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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Organisation des Handwerks

was und wie man zu schützen hat. Der praktischen Ausführung dieser Forde¬
rungen, denen durch die "Erhebung über die Verhältnisse im Handwerk, ver¬
anstaltet im Sommer 1895, bearbeitet im Kaiserlichen statistischen Amt" nicht
Genüge gethan wird, standen keine Schwierigkeiten im Wege; das Material
fließt reich genng, hat aber bisher keine amtliche Verwertung gefunden. Nicht
einmal der Bericht der Sachverständigen, die im Auftrage der preußischen
Regierung das österreichische Gcwerbeleben und die Erfahrungen, die man dort
mit der Zwnngsorganisation des Handwerks gesammelt hat, studirt haben, ist
bisher veröffentlicht worden, obwohl die Ausführung dieser Erkundungsreise
mit Hilfe von Staatsmitteln geschehen ist und somit die Veröffentlichung des
Berichtes schon formell geboten erscheint.

Bei der Unklarheit, in der die Gesetzesvorlage die beteiligten Kreise über
die Wirkung der Organisation des Handwerks läßt, muß immer und immer
wieder nachdrücklich hervorgehoben werden, daß diese Organisation den Über¬
griffen der Produktion auf das Gebiet handwerksmüßiger Technik keinen Damm
entgegensetzen kann, ebenso wenig, wie es der Aufhebung der alten Organi¬
sationsformen des gewerblichen Lebens durch die Gewerbeordnung zuzuschreiben
ist, daß dem Handwerke ein Teil des Bodens entzogen worden ist.

Spencer sagt einmal sehr richtig: "Dieser grundlose Glaube an die
Kraft der Hilfsmittel in Verbindung mit dem allgemeinen Vorurteil, das der
Bürger unvermeidlich zu Gunsten der Negierung hegt, befördert die Über¬
häufung mit Gesetzen. Er nährt die Vorstellung, daß ein Gemeinwesen umso
besser sein werde, je mehr seine Handlungen überall durch künstlerische Vor¬
richtungen geregelt werden. Und die dadurch auf die soziologische Spekulation
hervorgerufne Wirkung besteht darin, daß die durch Gesetze bewirkten Vorteile
übertrieben, dagegen die durch sie hervorgerufueu Übel übersehen werden. In
seinem Einfluß auf ein so unendlich komplizirtes Gebilde wie ein staatliches
Gemeinwesen bringt ein Gesetz selten, wenn überhaupt, so viel unmittelbare
Wirkungen, wie erwartet werden, hervor, und bringt mit Sicherheit mittelbare
Wirkungen hervor, vielseitig in ihren Arten und groß in ihrer Summe, die
nicht erwartet wurden."

Wenn man doch einmal den Versuch einer Organisation des Handwerks
machen will, dann bietet der Entwurf des Gesetzes, wie er jetzt in Kraft ge¬
treten ist, das Äußerste, was, freilich mit schwerem Herzen und mit der Gewi߬
heit, daß die Lage des Handwerks sich dadurch nicht wesentlich bessern wird,
zugestanden werden kann.

Auch der Hoffnung, daß die Jnnungsbildung rein äußerlich stark zu¬
nehmen werde, darf man nicht allzu viel Raum geben. Bisher nahm man
aus Grund sehr oberflächlicher Berechnungen von nötiger an, daß nur etwa
ein Zehntel sämtlicher Handwerker den gewerblichen Korporationen beigetreten
sei. Aber Paul Voigt weist in dem dritten Hefte der Schmollerschen Jahr¬
bücher (1897) nach, daß zur Zeit in Innungen und Gewerbevereinen ungefähr


Die Organisation des Handwerks

was und wie man zu schützen hat. Der praktischen Ausführung dieser Forde¬
rungen, denen durch die „Erhebung über die Verhältnisse im Handwerk, ver¬
anstaltet im Sommer 1895, bearbeitet im Kaiserlichen statistischen Amt" nicht
Genüge gethan wird, standen keine Schwierigkeiten im Wege; das Material
fließt reich genng, hat aber bisher keine amtliche Verwertung gefunden. Nicht
einmal der Bericht der Sachverständigen, die im Auftrage der preußischen
Regierung das österreichische Gcwerbeleben und die Erfahrungen, die man dort
mit der Zwnngsorganisation des Handwerks gesammelt hat, studirt haben, ist
bisher veröffentlicht worden, obwohl die Ausführung dieser Erkundungsreise
mit Hilfe von Staatsmitteln geschehen ist und somit die Veröffentlichung des
Berichtes schon formell geboten erscheint.

Bei der Unklarheit, in der die Gesetzesvorlage die beteiligten Kreise über
die Wirkung der Organisation des Handwerks läßt, muß immer und immer
wieder nachdrücklich hervorgehoben werden, daß diese Organisation den Über¬
griffen der Produktion auf das Gebiet handwerksmüßiger Technik keinen Damm
entgegensetzen kann, ebenso wenig, wie es der Aufhebung der alten Organi¬
sationsformen des gewerblichen Lebens durch die Gewerbeordnung zuzuschreiben
ist, daß dem Handwerke ein Teil des Bodens entzogen worden ist.

