Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Vrganisation des Handwerks

mit den Forderungen der Handwerker, ohne daß es jedoch bei den weit aus¬
einander gehenden Anschauungen möglich gewesen wäre, zu einheitlichen Be¬
schlüssen zu gelangen.

Von 1848 bis heute haben Dutzende von Handwerkertagen stattgefunden,
aber alle Verhandlungen haben sich in den Gedankenkreisen bewegt, die jener
erste Kongreß vorgezeichnet hatte.

Die Entwicklung, die der Organisativnsgedanke im Handwerk genommen
hat, ist etwa folgende. Zuerst lenkte man seine Aufmerksamkeit auf die Kon-
stituirung einer obersten Gewerbebehörde für größere Bezirke in Gestalt von
Kammern, in denen nicht nur das Handwerk, sondern auch die Industrie ver¬
treten sein sollte, und diesen Plan hat man bis auf die neueste Zeit unermüdlich
verfolgt, während die Absicht, ein Ncichsinnungsamt zu errichten, nur flüchtig
hier und dort auftauchte. Daß man dem Oberbau der Organisation in Gestalt
einer Kammer auch eine feste Grundlage geben müsse, indem man den Innungen
eine größere Geschlossenheit und eine weitere Verbreitung sicherte, sah man
wohl später ein, und aus der Verfolgung dieser Absicht, die übrigens aus
parlamentarischen und Regierungskrisen hervorging, entsprang allmählich die
Anschauung, daß von der Errichtung von Gewerbekammern mit Einschluß der
Industrie überhaupt abzusehen sei und lieber reine Jnnungshandwerkerkammern
auf der Grundlage der organisirien Innungen errichtet werden möchten. In
der zweiten Periode der Handwerkerbewegung brach sich dann bald die Über¬
zeugung Bahn, daß eine Wirksamkeit der zu schaffenden Organe des Hand¬
werks nur als beratender Behörden den Interessen der Handwerker nicht
genügend diene, daß das größte Gewicht ans ihre Thätigkeit als Selbst-
vcrwaltuugskvrperschafteii zu legen sei. Schließlich ist es nichts als das Er¬
gebnis dieser Entwicklung, was der Rcgiernngsentwurf des Jahres 1896 zur
Umgestaltung der Jnnuugsgesetzgebuug in der Neichsgewerbeordnung auf¬
genommen und zur Darstellung gebracht hat. Mit dem Aufschlüsse der Industrie
ans den Handwerkerkammern hat die extreme Künstlerische Richtung einen Sieg
erfochten, dessen Früchte kaum gut sein werden, denn es gehen auf diese Weise
den Kammern von vornherein viele einsichtsvolle und auf weiten Gebieten
wohlerfahrene Männer verloren.

Seitdem die Gesetzgebung begonnen hat, die Schranken zu beseitigen, die
eine freie Bewegung des Einzelnen in seinem Berufe hinderten, steht auch auf
den Handwerkerkongressen die Klage voran, die Gewerbefreiheit sei der Ruin
des Hcmowerks, natürlich mittelbar, indem sie alle Konkurrenznnternehmungen,
gleichviel ob sie auf dem Gebiete des Handels oder der Produktion selbst er¬
wüchsen, befördere. Nun hat ja die Gewerbefreiheit allerdings die Ausbreitung
der Industrie wesentlich begünstigt, aber emporgekommen wäre diese auch ohne
sie, selbst unter dem Druck einer Gewerbeordnung, wie sie Friedrich Wil¬
helm IV. 1849 für Preußen erlassen hatte, einer Gewerbeordnung, die in der
That ein mächtiges Hindernis war, die Arbeitsteilung der Kräfte im Groß-


Die Vrganisation des Handwerks

mit den Forderungen der Handwerker, ohne daß es jedoch bei den weit aus¬
einander gehenden Anschauungen möglich gewesen wäre, zu einheitlichen Be¬
schlüssen zu gelangen.

Von 1848 bis heute haben Dutzende von Handwerkertagen stattgefunden,
aber alle Verhandlungen haben sich in den Gedankenkreisen bewegt, die jener
erste Kongreß vorgezeichnet hatte.

