Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
personcilreformen bei der Post

Jahren, als die Aufgaben, die die Post zu erfüllen hatte, unendlich viel ein¬
facher waren als heute, als man an Telegraphie, an Fernsprechwesen, Alters¬
und Unfallversicherung noch nicht dachte, hatte die Mehrzahl der Postsekretcire
einen Grad von schulwisseuschaftlicher Bildung, der mit den Bedingungen für
die akademische Laufbahn gleichwertig war.

Leider sollte dieser Zustand nicht lange dauern. Außer den Posteleven,
den Anwärtern auf die obern Stellen, wurden für die Verrichtung der mehr
mechanischen Geschäfte auf Grund des Reglements vom 9. November 184!)
Postexpedienten angenommen, die den Nachweis einer bestimmten Schulbildung
nicht zu liefern, sondern im wesentlichen nur den Anforderungen zu genügen
brauchten, die heute an die Militäranwürter gestellt werden. Bedauerlicher¬
weise war nun in dem erwähnten Reglement die Bestimmung enthalten, daß
es sich die PostVerwaltung vorbehalte, Postexpedienten, die eine "ganz besondre
Diensttüchtigkeit und ein außergewöhnliches Talent" bekundeten, als Ausnahme
von der Regel zur Sekretärprüfung zuzulassen. Bis zum Jahre 1857 wurde
an diesen Vorbehalt nicht gedacht. Aus einmal entdeckte das damalige General¬
postamt, daß sich unter dieser Becunteuklasse eine ganze Reihe "außergewöhn¬
licher Talente" befinde, und infolge dieser Entdeckung bestanden bis zum
Jahre 1867 (für die Jahre 1868, 1869 und 1870 fehlen die Veröffent¬
lichungen) nicht weniger als 484 Postexpedicnten, die meist nur eine geringe
Schulbildung hatten, die Sekretärprüfung. Ferner ernannte die Postverwaltung
nach dem Schleswig-holsteinischen Feldzuge 33 und nach dem Kriege mit
Österreich 46 jüngere Expedienten, die gerade zufällig an ihren Arbeitsstellen
abkömmlich gewesen und deshalb zur Handhabung des Feldpostdienstes nach
dem jeweiligen Kriegsschauplatz abkommandirt waren, unter Erlaß der Prüfung
zu Postassisteuten mit dem Anspruch auf Anstellung als Postsekretär. Diese
willkürliche Bevorzugung einzelner, sowie der weitere Umstand, daß die vor¬
maligen hannoverschen und Thurn und Taxisschen Beamten sofort als Post¬
sekretcire angestellt wurde", ohne daß sie deu an die preußischen Beamten ge¬
stellten Anforderungen entsprochen hätten, rief natürlich unter den in der
Expedientenklasse verblichnen eine große Aufregung hervor, die sich in Petitionen
Luft machte. Herrn von Stephan blieb deshalb, als er 1871 die Beamten¬
verhältnisse revrgcmisirte, um Ruhe zu schaffen, nichts weiter übrig, als die
noch vorhandnen Postexpedienten zu einer den frühern Anforderungen gegen¬
über stark vereinfachten Sekretärprüfung zuzulassen, die in der schriftlichen
Beantwortung von zwanzig Fragen bestand. Man nannte die so geschaffnen
Sekretäre später die "Zwanzig-Fragen-Sekretäre" oder auch kurzweg "fragliche
Sekretäre."

So waren binnen kurzer Zeit drei neue Sekretärklassen entstanden, die
aber ungeachtet ihres ganz verschiednen Bildungsgrades doch gleich hohe
Gehalte bezogen.


Grenzboten IV 1897 39
personcilreformen bei der Post

Jahren, als die Aufgaben, die die Post zu erfüllen hatte, unendlich viel ein¬
facher waren als heute, als man an Telegraphie, an Fernsprechwesen, Alters¬
und Unfallversicherung noch nicht dachte, hatte die Mehrzahl der Postsekretcire
einen Grad von schulwisseuschaftlicher Bildung, der mit den Bedingungen für
die akademische Laufbahn gleichwertig war.

