Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mein Haus

es auf sie angekommen wäre, sind die Richter die Feigsten und die am weitesten
Zurückgebliebnen gewesen, abhängig von Fürsten, Grafen und Pfaffen, wie von
gerade herrschenden Vorurteilen und von verbreiteten Irrtümern. Der beste
Beweis, wie traurig es um unsre Rechtspflege bestellt gewesen ist, liegt darin,
daß ein Geheimbund wie die Vehme, im Grunde doch weiter nichts als eine
weitverbreitete, mächtige Verschwörung, die den Kampf gegen eine in Rechtsform
gebrachte Willkür aufgenommen hatte, jahrhundertelang eine gewaltige Macht
war, deren rächender Dolch, deren strafender Strick, weil ihnen gelegentlich auch
Mächtige verfielen, beim Volte noch heute im besten Andenken steht, während
man sich den Richter ungefähr so vorstellt, wie Kleist in seinen: Zerbrochenen
Krug einen dem Gelächter aller Zeiten preisgegeben hat.

Ich bin kein Verehrer des heutigen englischen Volkes, der englischen Politik
oder gar des englischen Carl, schon mehrere Engländer zusammen sind mir
gewöhnlich ungenießbar. Aber der einzelne Engländer hat sich von seinen
"angelsächsischen Vorvätern" löbliche Neste einer kräftigen Persönlichkeit, einer
offnen männlichen Art bewahrt, und Willkür oder Übergriffe der Polizei hat
er nie groß werden lassen. Das Recht eines Mannes, der Friede seines
Hauses durfte nie angetastet werden, und deshalb ist noch heute in England
der Wunsch, ein Familienhaus zu bewohnen, viel allgemeiner als auf dem
Festland. Es lohnt dort noch.

Das Streben des Engländers ist darauf gerichtet, ein iiKlöpsuclaut
MntlsinW zu werden und mit den Seinen im eignen Hause zu sitzen, das des
Deutschen geht dahin, "etwas zu werden," das heißt, irgend einen Titel zu
erlangen, der ihm, wie es scheint, erst einen Wert in seiner eignen Meinung
verleiht. In England heißt der Premierminister, also der eigentliche Leiter
des Weltreichs, in der Gesellschaft Mr. Gladstone und seine Frau Mrs. Glad-
stone; in Deutschland nehmen es einem der Gerichtsschreiber und seine Frau
übel, wenn man nicht vom Herrn Gerichtssekretär und der Frau Sekretärin
spricht. Auch das kommt zum großen Teil daher, daß der Deutsche nicht in
einem eingewachsenen, im Volksbewußtsein wurzelnden Recht, sondern unter un¬
endlich vielen geschriebnen, und zwar schlecht geschriebnen, ihn immer bedrohenden
Gesetzen lebt, daß er fast nie in seinem eignen, sondern in andrer Leute
Häusern wohnt.

Unsre Paragraphen über den Hausfriedensbruch sind gegen andre "Unter¬
thanen" ein recht mäßiger, gegen richterliche, namentlich aber gegen polizeiliche
Willkür gar kein Schutz. In England ist das Familienhaus geradezu selbst¬
verständlich für alle, die es sich nur irgend leisten können, für polizeilich
regierte Völker aber ist die Mietkaserne typisch. Das eigne Haus hat keinen
Wert, man drängt sich lieber zusammen, um Schutz gegen oder doch Zeugen
für Mißhandlungen zu haben. In Deutschland ist ein eignes Hans fast ein
Zeichen des Bevorrechteten, des besonders Begünstigten, des Reichen geworden,


Mein Haus

es auf sie angekommen wäre, sind die Richter die Feigsten und die am weitesten
Zurückgebliebnen gewesen, abhängig von Fürsten, Grafen und Pfaffen, wie von
gerade herrschenden Vorurteilen und von verbreiteten Irrtümern. Der beste
Beweis, wie traurig es um unsre Rechtspflege bestellt gewesen ist, liegt darin,
daß ein Geheimbund wie die Vehme, im Grunde doch weiter nichts als eine
weitverbreitete, mächtige Verschwörung, die den Kampf gegen eine in Rechtsform
gebrachte Willkür aufgenommen hatte, jahrhundertelang eine gewaltige Macht
war, deren rächender Dolch, deren strafender Strick, weil ihnen gelegentlich auch
Mächtige verfielen, beim Volte noch heute im besten Andenken steht, während
man sich den Richter ungefähr so vorstellt, wie Kleist in seinen: Zerbrochenen
Krug einen dem Gelächter aller Zeiten preisgegeben hat.

Ich bin kein Verehrer des heutigen englischen Volkes, der englischen Politik
oder gar des englischen Carl, schon mehrere Engländer zusammen sind mir
gewöhnlich ungenießbar. Aber der einzelne Engländer hat sich von seinen
„angelsächsischen Vorvätern" löbliche Neste einer kräftigen Persönlichkeit, einer
offnen männlichen Art bewahrt, und Willkür oder Übergriffe der Polizei hat
er nie groß werden lassen. Das Recht eines Mannes, der Friede seines
Hauses durfte nie angetastet werden, und deshalb ist noch heute in England
der Wunsch, ein Familienhaus zu bewohnen, viel allgemeiner als auf dem
Festland. Es lohnt dort noch.

