Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mein Hans

Veränderungen, wie sie die normanische Eroberung mit sich brachte, die den
gesamten Grund und Boden zum Feudnleigentum einiger tausend normannischer
Barone machte, dennoch die alte und unbedingte Achtung vor dem Hausfrieden
so völlig erhalten hat, daß noch Vlackstone sagen kann: ^ in-ins Iiouss i8 b.is
vkstlö, das Gesetz sieht das Hans des Engländers als seine Feste und Freistatt
an, worin er keine Gewalt zu leiden braucht. Das ist nicht etwa bloß eine
Redensart geworden, nein, jeder Engländer ist in seinem Hause gegen jegliche
Verfolgung, auch gegen die gesetzliche, gesichert, nur ganz bestimmte, hohe
Beamte haben das Recht zu Verhaftungen und zu Haussuchungen, und auch
dann schützen noch genaue formelle Vorschriften gegen jeden Mißbrauch. Sie
schützen wirklich, denn sie stehen nicht bloß ans dem Papier. Sehr gut
beleuchtet das der häufig angeführte bekannte Fall: ein Engländer wehrte in
seinem Hause eine Verhaftung ab, die nur durch eine falsche Titelbezeichnung
im Verhaftsbefehl fvrmwidrig war. Er wurde dabei von seinem Nachbar
unterstützt, und zwar so gewaltsam, daß dieser den Beamten tötete. Die Gerichte
erklärten aber trotz des Totschlags den Nachbar nicht nur für schuldlos, sondern
für wohlverdient "um die gesetzliche Ordnung und den Frieden der Bürger."

Bismarck hat einmal darüber geklagt, daß in Deutschland das Verhältnis
zwischen der Polizei und den Bürgern soviel schlechter sei als in England. In
England nehme das Publikum Partei für den Polizisten gegen den Verbrecher,
in Deutschland sei es fast umgekehrt. Es ist etwas wahres daran, aber aus
guten Gründen. Wir werden in Deutschland nächstens Schutzvereine gegen
die Schutzleute gründen müssen; in England vergißt kein Polizist jemals, daß
er der Diener des Volkes und des Gesetzes ist, und daß ihn, um einen
religiösen Ausdruck zu gebrauchen, der Teufel holt, wenn er das je vergißt.
Kommt es zum Streit und zur Untersuchung, so hat er genau so wie der
andre zu beweisen, was er sagt. Die Einrichtung, daß man unter allen Um¬
ständen dem Manne mehr glaubt, der zum Schutze und zum Dienste des
Bürgers angestellt ist, als dem Bürger selbst, würde dem Engländer noch heute
gerade so unbegreiflich vorkommen, wie es einem unsrer Ahnen vorgekommen
sein würde, wenn man das Zeugnis eines Büttels für gewichtiger gehalten
hätte als den Eid eines Freien. Die Engländer haben, unterstützt dnrch festere
Überlieferung und durch ihre Gerichte, ihre Polizisten zur Achtung vor eines
jeden Engländers Recht und vor eines jeden Engländers Haus erzogen.

Uns ist es schlechter gegangen. Die kontinentalen Germanen haben wohl
nicht genügend harte Köpfe und Fäuste dazu gehabt und sind vermutlich auch
immer von ihren Gerichten im Stich gelassen worden, denn die haben nie etwas
getaugt: sie siud -- wie ohne weiteres zugegeben werden soll, hauptsächlich
infolge der besondern traurigen politischen Entwicklung -- immer die rückgmt-
und gesinnungslosen Schergen großer und kleiner Herren gewesen. Barett und
Robe haben immer die Willkür auf Bestellung drapiren helfen. Immer, wo


Mein Hans

Veränderungen, wie sie die normanische Eroberung mit sich brachte, die den
gesamten Grund und Boden zum Feudnleigentum einiger tausend normannischer
Barone machte, dennoch die alte und unbedingte Achtung vor dem Hausfrieden
so völlig erhalten hat, daß noch Vlackstone sagen kann: ^ in-ins Iiouss i8 b.is
vkstlö, das Gesetz sieht das Hans des Engländers als seine Feste und Freistatt
an, worin er keine Gewalt zu leiden braucht. Das ist nicht etwa bloß eine
Redensart geworden, nein, jeder Engländer ist in seinem Hause gegen jegliche
Verfolgung, auch gegen die gesetzliche, gesichert, nur ganz bestimmte, hohe
Beamte haben das Recht zu Verhaftungen und zu Haussuchungen, und auch
dann schützen noch genaue formelle Vorschriften gegen jeden Mißbrauch. Sie
schützen wirklich, denn sie stehen nicht bloß ans dem Papier. Sehr gut
beleuchtet das der häufig angeführte bekannte Fall: ein Engländer wehrte in
seinem Hause eine Verhaftung ab, die nur durch eine falsche Titelbezeichnung
im Verhaftsbefehl fvrmwidrig war. Er wurde dabei von seinem Nachbar
unterstützt, und zwar so gewaltsam, daß dieser den Beamten tötete. Die Gerichte
erklärten aber trotz des Totschlags den Nachbar nicht nur für schuldlos, sondern
für wohlverdient „um die gesetzliche Ordnung und den Frieden der Bürger."

