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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Grgamsation des Handwerks

35 Prozent des deutschen Handwerks vereinigt sind. Denkt man an die große
Zahl von Meistern, die ohne Hilfskräfte arbeiten, und von Landhandwerkern,
die kaum zu einer lebenskräftigen Vereinigung zusammengefaßt werden können,
so müssen Zweifel aussteigen, ob die neue Bildung von Korporationen großen
Umfang annehmen wird.

Es muß dem Handwerk eindringlich klar gemacht werden, daß jenseits der
Sphäre der Gesetzgebung die Sphäre der Selbstzucht, der Selbsterziehung liegt,
und daß heute der Handwerker mehr als je auf die persönlich tüchtige Aus¬
bildung das Gewicht legen muß, daß er nur durch sie einen sichern Lebens¬
grund gewinnen kann. Das muß ihm deshalb immer wieder gesagt werden,
weil er leicht geneigt ist, die Gründe, die seine und des Nachbars schlechte
Lage herbeigeführt haben, außer sich zu suchen, aber nicht zu prüfe", ob nicht
vielleicht auch in ihm Fehler und Vernachlässigungen zu finden seien, die schwer
in die Wagschale fallen.

Bezeichnend und doch leicht erklärlich in der ganzen Handwerker¬
bewegung ist der felsenfeste Glaube an die Macht der Koalition. Man hat
in Handwerkerkreisen schon oft unmittelbar auf die Erfolge der Gewerk¬
vereine und andrer sozialistischer Korporationen hingewiesen und daraus den
Schluß gezogen, daß es nur ähnlicher Organisatiousformen (Zwangs¬
innungen usw.) bedürfe, um auch ähnliche Erfolge zu erreichen, d. h. die Lage
des Handwerkers materiell zu heben, wie es mit der Lage des Arbeiters that¬
sächlich gelungen ist und immer noch gelingt. Es ist aber eine grundfalsche
Ansicht von dem Wesen und der Wirksamkeit der Koalition überhaupt, wenn
man annimmt, daß der Zusammenschluß allein zur Erreichung der gehofften
Erfolge genüge. Man vergißt bei einer solchen Vergleichung einige sehr wichtige
Dinge. Zuerst das Verhältnis von dem Werte der Persönlichkeit und der
Unterordnung unter eine Organisation. Der einzelne Arbeiter setzt in die
Organisation seine ganze Kraft, sein ganzes Ich ein, er tritt nicht widerwillig
den Bestrebungen der Genossen bei und schließt sich nicht bloß mittels der
Leistung eines Beitrags an sie an, sondern der ganze Mensch stellt sich in
ihren Dienst und bringt ohne Besinnen Opfer, die ihm oft seine Stellung
.kosten. Wo in einer Organisation alle Kräfte so aus freier Entschließung
einem Ziele zustreben, muß Großes erreicht werden. Der Koalition im Hand¬
werke widerstrebt zuuüchst ein großer Teil des Handwerks von vornherein;
diese Leute wird man allerdings zu äußerlichen Zusammenschlüsse zwingen
können, aber eins wird man damit nicht erreichen, daß nun auch alle Einzelnen
ihre ganze Persönlichkeit einsetzen, um ein als richtig anerkanntes Ziel zu er¬
reichen. Und das wird man -- diese Lehre fließt aus einer langen geschicht¬
lichen Erfahrung -- niemals ändern. So fällt die Möglichkeit eines Erfolges
schon aus diesem Grunde weg. Zweitens kommt es auf das Ziel der Koa¬
lition und die Art der Hindernisse an, die seiner Erreichung entgegenstehen.
Die Koalition der Arbeiter will für die Abkürzung der Arbeitszeit, für die


Die Grgamsation des Handwerks

35 Prozent des deutschen Handwerks vereinigt sind. Denkt man an die große
Zahl von Meistern, die ohne Hilfskräfte arbeiten, und von Landhandwerkern,
die kaum zu einer lebenskräftigen Vereinigung zusammengefaßt werden können,
so müssen Zweifel aussteigen, ob die neue Bildung von Korporationen großen
Umfang annehmen wird.

Es muß dem Handwerk eindringlich klar gemacht werden, daß jenseits der
Sphäre der Gesetzgebung die Sphäre der Selbstzucht, der Selbsterziehung liegt,
und daß heute der Handwerker mehr als je auf die persönlich tüchtige Aus¬
bildung das Gewicht legen muß, daß er nur durch sie einen sichern Lebens¬
grund gewinnen kann. Das muß ihm deshalb immer wieder gesagt werden,
weil er leicht geneigt ist, die Gründe, die seine und des Nachbars schlechte
Lage herbeigeführt haben, außer sich zu suchen, aber nicht zu prüfe», ob nicht
vielleicht auch in ihm Fehler und Vernachlässigungen zu finden seien, die schwer
in die Wagschale fallen.

