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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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selben Stunde gelehrt werden, in der die Hauptklasse Mathematik oder Geo¬
metrie treibt, da sie wesentlich praktische Zwecke verfolgt und keine höhere An¬
lage zum Rechnen voraussetzt.

Ein Vorteil dieser Einrichtung bestünde in der Möglichkeit, die Neben¬
stunden ganz nach den Bedürfnissen des Tages einzuschalten und wieder
wegfallen zu lassen, je nachdem sich eine genügende Zahl von Schülerinnen
dafür zusannnenfünde. Das geschäftliche Wagnis wäre also nicht so groß wie
bei der Einrichtung einer Doppelschule. Ich habe eine traurige Ahnung, daß,
wenn meine Vorschläge wirklich einmal ernstlich in Erwägung gezogen werden
sollten, der letzte Umstand wohl den Ausschlag geben würde; der Staatssäckel
ist ja immer leer, wenn etwas für die Bildung der Frau verlangt wird, und
eine Privatschule könnte doch nur dann zu einer solchen Umgestaltung schreiten,
wie sie die Einrichtung einer Doppelschule mit sich führen würde, wenn ihr
bedeutende Mittel zur Seite stünden.

Aber ich will nicht über den Geiz des Staates klagen; vielleicht hat er
wirklich für uns nichts übrig, vielleicht müssen wirklich alle andern Forde¬
rungen den unsern vorangehen, wenn das Ganze nicht leiden soll. Keine Frau,
aber auch kein Mann ist unparteiisch genug, in dieser Sache zu Gericht zu
sitzen. Einen Vorwurf aber kau" ich dem Staate nicht ersparen: er greift oft
hemmend ein, wo er fördern sollte. Warum dürfen wir das, was wir aus
eignen Mitteln schaffen, wozu er uns nicht einen Pfennig giebt, nicht auch
nach eignem Ermessen aufbauen? Weshalb beschränkt er seine Aufsicht nicht
darauf, daß nirgends unter das niedrigste Maß seiner Forderungen herab¬
gegangen wird, daß seine Gesundheitsvorschriften überall befolgt werden?
Gewiß, Aufsicht ist nötig, besonders in solchen Städten, wo der Konkurrenz¬
kampf nicht spornt und treibt; so ins einzelne gehende Bestimmungen, wie wir
sie haben, können unmöglich fördernd wirken: sie töten alle eigentümliche Ge¬
staltungskraft und begünstigen die Schablone. Unsre Lage ist traurig: der Staat
hat nicht die Mittel, die Reorganisation der Mädchenschule vorzunehmen, und
wir, die wir uns ja nötigenfalls die Mittel dazu zusammenbetteln würden,
wir haben nicht die Macht, auch nur eine Stunde einzufügen. Nicht an Fähig¬
keiten fehlt es uns, denn unter unsern Schnlvorstcinden befinden sich organi¬
satorische Talente ersten Ranges, noch an gutem Willen, denn die UnHaltbar¬
keit des jetzigen Zustandes haben wir vollständig erkannt. Um alle Köpfe
und alle Hände in Thätigkeit zu bringen, brauchte der Staat nur zu sagen:
Du darfst.


Paula Schlodtmann


selben Stunde gelehrt werden, in der die Hauptklasse Mathematik oder Geo¬
metrie treibt, da sie wesentlich praktische Zwecke verfolgt und keine höhere An¬
lage zum Rechnen voraussetzt.

Ein Vorteil dieser Einrichtung bestünde in der Möglichkeit, die Neben¬
stunden ganz nach den Bedürfnissen des Tages einzuschalten und wieder
wegfallen zu lassen, je nachdem sich eine genügende Zahl von Schülerinnen
dafür zusannnenfünde. Das geschäftliche Wagnis wäre also nicht so groß wie
bei der Einrichtung einer Doppelschule. Ich habe eine traurige Ahnung, daß,
wenn meine Vorschläge wirklich einmal ernstlich in Erwägung gezogen werden
sollten, der letzte Umstand wohl den Ausschlag geben würde; der Staatssäckel
ist ja immer leer, wenn etwas für die Bildung der Frau verlangt wird, und
eine Privatschule könnte doch nur dann zu einer solchen Umgestaltung schreiten,
wie sie die Einrichtung einer Doppelschule mit sich führen würde, wenn ihr
bedeutende Mittel zur Seite stünden.

