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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Organisation des Handwerks
und die Handwerkskammern

in 27. Juni 1897 ist die Novelle zur Reichsgewerbeordnung in
Kraft getreten, die nach heftigen parlamentarischen und Pre߬
kämpfen dem Handwerk eine straffere Organisation geben soll,
die die mannichfaltigen Organisationsformen (Innungen, Zwangs-
innungen, Jnnuugsausschüsse und Jnnungsverbände) mit der
obersten Gewerbebehörde sür das Handwerk, der Handwerkskammer, krönt. Die
Vorarbeiten zur Durchführung der Gesetzgebung haben begonnen, und so ist
wohl jetzt der richtige Zeitpunkt, einmal in die Vergangenheit und Zukunft zu
blicken.

Die Handwerker"frage" ist nicht mehr jung; sie wurde eingeleitet mit
der Petition des Bonner Handwerks an den Minister Camphausen im Jahre
1848, die den Titel trug: "An unsre Brüder im Handwerke" und einen un¬
geahnten Erfolg hatte; der Vorkongreß norddeutscher Handwerker in Hamburg
in demselben Jahre erörterte schon eine ganze Reihe der Angelegenheiten, die
alle spätern Handwerkertage beschäftigten, und es ist eine lehrreiche geschicht¬
liche Erinnerung, daß, obwohl der Kongreß ursprünglich nur von Handwerkern
beschickt werden sollte, die Seele der Verhandlungen und der geistige Berater
der Handwerker auf dem Kongreß der Professor Winkelblech (Mario) war.
Ihren eigentlichen Inhalt, auf dem alle spätern Erörterungen der Handwcrkcr-
frage fußen, erhielt die Bewegung durch den "Deutschen Handwerker- und
Gewerbekongreß," der einen ganzen Monat lang in Frankfurt a. M. (1848) tagte.
Das Ergebnis dieser Beratungen war der Entwurf einer allgemeinen Hand¬
werks- und Gewerbeordnung, der der Nationalversammlung vorgelegt wurde.
Die Grundsätze der neuen Ordnung waren folgende: Gleichmäßige Jnnungs-
bildnng dnrch ganz Deutschland; die geringste Zahl der Mitglieder einer
Innung beträgt zwölf; bei kleinerer Meisterzahl in einem Gewerbe sollen ver¬
wandte Gewerbe zusammen eine Innung bilden. Die Innungen regeln ihre
Angelegenheiten selbst durch Jnnungsvorstände, die zunächst über die Streitig¬
keiten zwischen Meister, Gesellen und Lehrlingen zu verhandeln haben. Der
Gewerberat ist die freigewählte Behörde aller Innungen einer Stadt oder
eines Bezirks; er teilt sich in ein Gewerbegericht und einen Verwaltungsaus-




Die Organisation des Handwerks
und die Handwerkskammern

in 27. Juni 1897 ist die Novelle zur Reichsgewerbeordnung in
Kraft getreten, die nach heftigen parlamentarischen und Pre߬
kämpfen dem Handwerk eine straffere Organisation geben soll,
die die mannichfaltigen Organisationsformen (Innungen, Zwangs-
innungen, Jnnuugsausschüsse und Jnnungsverbände) mit der
obersten Gewerbebehörde sür das Handwerk, der Handwerkskammer, krönt. Die
Vorarbeiten zur Durchführung der Gesetzgebung haben begonnen, und so ist
wohl jetzt der richtige Zeitpunkt, einmal in die Vergangenheit und Zukunft zu
blicken.