Leider sollte dieser Zustand nicht lange dauern. Außer den Posteleven,
den Anwärtern auf die obern Stellen, wurden für die Verrichtung der mehr
mechanischen Geschäfte auf Grund des Reglements vom 9. November 184!)
Postexpedienten angenommen, die den Nachweis einer bestimmten Schulbildung
nicht zu liefern, sondern im wesentlichen nur den Anforderungen zu genügen
brauchten, die heute an die Militäranwürter gestellt werden. Bedauerlicher¬
weise war nun in dem erwähnten Reglement die Bestimmung enthalten, daß
es sich die PostVerwaltung vorbehalte, Postexpedienten, die eine „ganz besondre
Diensttüchtigkeit und ein außergewöhnliches Talent" bekundeten, als Ausnahme
von der Regel zur Sekretärprüfung zuzulassen. Bis zum Jahre 1857 wurde
an diesen Vorbehalt nicht gedacht. Aus einmal entdeckte das damalige General¬
postamt, daß sich unter dieser Becunteuklasse eine ganze Reihe „außergewöhn¬
licher Talente" befinde, und infolge dieser Entdeckung bestanden bis zum
Jahre 1867 (für die Jahre 1868, 1869 und 1870 fehlen die Veröffent¬
lichungen) nicht weniger als 484 Postexpedicnten, die meist nur eine geringe
Schulbildung hatten, die Sekretärprüfung. Ferner ernannte die Postverwaltung
nach dem Schleswig-holsteinischen Feldzuge 33 und nach dem Kriege mit
Österreich 46 jüngere Expedienten, die gerade zufällig an ihren Arbeitsstellen
abkömmlich gewesen und deshalb zur Handhabung des Feldpostdienstes nach
dem jeweiligen Kriegsschauplatz abkommandirt waren, unter Erlaß der Prüfung
zu Postassisteuten mit dem Anspruch auf Anstellung als Postsekretär. Diese
willkürliche Bevorzugung einzelner, sowie der weitere Umstand, daß die vor¬
maligen hannoverschen und Thurn und Taxisschen Beamten sofort als Post¬
sekretcire angestellt wurde», ohne daß sie deu an die preußischen Beamten ge¬
stellten Anforderungen entsprochen hätten, rief natürlich unter den in der
Expedientenklasse verblichnen eine große Aufregung hervor, die sich in Petitionen
Luft machte. Herrn von Stephan blieb deshalb, als er 1871 die Beamten¬
verhältnisse revrgcmisirte, um Ruhe zu schaffen, nichts weiter übrig, als die
noch vorhandnen Postexpedienten zu einer den frühern Anforderungen gegen¬
über stark vereinfachten Sekretärprüfung zuzulassen, die in der schriftlichen
Beantwortung von zwanzig Fragen bestand. Man nannte die so geschaffnen
Sekretäre später die „Zwanzig-Fragen-Sekretäre" oder auch kurzweg „fragliche
Sekretäre."

So waren binnen kurzer Zeit drei neue Sekretärklassen entstanden, die
aber ungeachtet ihres ganz verschiednen Bildungsgrades doch gleich hohe
Gehalte bezogen.


