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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Politische Unreife und politische Unarten

genehmigen, sondern dann verbietet es der freie Männerstolz , derartiges zu
bewilligen, und kein Engel vom Himmel wäre imstande, solchen Freiheitsmut
zu beugen. Es ist genau so wie in den trüben Jahren des "Konflikts," als
das preußische Abgeordnetenhaus die Heeresreform, das "eigenste Werk" König
Wilhelms I. verwarf und damit die Mittel ablehnte, die Einheit Deutschlands
zu begründen. Wie sagt doch Talbot in der Jungfrau von Orleans über das
Verhältnis der Götter zu einer in allen Zeiten weitverbreiteten menschlichen
Eigenschaft?

Und nun, welch pessimistische Tadelsucht überall! Es ist zuweilen, als ob
alle bösen Geister losgelassen wären, um uns das Vaterland zu verekeln. Ohne
Zweifel hat die Reichsregierung oft genug Anlaß zur Kritik geboten, auf die ein
freies Volk ein gutes Recht hat. Ohne Zweifel hat die Entlassung Fürst Bismarcks
in weiten Kreisen der Popularität des Kaisers einen schweren Schlag versetzt, und
die Politik der nächsten vier Jahre war nicht geeignet, die Wirkungen zu mildern.
Wir dürfen das sagen, denn wir sind monarchisch bis in die Knochen und sind
es immer gewesen. Aber auch nachher hat es kaum einen Schritt der Reichs-
regieruug in der auswärtigen Politik gegeben, der nicht das lebhafte Kopf¬
schütteln der weisen Thebaner hervorgerufen hätte. Das gemeinsame Ein¬
schreiten Deutschlands, Rußlands und Frankreichs in Ostasien 1894 war ihnen
nicht recht; die führende Rolle Dentschlands im türkisch-griechischen Konflikt
war ihnen nicht recht; die Breslauer Kaisertoaste verloren alle Bedeutung
gegenüber deu in Paris gewechselten Phrasen, und Deutschland spielte die Rolle
des Blamirte"; die Bemühungen des Kaisers, in ein leidliches Verhältnis zu
Frankreich zu kommen und damit den heillosen toten Punkt zu überwinden,
der unsre überseeische Politik seit 1871 gelähmt hat, waren Gegenstand
spöttelnder Kritik; wen" der Monarch in seiner impulsiver, lebhaft empfin¬
denden Art einmal ein Wort nicht auf die Goldwage legt, oder wenn er die
Laune hat, seinen Gedanken in irgend welcher künstlerischen Form Ausdruck
zu geben, was niemanden irgend etwas angeht und niemandem schadet, so
verursacht das ein allgemeines Schütteln des Kopfes, und man beklagt salbungs¬
voll die Schädigung des monarchischen Bewußtseins, das wirklich nicht viel
wert sein müßte, wenn es dadurch erschüttert würde. Die Ansicht, daß ein
Monarch immer nur das Tüpfelchen aufs i zu setzen, im übrigen aber keines¬
wegs das Recht habe, seine persönliche Meinung offen zu äußern, spukt immer
noch bei unsern Liberalen; dies Recht steht für sie allein dem Parlamentarier
und dem Journalisten zu. Wie kommt es doch, daß unsre Nachbarn vor
diesem frischen, energischen, selbstbewußten Herrn, der immer gerade heraus
sagt, was er denkt, soviel Respekt haben, nicht nur die Magyaren, die sich
leicht begeistern, sondern auch die Franzosen, die uns im stillen beneiden, und
die Russen, die nach dem Telegramm des Kaisers an den Präsidenten Krüger
von Transvaal erfrent ausriefen: >vol nrolocle?! das ist ein ganzer Kerl!


Politische Unreife und politische Unarten

genehmigen, sondern dann verbietet es der freie Männerstolz , derartiges zu
bewilligen, und kein Engel vom Himmel wäre imstande, solchen Freiheitsmut
zu beugen. Es ist genau so wie in den trüben Jahren des „Konflikts," als
das preußische Abgeordnetenhaus die Heeresreform, das „eigenste Werk" König
Wilhelms I. verwarf und damit die Mittel ablehnte, die Einheit Deutschlands
zu begründen. Wie sagt doch Talbot in der Jungfrau von Orleans über das
Verhältnis der Götter zu einer in allen Zeiten weitverbreiteten menschlichen
Eigenschaft?

