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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die höhere Mädchenschule

ungewöhnlich gut angelegter Kopf bewältigen, und Lehrpläne dürfen nur mit
dem Durchschnittsmciß rechnen. Es besteht aber schon in einigen Ländern eine
Einrichtung, die mir stets sehr eingeleuchtet hat. Leider kenne ich sie nicht
durch den Augenschein, ich habe aber vielfach gehört, daß sie sich bewährt
habe. Die höhere Schule spaltet sich nämlich nach Abschluß des Elementar¬
unterrichts, der allen Schillern gemeinsam erteilt wird, in ein Gymnasium und
eine Realschule. Etwas ähnliches ließe sich Wohl auch bei unsrer Mädchen¬
schule einführen, wenn wir auch natürlich nicht das ganze Programm eines
Knabenghmnasiums hineiiinehmcn konnten noch wollten. Diese Einrichtung hat
den Vorteil vor zwei gesonderten Schulen voraus, daß die Teilung nach Anlage
und Befähigung der Schülerinnen vorgenommen wird, nicht bloß nach ganz
äußerlichen Erwägungen. Eine solche Anstalt würde außerdem das für sich
haben, daß sie den weitesten Ansprüchen nach beiden Seiten hin zu genügen im¬
stande wäre. Andrerseits bin ich mir wohl bewußt, welche Revolution in unserm
gesamten sehnlicher eine solche Einrichtung hervorbringen würde, denn natürlich
müßten dann auch unsre Examenverhältnisse einer durchgreifenden Veränderung
unterzogen werden.

Es ließe sich Wohl auch noch ein andrer Weg finden, neue Wissenszweige
dem alten Lehrplan anzufügen, ohne in den alten Fehler des "Zu viel und
zu vielerlei" zu verfallen. Könnte man nicht in den letzten drei Jahren der
Mädchenschule mit zwölfjährigem Kursus zu den Stunden des Hauptlehrplans
noch Nebenstunden treten lassen? Die Schülerinnen, die zum Schlüsse das
Lehrerinnenexamen machen wollen, müßten natürlich nur die Hauptstuudeu
nehmen; allen übrigen aber wäre eS frei zu stellen, zwischen zwei auf dieselbe
Stunde fallenden Lehrgegenständen zu wählen. Es dürfte aber nicht in dem
Belieben der Schülerinnen liegen, nur einige wenige Fächer zu "belegen," da
dadurch die Schule ihren Charakter verlieren würde und sehr zum Schaden
der Strebsamen nur ein Tummelplatz für solche werden würde, die, wie sie
sagen, Anregung suchen, die aber keine wirkliche Arbeit zu liefern gewillt sind.
Die Stundenzahl müßte für alle Schülerinnen möglichst gleich sein, das mindeste
Maß nicht zu tief angesetzt, und eine Ausnahme wäre nur bei vorzüglichen
Leistungen und geringen Körperkräften zulässig. Gewisse Stunden, wie Deutsch,
Geschichte und Gesundheitslehre -- der Staat wird sicher auch Religion sagen,
wenn er diesen Plan je billigen sollte -- müßten Pflichtstnndcn für alle sein.

Das schwierigste bei einer solchen Anordnung wäre jedenfalls der Stunden¬
plan. Vor allem müßte festgesetzt werden, welche Fächer ans dieselbe Stunde
fallen dürften, denn von der größern oder geringern Geschicklichkeit, mit der
diese Gruppirung bewerkstelligt wird, hinge wesentlich der Erfolg der Ein¬
richtung ab. Hütten wir z. B. als eins der Nebenfächer Italienisch, so dürfte
das natürlich mit keiner andern modernen Sprache zusammentreffen, denn man
kann voraussetzen, daß sich nur Sprachbegabte zur Erlernung einer dritten
Sprache entschließen werden. Dagegen könnte Buchführung sehr wohl in der-


Die höhere Mädchenschule

ungewöhnlich gut angelegter Kopf bewältigen, und Lehrpläne dürfen nur mit
dem Durchschnittsmciß rechnen. Es besteht aber schon in einigen Ländern eine
Einrichtung, die mir stets sehr eingeleuchtet hat. Leider kenne ich sie nicht
durch den Augenschein, ich habe aber vielfach gehört, daß sie sich bewährt
habe. Die höhere Schule spaltet sich nämlich nach Abschluß des Elementar¬
unterrichts, der allen Schillern gemeinsam erteilt wird, in ein Gymnasium und
eine Realschule. Etwas ähnliches ließe sich Wohl auch bei unsrer Mädchen¬
schule einführen, wenn wir auch natürlich nicht das ganze Programm eines
Knabenghmnasiums hineiiinehmcn konnten noch wollten. Diese Einrichtung hat
den Vorteil vor zwei gesonderten Schulen voraus, daß die Teilung nach Anlage
und Befähigung der Schülerinnen vorgenommen wird, nicht bloß nach ganz
äußerlichen Erwägungen. Eine solche Anstalt würde außerdem das für sich
haben, daß sie den weitesten Ansprüchen nach beiden Seiten hin zu genügen im¬
stande wäre. Andrerseits bin ich mir wohl bewußt, welche Revolution in unserm
gesamten sehnlicher eine solche Einrichtung hervorbringen würde, denn natürlich
müßten dann auch unsre Examenverhältnisse einer durchgreifenden Veränderung
unterzogen werden.