Spencer sagt einmal sehr richtig: „Dieser grundlose Glaube an die
Kraft der Hilfsmittel in Verbindung mit dem allgemeinen Vorurteil, das der
Bürger unvermeidlich zu Gunsten der Negierung hegt, befördert die Über¬
häufung mit Gesetzen. Er nährt die Vorstellung, daß ein Gemeinwesen umso
besser sein werde, je mehr seine Handlungen überall durch künstlerische Vor¬
richtungen geregelt werden. Und die dadurch auf die soziologische Spekulation
hervorgerufne Wirkung besteht darin, daß die durch Gesetze bewirkten Vorteile
übertrieben, dagegen die durch sie hervorgerufueu Übel übersehen werden. In
seinem Einfluß auf ein so unendlich komplizirtes Gebilde wie ein staatliches
Gemeinwesen bringt ein Gesetz selten, wenn überhaupt, so viel unmittelbare
Wirkungen, wie erwartet werden, hervor, und bringt mit Sicherheit mittelbare
Wirkungen hervor, vielseitig in ihren Arten und groß in ihrer Summe, die
nicht erwartet wurden."

Wenn man doch einmal den Versuch einer Organisation des Handwerks
machen will, dann bietet der Entwurf des Gesetzes, wie er jetzt in Kraft ge¬
treten ist, das Äußerste, was, freilich mit schwerem Herzen und mit der Gewi߬
heit, daß die Lage des Handwerks sich dadurch nicht wesentlich bessern wird,
zugestanden werden kann.

Auch der Hoffnung, daß die Jnnungsbildung rein äußerlich stark zu¬
nehmen werde, darf man nicht allzu viel Raum geben. Bisher nahm man
aus Grund sehr oberflächlicher Berechnungen von nötiger an, daß nur etwa
ein Zehntel sämtlicher Handwerker den gewerblichen Korporationen beigetreten
sei. Aber Paul Voigt weist in dem dritten Hefte der Schmollerschen Jahr¬
bücher (1897) nach, daß zur Zeit in Innungen und Gewerbevereinen ungefähr


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[0368] Die Organisation des Handwerks was und wie man zu schützen hat. Der praktischen Ausführung dieser Forde¬ rungen, denen durch die „Erhebung über die Verhältnisse im Handwerk, ver¬ anstaltet im Sommer 1895, bearbeitet im Kaiserlichen statistischen Amt" nicht Genüge gethan wird, standen keine Schwierigkeiten im Wege; das Material fließt reich genng, hat aber bisher keine amtliche Verwertung gefunden. Nicht einmal der Bericht der Sachverständigen, die im Auftrage der preußischen Regierung das österreichische Gcwerbeleben und die Erfahrungen, die man dort mit der Zwnngsorganisation des Handwerks gesammelt hat, studirt haben, ist bisher veröffentlicht worden, obwohl die Ausführung dieser Erkundungsreise mit Hilfe von Staatsmitteln geschehen ist und somit die Veröffentlichung des Berichtes schon formell geboten erscheint. Bei der Unklarheit, in der die Gesetzesvorlage die beteiligten Kreise über die Wirkung der Organisation des Handwerks läßt, muß immer und immer wieder nachdrücklich hervorgehoben werden, daß diese Organisation den Über¬ griffen der Produktion auf das Gebiet handwerksmüßiger Technik keinen Damm entgegensetzen kann, ebenso wenig, wie es der Aufhebung der alten Organi¬ sationsformen des gewerblichen Lebens durch die Gewerbeordnung zuzuschreiben ist, daß dem Handwerke ein Teil des Bodens entzogen worden ist. Spencer sagt einmal sehr richtig: „Dieser grundlose Glaube an die Kraft der Hilfsmittel in Verbindung mit dem allgemeinen Vorurteil, das der Bürger unvermeidlich zu Gunsten der Negierung hegt, befördert die Über¬ häufung mit Gesetzen. Er nährt die Vorstellung, daß ein Gemeinwesen umso besser sein werde, je mehr seine Handlungen überall durch künstlerische Vor¬ richtungen geregelt werden. Und die dadurch auf die soziologische Spekulation hervorgerufne Wirkung besteht darin, daß die durch Gesetze bewirkten Vorteile übertrieben, dagegen die durch sie hervorgerufueu Übel übersehen werden. In seinem Einfluß auf ein so unendlich komplizirtes Gebilde wie ein staatliches Gemeinwesen bringt ein Gesetz selten, wenn überhaupt, so viel unmittelbare Wirkungen, wie erwartet werden, hervor, und bringt mit Sicherheit mittelbare Wirkungen hervor, vielseitig in ihren Arten und groß in ihrer Summe, die nicht erwartet wurden." Wenn man doch einmal den Versuch einer Organisation des Handwerks machen will, dann bietet der Entwurf des Gesetzes, wie er jetzt in Kraft ge¬ treten ist, das Äußerste, was, freilich mit schwerem Herzen und mit der Gewi߬ heit, daß die Lage des Handwerks sich dadurch nicht wesentlich bessern wird, zugestanden werden kann. Auch der Hoffnung, daß die Jnnungsbildung rein äußerlich stark zu¬ nehmen werde, darf man nicht allzu viel Raum geben. Bisher nahm man aus Grund sehr oberflächlicher Berechnungen von nötiger an, daß nur etwa ein Zehntel sämtlicher Handwerker den gewerblichen Korporationen beigetreten sei. Aber Paul Voigt weist in dem dritten Hefte der Schmollerschen Jahr¬ bücher (1897) nach, daß zur Zeit in Innungen und Gewerbevereinen ungefähr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/368>, abgerufen am 29.06.2024.