Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.John Brinckman werden dann in mehreren Geschichtchen und Skizzen die mecklenburgischen Zu¬ Grenzboten IV 1897
John Brinckman werden dann in mehreren Geschichtchen und Skizzen die mecklenburgischen Zu¬ Grenzboten IV 1897
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226521"/> <fw type="header" place="top"> John Brinckman</fw><lb/> <p xml:id="ID_704" prev="#ID_703"> werden dann in mehreren Geschichtchen und Skizzen die mecklenburgischen Zu¬<lb/> stünde geschildert, wie sie sich in diesem Lande ausgebildet haben, nachdem der<lb/> Teufel mit „dat scharp Putzmetz von den dörtigjährigen Krieg, nassem mit<lb/> Kork Lepulten (Leopold) sin Russen un tauletzt noch,, mit den oller Fritzen sin<lb/> Hungerhark rinner Wesen is." Bürgermeisterliche Überhebung und Tyrannei<lb/> wird in der lustigen Geschichte von den drei katholischen Handwerksburschen<lb/> gegeißelt, die durchaus ihre drei verwitweten Meisterfrauen heiraten sollen, sich<lb/> dieser Zwangsversorgung aber mit List entziehen, nachdem sie der guten Stadt<lb/> Teterow ihr Meisterstück, am Rathaus aufgehängt, zurückgelassen haben; dies<lb/> besteht in einem sechs Fuß laugen Hecht von Blech, der eine Messingglocke<lb/> um den Hals trägt und damit boshaft ans eine alte, unangenehme Geschichte<lb/> anspielt. Wir lernen dann ein mecklenburgisches Rittergut kennen, auf dem ein<lb/> wackrer Rittmeister des siebenjährigen Krieges in patriarchalischer Weise waltet.<lb/> Schließlich sührt uns die Erzählung durch einen Wald, wo früher ein wohl¬<lb/> habendes, jetzt längst „gelegtes" Bauerndorf gestanden hat, zu einem der letzten<lb/> mecklenburgischen Lehnschulzen und in seinen engsten Familienkreis. Ein ab¬<lb/> sonderlicher Charakter ist seine stolze Frau, die ihr nachgebornes und körperlich<lb/> nicht ganz vollkommnes Zwillingspaar mißhandelt und dafür durch eine<lb/> schreckliche Angst bestraft wird; aber Gott selber bringt Versöhnung und Liebe<lb/> ins Haus. Der Schluß verbindet dann die Schicksale der Lehnschnlzenfamilie<lb/> und der des Rittergutes durch eine Heirat, klingt aber mit der Kinderlosigkeit<lb/> der Nachkommen und mit dem Tode der alten Schulzenfrau wehmütig aus.<lb/> Überhaupt ist der Humor Brinckmans in diesem Werke gering; er beschränkt<lb/> sich fast nur auf,, die Person des Teufels und die Erlebnisse der drei Hand-<lb/> werksburschen. Über dem Ganzen liegt ein tiefer, religiöser und geschichtlicher<lb/> Ernst, der noch durch die feierliche Stimmung der Weihnachtszeit und des<lb/> Winters in vielen Kapiteln verstärkt wird. Auch kann man das Buch keinen<lb/> Roman, nicht einmal eine Erzählung nennen; es besteht lediglich aus einer<lb/> Reihe von mehr oder minder großen kulturgeschichtlichen Skizzen, die nur<lb/> äußerlich durch die Person Gottes zusammengehalten werden, aber — für<lb/> sich betrachtet — in ihrer Art meist vortrefflich siud. So fällt denn „Uns'<lb/> Herrgott" gegen den einzigen wirklichen historischen Roman, den wir im Platt¬<lb/> deutschen haben, gegen Reuters „Dörchlüuchting" ab. In diesem haben wir,<lb/> was als ocmciitio sins ana von von einem Roman verlangt werden muß, eine<lb/> festgefügte, einheitliche Handlung, eine Handlung, die sich bei Reuter sogar in<lb/> zwei Angeln bewegt. Es ist nämlich, wie schon aus der „Franzoseutid" hervor¬<lb/> geht, ein Kennzeichen der Reuterschcn Technik und gleichzeitig ein leicht ver¬<lb/> ständlicher Kunstgriff des humoristischen Dichters, zwei innere Pole zu schaffen,<lb/> einen ernsten und einen komischen, und diese dann durch die Einheit der Ge¬<lb/> samthandlung mit einander zu verbinden. So ist der ernste Mittelpunkt in<lb/> „Dörchlüuchting" der Korrektor Äpinus, der komische: Dörchläuchting selber;<lb/> aus diesen beiden Charakteren wird — mit dem Einschlag der andern —<lb/> die Haupthandlung gewoben. So erhalten wir eine meisterhafte Komposition,<lb/> mag man sonst über „Dörchläuchting" urteilen, wie man will, und besonders<lb/> an der Karrikatur des Herzogs auch künstlerisch Anstoß nehmen. Auch das<lb/> Zeitkvlorit ist im ganzen gut und steht dem allerdings stärker aufgetragnen<lb/> bei Brinckman wenig nach. Es offenbart sich also auch in Reuters „Dörch¬<lb/> läuchting" und Brinckmans „Uns' Herrgott up Reisen" wieder der Unterschied<lb/> zwischen Talent und Genie, freilich in andrer Weise als oben.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1897</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0291]
