Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Mein Haus Freier fühlen. Aus mancherlei Anzeichen möchte ich schließen, daß nicht, wie Weil das eine Fabrikanteuvolk in wahnsinniger Konkurrenz das andre Mein Haus Freier fühlen. Aus mancherlei Anzeichen möchte ich schließen, daß nicht, wie Weil das eine Fabrikanteuvolk in wahnsinniger Konkurrenz das andre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226517"/> <fw type="header" place="top"> Mein Haus</fw><lb/> <p xml:id="ID_694" prev="#ID_693"> Freier fühlen. Aus mancherlei Anzeichen möchte ich schließen, daß nicht, wie<lb/> es eine Zeit lang schien, die Mietkaserne das Haus der Zukunft sein wird,<lb/> sondern daß meiner Hoffnung immer mehr Aussicht auf Erfüllung winkt.<lb/> Der Verkehr wächst, der Raum wird immer leichter überwunden, das immer<lb/> enger werdende Eisenbahnnetz, die Pferdebahnen und die elektrischen Bahnen und<lb/> namentlich das Fahrrad, sie alle betrachte ich liebevoll als Verbündete. Immer<lb/> mehr verwischt sich der Gegensatz zwischen Stadt und Land, die Großstädte<lb/> werden vielleicht einmal vom Erdboden verschwinden, denn noch eins kommt<lb/> hinzu, etwas Wichtiges, was immer deutlicher erkannt wird. Otterberg scheint<lb/> nach seinem in Leipzig gehaltnen Vortrag „Deutschland als Industriestaat"<lb/> das, was auch ich hoffe, als notwendiges Entwicklungsergebnis sicher zu<lb/> erwarten: die Industriestaaten verlieren ein Volk nach dem andern als Kunden<lb/> und sehen unangenehm überrascht ihre bisherigen Abnehmer einen nach dem<lb/> andern als Konkurrenten auftreten. Schließlich können doch nicht alle Nationen<lb/> Fabrikanten für andre sein wollen, denn sie werden keine Käufer mehr haben.<lb/> Ackerbau und Gewerbe werden also einander wieder näher rücken und innerhalb<lb/> der Volksgenossenschaft für einander arbeiten müssen. Erfindungsgeist, tech¬<lb/> nisches Genie, Organisationstalent, die ein Jahrhundert lang fast nur der<lb/> Industrie gedient haben, werden sich wieder der ursprünglichsten Produktion,<lb/> der Bebauung des Bodens, mit größerm Vorteile und also vorzugsweise<lb/> widmen. Welche Vervollkommnung, welche Erleichterung, welch ungeahnten<lb/> Fortschritt uns dann vierzig, fünfzig Jahre bringen können, ist gar nicht<lb/> auszudenken, wenn man sich klar macht, mit welcher Bequemlichkeit wir<lb/> heute schon Kraft und Hände und jede Einrichtung überall hintragen können.<lb/> Ich erinnere mich, einmal die Behauptung gelesen zu haben, daß bei gesteigertem<lb/> Ackerbau ein Quadratmeter Boden genügen würde, eine Familie zu ernähren.<lb/> Mag das auch übertrieben sein, aber daß uns das nächste Jahrhundert auf<lb/> diesem Gebiete die Lösung von Problemen, die Antwort auf Fragen bringen<lb/> wird, die wir heute noch nicht einmal aufwerfen können, ist höchst wahr¬<lb/> scheinlich. Ein solcher Fortschritt in der Urproduktion aber, veranlaßt durch<lb/> den Zwang der Not, die immer die große Lehrmeisterin gewesen ist, eröffnet<lb/> glänzende Aussichten.</p><lb/> <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> Weil das eine Fabrikanteuvolk in wahnsinniger Konkurrenz das andre<lb/> unterbietet, um von den Kundenvölkern möglichst viel Aufträge zu bekommen,<lb/> ist die Industrie gezwungen, auf die Lebenshaltung ihrer Mitglieder, also der<lb/> Fabrikleiter, der Beamten, der Arbeiter zu drücken. Eine Industrie aber, die<lb/> schließlich nicht umhin kann, nach Deutschland Italiener, Tschechen, Polen,<lb/> vielleicht nächstens Chinesen hereinzurufen, weil die „billiger" sind, d. h. weil<lb/> sie verstehen, noch schlechter zu leben, und auf der andern Seite eine Land¬<lb/> wirtschaft, der die Preise ihrer Erzeugnisse von den Raubbau treibenden Vauer-<lb/> völkeru immer mehr heruntergedrückt werden, weil die die bezognen Industrie-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Mein Haus
Freier fühlen. Aus mancherlei Anzeichen möchte ich schließen, daß nicht, wie
es eine Zeit lang schien, die Mietkaserne das Haus der Zukunft sein wird,
sondern daß meiner Hoffnung immer mehr Aussicht auf Erfüllung winkt.