Es ließe sich Wohl auch noch ein andrer Weg finden, neue Wissenszweige
dem alten Lehrplan anzufügen, ohne in den alten Fehler des „Zu viel und
zu vielerlei" zu verfallen. Könnte man nicht in den letzten drei Jahren der
Mädchenschule mit zwölfjährigem Kursus zu den Stunden des Hauptlehrplans
noch Nebenstunden treten lassen? Die Schülerinnen, die zum Schlüsse das
Lehrerinnenexamen machen wollen, müßten natürlich nur die Hauptstuudeu
nehmen; allen übrigen aber wäre eS frei zu stellen, zwischen zwei auf dieselbe
Stunde fallenden Lehrgegenständen zu wählen. Es dürfte aber nicht in dem
Belieben der Schülerinnen liegen, nur einige wenige Fächer zu „belegen," da
dadurch die Schule ihren Charakter verlieren würde und sehr zum Schaden
der Strebsamen nur ein Tummelplatz für solche werden würde, die, wie sie
sagen, Anregung suchen, die aber keine wirkliche Arbeit zu liefern gewillt sind.
Die Stundenzahl müßte für alle Schülerinnen möglichst gleich sein, das mindeste
Maß nicht zu tief angesetzt, und eine Ausnahme wäre nur bei vorzüglichen
Leistungen und geringen Körperkräften zulässig. Gewisse Stunden, wie Deutsch,
Geschichte und Gesundheitslehre — der Staat wird sicher auch Religion sagen,
wenn er diesen Plan je billigen sollte — müßten Pflichtstnndcn für alle sein.

Das schwierigste bei einer solchen Anordnung wäre jedenfalls der Stunden¬
plan. Vor allem müßte festgesetzt werden, welche Fächer ans dieselbe Stunde
fallen dürften, denn von der größern oder geringern Geschicklichkeit, mit der
diese Gruppirung bewerkstelligt wird, hinge wesentlich der Erfolg der Ein¬
richtung ab. Hütten wir z. B. als eins der Nebenfächer Italienisch, so dürfte
das natürlich mit keiner andern modernen Sprache zusammentreffen, denn man
kann voraussetzen, daß sich nur Sprachbegabte zur Erlernung einer dritten
Sprache entschließen werden. Dagegen könnte Buchführung sehr wohl in der-


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[0329] Die höhere Mädchenschule ungewöhnlich gut angelegter Kopf bewältigen, und Lehrpläne dürfen nur mit dem Durchschnittsmciß rechnen. Es besteht aber schon in einigen Ländern eine Einrichtung, die mir stets sehr eingeleuchtet hat. Leider kenne ich sie nicht durch den Augenschein, ich habe aber vielfach gehört, daß sie sich bewährt habe. Die höhere Schule spaltet sich nämlich nach Abschluß des Elementar¬ unterrichts, der allen Schillern gemeinsam erteilt wird, in ein Gymnasium und eine Realschule. Etwas ähnliches ließe sich Wohl auch bei unsrer Mädchen¬ schule einführen, wenn wir auch natürlich nicht das ganze Programm eines Knabenghmnasiums hineiiinehmcn konnten noch wollten. Diese Einrichtung hat den Vorteil vor zwei gesonderten Schulen voraus, daß die Teilung nach Anlage und Befähigung der Schülerinnen vorgenommen wird, nicht bloß nach ganz äußerlichen Erwägungen. Eine solche Anstalt würde außerdem das für sich haben, daß sie den weitesten Ansprüchen nach beiden Seiten hin zu genügen im¬ stande wäre. Andrerseits bin ich mir wohl bewußt, welche Revolution in unserm gesamten sehnlicher eine solche Einrichtung hervorbringen würde, denn natürlich müßten dann auch unsre Examenverhältnisse einer durchgreifenden Veränderung unterzogen werden. Es ließe sich Wohl auch noch ein andrer Weg finden, neue Wissenszweige dem alten Lehrplan anzufügen, ohne in den alten Fehler des „Zu viel und zu vielerlei" zu verfallen. Könnte man nicht in den letzten drei Jahren der Mädchenschule mit zwölfjährigem Kursus zu den Stunden des Hauptlehrplans noch Nebenstunden treten lassen? Die Schülerinnen, die zum Schlüsse das Lehrerinnenexamen machen wollen, müßten natürlich nur die Hauptstuudeu nehmen; allen übrigen aber wäre eS frei zu stellen, zwischen zwei auf dieselbe Stunde fallenden Lehrgegenständen zu wählen. Es dürfte aber nicht in dem Belieben der Schülerinnen liegen, nur einige wenige Fächer zu „belegen," da dadurch die Schule ihren Charakter verlieren würde und sehr zum Schaden der Strebsamen nur ein Tummelplatz für solche werden würde, die, wie sie sagen, Anregung suchen, die aber keine wirkliche Arbeit zu liefern gewillt sind. Die Stundenzahl müßte für alle Schülerinnen möglichst gleich sein, das mindeste Maß nicht zu tief angesetzt, und eine Ausnahme wäre nur bei vorzüglichen Leistungen und geringen Körperkräften zulässig. Gewisse Stunden, wie Deutsch, Geschichte und Gesundheitslehre — der Staat wird sicher auch Religion sagen, wenn er diesen Plan je billigen sollte — müßten Pflichtstnndcn für alle sein. Das schwierigste bei einer solchen Anordnung wäre jedenfalls der Stunden¬ plan. Vor allem müßte festgesetzt werden, welche Fächer ans dieselbe Stunde fallen dürften, denn von der größern oder geringern Geschicklichkeit, mit der diese Gruppirung bewerkstelligt wird, hinge wesentlich der Erfolg der Ein¬ richtung ab. Hütten wir z. B. als eins der Nebenfächer Italienisch, so dürfte das natürlich mit keiner andern modernen Sprache zusammentreffen, denn man kann voraussetzen, daß sich nur Sprachbegabte zur Erlernung einer dritten Sprache entschließen werden. Dagegen könnte Buchführung sehr wohl in der-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/329>, abgerufen am 26.06.2024.