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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Handelsverträge und die Flottenfrage

starke Flotte in allererster Linie nötig. Je eher und je kräftiger es an diese
gewaltige Mission herangeht, umso nachhaltiger wird es dem Weltfrieden
dienen, um so sicherer seine nationale Existenz vor den furchtbaren Gefahren
bewahren, die für uns mit der Notwendigkeit, in einem Weltkriege die Rolle
des Eroberers gegen alle Welt zu spielen, verbunden sein müssen. Das muß
das leitende Programm in der Handelsvertrags- wie in der Flotteupolitik der
nächsten Zukunft werden, das große Ziel des ganzen Plans. Alle Einzelheiten
haben sich ihm anzupassen; selbst ein Zollkrieg, selbst Einfuhrverbote können
ihm unter Umständen taktisch dienstbar werden, und selbstverständlich ist auf die
Wirtschaftszweige, die augenblicklich, auch infolge der bisherigen Schutzpolitik,
wirklich schutzbedürftig sind, alle Rücksicht zu nehmen. Es ist sicher, daß die
im praktischen Wirtschaftsleben stehenden Kreise, Landwirte, Gewerbtreibende,
Kaufleute und die Arbeiter selbst, wenn sie sich nur einmal vou der Suggestion
der akademisch erfundnen und parteitaktisch verwerteten Schlagworte losmachen
könnten, dem natürlichen und notwendigen Zusammenhange der Handelsvertrags¬
und der Flotteupolitik volles Verständnis entgegenbringen und einmütig hinter
den Plänen des Kaisers stehen würden. Aber die Voraussetzung trifft eben
nicht zu. Mag auch die akademische Verranntheit nur wenig Einfluß haben,
die Parteiverrnnntheit herrscht mehr als je, obgleich die alten Parteigefüge in
allen Fugen knacken.

Wie in einer Berliner Zeitung zu lesen war, hat sich kürzlich ein nam¬
hafter französischer Politiker im Pariser Nadir folgendermaßen ausgelassen:
"Und weshalb will Kaiser Wilhelm durchaus die deutsche Kriegsmarine weiter
entwickeln? Weil die Entwicklung des Handels und der Industrie in Deutsch¬
land eine außerordentliche Ausdehnung der Handelsmarine herbeigeführt hat,
weil der größte Handelshafen der alten Welt sich nicht mehr in England,
sondern in Deutschland befindet, und weil Kriegsschiffe nötig sind, um so un¬
geheure Handelsinteressen zu schützen. Man kann nicht einmal ernstlich hoffen,
daß die Deutschen dumm genug sein werden, einen Reichstag nach Berlin zu
schicken, der entschlossen ist, mit dem Kaiser über eine Frage zu streiten, bei
der der Monarch den gesunden Menschenverstand und den wahren Instinkt
nationaler Interessen auf seiner Seite hat."

Der französische Herr braucht die Hoffnung auf die Dummheit der
Deutschen durchaus noch nicht aufzugeben, wenigstens sprechen alle Aus¬
sichten dafür. Man kann von den Sozialdemokraten ganz absehen, die in
solchen Fragen als Verhängnis hinzunehmen sind, ohne daß man nach den
Gründen für ihr in diesem Falle sicher zu erwartendes ablehnendes Votum
zu fragen braucht. Das Zentrum rühmt sich, die ausschlaggebende Partei
zu sein, und es zählt verständige gute deutsche Leute in seinen Reihen, die,
sich selbst folgend, unzweifelhaft die Hoffnung des Franzosen zu Schande
machen würden. Auch im ganzen ist das Zentrum nicht dumm, aber im ganzen
folgt es eben dem Papst in Rom; und dessen Klugheit ist leider viel zu


Handelsverträge und die Flottenfrage

starke Flotte in allererster Linie nötig. Je eher und je kräftiger es an diese
gewaltige Mission herangeht, umso nachhaltiger wird es dem Weltfrieden
dienen, um so sicherer seine nationale Existenz vor den furchtbaren Gefahren
bewahren, die für uns mit der Notwendigkeit, in einem Weltkriege die Rolle
des Eroberers gegen alle Welt zu spielen, verbunden sein müssen. Das muß
das leitende Programm in der Handelsvertrags- wie in der Flotteupolitik der
nächsten Zukunft werden, das große Ziel des ganzen Plans. Alle Einzelheiten
haben sich ihm anzupassen; selbst ein Zollkrieg, selbst Einfuhrverbote können
ihm unter Umständen taktisch dienstbar werden, und selbstverständlich ist auf die
Wirtschaftszweige, die augenblicklich, auch infolge der bisherigen Schutzpolitik,
wirklich schutzbedürftig sind, alle Rücksicht zu nehmen. Es ist sicher, daß die
im praktischen Wirtschaftsleben stehenden Kreise, Landwirte, Gewerbtreibende,
Kaufleute und die Arbeiter selbst, wenn sie sich nur einmal vou der Suggestion
der akademisch erfundnen und parteitaktisch verwerteten Schlagworte losmachen
könnten, dem natürlichen und notwendigen Zusammenhange der Handelsvertrags¬
und der Flotteupolitik volles Verständnis entgegenbringen und einmütig hinter
den Plänen des Kaisers stehen würden. Aber die Voraussetzung trifft eben
nicht zu. Mag auch die akademische Verranntheit nur wenig Einfluß haben,
die Parteiverrnnntheit herrscht mehr als je, obgleich die alten Parteigefüge in
allen Fugen knacken.

