Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Handelsverträge und die Llottenfrage

groß, als daß er nicht einsähe, welch gewaltige Kräftigung dem deutschen
Reiche durch die Verwirklichung der Flottenpläne des Kaisers erwachsen würde,
und welches Rieseninteresse der ultramontane Katholizismus an der Schwäche,
an dem Zerfall, an dem Untergange des deutschen Reiches hat. Man täusche
sich doch endlich nicht mehr über diesen Interessengegensatz, und ebenso wenig
über die Energie und Rührigkeit der päpstlichen Politik in der Verfolgung
ihrer Interessen, in der Bekämpfung ihres mit Recht bestgehaßten Feindes
unter den weltlichen Mächten. Wie wunderbar paßt die Preußenfresserei
in Süddeutschland deu Herren im Vatikan in ihren Kram, umso mehr, je
harmloser wir die ultramontanen Finger dabei übersehen! Gegen Deutsch¬
land hat ja auch der Papst nicht das geringste, nur gegen die preußische
Führung. Deutsches Land unter slowenischer, polnischer, tschechischer Herr¬
schaft, das wäre die größte Freude für Rom. Vielleicht wäre es auch eine
gute Schule, wen" sich die überlaut werdenden Preußenfresser im Süden einmal
eine Zeit lang an Osterreich anschließen könnten. Wenigstens könnte man diesem
Übermaß preußenfeindlichen Lärms eine solche Strafe von Herzen gönnen -- man
brauchte dazu wahrhaftig gar nicht blind gegen preußisches Ungeschick und
preußische Fehler zu sein. Jedenfalls können die französischen Hoffnungen auf
die Süddeutschen, soweit sie dem ultramontanen Machtbereich angehören, in
der Flottenfrage heute sicher rechnen. Der Ultramontanismus ist der weit
stärkere und unerbittlichere und zuverlässigere Feind des deutschen Reichs
und jeder für die ferne Zukunft seine Existenz sichernden Politik als die
ganze internationale Sozialdemokratie zusammengenommen. Und wie steht es
mit der deutscheu Demokratie, dem alten Fortschritt und seinen Nachfolgern
und Gesinnungsgenossen unter den Parteien? Würde es der Franzose wohl
glauben, daß diese fast ganz von Kaufleuten gebildete oder doch beherrschte
Gruppe der deutschen Wählerschaft entschlossen ist, gegen die Flotte zu kämpfen,
daß immer noch der deutsche Handelsstand in seiner großen Mehrzahl der
grundsätzlichen Opposition und Rechthaberei des Deutschfreisiuns am Narrenseil
nachläuft? Wer das "Milieu" dieser Partei nicht von Angesicht zu Angesicht
kennen gelernt hat, der kann das am allerwenigsten begreifen. Die leidige
Verfahrenheit der Judenfrage in Deutschland spielt dabei eine bedeutende Rolle.
