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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zwei philosophische Systeme

renne, so geschieht weiter nichts als folgendes. Die Gruppe von Kraftpunkten,
die ich meinen Kopf nenne, versucht in eine andre Gruppe von Kraftpunkten
einzudringen, die das nicht gestattet; diese Thatsache wird meinem Bewußtsein
dnrch den Schmerz gemeldet, den verschiedne Untergruppen der Gruppe Kopf
bei Zusammenstößen mit Gruppen der Außenwelt im Bewußtsein erzeugen.
Die Einrichtung eines solchen Meldedienstes war notwendig für die Erhaltung
der organischen Wesen, weil sonst viele von ihnen bei vergeblichen Versuchen,
sich durch feste Körper einen Weg zu bahnen, zerschellen würden. Daß diese
Gefahr droht, wird uns dnrch eine starke Verschiebung der Bestandteile der
Atomgrnppe Kopf angezeigt, die wir je "ach ihrer Gestalt Beule, Wunde oder
Schramme nennen. Von der Körperlichkeit bleibt nichts übrig als die An¬
ordnung der Atome im Raume, die unbedingte Undurchdringlichkeit der Atome,
und die verhältnismäßige Undurchdringlichkeit der sogenannten festen Körper,
die von einem sehr hohen Grade der Anziehung in manchen Atomgruppen
herrührt. Daß gewisse Atome oder Atomgruppen Bewußtsein haben, eine
innere Welt in sich erzeugen ebenso wie wir selbst und mit uns in bewußten
Verkehr treten, das gehört nicht mehr zur Erklärung der Körperwelt.

Wohl aber hängt der Aufbau der innern Welt in unserm Bewußtsein
davon ab, daß dabei mehrere, ja unzählige Menschenseelen zusammenwirken,
und dieses Zusammenwirken, sowie die aus dem Bewußtsein hervorgehende ge¬
meinsame äußere Thätigkeit der Menschen wäre nicht möglich, wenn nicht alle
Menschenseelen auf gewisse Einwirkungen der Körperwelt mit denselben Gegen¬
wirkungen antworteten, und wenn nicht alle gezwungen wären, ihre Vor¬
stellungen in derselben Ordnung zu gruppiren, vom Verlauf der Erscheinungen
dieselben Erwartungen zu hegen und sich bei gleichen Anlässen zu den gleichen Denk¬
operationen anregen zu lassen. Wenn wir nicht alle gezwungen und gewöhnt wären,
unsern Gesichts- und Tastwahrnehmungen dieselbe räumliche Ordnung anzuweisen,
so gäbe es kein Rechts und kein Links, kein Vorn und kein Hinten, und ans der
Straße könnte keiner dem andern, keine Droschke und keine Radlerin einer andern
ausweichen. Wenn von demselben beleuchteten Gegenstände der eine den Ein¬
druck des Roten, der andre den des Grünen, der dritte den des Blauen em-
pfuige, so wären weder die Signallaternen der Eisenbahn, noch Malerei, noch
Dekoration, noch eine übereinstimmende Kleidermode möglich. Wenn sich nicht
jedermann innerlich gezwungen fühlte, zu bekennen, daß zweimal zwei vier, und
drei und vier sieben ist, so gäbe es keine Rechenkunst, und wenn man sich,
nach empfangner Belehrung, zwei Gerade denken könnte, die auf einer dritten
in einem und demselben Punkte senkrecht stünden, so könnten weder Flächen-
noch Körperinhalte gemessen werden. Wenn uns nicht alle der Umstand, daß
auf die Erscheinung ^. ausnahmslos die Erscheinung L folgt, dazu zwänge,
die Begriffe des Gesetzes und der Ursache zu bilden, so hätten wir niemals
eine Naturwissenschaft bekommen und wäre keinerlei praktische Wirksamkeit


Zwei philosophische Systeme

renne, so geschieht weiter nichts als folgendes. Die Gruppe von Kraftpunkten,
die ich meinen Kopf nenne, versucht in eine andre Gruppe von Kraftpunkten
einzudringen, die das nicht gestattet; diese Thatsache wird meinem Bewußtsein
dnrch den Schmerz gemeldet, den verschiedne Untergruppen der Gruppe Kopf
bei Zusammenstößen mit Gruppen der Außenwelt im Bewußtsein erzeugen.
Die Einrichtung eines solchen Meldedienstes war notwendig für die Erhaltung
der organischen Wesen, weil sonst viele von ihnen bei vergeblichen Versuchen,
sich durch feste Körper einen Weg zu bahnen, zerschellen würden. Daß diese
Gefahr droht, wird uns dnrch eine starke Verschiebung der Bestandteile der
Atomgrnppe Kopf angezeigt, die wir je »ach ihrer Gestalt Beule, Wunde oder
Schramme nennen. Von der Körperlichkeit bleibt nichts übrig als die An¬
ordnung der Atome im Raume, die unbedingte Undurchdringlichkeit der Atome,
und die verhältnismäßige Undurchdringlichkeit der sogenannten festen Körper,
die von einem sehr hohen Grade der Anziehung in manchen Atomgruppen
herrührt. Daß gewisse Atome oder Atomgruppen Bewußtsein haben, eine
innere Welt in sich erzeugen ebenso wie wir selbst und mit uns in bewußten
Verkehr treten, das gehört nicht mehr zur Erklärung der Körperwelt.

