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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Mein Haus

und ein wenig von dem eigentlichen Hausrecht hat man erst dann, wenn man
ein Schloß besitzt. Bei uns heißt es nicht, wie in England: Jedermanns Haus
ist seine Burg, sondern ungefähr: Hat einer eine Burg, so hat er allenfalls
ein Haus.

Ich bin jedenfalls schon sehr früh dieser pessimistischen Überzeugung ge¬
wesen. Wir wohnten im eignen Hause. Es stand in einer kleinen Stadt am
Markte, hatte einen großen Hof und unglaublich dicke Mauern und war ein
ganz imposantes Haus für das Nest. Es war seit langer Zeit im Mutter¬
stamme gewesen, und daß der Mutterstamm den stolzen Namen Krieger führte,
machte die ganze Sache dem Jungen natürlich noch viel imposanter; und den¬
noch -- die wahre Liebe war es uicht. Die Nachbarn waren zu nahe, sie konnten
hinten über die Planke sehen, und nebenan war sogar das Landratsamt --
nein, die wahre Liebe war das nicht; mein erster goldner Traum war viel¬
mehr ein Schloß am Meere. Noch spater, als der Lakaiensohn Friedrich Hase
uns jungen Dachsen ein großer Schauspieler und die künstlerische Verkörperung
aristokratischer Vornehmheit war, beneidete ich ihn immer, wenn er als Thvrane
sagen durfte "Mein Schloß am Meere mittelländisches." Dann, als ich älter
und bescheidner wurde und meine Zeitgenossen immer mehr lieben lernte, fing
ich an, mit dem Binnenland zufrieden zu fein und nahm mir vor, sobald ich
zweimal hintereinander das große Los gewinnen würde, im Hochwalde, mitten
in einem See mir ein Haus zu bauen; es muß schön sein, so zu wohnen und
zu wissen, daß drüben am Ufer keine Kähne sind.

Auch das ist eine ungestillte Sehnsucht geblieben und wird es wohl auch
bleiben, wenn ich nicht noch einmal recht viel Glück mit einem sehr guten
-- denn nur solche gefallen ja in Deutschland -- also mit einem sehr guten
Theaterstück habe. Ein Theaterstück müßte es schon sein, denn selbst die besten
Romane, und dazu gehören die meinigen bekanntlich unbestritten, bringen doch
nicht immer soviel ein, wie zweimal das große Los.

Wie mir, geht es aber Millionen ebenso guter Christen, denn abgesehen
davon, daß "hie und da einmal ein Glücklicher gewesen," kommen wir doch
alle von den berühmten tausend Masten auf das mühsam gerettete Boot. Es
wird sich also empfehlen, daß man nicht auf ein Schloß am Meer und nicht
auf das Haus im See wartet, sondern daß man so bald als möglich unter
irgend ein erträgliches, aber eignes Dach zu kommen sucht und dann an seinem
Teile dazu beiträgt, möglichst auch jedem andern im deutschen Vaterlande wieder
zu einem eignen Dach zu verhelfen. Selbst ein kleines Häuschen ist der Mühe
wert, wenn es auch, statt von Fels und Meer oder von den Fluten des
schützenden Sees, nur von dem Walle des Rechts umgeben ist, das für alle
wirklich gleich und stark genug ist, jede Willkür von der Schwelle fern zu
halten. Jeder "Wirt," so schwere Pflichten er auch für die Gesamtheit seiner
Volksgenossen mag tragen müssen, wird sich dann doch wieder als Herr und als


Mein Haus

und ein wenig von dem eigentlichen Hausrecht hat man erst dann, wenn man
ein Schloß besitzt. Bei uns heißt es nicht, wie in England: Jedermanns Haus
ist seine Burg, sondern ungefähr: Hat einer eine Burg, so hat er allenfalls
ein Haus.

Ich bin jedenfalls schon sehr früh dieser pessimistischen Überzeugung ge¬
wesen. Wir wohnten im eignen Hause. Es stand in einer kleinen Stadt am
Markte, hatte einen großen Hof und unglaublich dicke Mauern und war ein
ganz imposantes Haus für das Nest. Es war seit langer Zeit im Mutter¬
stamme gewesen, und daß der Mutterstamm den stolzen Namen Krieger führte,
machte die ganze Sache dem Jungen natürlich noch viel imposanter; und den¬
noch — die wahre Liebe war es uicht. Die Nachbarn waren zu nahe, sie konnten
hinten über die Planke sehen, und nebenan war sogar das Landratsamt —
nein, die wahre Liebe war das nicht; mein erster goldner Traum war viel¬
mehr ein Schloß am Meere. Noch spater, als der Lakaiensohn Friedrich Hase
uns jungen Dachsen ein großer Schauspieler und die künstlerische Verkörperung
aristokratischer Vornehmheit war, beneidete ich ihn immer, wenn er als Thvrane
sagen durfte „Mein Schloß am Meere mittelländisches." Dann, als ich älter
und bescheidner wurde und meine Zeitgenossen immer mehr lieben lernte, fing
ich an, mit dem Binnenland zufrieden zu fein und nahm mir vor, sobald ich
zweimal hintereinander das große Los gewinnen würde, im Hochwalde, mitten
in einem See mir ein Haus zu bauen; es muß schön sein, so zu wohnen und
zu wissen, daß drüben am Ufer keine Kähne sind.

Auch das ist eine ungestillte Sehnsucht geblieben und wird es wohl auch
bleiben, wenn ich nicht noch einmal recht viel Glück mit einem sehr guten
— denn nur solche gefallen ja in Deutschland — also mit einem sehr guten
Theaterstück habe. Ein Theaterstück müßte es schon sein, denn selbst die besten
Romane, und dazu gehören die meinigen bekanntlich unbestritten, bringen doch
nicht immer soviel ein, wie zweimal das große Los.

Wie mir, geht es aber Millionen ebenso guter Christen, denn abgesehen
davon, daß „hie und da einmal ein Glücklicher gewesen," kommen wir doch
alle von den berühmten tausend Masten auf das mühsam gerettete Boot. Es
wird sich also empfehlen, daß man nicht auf ein Schloß am Meer und nicht
auf das Haus im See wartet, sondern daß man so bald als möglich unter
irgend ein erträgliches, aber eignes Dach zu kommen sucht und dann an seinem
Teile dazu beiträgt, möglichst auch jedem andern im deutschen Vaterlande wieder
zu einem eignen Dach zu verhelfen. Selbst ein kleines Häuschen ist der Mühe
wert, wenn es auch, statt von Fels und Meer oder von den Fluten des
schützenden Sees, nur von dem Walle des Rechts umgeben ist, das für alle
wirklich gleich und stark genug ist, jede Willkür von der Schwelle fern zu
halten. Jeder „Wirt," so schwere Pflichten er auch für die Gesamtheit seiner
Volksgenossen mag tragen müssen, wird sich dann doch wieder als Herr und als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/286>, abgerufen am 26.06.2024.