Zum guten Teil verdankt der Deutschfreisinn unzweifelhaft dem Antisemitismus
den Fortbestand seines Einflusses, aber die jüdische Kaufmannschaft, die doch
sonst nicht dumm ist, thäte wahrhaftig klüger daran, die Abwehr der antise¬
mitischen Roheit nicht länger unter dem Banner Eugen Richters zu versuchen
bis zu einem Grade, den unser französischer Gewährsmann in der Flottenfrage,
mit Recht so, wie er es gethan hat, gekennzeichnet hat. Wir weisen den Ge¬
danken um internationale Bestrebungen der Juden wie in dieser Frage so über¬
haupt entschieden zurück; die internationale Solidarität des Judentums scheint
uns überhaupt nicht allzuweit her zu sein, sie würde dem deutschen Patrio¬
tismus des Einzelnen jedenfalls viel weniger Schwierigkeiten in den Weg


Handelsverträge und die Llottenfrage

groß, als daß er nicht einsähe, welch gewaltige Kräftigung dem deutschen
Reiche durch die Verwirklichung der Flottenpläne des Kaisers erwachsen würde,
und welches Rieseninteresse der ultramontane Katholizismus an der Schwäche,
an dem Zerfall, an dem Untergange des deutschen Reiches hat. Man täusche
sich doch endlich nicht mehr über diesen Interessengegensatz, und ebenso wenig
über die Energie und Rührigkeit der päpstlichen Politik in der Verfolgung
ihrer Interessen, in der Bekämpfung ihres mit Recht bestgehaßten Feindes
unter den weltlichen Mächten. Wie wunderbar paßt die Preußenfresserei
in Süddeutschland deu Herren im Vatikan in ihren Kram, umso mehr, je
harmloser wir die ultramontanen Finger dabei übersehen! Gegen Deutsch¬
land hat ja auch der Papst nicht das geringste, nur gegen die preußische
Führung. Deutsches Land unter slowenischer, polnischer, tschechischer Herr¬
schaft, das wäre die größte Freude für Rom. Vielleicht wäre es auch eine
gute Schule, wen» sich die überlaut werdenden Preußenfresser im Süden einmal
eine Zeit lang an Osterreich anschließen könnten. Wenigstens könnte man diesem
Übermaß preußenfeindlichen Lärms eine solche Strafe von Herzen gönnen — man
brauchte dazu wahrhaftig gar nicht blind gegen preußisches Ungeschick und
preußische Fehler zu sein. Jedenfalls können die französischen Hoffnungen auf
die Süddeutschen, soweit sie dem ultramontanen Machtbereich angehören, in
der Flottenfrage heute sicher rechnen. Der Ultramontanismus ist der weit
stärkere und unerbittlichere und zuverlässigere Feind des deutschen Reichs
und jeder für die ferne Zukunft seine Existenz sichernden Politik als die
ganze internationale Sozialdemokratie zusammengenommen. Und wie steht es
mit der deutscheu Demokratie, dem alten Fortschritt und seinen Nachfolgern
und Gesinnungsgenossen unter den Parteien? Würde es der Franzose wohl
glauben, daß diese fast ganz von Kaufleuten gebildete oder doch beherrschte
Gruppe der deutschen Wählerschaft entschlossen ist, gegen die Flotte zu kämpfen,
daß immer noch der deutsche Handelsstand in seiner großen Mehrzahl der
grundsätzlichen Opposition und Rechthaberei des Deutschfreisiuns am Narrenseil
nachläuft? Wer das „Milieu" dieser Partei nicht von Angesicht zu Angesicht
kennen gelernt hat, der kann das am allerwenigsten begreifen. Die leidige
Verfahrenheit der Judenfrage in Deutschland spielt dabei eine bedeutende Rolle.
Zum guten Teil verdankt der Deutschfreisinn unzweifelhaft dem Antisemitismus
den Fortbestand seines Einflusses, aber die jüdische Kaufmannschaft, die doch
sonst nicht dumm ist, thäte wahrhaftig klüger daran, die Abwehr der antise¬
mitischen Roheit nicht länger unter dem Banner Eugen Richters zu versuchen
bis zu einem Grade, den unser französischer Gewährsmann in der Flottenfrage,
mit Recht so, wie er es gethan hat, gekennzeichnet hat. Wir weisen den Ge¬
