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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die höhere Mädchenschule

darf das Losungswort höherer Schulen nicht mehr "Uuiversalbildung" sein.
Das Wort hat an Gehalt verloren, seit es an Ausdehnung zugenommen hat,
und dürfte sich bald mit "Elementarbildung" decken. Wir sehen es ja an
unsern höhern Schulen, wie mit jedem Zugeständnis, das dem Ideal der Uni¬
versalbildung gemacht wird, die Forderungen in den Hauptfächern herab¬
gesetzt werden müssen, und wie mit jeder Maßregel in dieser Richtung etwas
von dem Glänze der höhern Bildung schwindet. Höhere Schulen müssen
daher, wenn sie nicht von den Mittelschulen und später gar von den Volks¬
schulen eingeholt werden wollen, an die im weitesten Sinne verstcindne Ele¬
mentarbildung eine Spczialbildnng anschließen. Spezialbildung ist eigentlich
nicht das richtige Wort, da es sich ja nicht um eine Ausbildung für besondre
Spezialitäten handelt, wie sie in Fachschulen geboten wird, sondern um eine
Vertiefung und Erweiterung der elementaren Schulbildung in der Richtung,
in der die Anlagen des Schülers liegen, da eine Erweiterung und Vertiefung
sämtlicher elementaren Kenntnisse nicht mehr möglich ist, seitdem der Strom
unsrer Kultur so breit und mächtig geworden ist.

Man wird nun einwenden, daß wir mit der Spezialisirung unsrer Kennt¬
nisse aufhörten, ganze Menschen zu sein, daß wir enger, einseitiger würden,
den Überblick über das Ganze verlören. Bei einer guten Elementarbildung
ist das kaum zu befürchten. Nun freilich, solche Uuiversalmeuscheu, wie sie das
sechzehnte Jahrhundert aufzuweisen hat, werden nicht mehr vorkommen; die
giebt es auch heute schon nicht mehr. Aber trotzdem brauchen wir nicht daran
zu verzweifeln, daß es anch in spätern Zeiten Persönlichkeiten geben wird, die
gerade in der Beschränkung die Kraft finden werden, etwas Ganzes zu sein, die
wert sein werden, den alten Universalmeuscheu an die Seite gestellt zu werden.
Gerade der Reichtum unsrer Kultur könnte uns vor ihrer verflachende" Wirkung
bewahren.

In der Knabcnerziehung hat man schon einige, wenn auch unvollkommne
Versuche gemacht, das Bildungsmaterial zu teilen. Ghmnasien, Realgymnasien,
Realschulen stellen schon mehrere sehr bestimmte Abarten von Bildung als Ziel
auf. Der Fehler liegt hier uur darin, daß nicht die Besonderheit des Schülers
bei der Wahl der Schule das Entscheidende ist. Das ist natürlich auch un¬
möglich, solange diese Wahl vor Beginn des Schulunterrichts getroffen werden
muß. Das wird wohl anch zunächst so bleiben. Ein Wechsel in spätern
Jahren, wenn sich die Art der Begabung des Schülers gezeigt hat, pflegt mit
Zeitverlust und Kraftvergeudung verknüpft zu sein. Immerhin ist durch die
Teilung des Unterrichtsstoffs eine Entlastung herbeigeführt, die auf den Unter¬
richt selbst nur günstig einwirken kann.

Nichts von alledem findet sich in der höhern Mädchenschule, und gerade
sie müßte darauf aus sein, alles wahrzunehmen, was ihre Aufgabe vereinfachen
könnte, den" von Jahr zu Jahr wird ihre Aufgabe schwieriger, verwickelter,
man könnte sagen verzweifelter.


Die höhere Mädchenschule

darf das Losungswort höherer Schulen nicht mehr „Uuiversalbildung" sein.
Das Wort hat an Gehalt verloren, seit es an Ausdehnung zugenommen hat,
und dürfte sich bald mit „Elementarbildung" decken. Wir sehen es ja an
unsern höhern Schulen, wie mit jedem Zugeständnis, das dem Ideal der Uni¬
versalbildung gemacht wird, die Forderungen in den Hauptfächern herab¬
gesetzt werden müssen, und wie mit jeder Maßregel in dieser Richtung etwas
von dem Glänze der höhern Bildung schwindet. Höhere Schulen müssen
daher, wenn sie nicht von den Mittelschulen und später gar von den Volks¬
schulen eingeholt werden wollen, an die im weitesten Sinne verstcindne Ele¬
mentarbildung eine Spczialbildnng anschließen. Spezialbildung ist eigentlich
nicht das richtige Wort, da es sich ja nicht um eine Ausbildung für besondre
Spezialitäten handelt, wie sie in Fachschulen geboten wird, sondern um eine
Vertiefung und Erweiterung der elementaren Schulbildung in der Richtung,
in der die Anlagen des Schülers liegen, da eine Erweiterung und Vertiefung
sämtlicher elementaren Kenntnisse nicht mehr möglich ist, seitdem der Strom
unsrer Kultur so breit und mächtig geworden ist.