Grenzboten IV 1897 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226545"/>
          <fw type="header" place="top"> personcilreformen bei der Post</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763"> Jahren, als die Aufgaben, die die Post zu erfüllen hatte, unendlich viel ein¬<lb/>
facher waren als heute, als man an Telegraphie, an Fernsprechwesen, Alters¬<lb/>
und Unfallversicherung noch nicht dachte, hatte die Mehrzahl der Postsekretcire<lb/>
einen Grad von schulwisseuschaftlicher Bildung, der mit den Bedingungen für<lb/>
die akademische Laufbahn gleichwertig war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765"> Leider sollte dieser Zustand nicht lange dauern. Außer den Posteleven,<lb/>
den Anwärtern auf die obern Stellen, wurden für die Verrichtung der mehr<lb/>
mechanischen Geschäfte auf Grund des Reglements vom 9. November 184!)<lb/>
Postexpedienten angenommen, die den Nachweis einer bestimmten Schulbildung<lb/>
nicht zu liefern, sondern im wesentlichen nur den Anforderungen zu genügen<lb/>
brauchten, die heute an die Militäranwürter gestellt werden. Bedauerlicher¬<lb/>
weise war nun in dem erwähnten Reglement die Bestimmung enthalten, daß<lb/>
es sich die PostVerwaltung vorbehalte, Postexpedienten, die eine &#x201E;ganz besondre<lb/>
Diensttüchtigkeit und ein außergewöhnliches Talent" bekundeten, als Ausnahme<lb/>
von der Regel zur Sekretärprüfung zuzulassen. Bis zum Jahre 1857 wurde<lb/>
an diesen Vorbehalt nicht gedacht. Aus einmal entdeckte das damalige General¬<lb/>
postamt, daß sich unter dieser Becunteuklasse eine ganze Reihe &#x201E;außergewöhn¬<lb/>
licher Talente" befinde, und infolge dieser Entdeckung bestanden bis zum<lb/>
Jahre 1867 (für die Jahre 1868, 1869 und 1870 fehlen die Veröffent¬<lb/>
lichungen) nicht weniger als 484 Postexpedicnten, die meist nur eine geringe<lb/>
Schulbildung hatten, die Sekretärprüfung. Ferner ernannte die Postverwaltung<lb/>
nach dem Schleswig-holsteinischen Feldzuge 33 und nach dem Kriege mit<lb/>
Österreich 46 jüngere Expedienten, die gerade zufällig an ihren Arbeitsstellen<lb/>
abkömmlich gewesen und deshalb zur Handhabung des Feldpostdienstes nach<lb/>
dem jeweiligen Kriegsschauplatz abkommandirt waren, unter Erlaß der Prüfung<lb/>
zu Postassisteuten mit dem Anspruch auf Anstellung als Postsekretär. Diese<lb/>
willkürliche Bevorzugung einzelner, sowie der weitere Umstand, daß die vor¬<lb/>
maligen hannoverschen und Thurn und Taxisschen Beamten sofort als Post¬<lb/>
sekretcire angestellt wurde», ohne daß sie deu an die preußischen Beamten ge¬<lb/>
stellten Anforderungen entsprochen hätten, rief natürlich unter den in der<lb/>
Expedientenklasse verblichnen eine große Aufregung hervor, die sich in Petitionen<lb/>
Luft machte. Herrn von Stephan blieb deshalb, als er 1871 die Beamten¬<lb/>
verhältnisse revrgcmisirte, um Ruhe zu schaffen, nichts weiter übrig, als die<lb/>
noch vorhandnen Postexpedienten zu einer den frühern Anforderungen gegen¬<lb/>
über stark vereinfachten Sekretärprüfung zuzulassen, die in der schriftlichen<lb/>
Beantwortung von zwanzig Fragen bestand. Man nannte die so geschaffnen<lb/>
Sekretäre später die &#x201E;Zwanzig-Fragen-Sekretäre" oder auch kurzweg &#x201E;fragliche<lb/>
Sekretäre."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766"> So waren binnen kurzer Zeit drei neue Sekretärklassen entstanden, die<lb/>
aber ungeachtet ihres ganz verschiednen Bildungsgrades doch gleich hohe<lb/>
Gehalte bezogen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1897 39</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] personcilreformen bei der Post Jahren, als die Aufgaben, die die Post zu erfüllen hatte, unendlich viel ein¬ facher waren als heute, als man an Telegraphie, an Fernsprechwesen, Alters¬ und Unfallversicherung noch nicht dachte, hatte die Mehrzahl der Postsekretcire einen Grad von schulwisseuschaftlicher Bildung, der mit den Bedingungen für die akademische Laufbahn gleichwertig war. Leider sollte dieser Zustand nicht lange dauern. Außer den Posteleven, den Anwärtern auf die obern Stellen, wurden für die Verrichtung der mehr mechanischen Geschäfte auf Grund des Reglements vom 9. November 184!) Postexpedienten angenommen, die den Nachweis einer bestimmten Schulbildung nicht zu liefern, sondern im wesentlichen nur den Anforderungen zu genügen brauchten, die heute an die Militäranwürter gestellt werden. Bedauerlicher¬ weise war nun in dem erwähnten Reglement die Bestimmung enthalten, daß es sich die PostVerwaltung vorbehalte, Postexpedienten, die eine „ganz besondre Diensttüchtigkeit und ein außergewöhnliches Talent" bekundeten, als Ausnahme von der Regel zur Sekretärprüfung zuzulassen. Bis zum Jahre 1857 wurde an diesen Vorbehalt nicht gedacht. Aus einmal entdeckte das damalige General¬ postamt, daß sich unter dieser Becunteuklasse eine ganze Reihe „außergewöhn¬ licher Talente" befinde, und infolge dieser Entdeckung bestanden bis zum Jahre 1867 (für die Jahre 1868, 1869 und 1870 fehlen die Veröffent¬ lichungen) nicht weniger als 484 Postexpedicnten, die meist nur eine geringe Schulbildung hatten, die Sekretärprüfung. Ferner ernannte die Postverwaltung nach dem Schleswig-holsteinischen Feldzuge 33 und nach dem Kriege mit Österreich 46 jüngere Expedienten, die gerade zufällig an ihren Arbeitsstellen abkömmlich gewesen und deshalb zur Handhabung des Feldpostdienstes nach dem jeweiligen Kriegsschauplatz abkommandirt waren, unter Erlaß der Prüfung zu Postassisteuten mit dem Anspruch auf Anstellung als Postsekretär. Diese willkürliche Bevorzugung einzelner, sowie der weitere Umstand, daß die vor¬ maligen hannoverschen und Thurn und Taxisschen Beamten sofort als Post¬ sekretcire angestellt wurde», ohne daß sie deu an die preußischen Beamten ge¬ stellten Anforderungen entsprochen hätten, rief natürlich unter den in der Expedientenklasse verblichnen eine große Aufregung hervor, die sich in Petitionen Luft machte. Herrn von Stephan blieb deshalb, als er 1871 die Beamten¬ verhältnisse revrgcmisirte, um Ruhe zu schaffen, nichts weiter übrig, als die noch vorhandnen Postexpedienten zu einer den frühern Anforderungen gegen¬ über stark vereinfachten Sekretärprüfung zuzulassen, die in der schriftlichen Beantwortung von zwanzig Fragen bestand. Man nannte die so geschaffnen Sekretäre später die „Zwanzig-Fragen-Sekretäre" oder auch kurzweg „fragliche Sekretäre." So waren binnen kurzer Zeit drei neue Sekretärklassen entstanden, die aber ungeachtet ihres ganz verschiednen Bildungsgrades doch gleich hohe Gehalte bezogen. Grenzboten IV 1897 39

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/315>, abgerufen am 26.06.2024.