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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Handelsverträge und die Flottenfrage

Flotteupolitik entweder nur die Absperrung unsrer Seegrenzen von heute als
Zweck der Kriegsmarine anerkennen oder die Ausdehnung der Staatsgrenzen
durch überseeische Eroberungen. Das sind Ideen, die zur Zeit die Verfolgung
naher, klar erkennbarer Ziele in der deutschen Handelspolitik leicht mehr stören
als fordern können, zumal in einer Wahlkampagne. Zunächst handelt es sich
darum, die Absatzgebiete für unsre Exportindustrie zu sichern und zu erweiter",
auch ohne Eroberungskriege gegen die ganze Welt, durch eine kluge Handels-
vertrcigspvlitik und eine energische Flottenpolitik. Es gilt, nicht unsre Nord-
uud Ostseeküsten allem zu schützen gegen die Vergewaltigung der "großen
Reiche" im Sinne Chamberlains, sondern alle Küsten der Welt, die die großen
Reiche noch nicht vergewaltigt haben. Es giebt noch viele Küsten und viele
reiche Länder und Völker in der Welt, die gar keine Lust haben, sich von
einem großen Reiche erobern zu lassen, auch von Deutschland nicht, die aber
nur durch eine starke deutsche Seemacht vor der Unterjochung durch andre
bewahrt bleibe" können.

Bismarck hat sehr Recht, wenn er es in gewissen Sinne beklagt, daß
man bisher in der Kolonialpolitik nicht dem Kaufmann die Vorhand ge¬
lassen, sondern Armee und Marine in erster Linie als Kolonisatoren verwendet
habe. Das wird wahrscheinlich auch in Zukunft richtig bleibe", sogar bei der
etwa zur Verteilung kommenden chinesischen Beute. Etwas ganz andres ist
es natürlich mit der Erwerbung, Besetzung und Befestigung hinreichend zahl¬
reicher, gut gelegner Stütz- und Schutzpunkte für unsre Kriegs- und Handels¬
flotte in der Ferne, und deshalb war z. B. die Lage in Samoa immer im
höchsten Grade zu bedauern. Wenn man die Notwendigkeit der Flottenver-
mehrung durch den Hinweis ans Eroberungszüge begründet, so ist das schlimmste
dabei, daß man damit den Resten der überzeugten deutscheu Manchcsterleute,
die in ihrer echt deutschen Konsequenz jeden Schutz des Handels durch die
Kriegsmarine als schädliche Staatseinmischuug und Protektion grundsätzlich
ablehnen, Wasser auf die Mühle gießt, ihnen vielleicht gar in der praktisch
zur Entscheidung stehenden Frage bei den Neichstagswahlen Oberwasser
verschafft, ein so unvernünftiger Widerspruch auch es bei rechtem Lichte be¬
sehen ist, eine Handelsvertragspolitik im freihändlerischen Sinne zu fordern
und gegen die Flottenvermehrung zu eifern. Hier und dort führt die leidige
Einseitigkeit und Prinzipienreiterei zu Widersprüche", auf der einen Seite zu
dem Verlangen nach Einschränkung, ja "ach Vernichtung der Exportindustrie und
des auswärtigen Handels bei gleichzeitiger Flottenbegeisterung, auf der andern
Seite zum Kampf gegen die Flotte, bei gleichzeitiger Begeisterung für absolute
Handelsfreiheit. Und doch liegt das praktische Bedürfnis klar da: Deutschland
muß, wenn es nicht zu Schande" werden will, die Absatzgebiete seiner Export¬
industrie erweitern und sichern, es hat mehr als irgend ein großes Kulturland
der Welt Grund, für die Wiedererstarkung freihändlcrischer Grundsätze im
interimticmalen Güteraustausch den Kampf aufzunehmen, und dazu ist eine


