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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Industrie brauche. Das Hauptziel der Wirtschaftspolitik sei deshalb schnelle Ver¬
mehrung der landwirtschaftlichen Exportgüter und sichere Ausdehnung des Aus¬
fuhrmarkts. Darin bestehe der normale und berechtigte Schutz der Industrie.

"Ist nicht das Land, fragt der Berichterstatter in echt amerikanischem Selbst¬
gefühl, das, wie die Vereinigten Staaten, die größte Kraft und die meisten Vorteile
zur Erzeugung und Fabrikation der Handelsartikel für den Weltmarkt hat, bestimmt,
die Märkte des Erdkreises zu monopolisiren? Sind nicht die günstigsten Be¬
dingungen für vielseitigen und erfolgreichen Ackerbau in deu Vereinigte" Staaten
im Überfluß porhcmden? Welches andre Volk zahlt so wenig Steuern, so wenig
sür den Unterhalt eines stehenden Heeres? Wer kann mit dem amerikanischen Landwirt
oder dem amerikanischen Fabrikanten in der Erzielung der größten Erfolge mensch¬
licher Arbeit mit dem geringsten menschlichen Kraftaufwand wetteifern?" Die
Frage, die alle Farmer, überhaupt die ganze erwerbsthätige Bevölkerung, stellen
müßten, sei die: "Wie können die Vereinigten Staaten die Märkte der Welt mit
den Massenprodukten der Landwirtschaft und mit den Verbrauchswaren der
Industrie anfüllen?" Gegen 1 700 000 Arbeiter seien in der amerikanischen Land¬
wirtschaft fast ständig mit der Gewinnung landwirtschaftlicher Exportgüter be¬
schäftigt. Mit Einschluß der Industrie hingen schon über 2 000 000 Arbeiter mit
ihren Familien in ihrer Existenz ganz von der Nachfrage des Auslands nach
amerikanischen Erzengnissen ab.

Der charakteristische Unterschied zwischen unserm Exportbedürfnis und dem
cunerikauischeu springt hier in die Augen, aber das Bedürfnis an sich Wird in dem
alten, übervölkerten Deutschland kaum dringender empfunden als auf dem jung¬
fräulichen Boden der neuen Welt mit seiner spärlichen Bevölkerung. Die nationale
Selbstgenügsamkeit und Eigenwirtschaft ist anch drüben nicht so leicht, wie manche
meinen. Die Massenproduktion der landwirtschaftlichen Großbetriebe mit allen,
erdenklichen arbeitsparenden Erfindungen vermag die Masse kauffähiger lebendiger
Menschen uicht zu schaffen, die die viel zu schnell ins Große getriebne Industrie
für den Absatz braucht, und wenn wird die amerikanische Industrie trotzdem so
weit sein, die immer weiter gesteigerte landwirtschaftliche Produktion verdauen zu
können? Dabei nimmt die natürliche Bevölkerungsvermchrung der weißen Rasse
drüben ab, und die Einwanderung sperrt man ab im politischen Interesse der
Mrivs odles ?örsons. Vielleicht wird man in den Vereinigten Staaten die heute
herrschende engherzige Politik eines unberechtigten nationalen Egoismus in nicht allzu
ferner Zukunft verwünschen, und wird einsehen, daß es absurd und widernatürlich
ist, wenn die Erben eines Häufleins von Einwandrern, nachdem die Eingebornen
vernichtet sind, den viel zu großen Futterplatz kleinlich für sich allein behaupten
und ausbeuten zu können glauben. "Der Menschheit die Erde" ist auch ein
Naturgesetz, und an ihm wird wohl die Parole "Amerika den Amerikanern und
deshalb auch der Weltmarkt den Amerikanern" über kurz oder laug zu Schanden
werden.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Industrie brauche. Das Hauptziel der Wirtschaftspolitik sei deshalb schnelle Ver¬
mehrung der landwirtschaftlichen Exportgüter und sichere Ausdehnung des Aus¬
fuhrmarkts. Darin bestehe der normale und berechtigte Schutz der Industrie.

„Ist nicht das Land, fragt der Berichterstatter in echt amerikanischem Selbst¬
gefühl, das, wie die Vereinigten Staaten, die größte Kraft und die meisten Vorteile
zur Erzeugung und Fabrikation der Handelsartikel für den Weltmarkt hat, bestimmt,
die Märkte des Erdkreises zu monopolisiren? Sind nicht die günstigsten Be¬
dingungen für vielseitigen und erfolgreichen Ackerbau in deu Vereinigte» Staaten
im Überfluß porhcmden? Welches andre Volk zahlt so wenig Steuern, so wenig
sür den Unterhalt eines stehenden Heeres? Wer kann mit dem amerikanischen Landwirt
oder dem amerikanischen Fabrikanten in der Erzielung der größten Erfolge mensch¬
licher Arbeit mit dem geringsten menschlichen Kraftaufwand wetteifern?" Die
Frage, die alle Farmer, überhaupt die ganze erwerbsthätige Bevölkerung, stellen
müßten, sei die: „Wie können die Vereinigten Staaten die Märkte der Welt mit
den Massenprodukten der Landwirtschaft und mit den Verbrauchswaren der
Industrie anfüllen?" Gegen 1 700 000 Arbeiter seien in der amerikanischen Land¬
wirtschaft fast ständig mit der Gewinnung landwirtschaftlicher Exportgüter be¬
schäftigt. Mit Einschluß der Industrie hingen schon über 2 000 000 Arbeiter mit
ihren Familien in ihrer Existenz ganz von der Nachfrage des Auslands nach
amerikanischen Erzengnissen ab.