Bismarck hat einmal darüber geklagt, daß in Deutschland das Verhältnis
zwischen der Polizei und den Bürgern soviel schlechter sei als in England. In
England nehme das Publikum Partei für den Polizisten gegen den Verbrecher,
in Deutschland sei es fast umgekehrt. Es ist etwas wahres daran, aber aus
guten Gründen. Wir werden in Deutschland nächstens Schutzvereine gegen
die Schutzleute gründen müssen; in England vergißt kein Polizist jemals, daß
er der Diener des Volkes und des Gesetzes ist, und daß ihn, um einen
religiösen Ausdruck zu gebrauchen, der Teufel holt, wenn er das je vergißt.
Kommt es zum Streit und zur Untersuchung, so hat er genau so wie der
andre zu beweisen, was er sagt. Die Einrichtung, daß man unter allen Um¬
ständen dem Manne mehr glaubt, der zum Schutze und zum Dienste des
Bürgers angestellt ist, als dem Bürger selbst, würde dem Engländer noch heute
gerade so unbegreiflich vorkommen, wie es einem unsrer Ahnen vorgekommen
sein würde, wenn man das Zeugnis eines Büttels für gewichtiger gehalten
hätte als den Eid eines Freien. Die Engländer haben, unterstützt dnrch festere
Überlieferung und durch ihre Gerichte, ihre Polizisten zur Achtung vor eines
jeden Engländers Recht und vor eines jeden Engländers Haus erzogen.

Uns ist es schlechter gegangen. Die kontinentalen Germanen haben wohl
nicht genügend harte Köpfe und Fäuste dazu gehabt und sind vermutlich auch
immer von ihren Gerichten im Stich gelassen worden, denn die haben nie etwas
getaugt: sie siud — wie ohne weiteres zugegeben werden soll, hauptsächlich
infolge der besondern traurigen politischen Entwicklung — immer die rückgmt-
und gesinnungslosen Schergen großer und kleiner Herren gewesen. Barett und
Robe haben immer die Willkür auf Bestellung drapiren helfen. Immer, wo


