Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Mein Haus
Theodor Duimchen von

ben habe ich das Buch eines öden Philisters gelesen, in dem er,
mit Vermeidung auch des kleinsten eignen Gedankens, über die
von ihm bejahte Frage gähnt, ob man sich ein eignes Haus
bauen solle, und das hat mir wieder einmal Nietzsches Satz ins
Gedächtnis zurückgerufen, worin der Präger von Herrenworte"
sagt, daß es geradezu zu seinem Glücke gehöre, kein Hans zu haben, und daß
er sich nur dann froh zu Tische setze, wenn er esse, wie die Vögel essen, die
ab- und zufliegen, wo allen gedeckt ist. In das Deutsch des Werkeltags über¬
setzt, heißt das: der Einsiedler von Sils Maria, der einsam ragende Geist,
der sich "immer über diesem Volke" fühlte, wünscht zur Miete zu wohnen
und in der Kneipe zu essen. Unfaßlich! Ihm, dem nur die Herren der Rede
wert sind, müßte doch das eigne Hans, die Voraussetzung und der Anfang
zu irgend einem Herrentum, sehr hoch im Preise stellen.

Ich nehme die Partei des Philisters: was Nietzsche sagt, ist nur eine
seiner augenblicklichen Wahrheiten, ein Satz, der aus einer gewissen Stimmung
heraus richtig ist. Keine andre Lektüre als die Nietzsches macht einem so
schnell und so vollkommen klar, daß das entgegengesetzte vstsris iinxarivus
gleich wahr sein kann. Er widerlegt sich aber deshalb anch -- eben "das
Übrige ungleich" angenommen -- fast immer selbst. An einer andern Stelle
weist er geistvoll nach, wie sich die Herrschsüchtigen, die aber im Kampfe um
die Macht unterlegen sind, auf den Trost der Resignation zurückziehen und
stolz darauf werden, daß sie unabhängig sind. Er belacht diesen traurigen
Ersatz der Herrschaft: nicht daß ich unabhängig von andrer Willen bin, sondern
daß ich auf ganze Geschlechter und Zeiten meinen Willen drücke wie in Wachs,
heißt leben.

Kein Haus aber und keinen Herd haben, ist der Wunsch der Bettelmönche,
der Derwische, der Schlechtweggekommenen, der Verzichtenden. Wer nicht Haus
uoch Herd, nicht Kind noch Kegel hat, nichts wünscht und nichts bedarf, der
ist ja gewiß frei, aber solche Freiheit wurzelt nicht mehr auf dieser Erde. Um
es etwas gröblich auszudrücken: es ist das "Du mußt" der Gcbrochnen, der
Schwachen und der Feigen, das der letzte Nest ihrer Eitelkeit zu einem "Ich




Mein Haus
Theodor Duimchen von

ben habe ich das Buch eines öden Philisters gelesen, in dem er,
mit Vermeidung auch des kleinsten eignen Gedankens, über die
von ihm bejahte Frage gähnt, ob man sich ein eignes Haus
bauen solle, und das hat mir wieder einmal Nietzsches Satz ins
Gedächtnis zurückgerufen, worin der Präger von Herrenworte»
sagt, daß es geradezu zu seinem Glücke gehöre, kein Hans zu haben, und daß
er sich nur dann froh zu Tische setze, wenn er esse, wie die Vögel essen, die
ab- und zufliegen, wo allen gedeckt ist. In das Deutsch des Werkeltags über¬
setzt, heißt das: der Einsiedler von Sils Maria, der einsam ragende Geist,
der sich „immer über diesem Volke" fühlte, wünscht zur Miete zu wohnen
und in der Kneipe zu essen. Unfaßlich! Ihm, dem nur die Herren der Rede
wert sind, müßte doch das eigne Hans, die Voraussetzung und der Anfang
zu irgend einem Herrentum, sehr hoch im Preise stellen.

Ich nehme die Partei des Philisters: was Nietzsche sagt, ist nur eine
seiner augenblicklichen Wahrheiten, ein Satz, der aus einer gewissen Stimmung
heraus richtig ist. Keine andre Lektüre als die Nietzsches macht einem so
schnell und so vollkommen klar, daß das entgegengesetzte vstsris iinxarivus
gleich wahr sein kann. Er widerlegt sich aber deshalb anch — eben „das
Übrige ungleich" angenommen — fast immer selbst. An einer andern Stelle
weist er geistvoll nach, wie sich die Herrschsüchtigen, die aber im Kampfe um
die Macht unterlegen sind, auf den Trost der Resignation zurückziehen und
stolz darauf werden, daß sie unabhängig sind. Er belacht diesen traurigen
Ersatz der Herrschaft: nicht daß ich unabhängig von andrer Willen bin, sondern
daß ich auf ganze Geschlechter und Zeiten meinen Willen drücke wie in Wachs,
heißt leben.