Der charakteristische Unterschied zwischen unserm Exportbedürfnis und dem
cunerikauischeu springt hier in die Augen, aber das Bedürfnis an sich Wird in dem
alten, übervölkerten Deutschland kaum dringender empfunden als auf dem jung¬
fräulichen Boden der neuen Welt mit seiner spärlichen Bevölkerung. Die nationale
Selbstgenügsamkeit und Eigenwirtschaft ist anch drüben nicht so leicht, wie manche
meinen. Die Massenproduktion der landwirtschaftlichen Großbetriebe mit allen,
erdenklichen arbeitsparenden Erfindungen vermag die Masse kauffähiger lebendiger
Menschen uicht zu schaffen, die die viel zu schnell ins Große getriebne Industrie
für den Absatz braucht, und wenn wird die amerikanische Industrie trotzdem so
weit sein, die immer weiter gesteigerte landwirtschaftliche Produktion verdauen zu
können? Dabei nimmt die natürliche Bevölkerungsvermchrung der weißen Rasse
drüben ab, und die Einwanderung sperrt man ab im politischen Interesse der
Mrivs odles ?örsons. Vielleicht wird man in den Vereinigten Staaten die heute
herrschende engherzige Politik eines unberechtigten nationalen Egoismus in nicht allzu
ferner Zukunft verwünschen, und wird einsehen, daß es absurd und widernatürlich
ist, wenn die Erben eines Häufleins von Einwandrern, nachdem die Eingebornen
vernichtet sind, den viel zu großen Futterplatz kleinlich für sich allein behaupten
und ausbeuten zu können glauben. „Der Menschheit die Erde" ist auch ein
Naturgesetz, und an ihm wird wohl die Parole „Amerika den Amerikanern und
deshalb auch der Weltmarkt den Amerikanern" über kurz oder laug zu Schanden
werden.




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[0304] Maßgebliches und Unmaßgebliches Industrie brauche. Das Hauptziel der Wirtschaftspolitik sei deshalb schnelle Ver¬ mehrung der landwirtschaftlichen Exportgüter und sichere Ausdehnung des Aus¬ fuhrmarkts. Darin bestehe der normale und berechtigte Schutz der Industrie. „Ist nicht das Land, fragt der Berichterstatter in echt amerikanischem Selbst¬ gefühl, das, wie die Vereinigten Staaten, die größte Kraft und die meisten Vorteile zur Erzeugung und Fabrikation der Handelsartikel für den Weltmarkt hat, bestimmt, die Märkte des Erdkreises zu monopolisiren? Sind nicht die günstigsten Be¬ dingungen für vielseitigen und erfolgreichen Ackerbau in deu Vereinigte» Staaten im Überfluß porhcmden? Welches andre Volk zahlt so wenig Steuern, so wenig sür den Unterhalt eines stehenden Heeres? Wer kann mit dem amerikanischen Landwirt oder dem amerikanischen Fabrikanten in der Erzielung der größten Erfolge mensch¬ licher Arbeit mit dem geringsten menschlichen Kraftaufwand wetteifern?" Die Frage, die alle Farmer, überhaupt die ganze erwerbsthätige Bevölkerung, stellen müßten, sei die: „Wie können die Vereinigten Staaten die Märkte der Welt mit den Massenprodukten der Landwirtschaft und mit den Verbrauchswaren der Industrie anfüllen?" Gegen 1 700 000 Arbeiter seien in der amerikanischen Land¬ wirtschaft fast ständig mit der Gewinnung landwirtschaftlicher Exportgüter be¬ schäftigt. Mit Einschluß der Industrie hingen schon über 2 000 000 Arbeiter mit ihren Familien in ihrer Existenz ganz von der Nachfrage des Auslands nach amerikanischen Erzengnissen ab. Der charakteristische Unterschied zwischen unserm Exportbedürfnis und dem cunerikauischeu springt hier in die Augen, aber das Bedürfnis an sich Wird in dem alten, übervölkerten Deutschland kaum dringender empfunden als auf dem jung¬ fräulichen Boden der neuen Welt mit seiner spärlichen Bevölkerung. Die nationale Selbstgenügsamkeit und Eigenwirtschaft ist anch drüben nicht so leicht, wie manche meinen. Die Massenproduktion der landwirtschaftlichen Großbetriebe mit allen, erdenklichen arbeitsparenden Erfindungen vermag die Masse kauffähiger lebendiger Menschen uicht zu schaffen, die die viel zu schnell ins Große getriebne Industrie für den Absatz braucht, und wenn wird die amerikanische Industrie trotzdem so weit sein, die immer weiter gesteigerte landwirtschaftliche Produktion verdauen zu können? Dabei nimmt die natürliche Bevölkerungsvermchrung der weißen Rasse drüben ab, und die Einwanderung sperrt man ab im politischen Interesse der Mrivs odles ?örsons. Vielleicht wird man in den Vereinigten Staaten die heute herrschende engherzige Politik eines unberechtigten nationalen Egoismus in nicht allzu ferner Zukunft verwünschen, und wird einsehen, daß es absurd und widernatürlich ist, wenn die Erben eines Häufleins von Einwandrern, nachdem die Eingebornen vernichtet sind, den viel zu großen Futterplatz kleinlich für sich allein behaupten und ausbeuten zu können glauben. „Der Menschheit die Erde" ist auch ein Naturgesetz, und an ihm wird wohl die Parole „Amerika den Amerikanern und deshalb auch der Weltmarkt den Amerikanern" über kurz oder laug zu Schanden werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/304>, abgerufen am 26.06.2024.