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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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erst, wenn alles unwiderruflich genehmigt ist, eine Kritik geübt werden kann!
Von einer Konferenz, die in solchem Geiste arbeitet, läßt sich allerdings wenig
Gutes erwarten."

Gegenwärtig, sechsundzwanzig Jahre später, spielt sich ein ähnlicher Vor¬
gang in gleicher Weise ab. Wieder hat eine Konferenz höherer Postbeamten
in der Reichshauptstadt getagt, deren Beratungen mit dem Mantel des Amts¬
geheimnisses umgeben werden. Anscheinend handelt es sich, trotz offiziöser
Ableugnungen wie damals, um Personalreformen. Das Programm, das die
Kreuzzeitung und die "Post" dem neuen Herrn zuwiesen, als er nur eben die
Leitung des Neichspostamts übernommen hatte, daß nämlich durch Ver¬
ringerung des Personals und namentlich durch eine Herabdrückung der "Quali¬
fikation" Ersparnisse erzielt werden sollen, scheint sich zu verwirklichen. Neuer¬
dings wußten auch andre Blätter, voran die Berliner Volkszeitung, zu melden,
daß die Stellen für Postsekretäre, Postmeister u. a. in., die nach dem Reglement
vom 23. Mai 1871 den Beamten der höhern Laufbahn vorbehalten sind,
künftig ausschließlich mit Anwärtern der niedern Laufbahn besetzt werden
würden. Ferner berichtet die im Reichspostamt redigirte Deutsche Verkehrs¬
zeitung, daß die Annahme von Abiturienten zu Posteleven in Zukunft beschränkt
werden solle und augenblicklich ganz eingestellt sei. Aus dieser Maßnahme
darf gefolgert werden, daß man im Reichspostamt thatsächlich beabsichtigt, eine
Personalreform im Sinne der vorstehenden Ausführungen vorzubereiten. Aber
schon die Möglichkeit einer solchen Absicht erfordert ernstliche Abwehr. Wenn
die PostVerwaltung die Anforderungen an die Vorbildung ihres Personals
wirklich noch weiter herabdrückt, als dies schon seit 1871 geschehen ist, so
leidet das gesamte öffentliche Verkehrswesen darunter, und das Publikum muß
die Zeche zahlen.

Leider ist die konservative Presse für ihre Behauptung, daß das Personal
der Post zu hoch "qualifizirt" sei, und daß mit weniger gut vorgebildeten
Beamten billiger gewirtschaftet werden könne, den Beweis schuldig geblieben.
Wie unzutreffend diese Behauptung ist, geht am deutlichsten aus einer kurzen
Schilderung der Entwicklung der Persvnalverhältnisse hervor. Denn auch hier
bewahrheitet sich der Spruch: Es ist alles schon einmal dagewesen.

Durch das Reglement vom 20. August 1349 wurde an junge Leute, die
mit Aussicht auf Beförderung in den Postdienst einzutreten wünschen, in schul¬
wissenschaftlicher Beziehung die Anforderung gestellt, daß sie von einem Gym¬
nasium oder einer zu Entlassungsprüfungen berechtigten höhern Bürger- oder
Realschule mit dem Zeugnis der Reife entlassen worden seien. Diesen An¬
wärtern wurden, wenn sie die gleichfalls durch dieses Reglement eingeführte
höhere Verwaltungsprüfung bestanden hätten, die Dienststellen vom Oberpost¬
sekretär an aufwärts vorbehalten. Eleven, die diese Prüfung nicht ablegten,
hatten nur Anspruch auf Anstellung als Postsekretür. Also schon vor fünfzig


erst, wenn alles unwiderruflich genehmigt ist, eine Kritik geübt werden kann!
Von einer Konferenz, die in solchem Geiste arbeitet, läßt sich allerdings wenig
Gutes erwarten."

Gegenwärtig, sechsundzwanzig Jahre später, spielt sich ein ähnlicher Vor¬
gang in gleicher Weise ab. Wieder hat eine Konferenz höherer Postbeamten
in der Reichshauptstadt getagt, deren Beratungen mit dem Mantel des Amts¬
geheimnisses umgeben werden. Anscheinend handelt es sich, trotz offiziöser
Ableugnungen wie damals, um Personalreformen. Das Programm, das die
Kreuzzeitung und die „Post" dem neuen Herrn zuwiesen, als er nur eben die
Leitung des Neichspostamts übernommen hatte, daß nämlich durch Ver¬
ringerung des Personals und namentlich durch eine Herabdrückung der „Quali¬
fikation" Ersparnisse erzielt werden sollen, scheint sich zu verwirklichen. Neuer¬
dings wußten auch andre Blätter, voran die Berliner Volkszeitung, zu melden,
daß die Stellen für Postsekretäre, Postmeister u. a. in., die nach dem Reglement
vom 23. Mai 1871 den Beamten der höhern Laufbahn vorbehalten sind,
künftig ausschließlich mit Anwärtern der niedern Laufbahn besetzt werden
würden. Ferner berichtet die im Reichspostamt redigirte Deutsche Verkehrs¬
zeitung, daß die Annahme von Abiturienten zu Posteleven in Zukunft beschränkt
werden solle und augenblicklich ganz eingestellt sei. Aus dieser Maßnahme
darf gefolgert werden, daß man im Reichspostamt thatsächlich beabsichtigt, eine
Personalreform im Sinne der vorstehenden Ausführungen vorzubereiten. Aber
schon die Möglichkeit einer solchen Absicht erfordert ernstliche Abwehr. Wenn
die PostVerwaltung die Anforderungen an die Vorbildung ihres Personals
wirklich noch weiter herabdrückt, als dies schon seit 1871 geschehen ist, so
leidet das gesamte öffentliche Verkehrswesen darunter, und das Publikum muß
die Zeche zahlen.

Leider ist die konservative Presse für ihre Behauptung, daß das Personal
der Post zu hoch „qualifizirt" sei, und daß mit weniger gut vorgebildeten
Beamten billiger gewirtschaftet werden könne, den Beweis schuldig geblieben.
Wie unzutreffend diese Behauptung ist, geht am deutlichsten aus einer kurzen
Schilderung der Entwicklung der Persvnalverhältnisse hervor. Denn auch hier
bewahrheitet sich der Spruch: Es ist alles schon einmal dagewesen.

Durch das Reglement vom 20. August 1349 wurde an junge Leute, die
mit Aussicht auf Beförderung in den Postdienst einzutreten wünschen, in schul¬
wissenschaftlicher Beziehung die Anforderung gestellt, daß sie von einem Gym¬
nasium oder einer zu Entlassungsprüfungen berechtigten höhern Bürger- oder
Realschule mit dem Zeugnis der Reife entlassen worden seien. Diesen An¬
wärtern wurden, wenn sie die gleichfalls durch dieses Reglement eingeführte
höhere Verwaltungsprüfung bestanden hätten, die Dienststellen vom Oberpost¬
sekretär an aufwärts vorbehalten. Eleven, die diese Prüfung nicht ablegten,
hatten nur Anspruch auf Anstellung als Postsekretür. Also schon vor fünfzig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/314>, abgerufen am 26.06.2024.