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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Organisation des Handwerks

schuß. Das Gewerbegericht bildet die zweite Instanz für die von den Jnnungs-
vorständen nicht gütlich beigelegten Stretigkeiten, entscheidet auch über Streitig¬
keiten, die aus dem Gewerbebetriebe entspringen, und setzt die Grenzen und
Befugnisse der einzelnen Gewerbe fest. Das nächste Glied der Organisation
sind die Gewerbekammern, und zwar Spezialgewerbekammern, die den gesetz¬
lichen Ständekammern beratend zur Seite stehen, und eine allgemeine deutsche
Gewerbekammer, die sich jedesmal gleichzeitig mit dem deutschen Parlament
und an dessen Sitze versammelt. Die Stufenfolge von Meister, Gesellen und
Lehrlingen bleibt bestehen; der Wanderzwang und die Prüfung vor der Nieder¬
lassung als Meister werden beibehalten. Auch werden Gesellenschaften mit
Beitrittszwang gegründet. Die Gesellen erhalten in den Jnnungsvorständen
eine Vertretung durch einen Vertrauensmann. Nach jenem Entwürfe durfte
ferner ein Meister nur ein Gewerbe treiben; wollte er zu einem andern über¬
gehen, so mußte er den Nachweis der Befähigung für das neue Gewerbe
bringen. Die Meisterzahl an einem Orte sollte nötigenfalls beschränkt werden
können. Alle Handwerksarbeiten in der Fabrik sollten, soweit sie nicht die
unmittelbare Herstellung von Fabrikaten bezweckten, zünftigen Meistern über¬
tragen werden, der Hausirhandel mit Handwerksarbeiten sollte untersagt sein.
Kein Meister sollte mehr als zwei Lehrlinge halten. Das Landhandwerk sollte
eingeschränkt werden. Weiter bestimmte der Entwurf: Staats- und Kommnnal-
werkstütten sind unzulässig. Neue Waren dürfen nicht öffentlich versteigert
werden. Kein Jnnungsmeister soll sich mit Nichtinnungsgenossen zusammenthun.
Im Anhange fand sich noch eine Anzahl allgemeiner Forderungen: Schutzzölle,
Handelsverträge, Einführung einer allgemeinen, progressiven Einkommens- und
Vermögenssteuer, Handwerkerschulen, Einführung eines gleichen Münz-, Maß-
und Gewichtssystems.

Betrachtet man heute diesen Entwurf, so zeigt sich, daß er eine ganze
Reihe von Gedanken enthält, die jetzt der Regierungsentwurf wieder auf¬
genommen hat. Wir sehen schon eine gewisse Dreiteilung im Aufbau der
Organisation, der Begriff des verwandten Gewerbes tritt schon auf, den man
auch heute zur Erweiterung der Möglichkeit, Innungen zu bilden, zu benutzen
gedenkt. Auch der Gedanke, daß die Berufsbildung des jungen Handwerkers
durch Fachschulen gefördert werden müsse -- ein Gedanke, auf dessen Durch¬
führung man heute das größte Gewicht legt, den zu erfüllen sich die Regie¬
rungsvorlage von 1896 als Hauptziel gesetzt hat --, taucht schon 1848,
wenn auch nur im Anhange des Gewerbeordnungsentwurfs auf.

Dieses umfangreiche Programm fand damals ebenso lebhafte Zustimmung
wie lebhaften Widerspruch, vor allem Vonseiten des Handwerks auf dem Lande.
Aber es regte sich doch infolge des Vorgehens der Frankfurter Versammlung
überall; es gingen Petitionen aller Art, bald mildere, bald schärfere an die
Nationalversammlung. Diese befaßte sich denn auch in ihrer vierzehnten Sitzung


Die Organisation des Handwerks

schuß. Das Gewerbegericht bildet die zweite Instanz für die von den Jnnungs-
vorständen nicht gütlich beigelegten Stretigkeiten, entscheidet auch über Streitig¬
keiten, die aus dem Gewerbebetriebe entspringen, und setzt die Grenzen und
Befugnisse der einzelnen Gewerbe fest. Das nächste Glied der Organisation
sind die Gewerbekammern, und zwar Spezialgewerbekammern, die den gesetz¬
lichen Ständekammern beratend zur Seite stehen, und eine allgemeine deutsche
Gewerbekammer, die sich jedesmal gleichzeitig mit dem deutschen Parlament
und an dessen Sitze versammelt. Die Stufenfolge von Meister, Gesellen und
Lehrlingen bleibt bestehen; der Wanderzwang und die Prüfung vor der Nieder¬
lassung als Meister werden beibehalten. Auch werden Gesellenschaften mit
Beitrittszwang gegründet. Die Gesellen erhalten in den Jnnungsvorständen
eine Vertretung durch einen Vertrauensmann. Nach jenem Entwürfe durfte
ferner ein Meister nur ein Gewerbe treiben; wollte er zu einem andern über¬
gehen, so mußte er den Nachweis der Befähigung für das neue Gewerbe
bringen. Die Meisterzahl an einem Orte sollte nötigenfalls beschränkt werden
können. Alle Handwerksarbeiten in der Fabrik sollten, soweit sie nicht die
unmittelbare Herstellung von Fabrikaten bezweckten, zünftigen Meistern über¬
tragen werden, der Hausirhandel mit Handwerksarbeiten sollte untersagt sein.
Kein Meister sollte mehr als zwei Lehrlinge halten. Das Landhandwerk sollte
eingeschränkt werden. Weiter bestimmte der Entwurf: Staats- und Kommnnal-
werkstütten sind unzulässig. Neue Waren dürfen nicht öffentlich versteigert
werden. Kein Jnnungsmeister soll sich mit Nichtinnungsgenossen zusammenthun.
Im Anhange fand sich noch eine Anzahl allgemeiner Forderungen: Schutzzölle,
Handelsverträge, Einführung einer allgemeinen, progressiven Einkommens- und
Vermögenssteuer, Handwerkerschulen, Einführung eines gleichen Münz-, Maß-
und Gewichtssystems.