Bezeichnend und doch leicht erklärlich in der ganzen Handwerker¬
bewegung ist der felsenfeste Glaube an die Macht der Koalition. Man hat
in Handwerkerkreisen schon oft unmittelbar auf die Erfolge der Gewerk¬
vereine und andrer sozialistischer Korporationen hingewiesen und daraus den
Schluß gezogen, daß es nur ähnlicher Organisatiousformen (Zwangs¬
innungen usw.) bedürfe, um auch ähnliche Erfolge zu erreichen, d. h. die Lage
des Handwerkers materiell zu heben, wie es mit der Lage des Arbeiters that¬
sächlich gelungen ist und immer noch gelingt. Es ist aber eine grundfalsche
Ansicht von dem Wesen und der Wirksamkeit der Koalition überhaupt, wenn
man annimmt, daß der Zusammenschluß allein zur Erreichung der gehofften
Erfolge genüge. Man vergißt bei einer solchen Vergleichung einige sehr wichtige
Dinge. Zuerst das Verhältnis von dem Werte der Persönlichkeit und der
Unterordnung unter eine Organisation. Der einzelne Arbeiter setzt in die
Organisation seine ganze Kraft, sein ganzes Ich ein, er tritt nicht widerwillig
den Bestrebungen der Genossen bei und schließt sich nicht bloß mittels der
Leistung eines Beitrags an sie an, sondern der ganze Mensch stellt sich in
ihren Dienst und bringt ohne Besinnen Opfer, die ihm oft seine Stellung
.kosten. Wo in einer Organisation alle Kräfte so aus freier Entschließung
einem Ziele zustreben, muß Großes erreicht werden. Der Koalition im Hand¬
werke widerstrebt zuuüchst ein großer Teil des Handwerks von vornherein;
diese Leute wird man allerdings zu äußerlichen Zusammenschlüsse zwingen
können, aber eins wird man damit nicht erreichen, daß nun auch alle Einzelnen
ihre ganze Persönlichkeit einsetzen, um ein als richtig anerkanntes Ziel zu er¬
reichen. Und das wird man — diese Lehre fließt aus einer langen geschicht¬
lichen Erfahrung — niemals ändern. So fällt die Möglichkeit eines Erfolges
schon aus diesem Grunde weg. Zweitens kommt es auf das Ziel der Koa¬
lition und die Art der Hindernisse an, die seiner Erreichung entgegenstehen.
Die Koalition der Arbeiter will für die Abkürzung der Arbeitszeit, für die


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[0369] Die Grgamsation des Handwerks 35 Prozent des deutschen Handwerks vereinigt sind. Denkt man an die große Zahl von Meistern, die ohne Hilfskräfte arbeiten, und von Landhandwerkern, die kaum zu einer lebenskräftigen Vereinigung zusammengefaßt werden können, so müssen Zweifel aussteigen, ob die neue Bildung von Korporationen großen Umfang annehmen wird. Es muß dem Handwerk eindringlich klar gemacht werden, daß jenseits der Sphäre der Gesetzgebung die Sphäre der Selbstzucht, der Selbsterziehung liegt, und daß heute der Handwerker mehr als je auf die persönlich tüchtige Aus¬ bildung das Gewicht legen muß, daß er nur durch sie einen sichern Lebens¬ grund gewinnen kann. Das muß ihm deshalb immer wieder gesagt werden, weil er leicht geneigt ist, die Gründe, die seine und des Nachbars schlechte Lage herbeigeführt haben, außer sich zu suchen, aber nicht zu prüfe», ob nicht vielleicht auch in ihm Fehler und Vernachlässigungen zu finden seien, die schwer in die Wagschale fallen. Bezeichnend und doch leicht erklärlich in der ganzen Handwerker¬ bewegung ist der felsenfeste Glaube an die Macht der Koalition. Man hat in Handwerkerkreisen schon oft unmittelbar auf die Erfolge der Gewerk¬ vereine und andrer sozialistischer Korporationen hingewiesen und daraus den Schluß gezogen, daß es nur ähnlicher Organisatiousformen (Zwangs¬ innungen usw.) bedürfe, um auch ähnliche Erfolge zu erreichen, d. h. die Lage des Handwerkers materiell zu heben, wie es mit der Lage des Arbeiters that¬ sächlich gelungen ist und immer noch gelingt. Es ist aber eine grundfalsche Ansicht von dem Wesen und der Wirksamkeit der Koalition überhaupt, wenn man annimmt, daß der Zusammenschluß allein zur Erreichung der gehofften Erfolge genüge. Man vergißt bei einer solchen Vergleichung einige sehr wichtige Dinge. Zuerst das Verhältnis von dem Werte der Persönlichkeit und der Unterordnung unter eine Organisation. Der einzelne Arbeiter setzt in die Organisation seine ganze Kraft, sein ganzes Ich ein, er tritt nicht widerwillig den Bestrebungen der Genossen bei und schließt sich nicht bloß mittels der Leistung eines Beitrags an sie an, sondern der ganze Mensch stellt sich in ihren Dienst und bringt ohne Besinnen Opfer, die ihm oft seine Stellung .kosten. Wo in einer Organisation alle Kräfte so aus freier Entschließung einem Ziele zustreben, muß Großes erreicht werden. Der Koalition im Hand¬ werke widerstrebt zuuüchst ein großer Teil des Handwerks von vornherein; diese Leute wird man allerdings zu äußerlichen Zusammenschlüsse zwingen können, aber eins wird man damit nicht erreichen, daß nun auch alle Einzelnen ihre ganze Persönlichkeit einsetzen, um ein als richtig anerkanntes Ziel zu er¬ reichen. Und das wird man — diese Lehre fließt aus einer langen geschicht¬ lichen Erfahrung — niemals ändern. So fällt die Möglichkeit eines Erfolges schon aus diesem Grunde weg. Zweitens kommt es auf das Ziel der Koa¬ lition und die Art der Hindernisse an, die seiner Erreichung entgegenstehen. Die Koalition der Arbeiter will für die Abkürzung der Arbeitszeit, für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/369>, abgerufen am 29.06.2024.