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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Politische Unreife und politische Unarten

Während unsre Freisinnigen und Nichtfreisiunigen dieses "provozirende" Auf¬
treten gegen ihre Busenfreunde, die Engländer, höchst bedenklich fanden? Dafür
aber, daß seit Jahren unsre auswärtige Politik sicher und stetig geleitet wird,
daß sie zurückgekehrt ist in die Bahnen des eilten Kurses, dafür giebt es kein
Wort der Anerkennung. Dem einen spricht Fürst Hohenlohe zu wenig, dem
andern zu leise, dem dritten ist er zu lau, und man verlangt zuweilen von
ihm, daß er sich für Dinge einsetze, die für ihn nur eine untergeordnete Be¬
deutung haben können. Was war das für ein Gerede über die Reform der
Militärstrafprozeßordnung, und zwar ehe man noch recht wußte, wie eigentlich
die Regierung zu den entscheidenden Fragen stand! Als wenn die Existenz des
deutschen Reiches davon abhinge, ob das Verfahren öffentlich ist, wie schon
längst in Baiern, oder ob Baiern seinen besondern obersten Militärgerichtshof
behält! Es ist immer wieder die alte Unart, die Erfüllung liberaler oder
Pnrtikulariftischer Parteiwünsche höher zu stellen als das Baterland.

Deal auch der Partikularismus macht sich zuweilen recht überflüssig breit.
Fortwährend ist von "Verstimmungen" in Süddeutschland die Rede, von
"Neichsverdrvsfenheir" lind dergleichen mehr. Wenn man nur recht wüßte,
warum! Hat Preußen jemals im neuen Reiche daran gedacht, die Rechte
seiner Bundesgenossen zu schmälern? Wer fragt im Reichsdicnste noch nach
der Herkunft der Beamten? Der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident
ist ein süddeutscher und katholischer Edelmann, der frühere Staatssekretär des
Auswärtigen Amts. Freiherr von Marschall, stammt aus Baden, und kein
Mensch hat daran Anstoß genommen. Man frage sich aber, was für ein Ge¬
schrei über "Verpreußung" entstehen würde, wenn es der bairischen Regie¬
rung einmal einfallen sollte, einen preußischen Oberpräsidenten ins bairische
Ministerium, zu berufen. Und doch Debatten, wie jüngst die in der zweiten
bairischen Kammer über die Kaisermanöver, die geradezu eine Schande waren.
Sind die tapfern hellblauen Bataillone von Zucker, daß Abgeordnete, die
niemals den Verdacht erweckt haben, an militärischen Dingen persönlich thätigen
Anteil genommen zu haben, ihre schützende Hand über sie halten müßten, damit
sie nicht zerbrechen? Keine Spur von Stolz darauf, daß sie wacker ihre Schuldig¬
keit gethan und sich ihren norddeutschen Waffenbrüdern ebenbürtig gezeigt
haben, keine Freude darüber, daß sich die Knmpfgenossenschaft von 1870/71
im friedliche" Manöver so schön erneuert, die Einheit des deutschen Heeres so
wirkungsvoll und imponirend gezeigt hat! Vollmnr, Sigl und andre Bajuvaren
haben sogar die Dreistigkeit gehabt, den Kaiser wie einen fremden Monarchen
zu behandeln, der in Baiern nichts zu sagen habe. Damit hätte man Napoleon I.,
dem Protektor des Rheinbundes, kommen sollen! Bairische Offiziere und Soldaten
müssen einen wahren Ekel empfinden vor solchen Beschützern. Was ist das über¬
haupt für eine Art, bei jeder Gelegenheit über Verletzung berechtigter und
unberechtigter Eigentümlichkeiten zu jammern und daraus eine Gefahr für den


Politische Unreife und politische Unarten

Während unsre Freisinnigen und Nichtfreisiunigen dieses „provozirende" Auf¬
treten gegen ihre Busenfreunde, die Engländer, höchst bedenklich fanden? Dafür
aber, daß seit Jahren unsre auswärtige Politik sicher und stetig geleitet wird,
daß sie zurückgekehrt ist in die Bahnen des eilten Kurses, dafür giebt es kein
Wort der Anerkennung. Dem einen spricht Fürst Hohenlohe zu wenig, dem
andern zu leise, dem dritten ist er zu lau, und man verlangt zuweilen von
ihm, daß er sich für Dinge einsetze, die für ihn nur eine untergeordnete Be¬
deutung haben können. Was war das für ein Gerede über die Reform der
Militärstrafprozeßordnung, und zwar ehe man noch recht wußte, wie eigentlich
die Regierung zu den entscheidenden Fragen stand! Als wenn die Existenz des
deutschen Reiches davon abhinge, ob das Verfahren öffentlich ist, wie schon
längst in Baiern, oder ob Baiern seinen besondern obersten Militärgerichtshof
behält! Es ist immer wieder die alte Unart, die Erfüllung liberaler oder
Pnrtikulariftischer Parteiwünsche höher zu stellen als das Baterland.