Die Entwicklung, die der Organisativnsgedanke im Handwerk genommen
hat, ist etwa folgende. Zuerst lenkte man seine Aufmerksamkeit auf die Kon-
stituirung einer obersten Gewerbebehörde für größere Bezirke in Gestalt von
Kammern, in denen nicht nur das Handwerk, sondern auch die Industrie ver¬
treten sein sollte, und diesen Plan hat man bis auf die neueste Zeit unermüdlich
verfolgt, während die Absicht, ein Ncichsinnungsamt zu errichten, nur flüchtig
hier und dort auftauchte. Daß man dem Oberbau der Organisation in Gestalt
einer Kammer auch eine feste Grundlage geben müsse, indem man den Innungen
eine größere Geschlossenheit und eine weitere Verbreitung sicherte, sah man
wohl später ein, und aus der Verfolgung dieser Absicht, die übrigens aus
parlamentarischen und Regierungskrisen hervorging, entsprang allmählich die
Anschauung, daß von der Errichtung von Gewerbekammern mit Einschluß der
Industrie überhaupt abzusehen sei und lieber reine Jnnungshandwerkerkammern
auf der Grundlage der organisirien Innungen errichtet werden möchten. In
der zweiten Periode der Handwerkerbewegung brach sich dann bald die Über¬
zeugung Bahn, daß eine Wirksamkeit der zu schaffenden Organe des Hand¬
werks nur als beratender Behörden den Interessen der Handwerker nicht
genügend diene, daß das größte Gewicht ans ihre Thätigkeit als Selbst-
vcrwaltuugskvrperschafteii zu legen sei. Schließlich ist es nichts als das Er¬
gebnis dieser Entwicklung, was der Rcgiernngsentwurf des Jahres 1896 zur
Umgestaltung der Jnnuugsgesetzgebuug in der Neichsgewerbeordnung auf¬
genommen und zur Darstellung gebracht hat. Mit dem Aufschlüsse der Industrie
ans den Handwerkerkammern hat die extreme Künstlerische Richtung einen Sieg
erfochten, dessen Früchte kaum gut sein werden, denn es gehen auf diese Weise
den Kammern von vornherein viele einsichtsvolle und auf weiten Gebieten
wohlerfahrene Männer verloren.