Die Handwerker„frage" ist nicht mehr jung; sie wurde eingeleitet mit
der Petition des Bonner Handwerks an den Minister Camphausen im Jahre
1848, die den Titel trug: „An unsre Brüder im Handwerke" und einen un¬
geahnten Erfolg hatte; der Vorkongreß norddeutscher Handwerker in Hamburg
in demselben Jahre erörterte schon eine ganze Reihe der Angelegenheiten, die
alle spätern Handwerkertage beschäftigten, und es ist eine lehrreiche geschicht¬
liche Erinnerung, daß, obwohl der Kongreß ursprünglich nur von Handwerkern
beschickt werden sollte, die Seele der Verhandlungen und der geistige Berater
der Handwerker auf dem Kongreß der Professor Winkelblech (Mario) war.
Ihren eigentlichen Inhalt, auf dem alle spätern Erörterungen der Handwcrkcr-
frage fußen, erhielt die Bewegung durch den „Deutschen Handwerker- und
Gewerbekongreß," der einen ganzen Monat lang in Frankfurt a. M. (1848) tagte.
Das Ergebnis dieser Beratungen war der Entwurf einer allgemeinen Hand¬
werks- und Gewerbeordnung, der der Nationalversammlung vorgelegt wurde.
Die Grundsätze der neuen Ordnung waren folgende: Gleichmäßige Jnnungs-
bildnng dnrch ganz Deutschland; die geringste Zahl der Mitglieder einer
Innung beträgt zwölf; bei kleinerer Meisterzahl in einem Gewerbe sollen ver¬
wandte Gewerbe zusammen eine Innung bilden. Die Innungen regeln ihre
Angelegenheiten selbst durch Jnnungsvorstände, die zunächst über die Streitig¬
keiten zwischen Meister, Gesellen und Lehrlingen zu verhandeln haben. Der
Gewerberat ist die freigewählte Behörde aller Innungen einer Stadt oder
eines Bezirks; er teilt sich in ein Gewerbegericht und einen Verwaltungsaus-


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[0364] [Abbildung] Die Organisation des Handwerks und die Handwerkskammern in 27. Juni 1897 ist die Novelle zur Reichsgewerbeordnung in Kraft getreten, die nach heftigen parlamentarischen und Pre߬ kämpfen dem Handwerk eine straffere Organisation geben soll, die die mannichfaltigen Organisationsformen (Innungen, Zwangs- innungen, Jnnuugsausschüsse und Jnnungsverbände) mit der obersten Gewerbebehörde sür das Handwerk, der Handwerkskammer, krönt. Die Vorarbeiten zur Durchführung der Gesetzgebung haben begonnen, und so ist wohl jetzt der richtige Zeitpunkt, einmal in die Vergangenheit und Zukunft zu blicken. Die Handwerker„frage" ist nicht mehr jung; sie wurde eingeleitet mit der Petition des Bonner Handwerks an den Minister Camphausen im Jahre 1848, die den Titel trug: „An unsre Brüder im Handwerke" und einen un¬ geahnten Erfolg hatte; der Vorkongreß norddeutscher Handwerker in Hamburg in demselben Jahre erörterte schon eine ganze Reihe der Angelegenheiten, die alle spätern Handwerkertage beschäftigten, und es ist eine lehrreiche geschicht¬ liche Erinnerung, daß, obwohl der Kongreß ursprünglich nur von Handwerkern beschickt werden sollte, die Seele der Verhandlungen und der geistige Berater der Handwerker auf dem Kongreß der Professor Winkelblech (Mario) war. Ihren eigentlichen Inhalt, auf dem alle spätern Erörterungen der Handwcrkcr- frage fußen, erhielt die Bewegung durch den „Deutschen Handwerker- und Gewerbekongreß," der einen ganzen Monat lang in Frankfurt a. M. (1848) tagte. Das Ergebnis dieser Beratungen war der Entwurf einer allgemeinen Hand¬ werks- und Gewerbeordnung, der der Nationalversammlung vorgelegt wurde. Die Grundsätze der neuen Ordnung waren folgende: Gleichmäßige Jnnungs- bildnng dnrch ganz Deutschland; die geringste Zahl der Mitglieder einer Innung beträgt zwölf; bei kleinerer Meisterzahl in einem Gewerbe sollen ver¬ wandte Gewerbe zusammen eine Innung bilden. Die Innungen regeln ihre Angelegenheiten selbst durch Jnnungsvorstände, die zunächst über die Streitig¬ keiten zwischen Meister, Gesellen und Lehrlingen zu verhandeln haben. Der Gewerberat ist die freigewählte Behörde aller Innungen einer Stadt oder eines Bezirks; er teilt sich in ein Gewerbegericht und einen Verwaltungsaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/364>, abgerufen am 29.06.2024.