Aber ich will nicht über den Geiz des Staates klagen; vielleicht hat er
wirklich für uns nichts übrig, vielleicht müssen wirklich alle andern Forde¬
rungen den unsern vorangehen, wenn das Ganze nicht leiden soll. Keine Frau,
aber auch kein Mann ist unparteiisch genug, in dieser Sache zu Gericht zu
sitzen. Einen Vorwurf aber kau» ich dem Staate nicht ersparen: er greift oft
hemmend ein, wo er fördern sollte. Warum dürfen wir das, was wir aus
eignen Mitteln schaffen, wozu er uns nicht einen Pfennig giebt, nicht auch
nach eignem Ermessen aufbauen? Weshalb beschränkt er seine Aufsicht nicht
darauf, daß nirgends unter das niedrigste Maß seiner Forderungen herab¬
gegangen wird, daß seine Gesundheitsvorschriften überall befolgt werden?
Gewiß, Aufsicht ist nötig, besonders in solchen Städten, wo der Konkurrenz¬
kampf nicht spornt und treibt; so ins einzelne gehende Bestimmungen, wie wir
sie haben, können unmöglich fördernd wirken: sie töten alle eigentümliche Ge¬
staltungskraft und begünstigen die Schablone. Unsre Lage ist traurig: der Staat
hat nicht die Mittel, die Reorganisation der Mädchenschule vorzunehmen, und
wir, die wir uns ja nötigenfalls die Mittel dazu zusammenbetteln würden,
wir haben nicht die Macht, auch nur eine Stunde einzufügen. Nicht an Fähig¬
keiten fehlt es uns, denn unter unsern Schnlvorstcinden befinden sich organi¬
satorische Talente ersten Ranges, noch an gutem Willen, denn die UnHaltbar¬
keit des jetzigen Zustandes haben wir vollständig erkannt. Um alle Köpfe
und alle Hände in Thätigkeit zu bringen, brauchte der Staat nur zu sagen:
Du darfst.


Paula Schlodtmann


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[0330] selben Stunde gelehrt werden, in der die Hauptklasse Mathematik oder Geo¬ metrie treibt, da sie wesentlich praktische Zwecke verfolgt und keine höhere An¬ lage zum Rechnen voraussetzt. Ein Vorteil dieser Einrichtung bestünde in der Möglichkeit, die Neben¬ stunden ganz nach den Bedürfnissen des Tages einzuschalten und wieder wegfallen zu lassen, je nachdem sich eine genügende Zahl von Schülerinnen dafür zusannnenfünde. Das geschäftliche Wagnis wäre also nicht so groß wie bei der Einrichtung einer Doppelschule. Ich habe eine traurige Ahnung, daß, wenn meine Vorschläge wirklich einmal ernstlich in Erwägung gezogen werden sollten, der letzte Umstand wohl den Ausschlag geben würde; der Staatssäckel ist ja immer leer, wenn etwas für die Bildung der Frau verlangt wird, und eine Privatschule könnte doch nur dann zu einer solchen Umgestaltung schreiten, wie sie die Einrichtung einer Doppelschule mit sich führen würde, wenn ihr bedeutende Mittel zur Seite stünden. Aber ich will nicht über den Geiz des Staates klagen; vielleicht hat er wirklich für uns nichts übrig, vielleicht müssen wirklich alle andern Forde¬ rungen den unsern vorangehen, wenn das Ganze nicht leiden soll. Keine Frau, aber auch kein Mann ist unparteiisch genug, in dieser Sache zu Gericht zu sitzen. Einen Vorwurf aber kau» ich dem Staate nicht ersparen: er greift oft hemmend ein, wo er fördern sollte. Warum dürfen wir das, was wir aus eignen Mitteln schaffen, wozu er uns nicht einen Pfennig giebt, nicht auch nach eignem Ermessen aufbauen? Weshalb beschränkt er seine Aufsicht nicht darauf, daß nirgends unter das niedrigste Maß seiner Forderungen herab¬ gegangen wird, daß seine Gesundheitsvorschriften überall befolgt werden? Gewiß, Aufsicht ist nötig, besonders in solchen Städten, wo der Konkurrenz¬ kampf nicht spornt und treibt; so ins einzelne gehende Bestimmungen, wie wir sie haben, können unmöglich fördernd wirken: sie töten alle eigentümliche Ge¬ staltungskraft und begünstigen die Schablone. Unsre Lage ist traurig: der Staat hat nicht die Mittel, die Reorganisation der Mädchenschule vorzunehmen, und wir, die wir uns ja nötigenfalls die Mittel dazu zusammenbetteln würden, wir haben nicht die Macht, auch nur eine Stunde einzufügen. Nicht an Fähig¬ keiten fehlt es uns, denn unter unsern Schnlvorstcinden befinden sich organi¬ satorische Talente ersten Ranges, noch an gutem Willen, denn die UnHaltbar¬ keit des jetzigen Zustandes haben wir vollständig erkannt. Um alle Köpfe und alle Hände in Thätigkeit zu bringen, brauchte der Staat nur zu sagen: Du darfst. Paula Schlodtmann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/330>, abgerufen am 26.06.2024.