danken um internationale Bestrebungen der Juden wie in dieser Frage so über¬
haupt entschieden zurück; die internationale Solidarität des Judentums scheint
uns überhaupt nicht allzuweit her zu sein, sie würde dem deutschen Patrio¬
tismus des Einzelnen jedenfalls viel weniger Schwierigkeiten in den Weg


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226510"/>
          <fw type="header" place="top"> Handelsverträge und die Llottenfrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_672" prev="#ID_671" next="#ID_673"> groß, als daß er nicht einsähe, welch gewaltige Kräftigung dem deutschen<lb/>
Reiche durch die Verwirklichung der Flottenpläne des Kaisers erwachsen würde,<lb/>
und welches Rieseninteresse der ultramontane Katholizismus an der Schwäche,<lb/>
an dem Zerfall, an dem Untergange des deutschen Reiches hat. Man täusche<lb/>
sich doch endlich nicht mehr über diesen Interessengegensatz, und ebenso wenig<lb/>
über die Energie und Rührigkeit der päpstlichen Politik in der Verfolgung<lb/>
ihrer Interessen, in der Bekämpfung ihres mit Recht bestgehaßten Feindes<lb/>
unter den weltlichen Mächten. Wie wunderbar paßt die Preußenfresserei<lb/>
in Süddeutschland deu Herren im Vatikan in ihren Kram, umso mehr, je<lb/>
harmloser wir die ultramontanen Finger dabei übersehen! Gegen Deutsch¬<lb/>
land hat ja auch der Papst nicht das geringste, nur gegen die preußische<lb/>
Führung. Deutsches Land unter slowenischer, polnischer, tschechischer Herr¬<lb/>
schaft, das wäre die größte Freude für Rom. Vielleicht wäre es auch eine<lb/>
gute Schule, wen» sich die überlaut werdenden Preußenfresser im Süden einmal<lb/>
eine Zeit lang an Osterreich anschließen könnten. Wenigstens könnte man diesem<lb/>
Übermaß preußenfeindlichen Lärms eine solche Strafe von Herzen gönnen &#x2014; man<lb/>
brauchte dazu wahrhaftig gar nicht blind gegen preußisches Ungeschick und<lb/>
preußische Fehler zu sein. Jedenfalls können die französischen Hoffnungen auf<lb/>
die Süddeutschen, soweit sie dem ultramontanen Machtbereich angehören, in<lb/>
der Flottenfrage heute sicher rechnen. Der Ultramontanismus ist der weit<lb/>
stärkere und unerbittlichere und zuverlässigere Feind des deutschen Reichs<lb/>
und jeder für die ferne Zukunft seine Existenz sichernden Politik als die<lb/>
ganze internationale Sozialdemokratie zusammengenommen. Und wie steht es<lb/>
mit der deutscheu Demokratie, dem alten Fortschritt und seinen Nachfolgern<lb/>
und Gesinnungsgenossen unter den Parteien? Würde es der Franzose wohl<lb/>
glauben, daß diese fast ganz von Kaufleuten gebildete oder doch beherrschte<lb/>
Gruppe der deutschen Wählerschaft entschlossen ist, gegen die Flotte zu kämpfen,<lb/>
daß immer noch der deutsche Handelsstand in seiner großen Mehrzahl der<lb/>
grundsätzlichen Opposition und Rechthaberei des Deutschfreisiuns am Narrenseil<lb/>
nachläuft? Wer das &#x201E;Milieu" dieser Partei nicht von Angesicht zu Angesicht<lb/>
kennen gelernt hat, der kann das am allerwenigsten begreifen. Die leidige<lb/>
Verfahrenheit der Judenfrage in Deutschland spielt dabei eine bedeutende Rolle.<lb/>
Zum guten Teil verdankt der Deutschfreisinn unzweifelhaft dem Antisemitismus<lb/>
den Fortbestand seines Einflusses, aber die jüdische Kaufmannschaft, die doch<lb/>
sonst nicht dumm ist, thäte wahrhaftig klüger daran, die Abwehr der antise¬<lb/>
mitischen Roheit nicht länger unter dem Banner Eugen Richters zu versuchen<lb/>
bis zu einem Grade, den unser französischer Gewährsmann in der Flottenfrage,<lb/>
mit Recht so, wie er es gethan hat, gekennzeichnet hat. Wir weisen den Ge¬<lb/>
