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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus diesen Vorgängen kann man lernen, wohin planlose Willkür führt.
Die Postverwaltung hatte, und zwar ohne zwingenden Grund, die Bildungs¬
stufe der Postsekretäre so tief als möglich heruntergedrückt und dadurch das
Ansehen dieser Beamtenklasse geschädigt. Sie hatte die aus frühern Abiturienten
hcrvorgegangnen Sekretäre durch den unerwarteten Einschub in ihrem Vorwärts¬
kommen gehemmt und durch die ungerechte Bevorzugung einzelner große Un¬
zufriedenheit hervorgerufen, die bis dahin nicht vorhanden war. Dazu kam,
daß man mit den minderwertigen Leuten nicht etwa billiger wirtschaftete,
sondern den Staatssäckel und die Steuerzahler durch die Ausgaben für die
vielen neuen Sekretärstellen fortdauernd stark belastet hatte. Während der
Etat sür 1851 nur 314 Sekretärstelleu aufwies, waren es 1871 bereits 1782,
1872 3382; der Etat für 1885/86 führt 5543 Stellen auf. Dann ging es
wieder abwärts, da die Sekretäre aus dem Expedientenstande allmählich aus¬
starben. Diese Mehrausgaben wären zum Teil vermieden worden, wenn man
die Expedienten in ihren bisherigen Stellen, die ihnen von Rechts wegen zu¬
kamen, gelassen und sich darauf beschränkt hätte, ihr Einkommen den Zeit¬
verhältnissen entsprechend zu erhöhen.

Die Gründe, die die Postverwaltung zu ihrem eigentümlichen Vorgehen
veranlaßt hatten, sind nicht bekannt geworden. Mangel an Bewerbern ans
der Klasse der Abiturienten war es nicht; denn das Generalpostcimt hatte im
Jahre 1363 den Oberpvstdirektioncn eröffnet, daß die Zahl der mit Aussicht
auf Beförderung anzunehmenden Eleven beschränkt werden solle, weil die höhern
Dienststellen uicht in dem Verhältnis vermehrt werden könnten, wie sich der
Bedarf an Arbeitskräften für den technischen Dienst steigerte. Und was that
die PostVerwaltung trotz des Mangels an höhern Stellen? Sie gestattete den
aus der Klasse der Expedienten hervorgegangnen Sekretären auch die höhere
Verwaltungsprüfung abzulegen und verschlechterte dadurch den Elevensekretären
die ohnehin so beschränkte Aussicht auf Beförderung noch mehr. Infolge dessen
bestanden, wie aus den Veröffentlichungen nachweisbar ist, 65 Sekretäre mit
bedeutend geringerer allgemeiner Bildung die höhere Prüfung und gelangten
darauf hin in den Besitz oberer Stellen, als Geheimsekretäre im Reichspost¬
amt (8), Postdirektoren (43), Pvsträte (1) und sogar Oberpostdirektoren (2).
Dagegen beschlossen von 465 Elevensekretüren, die in den Jahren von 1851
bis 1869 die höhere Prüfung abgelegt hatten, mehr als hundert ihre Lauf¬
bahn in der Stellung eines Oberpostsekretürs, also der untersten von den
damals für die Geprüften zugänglichen Stellungen.

Dieser Willkürwirtschaft, die sich noch an den Namen des Herrn
von Philipsborn und seiner Leute knüpft, machte endlich Herr von Stephan
dnrch das Reglement vom 23. Mai 1871 ein Ende. Dieses Reglement unter¬
schied sich trotz großer Mängel, die bei größerer Öffentlichkeit der Beratungen
vielleicht vermiede" worden wären, dadurch sehr vorteilhaft von seinen Vor-


Aus diesen Vorgängen kann man lernen, wohin planlose Willkür führt.
Die Postverwaltung hatte, und zwar ohne zwingenden Grund, die Bildungs¬
stufe der Postsekretäre so tief als möglich heruntergedrückt und dadurch das
Ansehen dieser Beamtenklasse geschädigt. Sie hatte die aus frühern Abiturienten
hcrvorgegangnen Sekretäre durch den unerwarteten Einschub in ihrem Vorwärts¬
kommen gehemmt und durch die ungerechte Bevorzugung einzelner große Un¬
zufriedenheit hervorgerufen, die bis dahin nicht vorhanden war. Dazu kam,
daß man mit den minderwertigen Leuten nicht etwa billiger wirtschaftete,
sondern den Staatssäckel und die Steuerzahler durch die Ausgaben für die
vielen neuen Sekretärstellen fortdauernd stark belastet hatte. Während der
Etat sür 1851 nur 314 Sekretärstelleu aufwies, waren es 1871 bereits 1782,
1872 3382; der Etat für 1885/86 führt 5543 Stellen auf. Dann ging es
wieder abwärts, da die Sekretäre aus dem Expedientenstande allmählich aus¬
starben. Diese Mehrausgaben wären zum Teil vermieden worden, wenn man
die Expedienten in ihren bisherigen Stellen, die ihnen von Rechts wegen zu¬
kamen, gelassen und sich darauf beschränkt hätte, ihr Einkommen den Zeit¬
verhältnissen entsprechend zu erhöhen.