Wohl aber hängt der Aufbau der innern Welt in unserm Bewußtsein
davon ab, daß dabei mehrere, ja unzählige Menschenseelen zusammenwirken,
und dieses Zusammenwirken, sowie die aus dem Bewußtsein hervorgehende ge¬
meinsame äußere Thätigkeit der Menschen wäre nicht möglich, wenn nicht alle
Menschenseelen auf gewisse Einwirkungen der Körperwelt mit denselben Gegen¬
wirkungen antworteten, und wenn nicht alle gezwungen wären, ihre Vor¬
stellungen in derselben Ordnung zu gruppiren, vom Verlauf der Erscheinungen
dieselben Erwartungen zu hegen und sich bei gleichen Anlässen zu den gleichen Denk¬
operationen anregen zu lassen. Wenn wir nicht alle gezwungen und gewöhnt wären,
unsern Gesichts- und Tastwahrnehmungen dieselbe räumliche Ordnung anzuweisen,
so gäbe es kein Rechts und kein Links, kein Vorn und kein Hinten, und ans der
Straße könnte keiner dem andern, keine Droschke und keine Radlerin einer andern
ausweichen. Wenn von demselben beleuchteten Gegenstände der eine den Ein¬
druck des Roten, der andre den des Grünen, der dritte den des Blauen em-
pfuige, so wären weder die Signallaternen der Eisenbahn, noch Malerei, noch
Dekoration, noch eine übereinstimmende Kleidermode möglich. Wenn sich nicht
jedermann innerlich gezwungen fühlte, zu bekennen, daß zweimal zwei vier, und
drei und vier sieben ist, so gäbe es keine Rechenkunst, und wenn man sich,
nach empfangner Belehrung, zwei Gerade denken könnte, die auf einer dritten
in einem und demselben Punkte senkrecht stünden, so könnten weder Flächen-
noch Körperinhalte gemessen werden. Wenn uns nicht alle der Umstand, daß
auf die Erscheinung ^. ausnahmslos die Erscheinung L folgt, dazu zwänge,
die Begriffe des Gesetzes und der Ursache zu bilden, so hätten wir niemals
eine Naturwissenschaft bekommen und wäre keinerlei praktische Wirksamkeit


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[0029] Zwei philosophische Systeme renne, so geschieht weiter nichts als folgendes. Die Gruppe von Kraftpunkten, die ich meinen Kopf nenne, versucht in eine andre Gruppe von Kraftpunkten einzudringen, die das nicht gestattet; diese Thatsache wird meinem Bewußtsein dnrch den Schmerz gemeldet, den verschiedne Untergruppen der Gruppe Kopf bei Zusammenstößen mit Gruppen der Außenwelt im Bewußtsein erzeugen. Die Einrichtung eines solchen Meldedienstes war notwendig für die Erhaltung der organischen Wesen, weil sonst viele von ihnen bei vergeblichen Versuchen, sich durch feste Körper einen Weg zu bahnen, zerschellen würden. Daß diese Gefahr droht, wird uns dnrch eine starke Verschiebung der Bestandteile der Atomgrnppe Kopf angezeigt, die wir je »ach ihrer Gestalt Beule, Wunde oder Schramme nennen. Von der Körperlichkeit bleibt nichts übrig als die An¬ ordnung der Atome im Raume, die unbedingte Undurchdringlichkeit der Atome, und die verhältnismäßige Undurchdringlichkeit der sogenannten festen Körper, die von einem sehr hohen Grade der Anziehung in manchen Atomgruppen herrührt. Daß gewisse Atome oder Atomgruppen Bewußtsein haben, eine innere Welt in sich erzeugen ebenso wie wir selbst und mit uns in bewußten Verkehr treten, das gehört nicht mehr zur Erklärung der Körperwelt. Wohl aber hängt der Aufbau der innern Welt in unserm Bewußtsein davon ab, daß dabei mehrere, ja unzählige Menschenseelen zusammenwirken, und dieses Zusammenwirken, sowie die aus dem Bewußtsein hervorgehende ge¬ meinsame äußere Thätigkeit der Menschen wäre nicht möglich, wenn nicht alle Menschenseelen auf gewisse Einwirkungen der Körperwelt mit denselben Gegen¬ wirkungen antworteten, und wenn nicht alle gezwungen wären, ihre Vor¬ stellungen in derselben Ordnung zu gruppiren, vom Verlauf der Erscheinungen dieselben Erwartungen zu hegen und sich bei gleichen Anlässen zu den gleichen Denk¬ operationen anregen zu lassen. Wenn wir nicht alle gezwungen und gewöhnt wären, unsern Gesichts- und Tastwahrnehmungen dieselbe räumliche Ordnung anzuweisen, so gäbe es kein Rechts und kein Links, kein Vorn und kein Hinten, und ans der Straße könnte keiner dem andern, keine Droschke und keine Radlerin einer andern ausweichen. Wenn von demselben beleuchteten Gegenstände der eine den Ein¬ druck des Roten, der andre den des Grünen, der dritte den des Blauen em- pfuige, so wären weder die Signallaternen der Eisenbahn, noch Malerei, noch Dekoration, noch eine übereinstimmende Kleidermode möglich. Wenn sich nicht jedermann innerlich gezwungen fühlte, zu bekennen, daß zweimal zwei vier, und drei und vier sieben ist, so gäbe es keine Rechenkunst, und wenn man sich, nach empfangner Belehrung, zwei Gerade denken könnte, die auf einer dritten in einem und demselben Punkte senkrecht stünden, so könnten weder Flächen- noch Körperinhalte gemessen werden. Wenn uns nicht alle der Umstand, daß auf die Erscheinung ^. ausnahmslos die Erscheinung L folgt, dazu zwänge, die Begriffe des Gesetzes und der Ursache zu bilden, so hätten wir niemals eine Naturwissenschaft bekommen und wäre keinerlei praktische Wirksamkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/29>, abgerufen am 22.07.2024.