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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Mein Haus

will" umlügt. Frei ist ein dehnbares Wort. Wer nichts hat, nicht einmal
eine bleibende Stätte, der ist gewiß frei, aber -- fast vogelfrei. Frei im
eigentlichen, im Sinne unsrer germanischen Ahnen, ist nur, wer im eignen
Hause, auf eignem Hofe sitzt.

Mein Haus -- es ist ein merkwürdiger Klang in diesen beiden Worten.
Wer sie mit ruhigem Anstand sagen darf, der ist "frei," allerdings nicht frei
von Pflichten, wenigstens niemals von der, die Genossen seines Hauses und
Herdes unbedingt, unter allen Umständen zu schützen und dafür zu sorgen,
daß ihnen werde, was ihnen zukommt.

Die germanische Anschauung schätzt das eigne Haus sehr hoch. Es ist
etwas Liebevolles, Verehrendes in den Alliterationen "Haus und Herd," "Haus
und Hof," "Haus und Habe." Weder schweifende Zeltbewohner, noch solche, die
unter heißerer Sonne, in freigebigerer, gegen die Menschen milderer Natur
seßhaft waren, konnten ihr Haus so ganz mit ihrem Gefühl umschließen, es
in Sitte und Recht so hoch stellen wie die Germanen, die, Jäger und Acker¬
bauer zugleich, in rauhem Wald und auf karger Scholle saßen. Das ger¬
manische Haus ist in dem Bewußtsein des Volkes noch etwas ganz andres
als die römische clomus. Dem Germanen wurde der Begriff Haus zur Zu¬
sammenfassung der ganzen Familie, aller, die zu ihr gehören; ich und mein
Haus -- damit bezeichnete er sich und alle die Seinen. Später faßte man
alle Haupt- und Nebenlinien eines Geschlechts zusammen mit dem Worte
Gesamthaus. Wir sprechen von einem alten Hause, von fürstlichen Häusern
und bezeichnen damit durch Jahrhunderte folgende Geschlechterreihen.

Die Liebe zum eignen Hause war die Wurzel, aus der ebenso der kraft¬
volle Sinn für persönliche Freiheit wuchs wie der starke Gemeinsinn, das
lebhafte Gefühl für Stammeszugehörigkeit und Volksgenossenschaft. Denn
Familienleben im höhern Sinne wird erst im eignen Hause möglich, und erst
aus dem Familienleben hat sich alles Stammes-, Volks- und Staatsleben
entwickeln können.

Hochachtung vor eines Mannes Haus geht seit uralten Zeiten durch das
deutsche Recht. Der Sachsenspiegel hat für den Bruch des Hausfriedens
peinliche Strafen, und lange nachdem das römische Recht in Deutschland
aufgenommen worden war, blieben wenigstens Reste dieser ursprünglichen
Anschauung erhaltene Selbst der geordnete Richter durfte kein fremdes Haus
gegen den Willen des Herrn, des Wirts, betreten, solange sich der nur nicht
weigerte, sich und seine Hausgenossen dem Gerichte zu stellen. Diesen echt
germanischen Grundsatz haben sich allerdings von den germanischen Völkern
wohl nur die Engländer bewahrt, wie sich denn überhaupt das englische common
lap sehr ursprünglich und vom römischen Rechte frei erhalten hat. Man
bekommt eine große Meinung von der Kraft, die diesem common inne-
wohnen muß, wenn man zum Beispiel bedenkt, daß sich nach so ungeheuern


Grenzboten IV 1897 35
Mein Haus

will" umlügt. Frei ist ein dehnbares Wort. Wer nichts hat, nicht einmal
eine bleibende Stätte, der ist gewiß frei, aber — fast vogelfrei. Frei im
eigentlichen, im Sinne unsrer germanischen Ahnen, ist nur, wer im eignen
Hause, auf eignem Hofe sitzt.

Mein Haus — es ist ein merkwürdiger Klang in diesen beiden Worten.
Wer sie mit ruhigem Anstand sagen darf, der ist „frei," allerdings nicht frei
von Pflichten, wenigstens niemals von der, die Genossen seines Hauses und
Herdes unbedingt, unter allen Umständen zu schützen und dafür zu sorgen,
daß ihnen werde, was ihnen zukommt.

Die germanische Anschauung schätzt das eigne Haus sehr hoch. Es ist
etwas Liebevolles, Verehrendes in den Alliterationen „Haus und Herd," „Haus
und Hof," „Haus und Habe." Weder schweifende Zeltbewohner, noch solche, die
unter heißerer Sonne, in freigebigerer, gegen die Menschen milderer Natur
seßhaft waren, konnten ihr Haus so ganz mit ihrem Gefühl umschließen, es
in Sitte und Recht so hoch stellen wie die Germanen, die, Jäger und Acker¬
bauer zugleich, in rauhem Wald und auf karger Scholle saßen. Das ger¬
manische Haus ist in dem Bewußtsein des Volkes noch etwas ganz andres
als die römische clomus. Dem Germanen wurde der Begriff Haus zur Zu¬
sammenfassung der ganzen Familie, aller, die zu ihr gehören; ich und mein
Haus — damit bezeichnete er sich und alle die Seinen. Später faßte man
alle Haupt- und Nebenlinien eines Geschlechts zusammen mit dem Worte
Gesamthaus. Wir sprechen von einem alten Hause, von fürstlichen Häusern
und bezeichnen damit durch Jahrhunderte folgende Geschlechterreihen.

Die Liebe zum eignen Hause war die Wurzel, aus der ebenso der kraft¬
volle Sinn für persönliche Freiheit wuchs wie der starke Gemeinsinn, das
lebhafte Gefühl für Stammeszugehörigkeit und Volksgenossenschaft. Denn
Familienleben im höhern Sinne wird erst im eignen Hause möglich, und erst
aus dem Familienleben hat sich alles Stammes-, Volks- und Staatsleben
entwickeln können.

Hochachtung vor eines Mannes Haus geht seit uralten Zeiten durch das
deutsche Recht. Der Sachsenspiegel hat für den Bruch des Hausfriedens
peinliche Strafen, und lange nachdem das römische Recht in Deutschland
aufgenommen worden war, blieben wenigstens Reste dieser ursprünglichen
Anschauung erhaltene Selbst der geordnete Richter durfte kein fremdes Haus
gegen den Willen des Herrn, des Wirts, betreten, solange sich der nur nicht
weigerte, sich und seine Hausgenossen dem Gerichte zu stellen. Diesen echt
germanischen Grundsatz haben sich allerdings von den germanischen Völkern
wohl nur die Engländer bewahrt, wie sich denn überhaupt das englische common
lap sehr ursprünglich und vom römischen Rechte frei erhalten hat. Man
bekommt eine große Meinung von der Kraft, die diesem common inne-
wohnen muß, wenn man zum Beispiel bedenkt, daß sich nach so ungeheuern


Grenzboten IV 1897 35
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/283>, abgerufen am 26.06.2024.