Die Gründe, die die Postverwaltung zu ihrem eigentümlichen Vorgehen
veranlaßt hatten, sind nicht bekannt geworden. Mangel an Bewerbern ans
der Klasse der Abiturienten war es nicht; denn das Generalpostcimt hatte im
Jahre 1363 den Oberpvstdirektioncn eröffnet, daß die Zahl der mit Aussicht
auf Beförderung anzunehmenden Eleven beschränkt werden solle, weil die höhern
Dienststellen uicht in dem Verhältnis vermehrt werden könnten, wie sich der
Bedarf an Arbeitskräften für den technischen Dienst steigerte. Und was that
die PostVerwaltung trotz des Mangels an höhern Stellen? Sie gestattete den
aus der Klasse der Expedienten hervorgegangnen Sekretären auch die höhere
Verwaltungsprüfung abzulegen und verschlechterte dadurch den Elevensekretären
die ohnehin so beschränkte Aussicht auf Beförderung noch mehr. Infolge dessen
bestanden, wie aus den Veröffentlichungen nachweisbar ist, 65 Sekretäre mit
bedeutend geringerer allgemeiner Bildung die höhere Prüfung und gelangten
darauf hin in den Besitz oberer Stellen, als Geheimsekretäre im Reichspost¬
amt (8), Postdirektoren (43), Pvsträte (1) und sogar Oberpostdirektoren (2).
Dagegen beschlossen von 465 Elevensekretüren, die in den Jahren von 1851
bis 1869 die höhere Prüfung abgelegt hatten, mehr als hundert ihre Lauf¬
bahn in der Stellung eines Oberpostsekretürs, also der untersten von den
damals für die Geprüften zugänglichen Stellungen.

Dieser Willkürwirtschaft, die sich noch an den Namen des Herrn
von Philipsborn und seiner Leute knüpft, machte endlich Herr von Stephan
dnrch das Reglement vom 23. Mai 1871 ein Ende. Dieses Reglement unter¬
schied sich trotz großer Mängel, die bei größerer Öffentlichkeit der Beratungen
vielleicht vermiede» worden wären, dadurch sehr vorteilhaft von seinen Vor-


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[0316] Aus diesen Vorgängen kann man lernen, wohin planlose Willkür führt. Die Postverwaltung hatte, und zwar ohne zwingenden Grund, die Bildungs¬ stufe der Postsekretäre so tief als möglich heruntergedrückt und dadurch das Ansehen dieser Beamtenklasse geschädigt. Sie hatte die aus frühern Abiturienten hcrvorgegangnen Sekretäre durch den unerwarteten Einschub in ihrem Vorwärts¬ kommen gehemmt und durch die ungerechte Bevorzugung einzelner große Un¬ zufriedenheit hervorgerufen, die bis dahin nicht vorhanden war. Dazu kam, daß man mit den minderwertigen Leuten nicht etwa billiger wirtschaftete, sondern den Staatssäckel und die Steuerzahler durch die Ausgaben für die vielen neuen Sekretärstellen fortdauernd stark belastet hatte. Während der Etat sür 1851 nur 314 Sekretärstelleu aufwies, waren es 1871 bereits 1782, 1872 3382; der Etat für 1885/86 führt 5543 Stellen auf. Dann ging es wieder abwärts, da die Sekretäre aus dem Expedientenstande allmählich aus¬ starben. Diese Mehrausgaben wären zum Teil vermieden worden, wenn man die Expedienten in ihren bisherigen Stellen, die ihnen von Rechts wegen zu¬ kamen, gelassen und sich darauf beschränkt hätte, ihr Einkommen den Zeit¬ verhältnissen entsprechend zu erhöhen. Die Gründe, die die Postverwaltung zu ihrem eigentümlichen Vorgehen veranlaßt hatten, sind nicht bekannt geworden. Mangel an Bewerbern ans der Klasse der Abiturienten war es nicht; denn das Generalpostcimt hatte im Jahre 1363 den Oberpvstdirektioncn eröffnet, daß die Zahl der mit Aussicht auf Beförderung anzunehmenden Eleven beschränkt werden solle, weil die höhern Dienststellen uicht in dem Verhältnis vermehrt werden könnten, wie sich der Bedarf an Arbeitskräften für den technischen Dienst steigerte. Und was that die PostVerwaltung trotz des Mangels an höhern Stellen? Sie gestattete den aus der Klasse der Expedienten hervorgegangnen Sekretären auch die höhere Verwaltungsprüfung abzulegen und verschlechterte dadurch den Elevensekretären die ohnehin so beschränkte Aussicht auf Beförderung noch mehr. Infolge dessen bestanden, wie aus den Veröffentlichungen nachweisbar ist, 65 Sekretäre mit bedeutend geringerer allgemeiner Bildung die höhere Prüfung und gelangten darauf hin in den Besitz oberer Stellen, als Geheimsekretäre im Reichspost¬ amt (8), Postdirektoren (43), Pvsträte (1) und sogar Oberpostdirektoren (2). Dagegen beschlossen von 465 Elevensekretüren, die in den Jahren von 1851 bis 1869 die höhere Prüfung abgelegt hatten, mehr als hundert ihre Lauf¬ bahn in der Stellung eines Oberpostsekretürs, also der untersten von den damals für die Geprüften zugänglichen Stellungen. Dieser Willkürwirtschaft, die sich noch an den Namen des Herrn von Philipsborn und seiner Leute knüpft, machte endlich Herr von Stephan dnrch das Reglement vom 23. Mai 1871 ein Ende. Dieses Reglement unter¬ schied sich trotz großer Mängel, die bei größerer Öffentlichkeit der Beratungen vielleicht vermiede» worden wären, dadurch sehr vorteilhaft von seinen Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/316>, abgerufen am 26.06.2024.