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226514"/>
          <fw type="header" place="top"> Mein Hans</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_683" prev="#ID_682"> Veränderungen, wie sie die normanische Eroberung mit sich brachte, die den<lb/>
gesamten Grund und Boden zum Feudnleigentum einiger tausend normannischer<lb/>
Barone machte, dennoch die alte und unbedingte Achtung vor dem Hausfrieden<lb/>
so völlig erhalten hat, daß noch Vlackstone sagen kann: ^ in-ins Iiouss i8 b.is<lb/>
vkstlö, das Gesetz sieht das Hans des Engländers als seine Feste und Freistatt<lb/>
an, worin er keine Gewalt zu leiden braucht. Das ist nicht etwa bloß eine<lb/>
Redensart geworden, nein, jeder Engländer ist in seinem Hause gegen jegliche<lb/>
Verfolgung, auch gegen die gesetzliche, gesichert, nur ganz bestimmte, hohe<lb/>
Beamte haben das Recht zu Verhaftungen und zu Haussuchungen, und auch<lb/>
dann schützen noch genaue formelle Vorschriften gegen jeden Mißbrauch. Sie<lb/>
schützen wirklich, denn sie stehen nicht bloß ans dem Papier. Sehr gut<lb/>
beleuchtet das der häufig angeführte bekannte Fall: ein Engländer wehrte in<lb/>
seinem Hause eine Verhaftung ab, die nur durch eine falsche Titelbezeichnung<lb/>
im Verhaftsbefehl fvrmwidrig war. Er wurde dabei von seinem Nachbar<lb/>
unterstützt, und zwar so gewaltsam, daß dieser den Beamten tötete. Die Gerichte<lb/>
erklärten aber trotz des Totschlags den Nachbar nicht nur für schuldlos, sondern<lb/>
für wohlverdient &#x201E;um die gesetzliche Ordnung und den Frieden der Bürger."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_684"> Bismarck hat einmal darüber geklagt, daß in Deutschland das Verhältnis<lb/>
zwischen der Polizei und den Bürgern soviel schlechter sei als in England. In<lb/>
England nehme das Publikum Partei für den Polizisten gegen den Verbrecher,<lb/>
in Deutschland sei es fast umgekehrt. Es ist etwas wahres daran, aber aus<lb/>
guten Gründen. Wir werden in Deutschland nächstens Schutzvereine gegen<lb/>
die Schutzleute gründen müssen; in England vergißt kein Polizist jemals, daß<lb/>
er der Diener des Volkes und des Gesetzes ist, und daß ihn, um einen<lb/>
religiösen Ausdruck zu gebrauchen, der Teufel holt, wenn er das je vergißt.<lb/>
Kommt es zum Streit und zur Untersuchung, so hat er genau so wie der<lb/>
andre zu beweisen, was er sagt. Die Einrichtung, daß man unter allen Um¬<lb/>
ständen dem Manne mehr glaubt, der zum Schutze und zum Dienste des<lb/>
Bürgers angestellt ist, als dem Bürger selbst, würde dem Engländer noch heute<lb/>
gerade so unbegreiflich vorkommen, wie es einem unsrer Ahnen vorgekommen<lb/>
sein würde, wenn man das Zeugnis eines Büttels für gewichtiger gehalten<lb/>
hätte als den Eid eines Freien. Die Engländer haben, unterstützt dnrch festere<lb/>
Überlieferung und durch ihre Gerichte, ihre Polizisten zur Achtung vor eines<lb/>
jeden Engländers Recht und vor eines jeden Engländers Haus erzogen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Uns ist es schlechter gegangen. Die kontinentalen Germanen haben wohl<lb/>
nicht genügend harte Köpfe und Fäuste dazu gehabt und sind vermutlich auch<lb/>
immer von ihren Gerichten im Stich gelassen worden, denn die haben nie etwas<lb/>
getaugt: sie siud &#x2014; wie ohne weiteres zugegeben werden soll, hauptsächlich<lb/>
infolge der besondern traurigen politischen Entwicklung &#x2014; immer die rückgmt-<lb/>
und gesinnungslosen Schergen großer und kleiner Herren gewesen. Barett und<lb/>
Robe haben immer die Willkür auf Bestellung drapiren helfen.  Immer, wo</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0284] Mein Hans Veränderungen, wie sie die normanische Eroberung mit sich brachte, die den gesamten Grund und Boden zum Feudnleigentum einiger tausend normannischer Barone machte, dennoch die alte und unbedingte Achtung vor dem Hausfrieden so völlig erhalten hat, daß noch Vlackstone sagen kann: ^ in-ins Iiouss i8 b.is vkstlö, das Gesetz sieht das Hans des Engländers als seine Feste und Freistatt an, worin er keine Gewalt zu leiden braucht. Das ist nicht etwa bloß eine Redensart geworden, nein, jeder Engländer ist in seinem Hause gegen jegliche Verfolgung, auch gegen die gesetzliche, gesichert, nur ganz bestimmte, hohe Beamte haben das Recht zu Verhaftungen und zu Haussuchungen, und auch dann schützen noch genaue formelle Vorschriften gegen jeden Mißbrauch. Sie schützen wirklich, denn sie stehen nicht bloß ans dem Papier. Sehr gut beleuchtet das der häufig angeführte bekannte Fall: ein Engländer wehrte in seinem Hause eine Verhaftung ab, die nur durch eine falsche Titelbezeichnung im Verhaftsbefehl fvrmwidrig war. Er wurde dabei von seinem Nachbar unterstützt, und zwar so gewaltsam, daß dieser den Beamten tötete. Die Gerichte erklärten aber trotz des Totschlags den Nachbar nicht nur für schuldlos, sondern für wohlverdient „um die gesetzliche Ordnung und den Frieden der Bürger." Bismarck hat einmal darüber geklagt, daß in Deutschland das Verhältnis zwischen der Polizei und den Bürgern soviel schlechter sei als in England. In England nehme das Publikum Partei für den Polizisten gegen den Verbrecher, in Deutschland sei es fast umgekehrt. Es ist etwas wahres daran, aber aus guten Gründen. Wir werden in Deutschland nächstens Schutzvereine gegen die Schutzleute gründen müssen; in England vergißt kein Polizist jemals, daß er der Diener des Volkes und des Gesetzes ist, und daß ihn, um einen religiösen Ausdruck zu gebrauchen, der Teufel holt, wenn er das je vergißt. Kommt es zum Streit und zur Untersuchung, so hat er genau so wie der andre zu beweisen, was er sagt. Die Einrichtung, daß man unter allen Um¬ ständen dem Manne mehr glaubt, der zum Schutze und zum Dienste des Bürgers angestellt ist, als dem Bürger selbst, würde dem Engländer noch heute gerade so unbegreiflich vorkommen, wie es einem unsrer Ahnen vorgekommen sein würde, wenn man das Zeugnis eines Büttels für gewichtiger gehalten hätte als den Eid eines Freien. Die Engländer haben, unterstützt dnrch festere Überlieferung und durch ihre Gerichte, ihre Polizisten zur Achtung vor eines jeden Engländers Recht und vor eines jeden Engländers Haus erzogen. Uns ist es schlechter gegangen. Die kontinentalen Germanen haben wohl nicht genügend harte Köpfe und Fäuste dazu gehabt und sind vermutlich auch immer von ihren Gerichten im Stich gelassen worden, denn die haben nie etwas getaugt: sie siud — wie ohne weiteres zugegeben werden soll, hauptsächlich infolge der besondern traurigen politischen Entwicklung — immer die rückgmt- und gesinnungslosen Schergen großer und kleiner Herren gewesen. Barett und Robe haben immer die Willkür auf Bestellung drapiren helfen. Immer, wo

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/284
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/284>, abgerufen am 26.06.2024.