Seitdem die Gesetzgebung begonnen hat, die Schranken zu beseitigen, die
eine freie Bewegung des Einzelnen in seinem Berufe hinderten, steht auch auf
den Handwerkerkongressen die Klage voran, die Gewerbefreiheit sei der Ruin
des Hcmowerks, natürlich mittelbar, indem sie alle Konkurrenznnternehmungen,
gleichviel ob sie auf dem Gebiete des Handels oder der Produktion selbst er¬
wüchsen, befördere. Nun hat ja die Gewerbefreiheit allerdings die Ausbreitung
der Industrie wesentlich begünstigt, aber emporgekommen wäre diese auch ohne
sie, selbst unter dem Druck einer Gewerbeordnung, wie sie Friedrich Wil¬
helm IV. 1849 für Preußen erlassen hatte, einer Gewerbeordnung, die in der
That ein mächtiges Hindernis war, die Arbeitsteilung der Kräfte im Groß-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226596"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Vrganisation des Handwerks</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_905" prev="#ID_904"> mit den Forderungen der Handwerker, ohne daß es jedoch bei den weit aus¬<lb/>
einander gehenden Anschauungen möglich gewesen wäre, zu einheitlichen Be¬<lb/>
schlüssen zu gelangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906"> Von 1848 bis heute haben Dutzende von Handwerkertagen stattgefunden,<lb/>
aber alle Verhandlungen haben sich in den Gedankenkreisen bewegt, die jener<lb/>
erste Kongreß vorgezeichnet hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_907"> Die Entwicklung, die der Organisativnsgedanke im Handwerk genommen<lb/>
hat, ist etwa folgende. Zuerst lenkte man seine Aufmerksamkeit auf die Kon-<lb/>
stituirung einer obersten Gewerbebehörde für größere Bezirke in Gestalt von<lb/>
Kammern, in denen nicht nur das Handwerk, sondern auch die Industrie ver¬<lb/>
treten sein sollte, und diesen Plan hat man bis auf die neueste Zeit unermüdlich<lb/>
verfolgt, während die Absicht, ein Ncichsinnungsamt zu errichten, nur flüchtig<lb/>
hier und dort auftauchte. Daß man dem Oberbau der Organisation in Gestalt<lb/>
einer Kammer auch eine feste Grundlage geben müsse, indem man den Innungen<lb/>
eine größere Geschlossenheit und eine weitere Verbreitung sicherte, sah man<lb/>
wohl später ein, und aus der Verfolgung dieser Absicht, die übrigens aus<lb/>
parlamentarischen und Regierungskrisen hervorging, entsprang allmählich die<lb/>
Anschauung, daß von der Errichtung von Gewerbekammern mit Einschluß der<lb/>
Industrie überhaupt abzusehen sei und lieber reine Jnnungshandwerkerkammern<lb/>
auf der Grundlage der organisirien Innungen errichtet werden möchten. In<lb/>
der zweiten Periode der Handwerkerbewegung brach sich dann bald die Über¬<lb/>
zeugung Bahn, daß eine Wirksamkeit der zu schaffenden Organe des Hand¬<lb/>
werks nur als beratender Behörden den Interessen der Handwerker nicht<lb/>
genügend diene, daß das größte Gewicht ans ihre Thätigkeit als Selbst-<lb/>
vcrwaltuugskvrperschafteii zu legen sei. Schließlich ist es nichts als das Er¬<lb/>
gebnis dieser Entwicklung, was der Rcgiernngsentwurf des Jahres 1896 zur<lb/>
Umgestaltung der Jnnuugsgesetzgebuug in der Neichsgewerbeordnung auf¬<lb/>
genommen und zur Darstellung gebracht hat. Mit dem Aufschlüsse der Industrie<lb/>
ans den Handwerkerkammern hat die extreme Künstlerische Richtung einen Sieg<lb/>
erfochten, dessen Früchte kaum gut sein werden, denn es gehen auf diese Weise<lb/>
den Kammern von vornherein viele einsichtsvolle und auf weiten Gebieten<lb/>
wohlerfahrene Männer verloren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_908" next="#ID_909"> Seitdem die Gesetzgebung begonnen hat, die Schranken zu beseitigen, die<lb/>
eine freie Bewegung des Einzelnen in seinem Berufe hinderten, steht auch auf<lb/>
den Handwerkerkongressen die Klage voran, die Gewerbefreiheit sei der Ruin<lb/>
des Hcmowerks, natürlich mittelbar, indem sie alle Konkurrenznnternehmungen,<lb/>
gleichviel ob sie auf dem Gebiete des Handels oder der Produktion selbst er¬<lb/>
wüchsen, befördere. Nun hat ja die Gewerbefreiheit allerdings die Ausbreitung<lb/>
der Industrie wesentlich begünstigt, aber emporgekommen wäre diese auch ohne<lb/>
sie, selbst unter dem Druck einer Gewerbeordnung, wie sie Friedrich Wil¬<lb/>
helm IV. 1849 für Preußen erlassen hatte, einer Gewerbeordnung, die in der<lb/>
That ein mächtiges Hindernis war, die Arbeitsteilung der Kräfte im Groß-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0366] Die Vrganisation des Handwerks mit den Forderungen der Handwerker, ohne daß es jedoch bei den weit aus¬ einander gehenden Anschauungen möglich gewesen wäre, zu einheitlichen Be¬ schlüssen zu gelangen. Von 1848 bis heute haben Dutzende von Handwerkertagen stattgefunden, aber alle Verhandlungen haben sich in den Gedankenkreisen bewegt, die jener erste Kongreß vorgezeichnet hatte. Die Entwicklung, die der Organisativnsgedanke im Handwerk genommen hat, ist etwa folgende. Zuerst lenkte man seine Aufmerksamkeit auf die Kon- stituirung einer obersten Gewerbebehörde für größere Bezirke in Gestalt von Kammern, in denen nicht nur das Handwerk, sondern auch die Industrie ver¬ treten sein sollte, und diesen Plan hat man bis auf die neueste Zeit unermüdlich verfolgt, während die Absicht, ein Ncichsinnungsamt zu errichten, nur flüchtig hier und dort auftauchte. Daß man dem Oberbau der Organisation in Gestalt einer Kammer auch eine feste Grundlage geben müsse, indem man den Innungen eine größere Geschlossenheit und eine weitere Verbreitung sicherte, sah man wohl später ein, und aus der Verfolgung dieser Absicht, die übrigens aus parlamentarischen und Regierungskrisen hervorging, entsprang allmählich die Anschauung, daß von der Errichtung von Gewerbekammern mit Einschluß der Industrie überhaupt abzusehen sei und lieber reine Jnnungshandwerkerkammern auf der Grundlage der organisirien Innungen errichtet werden möchten. In der zweiten Periode der Handwerkerbewegung brach sich dann bald die Über¬ zeugung Bahn, daß eine Wirksamkeit der zu schaffenden Organe des Hand¬ werks nur als beratender Behörden den Interessen der Handwerker nicht genügend diene, daß das größte Gewicht ans ihre Thätigkeit als Selbst- vcrwaltuugskvrperschafteii zu legen sei. Schließlich ist es nichts als das Er¬ gebnis dieser Entwicklung, was der Rcgiernngsentwurf des Jahres 1896 zur Umgestaltung der Jnnuugsgesetzgebuug in der Neichsgewerbeordnung auf¬ genommen und zur Darstellung gebracht hat. Mit dem Aufschlüsse der Industrie ans den Handwerkerkammern hat die extreme Künstlerische Richtung einen Sieg erfochten, dessen Früchte kaum gut sein werden, denn es gehen auf diese Weise den Kammern von vornherein viele einsichtsvolle und auf weiten Gebieten wohlerfahrene Männer verloren. Seitdem die Gesetzgebung begonnen hat, die Schranken zu beseitigen, die eine freie Bewegung des Einzelnen in seinem Berufe hinderten, steht auch auf den Handwerkerkongressen die Klage voran, die Gewerbefreiheit sei der Ruin des Hcmowerks, natürlich mittelbar, indem sie alle Konkurrenznnternehmungen, gleichviel ob sie auf dem Gebiete des Handels oder der Produktion selbst er¬ wüchsen, befördere. Nun hat ja die Gewerbefreiheit allerdings die Ausbreitung der Industrie wesentlich begünstigt, aber emporgekommen wäre diese auch ohne sie, selbst unter dem Druck einer Gewerbeordnung, wie sie Friedrich Wil¬ helm IV. 1849 für Preußen erlassen hatte, einer Gewerbeordnung, die in der That ein mächtiges Hindernis war, die Arbeitsteilung der Kräfte im Groß-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/366
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/366>, abgerufen am 29.06.2024.