John Brinckman
werden dann in mehreren Geschichtchen und Skizzen die mecklenburgischen Zu¬
stünde geschildert, wie sie sich in diesem Lande ausgebildet haben, nachdem der
Teufel mit „dat scharp Putzmetz von den dörtigjährigen Krieg, nassem mit
Kork Lepulten (Leopold) sin Russen un tauletzt noch,, mit den oller Fritzen sin
Hungerhark rinner Wesen is." Bürgermeisterliche Überhebung und Tyrannei
wird in der lustigen Geschichte von den drei katholischen Handwerksburschen
gegeißelt, die durchaus ihre drei verwitweten Meisterfrauen heiraten sollen, sich
dieser Zwangsversorgung aber mit List entziehen, nachdem sie der guten Stadt
Teterow ihr Meisterstück, am Rathaus aufgehängt, zurückgelassen haben; dies
besteht in einem sechs Fuß laugen Hecht von Blech, der eine Messingglocke
um den Hals trägt und damit boshaft ans eine alte, unangenehme Geschichte
anspielt. Wir lernen dann ein mecklenburgisches Rittergut kennen, auf dem ein
wackrer Rittmeister des siebenjährigen Krieges in patriarchalischer Weise waltet.
Schließlich sührt uns die Erzählung durch einen Wald, wo früher ein wohl¬
habendes, jetzt längst „gelegtes" Bauerndorf gestanden hat, zu einem der letzten
mecklenburgischen Lehnschulzen und in seinen engsten Familienkreis. Ein ab¬
sonderlicher Charakter ist seine stolze Frau, die ihr nachgebornes und körperlich
nicht ganz vollkommnes Zwillingspaar mißhandelt und dafür durch eine
schreckliche Angst bestraft wird; aber Gott selber bringt Versöhnung und Liebe
ins Haus. Der Schluß verbindet dann die Schicksale der Lehnschnlzenfamilie
und der des Rittergutes durch eine Heirat, klingt aber mit der Kinderlosigkeit
der Nachkommen und mit dem Tode der alten Schulzenfrau wehmütig aus.
Überhaupt ist der Humor Brinckmans in diesem Werke gering; er beschränkt
sich fast nur auf,, die Person des Teufels und die Erlebnisse der drei Hand-
werksburschen. Über dem Ganzen liegt ein tiefer, religiöser und geschichtlicher
Ernst, der noch durch die feierliche Stimmung der Weihnachtszeit und des
Winters in vielen Kapiteln verstärkt wird. Auch kann man das Buch keinen
Roman, nicht einmal eine Erzählung nennen; es besteht lediglich aus einer
Reihe von mehr oder minder großen kulturgeschichtlichen Skizzen, die nur
äußerlich durch die Person Gottes zusammengehalten werden, aber — für
sich betrachtet — in ihrer Art meist vortrefflich siud. So fällt denn „Uns'
Herrgott" gegen den einzigen wirklichen historischen Roman, den wir im Platt¬
deutschen haben, gegen Reuters „Dörchlüuchting" ab. In diesem haben wir,
was als ocmciitio sins ana von von einem Roman verlangt werden muß, eine
festgefügte, einheitliche Handlung, eine Handlung, die sich bei Reuter sogar in
zwei Angeln bewegt. Es ist nämlich, wie schon aus der „Franzoseutid" hervor¬
geht, ein Kennzeichen der Reuterschcn Technik und gleichzeitig ein leicht ver¬
ständlicher Kunstgriff des humoristischen Dichters, zwei innere Pole zu schaffen,
einen ernsten und einen komischen, und diese dann durch die Einheit der Ge¬
samthandlung mit einander zu verbinden. So ist der ernste Mittelpunkt in
„Dörchlüuchting" der Korrektor Äpinus, der komische: Dörchläuchting selber;
aus diesen beiden Charakteren wird — mit dem Einschlag der andern —
die Haupthandlung gewoben. So erhalten wir eine meisterhafte Komposition,
mag man sonst über „Dörchläuchting" urteilen, wie man will, und besonders
an der Karrikatur des Herzogs auch künstlerisch Anstoß nehmen. Auch das
Zeitkvlorit ist im ganzen gut und steht dem allerdings stärker aufgetragnen
bei Brinckman wenig nach. Es offenbart sich also auch in Reuters „Dörch¬
läuchting" und Brinckmans „Uns' Herrgott up Reisen" wieder der Unterschied
zwischen Talent und Genie, freilich in andrer Weise als oben.
Grenzboten IV 1897
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