Kein Haus aber und keinen Herd haben, ist der Wunsch der Bettelmönche,
der Derwische, der Schlechtweggekommenen, der Verzichtenden. Wer nicht Haus
uoch Herd, nicht Kind noch Kegel hat, nichts wünscht und nichts bedarf, der
ist ja gewiß frei, aber solche Freiheit wurzelt nicht mehr auf dieser Erde. Um
es etwas gröblich auszudrücken: es ist das „Du mußt" der Gcbrochnen, der
Schwachen und der Feigen, das der letzte Nest ihrer Eitelkeit zu einem „Ich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226512"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341865_226231/figures/grenzboten_341865_226231_226512_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Mein Haus<lb/><note type="byline"> Theodor Duimchen</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_675"> ben habe ich das Buch eines öden Philisters gelesen, in dem er,<lb/>
mit Vermeidung auch des kleinsten eignen Gedankens, über die<lb/>
von ihm bejahte Frage gähnt, ob man sich ein eignes Haus<lb/>
bauen solle, und das hat mir wieder einmal Nietzsches Satz ins<lb/>
Gedächtnis zurückgerufen, worin der Präger von Herrenworte»<lb/>
sagt, daß es geradezu zu seinem Glücke gehöre, kein Hans zu haben, und daß<lb/>
er sich nur dann froh zu Tische setze, wenn er esse, wie die Vögel essen, die<lb/>
ab- und zufliegen, wo allen gedeckt ist. In das Deutsch des Werkeltags über¬<lb/>
setzt, heißt das: der Einsiedler von Sils Maria, der einsam ragende Geist,<lb/>
der sich &#x201E;immer über diesem Volke" fühlte, wünscht zur Miete zu wohnen<lb/>
und in der Kneipe zu essen. Unfaßlich! Ihm, dem nur die Herren der Rede<lb/>
wert sind, müßte doch das eigne Hans, die Voraussetzung und der Anfang<lb/>
zu irgend einem Herrentum, sehr hoch im Preise stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_676"> Ich nehme die Partei des Philisters: was Nietzsche sagt, ist nur eine<lb/>
seiner augenblicklichen Wahrheiten, ein Satz, der aus einer gewissen Stimmung<lb/>
heraus richtig ist. Keine andre Lektüre als die Nietzsches macht einem so<lb/>
schnell und so vollkommen klar, daß das entgegengesetzte vstsris iinxarivus<lb/>
gleich wahr sein kann. Er widerlegt sich aber deshalb anch &#x2014; eben &#x201E;das<lb/>
Übrige ungleich" angenommen &#x2014; fast immer selbst. An einer andern Stelle<lb/>
weist er geistvoll nach, wie sich die Herrschsüchtigen, die aber im Kampfe um<lb/>
die Macht unterlegen sind, auf den Trost der Resignation zurückziehen und<lb/>
stolz darauf werden, daß sie unabhängig sind. Er belacht diesen traurigen<lb/>
Ersatz der Herrschaft: nicht daß ich unabhängig von andrer Willen bin, sondern<lb/>
daß ich auf ganze Geschlechter und Zeiten meinen Willen drücke wie in Wachs,<lb/>
heißt leben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_677" next="#ID_678"> Kein Haus aber und keinen Herd haben, ist der Wunsch der Bettelmönche,<lb/>
der Derwische, der Schlechtweggekommenen, der Verzichtenden. Wer nicht Haus<lb/>
uoch Herd, nicht Kind noch Kegel hat, nichts wünscht und nichts bedarf, der<lb/>
ist ja gewiß frei, aber solche Freiheit wurzelt nicht mehr auf dieser Erde. Um<lb/>
es etwas gröblich auszudrücken: es ist das &#x201E;Du mußt" der Gcbrochnen, der<lb/>
Schwachen und der Feigen, das der letzte Nest ihrer Eitelkeit zu einem &#x201E;Ich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] [Abbildung] Mein Haus Theodor Duimchen von ben habe ich das Buch eines öden Philisters gelesen, in dem er, mit Vermeidung auch des kleinsten eignen Gedankens, über die von ihm bejahte Frage gähnt, ob man sich ein eignes Haus bauen solle, und das hat mir wieder einmal Nietzsches Satz ins Gedächtnis zurückgerufen, worin der Präger von Herrenworte» sagt, daß es geradezu zu seinem Glücke gehöre, kein Hans zu haben, und daß er sich nur dann froh zu Tische setze, wenn er esse, wie die Vögel essen, die ab- und zufliegen, wo allen gedeckt ist. In das Deutsch des Werkeltags über¬ setzt, heißt das: der Einsiedler von Sils Maria, der einsam ragende Geist, der sich „immer über diesem Volke" fühlte, wünscht zur Miete zu wohnen und in der Kneipe zu essen. Unfaßlich! Ihm, dem nur die Herren der Rede wert sind, müßte doch das eigne Hans, die Voraussetzung und der Anfang zu irgend einem Herrentum, sehr hoch im Preise stellen. Ich nehme die Partei des Philisters: was Nietzsche sagt, ist nur eine seiner augenblicklichen Wahrheiten, ein Satz, der aus einer gewissen Stimmung heraus richtig ist. Keine andre Lektüre als die Nietzsches macht einem so schnell und so vollkommen klar, daß das entgegengesetzte vstsris iinxarivus gleich wahr sein kann. Er widerlegt sich aber deshalb anch — eben „das Übrige ungleich" angenommen — fast immer selbst. An einer andern Stelle weist er geistvoll nach, wie sich die Herrschsüchtigen, die aber im Kampfe um die Macht unterlegen sind, auf den Trost der Resignation zurückziehen und stolz darauf werden, daß sie unabhängig sind. Er belacht diesen traurigen Ersatz der Herrschaft: nicht daß ich unabhängig von andrer Willen bin, sondern daß ich auf ganze Geschlechter und Zeiten meinen Willen drücke wie in Wachs, heißt leben. Kein Haus aber und keinen Herd haben, ist der Wunsch der Bettelmönche, der Derwische, der Schlechtweggekommenen, der Verzichtenden. Wer nicht Haus uoch Herd, nicht Kind noch Kegel hat, nichts wünscht und nichts bedarf, der ist ja gewiß frei, aber solche Freiheit wurzelt nicht mehr auf dieser Erde. Um es etwas gröblich auszudrücken: es ist das „Du mußt" der Gcbrochnen, der Schwachen und der Feigen, das der letzte Nest ihrer Eitelkeit zu einem „Ich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/282>, abgerufen am 26.06.2024.