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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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legen, als es der Ultramontanismus thut. Aber die parteipolitische Stellung
der Masse der jüdischen Kaufleute ist auch für uns ein trauriger Beweis poli¬
tischer Unreife und immer noch mangelnder unabhängiger mannhafter deutscher
Gesinnung. Diese Herren dürfen sich wahrhaftig nicht beklagen, wenn sie auch
weiter schlecht behandelt werden, nachdem sie in bekannter Rührigkeit in den
Groß-, Mittel- und Kleinstädter des Ostens das Spießbürgertum wieder einmal
zum Kampf gegen die Pläne und Absichten des Kaisers an die Wahlurne
geschleppt haben, denn wer dumm ist, der muß geprügelt werden. Von
den Männern der Freisinnigen Vereinigung kann man Wohl absehen; sie
sind ja Flottenfreunde, freilich mit vielen Wenn und Aber, und vor allem gar
zu ohnmächtig, um recht zu interessiren. So bleiben noch übrig die National-
liberalen und -- das ist der Humor bei der Sache -- die im Herzen gut agra¬
rischen Konservativen. Die Flotte soll bewilligt werden von den Agrariern,
den programmgemäß geschwornen Feinden des überseeischen Handels. Man
braucht auf die Unvernunft dieser Feindschaft nicht weiter einzugehen, die That¬
sache genügt zur Charakterisirung der unnatürlichen, für den Pariser Ug.tin
aussichtsreichen Lage. Auch das Ungeschick, mit dem zum Teil "von oben
herab" in diesem Falle wieder für die kaiserlichen Pläne durch Sammlungen
in patriotischen Vereinen u. dergl. gearbeitet zu werden scheint, sei nur bei¬
läufig erwähnt.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die nächsten Reichstagswahlen keine Mehr¬
heit sür die Handelsvertrags- und Flottenpolitik ergeben werden. Aber man
darf zum Kaiser und zu den Verbündeten Regierungen das feste Vertrauen
haben, daß sie trotzdem das gebotne Ziel zum Segen des Reichs und zum Ge¬
deihen unsrer nationalen Wirtschaft verfolgen werden. Zunächst gilt der Kampf
der Verworrenheit der Anschauungen und des Parteiwesens, und in ihm ist
Klarheit und Offenheit auf Seiten der Regierung natürlich das beste, ja
in diesem Falle das einzig wirksame Mittel. Zu verschleiern ist an dem Ziele
nach anßen hin nichts. Das Ziel liegt in dem Nahmen der Friedenspolitik, die
das Reich seit Jahrzehnten verfolgt, und es ist der Sympathien vieler Mil¬
lionen in aller Herren Ländern sicher, die in dem Jsolirungssystem unter dem
Zeichen des Verkehrs die Unnatur und die Unvernunft erkennen und ihren
Schaden sehen. Wer auf Schlagworte schwört, und auf wen Schlagworte wie
das rote Tuch auf den Stier wirken, mit dem ist im Ernst über so ernste Dinge
nicht mehr zu reden. Die Parole sei: Ein starkes deutsches Reich und eine
starke deutsche Flotte die Vormacht gesunden Freihandels im Weltverkehr!




legen, als es der Ultramontanismus thut. Aber die parteipolitische Stellung
der Masse der jüdischen Kaufleute ist auch für uns ein trauriger Beweis poli¬
tischer Unreife und immer noch mangelnder unabhängiger mannhafter deutscher
Gesinnung. Diese Herren dürfen sich wahrhaftig nicht beklagen, wenn sie auch
weiter schlecht behandelt werden, nachdem sie in bekannter Rührigkeit in den
Groß-, Mittel- und Kleinstädter des Ostens das Spießbürgertum wieder einmal
zum Kampf gegen die Pläne und Absichten des Kaisers an die Wahlurne
geschleppt haben, denn wer dumm ist, der muß geprügelt werden. Von
den Männern der Freisinnigen Vereinigung kann man Wohl absehen; sie
sind ja Flottenfreunde, freilich mit vielen Wenn und Aber, und vor allem gar
zu ohnmächtig, um recht zu interessiren. So bleiben noch übrig die National-
liberalen und — das ist der Humor bei der Sache — die im Herzen gut agra¬
rischen Konservativen. Die Flotte soll bewilligt werden von den Agrariern,
den programmgemäß geschwornen Feinden des überseeischen Handels. Man
braucht auf die Unvernunft dieser Feindschaft nicht weiter einzugehen, die That¬
sache genügt zur Charakterisirung der unnatürlichen, für den Pariser Ug.tin
aussichtsreichen Lage. Auch das Ungeschick, mit dem zum Teil „von oben
herab" in diesem Falle wieder für die kaiserlichen Pläne durch Sammlungen
in patriotischen Vereinen u. dergl. gearbeitet zu werden scheint, sei nur bei¬
läufig erwähnt.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die nächsten Reichstagswahlen keine Mehr¬
heit sür die Handelsvertrags- und Flottenpolitik ergeben werden. Aber man
darf zum Kaiser und zu den Verbündeten Regierungen das feste Vertrauen
haben, daß sie trotzdem das gebotne Ziel zum Segen des Reichs und zum Ge¬
deihen unsrer nationalen Wirtschaft verfolgen werden. Zunächst gilt der Kampf
der Verworrenheit der Anschauungen und des Parteiwesens, und in ihm ist
Klarheit und Offenheit auf Seiten der Regierung natürlich das beste, ja
in diesem Falle das einzig wirksame Mittel. Zu verschleiern ist an dem Ziele
nach anßen hin nichts. Das Ziel liegt in dem Nahmen der Friedenspolitik, die
das Reich seit Jahrzehnten verfolgt, und es ist der Sympathien vieler Mil¬
lionen in aller Herren Ländern sicher, die in dem Jsolirungssystem unter dem
Zeichen des Verkehrs die Unnatur und die Unvernunft erkennen und ihren
Schaden sehen. Wer auf Schlagworte schwört, und auf wen Schlagworte wie
das rote Tuch auf den Stier wirken, mit dem ist im Ernst über so ernste Dinge
nicht mehr zu reden. Die Parole sei: Ein starkes deutsches Reich und eine
starke deutsche Flotte die Vormacht gesunden Freihandels im Weltverkehr!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/281>, abgerufen am 26.06.2024.