Deal auch der Partikularismus macht sich zuweilen recht überflüssig breit.
Fortwährend ist von „Verstimmungen" in Süddeutschland die Rede, von
„Neichsverdrvsfenheir" lind dergleichen mehr. Wenn man nur recht wüßte,
warum! Hat Preußen jemals im neuen Reiche daran gedacht, die Rechte
seiner Bundesgenossen zu schmälern? Wer fragt im Reichsdicnste noch nach
der Herkunft der Beamten? Der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident
ist ein süddeutscher und katholischer Edelmann, der frühere Staatssekretär des
Auswärtigen Amts. Freiherr von Marschall, stammt aus Baden, und kein
Mensch hat daran Anstoß genommen. Man frage sich aber, was für ein Ge¬
schrei über „Verpreußung" entstehen würde, wenn es der bairischen Regie¬
rung einmal einfallen sollte, einen preußischen Oberpräsidenten ins bairische
Ministerium, zu berufen. Und doch Debatten, wie jüngst die in der zweiten
bairischen Kammer über die Kaisermanöver, die geradezu eine Schande waren.
Sind die tapfern hellblauen Bataillone von Zucker, daß Abgeordnete, die
niemals den Verdacht erweckt haben, an militärischen Dingen persönlich thätigen
Anteil genommen zu haben, ihre schützende Hand über sie halten müßten, damit
sie nicht zerbrechen? Keine Spur von Stolz darauf, daß sie wacker ihre Schuldig¬
keit gethan und sich ihren norddeutschen Waffenbrüdern ebenbürtig gezeigt
haben, keine Freude darüber, daß sich die Knmpfgenossenschaft von 1870/71
im friedliche» Manöver so schön erneuert, die Einheit des deutschen Heeres so
wirkungsvoll und imponirend gezeigt hat! Vollmnr, Sigl und andre Bajuvaren
haben sogar die Dreistigkeit gehabt, den Kaiser wie einen fremden Monarchen
zu behandeln, der in Baiern nichts zu sagen habe. Damit hätte man Napoleon I.,
dem Protektor des Rheinbundes, kommen sollen! Bairische Offiziere und Soldaten
müssen einen wahren Ekel empfinden vor solchen Beschützern. Was ist das über¬
haupt für eine Art, bei jeder Gelegenheit über Verletzung berechtigter und
unberechtigter Eigentümlichkeiten zu jammern und daraus eine Gefahr für den


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[0359] Politische Unreife und politische Unarten Während unsre Freisinnigen und Nichtfreisiunigen dieses „provozirende" Auf¬ treten gegen ihre Busenfreunde, die Engländer, höchst bedenklich fanden? Dafür aber, daß seit Jahren unsre auswärtige Politik sicher und stetig geleitet wird, daß sie zurückgekehrt ist in die Bahnen des eilten Kurses, dafür giebt es kein Wort der Anerkennung. Dem einen spricht Fürst Hohenlohe zu wenig, dem andern zu leise, dem dritten ist er zu lau, und man verlangt zuweilen von ihm, daß er sich für Dinge einsetze, die für ihn nur eine untergeordnete Be¬ deutung haben können. Was war das für ein Gerede über die Reform der Militärstrafprozeßordnung, und zwar ehe man noch recht wußte, wie eigentlich die Regierung zu den entscheidenden Fragen stand! Als wenn die Existenz des deutschen Reiches davon abhinge, ob das Verfahren öffentlich ist, wie schon längst in Baiern, oder ob Baiern seinen besondern obersten Militärgerichtshof behält! Es ist immer wieder die alte Unart, die Erfüllung liberaler oder Pnrtikulariftischer Parteiwünsche höher zu stellen als das Baterland. Deal auch der Partikularismus macht sich zuweilen recht überflüssig breit. Fortwährend ist von „Verstimmungen" in Süddeutschland die Rede, von „Neichsverdrvsfenheir" lind dergleichen mehr. Wenn man nur recht wüßte, warum! Hat Preußen jemals im neuen Reiche daran gedacht, die Rechte seiner Bundesgenossen zu schmälern? Wer fragt im Reichsdicnste noch nach der Herkunft der Beamten? Der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident ist ein süddeutscher und katholischer Edelmann, der frühere Staatssekretär des Auswärtigen Amts. Freiherr von Marschall, stammt aus Baden, und kein Mensch hat daran Anstoß genommen. Man frage sich aber, was für ein Ge¬ schrei über „Verpreußung" entstehen würde, wenn es der bairischen Regie¬ rung einmal einfallen sollte, einen preußischen Oberpräsidenten ins bairische Ministerium, zu berufen. Und doch Debatten, wie jüngst die in der zweiten bairischen Kammer über die Kaisermanöver, die geradezu eine Schande waren. Sind die tapfern hellblauen Bataillone von Zucker, daß Abgeordnete, die niemals den Verdacht erweckt haben, an militärischen Dingen persönlich thätigen Anteil genommen zu haben, ihre schützende Hand über sie halten müßten, damit sie nicht zerbrechen? Keine Spur von Stolz darauf, daß sie wacker ihre Schuldig¬ keit gethan und sich ihren norddeutschen Waffenbrüdern ebenbürtig gezeigt haben, keine Freude darüber, daß sich die Knmpfgenossenschaft von 1870/71 im friedliche» Manöver so schön erneuert, die Einheit des deutschen Heeres so wirkungsvoll und imponirend gezeigt hat! Vollmnr, Sigl und andre Bajuvaren haben sogar die Dreistigkeit gehabt, den Kaiser wie einen fremden Monarchen zu behandeln, der in Baiern nichts zu sagen habe. Damit hätte man Napoleon I., dem Protektor des Rheinbundes, kommen sollen! Bairische Offiziere und Soldaten müssen einen wahren Ekel empfinden vor solchen Beschützern. Was ist das über¬ haupt für eine Art, bei jeder Gelegenheit über Verletzung berechtigter und unberechtigter Eigentümlichkeiten zu jammern und daraus eine Gefahr für den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/359>, abgerufen am 29.06.2024.