Man wird nun einwenden, daß wir mit der Spezialisirung unsrer Kennt¬
nisse aufhörten, ganze Menschen zu sein, daß wir enger, einseitiger würden,
den Überblick über das Ganze verlören. Bei einer guten Elementarbildung
ist das kaum zu befürchten. Nun freilich, solche Uuiversalmeuscheu, wie sie das
sechzehnte Jahrhundert aufzuweisen hat, werden nicht mehr vorkommen; die
giebt es auch heute schon nicht mehr. Aber trotzdem brauchen wir nicht daran
zu verzweifeln, daß es anch in spätern Zeiten Persönlichkeiten geben wird, die
gerade in der Beschränkung die Kraft finden werden, etwas Ganzes zu sein, die
wert sein werden, den alten Universalmeuscheu an die Seite gestellt zu werden.
Gerade der Reichtum unsrer Kultur könnte uns vor ihrer verflachende» Wirkung
bewahren.

In der Knabcnerziehung hat man schon einige, wenn auch unvollkommne
Versuche gemacht, das Bildungsmaterial zu teilen. Ghmnasien, Realgymnasien,
Realschulen stellen schon mehrere sehr bestimmte Abarten von Bildung als Ziel
auf. Der Fehler liegt hier uur darin, daß nicht die Besonderheit des Schülers
bei der Wahl der Schule das Entscheidende ist. Das ist natürlich auch un¬
möglich, solange diese Wahl vor Beginn des Schulunterrichts getroffen werden
muß. Das wird wohl anch zunächst so bleiben. Ein Wechsel in spätern
Jahren, wenn sich die Art der Begabung des Schülers gezeigt hat, pflegt mit
Zeitverlust und Kraftvergeudung verknüpft zu sein. Immerhin ist durch die
Teilung des Unterrichtsstoffs eine Entlastung herbeigeführt, die auf den Unter¬
richt selbst nur günstig einwirken kann.

Nichts von alledem findet sich in der höhern Mädchenschule, und gerade
sie müßte darauf aus sein, alles wahrzunehmen, was ihre Aufgabe vereinfachen
könnte, den» von Jahr zu Jahr wird ihre Aufgabe schwieriger, verwickelter,
man könnte sagen verzweifelter.


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[0324] Die höhere Mädchenschule darf das Losungswort höherer Schulen nicht mehr „Uuiversalbildung" sein. Das Wort hat an Gehalt verloren, seit es an Ausdehnung zugenommen hat, und dürfte sich bald mit „Elementarbildung" decken. Wir sehen es ja an unsern höhern Schulen, wie mit jedem Zugeständnis, das dem Ideal der Uni¬ versalbildung gemacht wird, die Forderungen in den Hauptfächern herab¬ gesetzt werden müssen, und wie mit jeder Maßregel in dieser Richtung etwas von dem Glänze der höhern Bildung schwindet. Höhere Schulen müssen daher, wenn sie nicht von den Mittelschulen und später gar von den Volks¬ schulen eingeholt werden wollen, an die im weitesten Sinne verstcindne Ele¬ mentarbildung eine Spczialbildnng anschließen. Spezialbildung ist eigentlich nicht das richtige Wort, da es sich ja nicht um eine Ausbildung für besondre Spezialitäten handelt, wie sie in Fachschulen geboten wird, sondern um eine Vertiefung und Erweiterung der elementaren Schulbildung in der Richtung, in der die Anlagen des Schülers liegen, da eine Erweiterung und Vertiefung sämtlicher elementaren Kenntnisse nicht mehr möglich ist, seitdem der Strom unsrer Kultur so breit und mächtig geworden ist. Man wird nun einwenden, daß wir mit der Spezialisirung unsrer Kennt¬ nisse aufhörten, ganze Menschen zu sein, daß wir enger, einseitiger würden, den Überblick über das Ganze verlören. Bei einer guten Elementarbildung ist das kaum zu befürchten. Nun freilich, solche Uuiversalmeuscheu, wie sie das sechzehnte Jahrhundert aufzuweisen hat, werden nicht mehr vorkommen; die giebt es auch heute schon nicht mehr. Aber trotzdem brauchen wir nicht daran zu verzweifeln, daß es anch in spätern Zeiten Persönlichkeiten geben wird, die gerade in der Beschränkung die Kraft finden werden, etwas Ganzes zu sein, die wert sein werden, den alten Universalmeuscheu an die Seite gestellt zu werden. Gerade der Reichtum unsrer Kultur könnte uns vor ihrer verflachende» Wirkung bewahren. In der Knabcnerziehung hat man schon einige, wenn auch unvollkommne Versuche gemacht, das Bildungsmaterial zu teilen. Ghmnasien, Realgymnasien, Realschulen stellen schon mehrere sehr bestimmte Abarten von Bildung als Ziel auf. Der Fehler liegt hier uur darin, daß nicht die Besonderheit des Schülers bei der Wahl der Schule das Entscheidende ist. Das ist natürlich auch un¬ möglich, solange diese Wahl vor Beginn des Schulunterrichts getroffen werden muß. Das wird wohl anch zunächst so bleiben. Ein Wechsel in spätern Jahren, wenn sich die Art der Begabung des Schülers gezeigt hat, pflegt mit Zeitverlust und Kraftvergeudung verknüpft zu sein. Immerhin ist durch die Teilung des Unterrichtsstoffs eine Entlastung herbeigeführt, die auf den Unter¬ richt selbst nur günstig einwirken kann. Nichts von alledem findet sich in der höhern Mädchenschule, und gerade sie müßte darauf aus sein, alles wahrzunehmen, was ihre Aufgabe vereinfachen könnte, den» von Jahr zu Jahr wird ihre Aufgabe schwieriger, verwickelter, man könnte sagen verzweifelter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/324>, abgerufen am 26.06.2024.