Wie in einer Berliner Zeitung zu lesen war, hat sich kürzlich ein nam¬
hafter französischer Politiker im Pariser Nadir folgendermaßen ausgelassen:
„Und weshalb will Kaiser Wilhelm durchaus die deutsche Kriegsmarine weiter
entwickeln? Weil die Entwicklung des Handels und der Industrie in Deutsch¬
land eine außerordentliche Ausdehnung der Handelsmarine herbeigeführt hat,
weil der größte Handelshafen der alten Welt sich nicht mehr in England,
sondern in Deutschland befindet, und weil Kriegsschiffe nötig sind, um so un¬
geheure Handelsinteressen zu schützen. Man kann nicht einmal ernstlich hoffen,
daß die Deutschen dumm genug sein werden, einen Reichstag nach Berlin zu
schicken, der entschlossen ist, mit dem Kaiser über eine Frage zu streiten, bei
der der Monarch den gesunden Menschenverstand und den wahren Instinkt
nationaler Interessen auf seiner Seite hat."

Der französische Herr braucht die Hoffnung auf die Dummheit der
Deutschen durchaus noch nicht aufzugeben, wenigstens sprechen alle Aus¬
sichten dafür. Man kann von den Sozialdemokraten ganz absehen, die in
solchen Fragen als Verhängnis hinzunehmen sind, ohne daß man nach den
Gründen für ihr in diesem Falle sicher zu erwartendes ablehnendes Votum
zu fragen braucht. Das Zentrum rühmt sich, die ausschlaggebende Partei
zu sein, und es zählt verständige gute deutsche Leute in seinen Reihen, die,
sich selbst folgend, unzweifelhaft die Hoffnung des Franzosen zu Schande
machen würden. Auch im ganzen ist das Zentrum nicht dumm, aber im ganzen
folgt es eben dem Papst in Rom; und dessen Klugheit ist leider viel zu


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[0279] Handelsverträge und die Flottenfrage starke Flotte in allererster Linie nötig. Je eher und je kräftiger es an diese gewaltige Mission herangeht, umso nachhaltiger wird es dem Weltfrieden dienen, um so sicherer seine nationale Existenz vor den furchtbaren Gefahren bewahren, die für uns mit der Notwendigkeit, in einem Weltkriege die Rolle des Eroberers gegen alle Welt zu spielen, verbunden sein müssen. Das muß das leitende Programm in der Handelsvertrags- wie in der Flotteupolitik der nächsten Zukunft werden, das große Ziel des ganzen Plans. Alle Einzelheiten haben sich ihm anzupassen; selbst ein Zollkrieg, selbst Einfuhrverbote können ihm unter Umständen taktisch dienstbar werden, und selbstverständlich ist auf die Wirtschaftszweige, die augenblicklich, auch infolge der bisherigen Schutzpolitik, wirklich schutzbedürftig sind, alle Rücksicht zu nehmen. Es ist sicher, daß die im praktischen Wirtschaftsleben stehenden Kreise, Landwirte, Gewerbtreibende, Kaufleute und die Arbeiter selbst, wenn sie sich nur einmal vou der Suggestion der akademisch erfundnen und parteitaktisch verwerteten Schlagworte losmachen könnten, dem natürlichen und notwendigen Zusammenhange der Handelsvertrags¬ und der Flotteupolitik volles Verständnis entgegenbringen und einmütig hinter den Plänen des Kaisers stehen würden. Aber die Voraussetzung trifft eben nicht zu. Mag auch die akademische Verranntheit nur wenig Einfluß haben, die Parteiverrnnntheit herrscht mehr als je, obgleich die alten Parteigefüge in allen Fugen knacken. Wie in einer Berliner Zeitung zu lesen war, hat sich kürzlich ein nam¬ hafter französischer Politiker im Pariser Nadir folgendermaßen ausgelassen: „Und weshalb will Kaiser Wilhelm durchaus die deutsche Kriegsmarine weiter entwickeln? Weil die Entwicklung des Handels und der Industrie in Deutsch¬ land eine außerordentliche Ausdehnung der Handelsmarine herbeigeführt hat, weil der größte Handelshafen der alten Welt sich nicht mehr in England, sondern in Deutschland befindet, und weil Kriegsschiffe nötig sind, um so un¬ geheure Handelsinteressen zu schützen. Man kann nicht einmal ernstlich hoffen, daß die Deutschen dumm genug sein werden, einen Reichstag nach Berlin zu schicken, der entschlossen ist, mit dem Kaiser über eine Frage zu streiten, bei der der Monarch den gesunden Menschenverstand und den wahren Instinkt nationaler Interessen auf seiner Seite hat." Der französische Herr braucht die Hoffnung auf die Dummheit der Deutschen durchaus noch nicht aufzugeben, wenigstens sprechen alle Aus¬ sichten dafür. Man kann von den Sozialdemokraten ganz absehen, die in solchen Fragen als Verhängnis hinzunehmen sind, ohne daß man nach den Gründen für ihr in diesem Falle sicher zu erwartendes ablehnendes Votum zu fragen braucht. Das Zentrum rühmt sich, die ausschlaggebende Partei zu sein, und es zählt verständige gute deutsche Leute in seinen Reihen, die, sich selbst folgend, unzweifelhaft die Hoffnung des Franzosen zu Schande machen würden. Auch im ganzen ist das Zentrum nicht dumm, aber im ganzen folgt es eben dem Papst in Rom; und dessen Klugheit ist leider viel zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/279>, abgerufen am 26.06.2024.