Betrachtet man heute diesen Entwurf, so zeigt sich, daß er eine ganze
Reihe von Gedanken enthält, die jetzt der Regierungsentwurf wieder auf¬
genommen hat. Wir sehen schon eine gewisse Dreiteilung im Aufbau der
Organisation, der Begriff des verwandten Gewerbes tritt schon auf, den man
auch heute zur Erweiterung der Möglichkeit, Innungen zu bilden, zu benutzen
gedenkt. Auch der Gedanke, daß die Berufsbildung des jungen Handwerkers
durch Fachschulen gefördert werden müsse — ein Gedanke, auf dessen Durch¬
führung man heute das größte Gewicht legt, den zu erfüllen sich die Regie¬
rungsvorlage von 1896 als Hauptziel gesetzt hat —, taucht schon 1848,
wenn auch nur im Anhange des Gewerbeordnungsentwurfs auf.

Dieses umfangreiche Programm fand damals ebenso lebhafte Zustimmung
wie lebhaften Widerspruch, vor allem Vonseiten des Handwerks auf dem Lande.
Aber es regte sich doch infolge des Vorgehens der Frankfurter Versammlung
überall; es gingen Petitionen aller Art, bald mildere, bald schärfere an die
Nationalversammlung. Diese befaßte sich denn auch in ihrer vierzehnten Sitzung


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[0365] Die Organisation des Handwerks schuß. Das Gewerbegericht bildet die zweite Instanz für die von den Jnnungs- vorständen nicht gütlich beigelegten Stretigkeiten, entscheidet auch über Streitig¬ keiten, die aus dem Gewerbebetriebe entspringen, und setzt die Grenzen und Befugnisse der einzelnen Gewerbe fest. Das nächste Glied der Organisation sind die Gewerbekammern, und zwar Spezialgewerbekammern, die den gesetz¬ lichen Ständekammern beratend zur Seite stehen, und eine allgemeine deutsche Gewerbekammer, die sich jedesmal gleichzeitig mit dem deutschen Parlament und an dessen Sitze versammelt. Die Stufenfolge von Meister, Gesellen und Lehrlingen bleibt bestehen; der Wanderzwang und die Prüfung vor der Nieder¬ lassung als Meister werden beibehalten. Auch werden Gesellenschaften mit Beitrittszwang gegründet. Die Gesellen erhalten in den Jnnungsvorständen eine Vertretung durch einen Vertrauensmann. Nach jenem Entwürfe durfte ferner ein Meister nur ein Gewerbe treiben; wollte er zu einem andern über¬ gehen, so mußte er den Nachweis der Befähigung für das neue Gewerbe bringen. Die Meisterzahl an einem Orte sollte nötigenfalls beschränkt werden können. Alle Handwerksarbeiten in der Fabrik sollten, soweit sie nicht die unmittelbare Herstellung von Fabrikaten bezweckten, zünftigen Meistern über¬ tragen werden, der Hausirhandel mit Handwerksarbeiten sollte untersagt sein. Kein Meister sollte mehr als zwei Lehrlinge halten. Das Landhandwerk sollte eingeschränkt werden. Weiter bestimmte der Entwurf: Staats- und Kommnnal- werkstütten sind unzulässig. Neue Waren dürfen nicht öffentlich versteigert werden. Kein Jnnungsmeister soll sich mit Nichtinnungsgenossen zusammenthun. Im Anhange fand sich noch eine Anzahl allgemeiner Forderungen: Schutzzölle, Handelsverträge, Einführung einer allgemeinen, progressiven Einkommens- und Vermögenssteuer, Handwerkerschulen, Einführung eines gleichen Münz-, Maß- und Gewichtssystems. Betrachtet man heute diesen Entwurf, so zeigt sich, daß er eine ganze Reihe von Gedanken enthält, die jetzt der Regierungsentwurf wieder auf¬ genommen hat. Wir sehen schon eine gewisse Dreiteilung im Aufbau der Organisation, der Begriff des verwandten Gewerbes tritt schon auf, den man auch heute zur Erweiterung der Möglichkeit, Innungen zu bilden, zu benutzen gedenkt. Auch der Gedanke, daß die Berufsbildung des jungen Handwerkers durch Fachschulen gefördert werden müsse — ein Gedanke, auf dessen Durch¬ führung man heute das größte Gewicht legt, den zu erfüllen sich die Regie¬ rungsvorlage von 1896 als Hauptziel gesetzt hat —, taucht schon 1848, wenn auch nur im Anhange des Gewerbeordnungsentwurfs auf. Dieses umfangreiche Programm fand damals ebenso lebhafte Zustimmung wie lebhaften Widerspruch, vor allem Vonseiten des Handwerks auf dem Lande. Aber es regte sich doch infolge des Vorgehens der Frankfurter Versammlung überall; es gingen Petitionen aller Art, bald mildere, bald schärfere an die Nationalversammlung. Diese befaßte sich denn auch in ihrer vierzehnten Sitzung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/365>, abgerufen am 29.06.2024.