Und nun, welch pessimistische Tadelsucht überall! Es ist zuweilen, als ob
alle bösen Geister losgelassen wären, um uns das Vaterland zu verekeln. Ohne
Zweifel hat die Reichsregierung oft genug Anlaß zur Kritik geboten, auf die ein
freies Volk ein gutes Recht hat. Ohne Zweifel hat die Entlassung Fürst Bismarcks
in weiten Kreisen der Popularität des Kaisers einen schweren Schlag versetzt, und
die Politik der nächsten vier Jahre war nicht geeignet, die Wirkungen zu mildern.
Wir dürfen das sagen, denn wir sind monarchisch bis in die Knochen und sind
es immer gewesen. Aber auch nachher hat es kaum einen Schritt der Reichs-
regieruug in der auswärtigen Politik gegeben, der nicht das lebhafte Kopf¬
schütteln der weisen Thebaner hervorgerufen hätte. Das gemeinsame Ein¬
schreiten Deutschlands, Rußlands und Frankreichs in Ostasien 1894 war ihnen
nicht recht; die führende Rolle Dentschlands im türkisch-griechischen Konflikt
war ihnen nicht recht; die Breslauer Kaisertoaste verloren alle Bedeutung
gegenüber deu in Paris gewechselten Phrasen, und Deutschland spielte die Rolle
des Blamirte»; die Bemühungen des Kaisers, in ein leidliches Verhältnis zu
Frankreich zu kommen und damit den heillosen toten Punkt zu überwinden,
der unsre überseeische Politik seit 1871 gelähmt hat, waren Gegenstand
spöttelnder Kritik; wen» der Monarch in seiner impulsiver, lebhaft empfin¬
denden Art einmal ein Wort nicht auf die Goldwage legt, oder wenn er die
Laune hat, seinen Gedanken in irgend welcher künstlerischen Form Ausdruck
zu geben, was niemanden irgend etwas angeht und niemandem schadet, so
verursacht das ein allgemeines Schütteln des Kopfes, und man beklagt salbungs¬
voll die Schädigung des monarchischen Bewußtseins, das wirklich nicht viel
wert sein müßte, wenn es dadurch erschüttert würde. Die Ansicht, daß ein
Monarch immer nur das Tüpfelchen aufs i zu setzen, im übrigen aber keines¬
wegs das Recht habe, seine persönliche Meinung offen zu äußern, spukt immer
noch bei unsern Liberalen; dies Recht steht für sie allein dem Parlamentarier
und dem Journalisten zu. Wie kommt es doch, daß unsre Nachbarn vor
diesem frischen, energischen, selbstbewußten Herrn, der immer gerade heraus
sagt, was er denkt, soviel Respekt haben, nicht nur die Magyaren, die sich
leicht begeistern, sondern auch die Franzosen, die uns im stillen beneiden, und
die Russen, die nach dem Telegramm des Kaisers an den Präsidenten Krüger
von Transvaal erfrent ausriefen: >vol nrolocle?! das ist ein ganzer Kerl!


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[0358] Politische Unreife und politische Unarten genehmigen, sondern dann verbietet es der freie Männerstolz , derartiges zu bewilligen, und kein Engel vom Himmel wäre imstande, solchen Freiheitsmut zu beugen. Es ist genau so wie in den trüben Jahren des „Konflikts," als das preußische Abgeordnetenhaus die Heeresreform, das „eigenste Werk" König Wilhelms I. verwarf und damit die Mittel ablehnte, die Einheit Deutschlands zu begründen. Wie sagt doch Talbot in der Jungfrau von Orleans über das Verhältnis der Götter zu einer in allen Zeiten weitverbreiteten menschlichen Eigenschaft? Und nun, welch pessimistische Tadelsucht überall! Es ist zuweilen, als ob alle bösen Geister losgelassen wären, um uns das Vaterland zu verekeln. Ohne Zweifel hat die Reichsregierung oft genug Anlaß zur Kritik geboten, auf die ein freies Volk ein gutes Recht hat. Ohne Zweifel hat die Entlassung Fürst Bismarcks in weiten Kreisen der Popularität des Kaisers einen schweren Schlag versetzt, und die Politik der nächsten vier Jahre war nicht geeignet, die Wirkungen zu mildern. Wir dürfen das sagen, denn wir sind monarchisch bis in die Knochen und sind es immer gewesen. Aber auch nachher hat es kaum einen Schritt der Reichs- regieruug in der auswärtigen Politik gegeben, der nicht das lebhafte Kopf¬ schütteln der weisen Thebaner hervorgerufen hätte. Das gemeinsame Ein¬ schreiten Deutschlands, Rußlands und Frankreichs in Ostasien 1894 war ihnen nicht recht; die führende Rolle Dentschlands im türkisch-griechischen Konflikt war ihnen nicht recht; die Breslauer Kaisertoaste verloren alle Bedeutung gegenüber deu in Paris gewechselten Phrasen, und Deutschland spielte die Rolle des Blamirte»; die Bemühungen des Kaisers, in ein leidliches Verhältnis zu Frankreich zu kommen und damit den heillosen toten Punkt zu überwinden, der unsre überseeische Politik seit 1871 gelähmt hat, waren Gegenstand spöttelnder Kritik; wen» der Monarch in seiner impulsiver, lebhaft empfin¬ denden Art einmal ein Wort nicht auf die Goldwage legt, oder wenn er die Laune hat, seinen Gedanken in irgend welcher künstlerischen Form Ausdruck zu geben, was niemanden irgend etwas angeht und niemandem schadet, so verursacht das ein allgemeines Schütteln des Kopfes, und man beklagt salbungs¬ voll die Schädigung des monarchischen Bewußtseins, das wirklich nicht viel wert sein müßte, wenn es dadurch erschüttert würde. Die Ansicht, daß ein Monarch immer nur das Tüpfelchen aufs i zu setzen, im übrigen aber keines¬ wegs das Recht habe, seine persönliche Meinung offen zu äußern, spukt immer noch bei unsern Liberalen; dies Recht steht für sie allein dem Parlamentarier und dem Journalisten zu. Wie kommt es doch, daß unsre Nachbarn vor diesem frischen, energischen, selbstbewußten Herrn, der immer gerade heraus sagt, was er denkt, soviel Respekt haben, nicht nur die Magyaren, die sich leicht begeistern, sondern auch die Franzosen, die uns im stillen beneiden, und die Russen, die nach dem Telegramm des Kaisers an den Präsidenten Krüger von Transvaal erfrent ausriefen: >vol nrolocle?! das ist ein ganzer Kerl!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/358>, abgerufen am 28.09.2024.