Das Streben des Engländers ist darauf gerichtet, ein iiKlöpsuclaut
MntlsinW zu werden und mit den Seinen im eignen Hause zu sitzen, das des
Deutschen geht dahin, „etwas zu werden," das heißt, irgend einen Titel zu
erlangen, der ihm, wie es scheint, erst einen Wert in seiner eignen Meinung
verleiht. In England heißt der Premierminister, also der eigentliche Leiter
des Weltreichs, in der Gesellschaft Mr. Gladstone und seine Frau Mrs. Glad-
stone; in Deutschland nehmen es einem der Gerichtsschreiber und seine Frau
übel, wenn man nicht vom Herrn Gerichtssekretär und der Frau Sekretärin
spricht. Auch das kommt zum großen Teil daher, daß der Deutsche nicht in
einem eingewachsenen, im Volksbewußtsein wurzelnden Recht, sondern unter un¬
endlich vielen geschriebnen, und zwar schlecht geschriebnen, ihn immer bedrohenden
Gesetzen lebt, daß er fast nie in seinem eignen, sondern in andrer Leute
Häusern wohnt.

Unsre Paragraphen über den Hausfriedensbruch sind gegen andre „Unter¬
thanen" ein recht mäßiger, gegen richterliche, namentlich aber gegen polizeiliche
Willkür gar kein Schutz. In England ist das Familienhaus geradezu selbst¬
verständlich für alle, die es sich nur irgend leisten können, für polizeilich
regierte Völker aber ist die Mietkaserne typisch. Das eigne Haus hat keinen
Wert, man drängt sich lieber zusammen, um Schutz gegen oder doch Zeugen
für Mißhandlungen zu haben. In Deutschland ist ein eignes Hans fast ein
Zeichen des Bevorrechteten, des besonders Begünstigten, des Reichen geworden,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226515"/>
          <fw type="header" place="top"> Mein Haus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_686" prev="#ID_685"> es auf sie angekommen wäre, sind die Richter die Feigsten und die am weitesten<lb/>
Zurückgebliebnen gewesen, abhängig von Fürsten, Grafen und Pfaffen, wie von<lb/>
gerade herrschenden Vorurteilen und von verbreiteten Irrtümern. Der beste<lb/>
Beweis, wie traurig es um unsre Rechtspflege bestellt gewesen ist, liegt darin,<lb/>
daß ein Geheimbund wie die Vehme, im Grunde doch weiter nichts als eine<lb/>
weitverbreitete, mächtige Verschwörung, die den Kampf gegen eine in Rechtsform<lb/>
gebrachte Willkür aufgenommen hatte, jahrhundertelang eine gewaltige Macht<lb/>
war, deren rächender Dolch, deren strafender Strick, weil ihnen gelegentlich auch<lb/>
Mächtige verfielen, beim Volte noch heute im besten Andenken steht, während<lb/>
man sich den Richter ungefähr so vorstellt, wie Kleist in seinen: Zerbrochenen<lb/>
Krug einen dem Gelächter aller Zeiten preisgegeben hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_687"> Ich bin kein Verehrer des heutigen englischen Volkes, der englischen Politik<lb/>
oder gar des englischen Carl, schon mehrere Engländer zusammen sind mir<lb/>
gewöhnlich ungenießbar. Aber der einzelne Engländer hat sich von seinen<lb/>
&#x201E;angelsächsischen Vorvätern" löbliche Neste einer kräftigen Persönlichkeit, einer<lb/>
offnen männlichen Art bewahrt, und Willkür oder Übergriffe der Polizei hat<lb/>
er nie groß werden lassen. Das Recht eines Mannes, der Friede seines<lb/>
Hauses durfte nie angetastet werden, und deshalb ist noch heute in England<lb/>
der Wunsch, ein Familienhaus zu bewohnen, viel allgemeiner als auf dem<lb/>
Festland.  Es lohnt dort noch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_688"> Das Streben des Engländers ist darauf gerichtet, ein iiKlöpsuclaut<lb/>
MntlsinW zu werden und mit den Seinen im eignen Hause zu sitzen, das des<lb/>
Deutschen geht dahin, &#x201E;etwas zu werden," das heißt, irgend einen Titel zu<lb/>
erlangen, der ihm, wie es scheint, erst einen Wert in seiner eignen Meinung<lb/>
verleiht. In England heißt der Premierminister, also der eigentliche Leiter<lb/>
des Weltreichs, in der Gesellschaft Mr. Gladstone und seine Frau Mrs. Glad-<lb/>
stone; in Deutschland nehmen es einem der Gerichtsschreiber und seine Frau<lb/>
übel, wenn man nicht vom Herrn Gerichtssekretär und der Frau Sekretärin<lb/>
spricht. Auch das kommt zum großen Teil daher, daß der Deutsche nicht in<lb/>
