigung der Aufgaben, die ihnen gestellt sind, zu selbständigen Behörden machte. Aber man darf dabei nicht vergessen, daß große Einsicht und ein starkes Gefühl für die Thatsache, daß wir Deutschen eine Volksgenossenschaft bilden, in der kein Teil eigennützige Ziele verfolgen darf, dazu gehört, eine solche Korporation vor dem Hervor¬ kehren bloßer Geldbeutelpvlitik zu bewahren. Die sorgfältige Abwägung, wie weit sich die Interessen einer Gruppe im Erwerbsleben mit dem Wohle des Ganzen decken, und die Selbstzucht, die sich hütet, über die dadurch gegebnen Grenzen bei der Vertretung der Interessen hinauszugehen, ist bei den Handelskammern, die ihre Aufgabe richtig verstehen — und das sind nicht wenige —, verhältnismüßig oft zu finden. Wir finden sie aber nicht oder doch schon weit weniger bei den Landwirtschaftskammern; die haben sich be¬ dauerlicherweise in den Dienst politischer Parteien gestellt. Und wir werden sie zunächst auch bei den Handwerkskammern vermissen müssen. Der Hand¬ werker überblickt gewöhnlich nur einen kleinen Ausschnitt des vielgestaltigen wirtschaftlichen Lebens; das ist zum Teil die Folge einer außergewöhnlichen Inzucht im Handwerke, die an vielen Orten mit der Beseitigung des Wander¬ zwanges aufgetreten ist, zum Teil verrät es einen Mangel an Erziehung. Der Handwerker ist außerdem außerordentlich mißtrauisch gegen den eignen Berufs¬ genossen, und das wird das Zusammenarbeiten einer größern Anzahl von Meistern in einer Korporation wie der Handwerkskammer außerordentlich er¬ schweren. Es gehört für den Einzelnen immer ein gewisser Gleichmut, eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/372>, abgerufen am 29.06.2024.