danken um internationale Bestrebungen der Juden wie in dieser Frage so über¬<lb/>
haupt entschieden zurück; die internationale Solidarität des Judentums scheint<lb/>
uns überhaupt nicht allzuweit her zu sein, sie würde dem deutschen Patrio¬<lb/>
tismus des Einzelnen jedenfalls viel weniger Schwierigkeiten in den Weg</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] Handelsverträge und die Llottenfrage groß, als daß er nicht einsähe, welch gewaltige Kräftigung dem deutschen Reiche durch die Verwirklichung der Flottenpläne des Kaisers erwachsen würde, und welches Rieseninteresse der ultramontane Katholizismus an der Schwäche, an dem Zerfall, an dem Untergange des deutschen Reiches hat. Man täusche sich doch endlich nicht mehr über diesen Interessengegensatz, und ebenso wenig über die Energie und Rührigkeit der päpstlichen Politik in der Verfolgung ihrer Interessen, in der Bekämpfung ihres mit Recht bestgehaßten Feindes unter den weltlichen Mächten. Wie wunderbar paßt die Preußenfresserei in Süddeutschland deu Herren im Vatikan in ihren Kram, umso mehr, je harmloser wir die ultramontanen Finger dabei übersehen! Gegen Deutsch¬ land hat ja auch der Papst nicht das geringste, nur gegen die preußische Führung. Deutsches Land unter slowenischer, polnischer, tschechischer Herr¬ schaft, das wäre die größte Freude für Rom. Vielleicht wäre es auch eine gute Schule, wen» sich die überlaut werdenden Preußenfresser im Süden einmal eine Zeit lang an Osterreich anschließen könnten. Wenigstens könnte man diesem Übermaß preußenfeindlichen Lärms eine solche Strafe von Herzen gönnen — man brauchte dazu wahrhaftig gar nicht blind gegen preußisches Ungeschick und preußische Fehler zu sein. Jedenfalls können die französischen Hoffnungen auf die Süddeutschen, soweit sie dem ultramontanen Machtbereich angehören, in der Flottenfrage heute sicher rechnen. Der Ultramontanismus ist der weit stärkere und unerbittlichere und zuverlässigere Feind des deutschen Reichs und jeder für die ferne Zukunft seine Existenz sichernden Politik als die ganze internationale Sozialdemokratie zusammengenommen. Und wie steht es mit der deutscheu Demokratie, dem alten Fortschritt und seinen Nachfolgern und Gesinnungsgenossen unter den Parteien? Würde es der Franzose wohl glauben, daß diese fast ganz von Kaufleuten gebildete oder doch beherrschte Gruppe der deutschen Wählerschaft entschlossen ist, gegen die Flotte zu kämpfen, daß immer noch der deutsche Handelsstand in seiner großen Mehrzahl der grundsätzlichen Opposition und Rechthaberei des Deutschfreisiuns am Narrenseil nachläuft? Wer das „Milieu" dieser Partei nicht von Angesicht zu Angesicht kennen gelernt hat, der kann das am allerwenigsten begreifen. Die leidige Verfahrenheit der Judenfrage in Deutschland spielt dabei eine bedeutende Rolle. Zum guten Teil verdankt der Deutschfreisinn unzweifelhaft dem Antisemitismus den Fortbestand seines Einflusses, aber die jüdische Kaufmannschaft, die doch sonst nicht dumm ist, thäte wahrhaftig klüger daran, die Abwehr der antise¬ mitischen Roheit nicht länger unter dem Banner Eugen Richters zu versuchen bis zu einem Grade, den unser französischer Gewährsmann in der Flottenfrage, mit Recht so, wie er es gethan hat, gekennzeichnet hat. Wir weisen den Ge¬ danken um internationale Bestrebungen der Juden wie in dieser Frage so über¬ haupt entschieden zurück; die internationale Solidarität des Judentums scheint uns überhaupt nicht allzuweit her zu sein, sie würde dem deutschen Patrio¬ tismus des Einzelnen jedenfalls viel weniger Schwierigkeiten in den Weg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/280>, abgerufen am 26.06.2024.