Der Verkehr wächst, der Raum wird immer leichter überwunden, das immer
enger werdende Eisenbahnnetz, die Pferdebahnen und die elektrischen Bahnen und
namentlich das Fahrrad, sie alle betrachte ich liebevoll als Verbündete. Immer
mehr verwischt sich der Gegensatz zwischen Stadt und Land, die Großstädte
werden vielleicht einmal vom Erdboden verschwinden, denn noch eins kommt
hinzu, etwas Wichtiges, was immer deutlicher erkannt wird. Otterberg scheint
nach seinem in Leipzig gehaltnen Vortrag „Deutschland als Industriestaat"
das, was auch ich hoffe, als notwendiges Entwicklungsergebnis sicher zu
erwarten: die Industriestaaten verlieren ein Volk nach dem andern als Kunden
und sehen unangenehm überrascht ihre bisherigen Abnehmer einen nach dem
andern als Konkurrenten auftreten. Schließlich können doch nicht alle Nationen
Fabrikanten für andre sein wollen, denn sie werden keine Käufer mehr haben.
Ackerbau und Gewerbe werden also einander wieder näher rücken und innerhalb
der Volksgenossenschaft für einander arbeiten müssen. Erfindungsgeist, tech¬
nisches Genie, Organisationstalent, die ein Jahrhundert lang fast nur der
Industrie gedient haben, werden sich wieder der ursprünglichsten Produktion,
der Bebauung des Bodens, mit größerm Vorteile und also vorzugsweise
widmen. Welche Vervollkommnung, welche Erleichterung, welch ungeahnten
Fortschritt uns dann vierzig, fünfzig Jahre bringen können, ist gar nicht
auszudenken, wenn man sich klar macht, mit welcher Bequemlichkeit wir
heute schon Kraft und Hände und jede Einrichtung überall hintragen können.
Ich erinnere mich, einmal die Behauptung gelesen zu haben, daß bei gesteigertem
Ackerbau ein Quadratmeter Boden genügen würde, eine Familie zu ernähren.
Mag das auch übertrieben sein, aber daß uns das nächste Jahrhundert auf
diesem Gebiete die Lösung von Problemen, die Antwort auf Fragen bringen
wird, die wir heute noch nicht einmal aufwerfen können, ist höchst wahr¬
scheinlich. Ein solcher Fortschritt in der Urproduktion aber, veranlaßt durch
den Zwang der Not, die immer die große Lehrmeisterin gewesen ist, eröffnet
glänzende Aussichten.
Weil das eine Fabrikanteuvolk in wahnsinniger Konkurrenz das andre
unterbietet, um von den Kundenvölkern möglichst viel Aufträge zu bekommen,
ist die Industrie gezwungen, auf die Lebenshaltung ihrer Mitglieder, also der
Fabrikleiter, der Beamten, der Arbeiter zu drücken. Eine Industrie aber, die
schließlich nicht umhin kann, nach Deutschland Italiener, Tschechen, Polen,
vielleicht nächstens Chinesen hereinzurufen, weil die „billiger" sind, d. h. weil
sie verstehen, noch schlechter zu leben, und auf der andern Seite eine Land¬
wirtschaft, der die Preise ihrer Erzeugnisse von den Raubbau treibenden Vauer-
völkeru immer mehr heruntergedrückt werden, weil die die bezognen Industrie-
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