einem eingewachsenen, im Volksbewußtsein wurzelnden Recht, sondern unter un¬<lb/>
endlich vielen geschriebnen, und zwar schlecht geschriebnen, ihn immer bedrohenden<lb/>
Gesetzen lebt, daß er fast nie in seinem eignen, sondern in andrer Leute<lb/>
Häusern wohnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_689" next="#ID_690"> Unsre Paragraphen über den Hausfriedensbruch sind gegen andre &#x201E;Unter¬<lb/>
thanen" ein recht mäßiger, gegen richterliche, namentlich aber gegen polizeiliche<lb/>
Willkür gar kein Schutz. In England ist das Familienhaus geradezu selbst¬<lb/>
verständlich für alle, die es sich nur irgend leisten können, für polizeilich<lb/>
regierte Völker aber ist die Mietkaserne typisch. Das eigne Haus hat keinen<lb/>
Wert, man drängt sich lieber zusammen, um Schutz gegen oder doch Zeugen<lb/>
für Mißhandlungen zu haben. In Deutschland ist ein eignes Hans fast ein<lb/>
Zeichen des Bevorrechteten, des besonders Begünstigten, des Reichen geworden,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0285] Mein Haus es auf sie angekommen wäre, sind die Richter die Feigsten und die am weitesten Zurückgebliebnen gewesen, abhängig von Fürsten, Grafen und Pfaffen, wie von gerade herrschenden Vorurteilen und von verbreiteten Irrtümern. Der beste Beweis, wie traurig es um unsre Rechtspflege bestellt gewesen ist, liegt darin, daß ein Geheimbund wie die Vehme, im Grunde doch weiter nichts als eine weitverbreitete, mächtige Verschwörung, die den Kampf gegen eine in Rechtsform gebrachte Willkür aufgenommen hatte, jahrhundertelang eine gewaltige Macht war, deren rächender Dolch, deren strafender Strick, weil ihnen gelegentlich auch Mächtige verfielen, beim Volte noch heute im besten Andenken steht, während man sich den Richter ungefähr so vorstellt, wie Kleist in seinen: Zerbrochenen Krug einen dem Gelächter aller Zeiten preisgegeben hat. Ich bin kein Verehrer des heutigen englischen Volkes, der englischen Politik oder gar des englischen Carl, schon mehrere Engländer zusammen sind mir gewöhnlich ungenießbar. Aber der einzelne Engländer hat sich von seinen „angelsächsischen Vorvätern" löbliche Neste einer kräftigen Persönlichkeit, einer offnen männlichen Art bewahrt, und Willkür oder Übergriffe der Polizei hat er nie groß werden lassen. Das Recht eines Mannes, der Friede seines Hauses durfte nie angetastet werden, und deshalb ist noch heute in England der Wunsch, ein Familienhaus zu bewohnen, viel allgemeiner als auf dem Festland. Es lohnt dort noch. Das Streben des Engländers ist darauf gerichtet, ein iiKlöpsuclaut MntlsinW zu werden und mit den Seinen im eignen Hause zu sitzen, das des Deutschen geht dahin, „etwas zu werden," das heißt, irgend einen Titel zu erlangen, der ihm, wie es scheint, erst einen Wert in seiner eignen Meinung verleiht. In England heißt der Premierminister, also der eigentliche Leiter des Weltreichs, in der Gesellschaft Mr. Gladstone und seine Frau Mrs. Glad- stone; in Deutschland nehmen es einem der Gerichtsschreiber und seine Frau übel, wenn man nicht vom Herrn Gerichtssekretär und der Frau Sekretärin spricht. Auch das kommt zum großen Teil daher, daß der Deutsche nicht in einem eingewachsenen, im Volksbewußtsein wurzelnden Recht, sondern unter un¬ endlich vielen geschriebnen, und zwar schlecht geschriebnen, ihn immer bedrohenden Gesetzen lebt, daß er fast nie in seinem eignen, sondern in andrer Leute Häusern wohnt. Unsre Paragraphen über den Hausfriedensbruch sind gegen andre „Unter¬ thanen" ein recht mäßiger, gegen richterliche, namentlich aber gegen polizeiliche Willkür gar kein Schutz. In England ist das Familienhaus geradezu selbst¬ verständlich für alle, die es sich nur irgend leisten können, für polizeilich regierte Völker aber ist die Mietkaserne typisch. Das eigne Haus hat keinen Wert, man drängt sich lieber zusammen, um Schutz gegen oder doch Zeugen für Mißhandlungen zu haben. In Deutschland ist ein eignes Hans fast ein Zeichen des Bevorrechteten, des besonders Begünstigten, des Reichen geworden,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/285
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/285>, abgerufen am 26.06.2024.