Handelsverträge und die Flottenfrage

Flotteupolitik entweder nur die Absperrung unsrer Seegrenzen von heute als
Zweck der Kriegsmarine anerkennen oder die Ausdehnung der Staatsgrenzen
durch überseeische Eroberungen. Das sind Ideen, die zur Zeit die Verfolgung
naher, klar erkennbarer Ziele in der deutschen Handelspolitik leicht mehr stören
als fordern können, zumal in einer Wahlkampagne. Zunächst handelt es sich
darum, die Absatzgebiete für unsre Exportindustrie zu sichern und zu erweiter»,
auch ohne Eroberungskriege gegen die ganze Welt, durch eine kluge Handels-
vertrcigspvlitik und eine energische Flottenpolitik. Es gilt, nicht unsre Nord-
uud Ostseeküsten allem zu schützen gegen die Vergewaltigung der „großen
Reiche" im Sinne Chamberlains, sondern alle Küsten der Welt, die die großen
Reiche noch nicht vergewaltigt haben. Es giebt noch viele Küsten und viele
reiche Länder und Völker in der Welt, die gar keine Lust haben, sich von
einem großen Reiche erobern zu lassen, auch von Deutschland nicht, die aber
nur durch eine starke deutsche Seemacht vor der Unterjochung durch andre
bewahrt bleibe» können.

Bismarck hat sehr Recht, wenn er es in gewissen Sinne beklagt, daß
man bisher in der Kolonialpolitik nicht dem Kaufmann die Vorhand ge¬
lassen, sondern Armee und Marine in erster Linie als Kolonisatoren verwendet
habe. Das wird wahrscheinlich auch in Zukunft richtig bleibe», sogar bei der
etwa zur Verteilung kommenden chinesischen Beute. Etwas ganz andres ist
es natürlich mit der Erwerbung, Besetzung und Befestigung hinreichend zahl¬
reicher, gut gelegner Stütz- und Schutzpunkte für unsre Kriegs- und Handels¬
flotte in der Ferne, und deshalb war z. B. die Lage in Samoa immer im
höchsten Grade zu bedauern. Wenn man die Notwendigkeit der Flottenver-
mehrung durch den Hinweis ans Eroberungszüge begründet, so ist das schlimmste
dabei, daß man damit den Resten der überzeugten deutscheu Manchcsterleute,
die in ihrer echt deutschen Konsequenz jeden Schutz des Handels durch die
Kriegsmarine als schädliche Staatseinmischuug und Protektion grundsätzlich
ablehnen, Wasser auf die Mühle gießt, ihnen vielleicht gar in der praktisch
zur Entscheidung stehenden Frage bei den Neichstagswahlen Oberwasser
verschafft, ein so unvernünftiger Widerspruch auch es bei rechtem Lichte be¬
sehen ist, eine Handelsvertragspolitik im freihändlerischen Sinne zu fordern
und gegen die Flottenvermehrung zu eifern. Hier und dort führt die leidige
Einseitigkeit und Prinzipienreiterei zu Widersprüche», auf der einen Seite zu
dem Verlangen nach Einschränkung, ja »ach Vernichtung der Exportindustrie und
des auswärtigen Handels bei gleichzeitiger Flottenbegeisterung, auf der andern
Seite zum Kampf gegen die Flotte, bei gleichzeitiger Begeisterung für absolute
Handelsfreiheit. Und doch liegt das praktische Bedürfnis klar da: Deutschland
muß, wenn es nicht zu Schande» werden will, die Absatzgebiete seiner Export¬
industrie erweitern und sichern, es hat mehr als irgend ein großes Kulturland
der Welt Grund, für die Wiedererstarkung freihändlcrischer Grundsätze im
interimticmalen Güteraustausch den Kampf aufzunehmen, und dazu ist eine


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[0278] Handelsverträge und die Flottenfrage Flotteupolitik entweder nur die Absperrung unsrer Seegrenzen von heute als Zweck der Kriegsmarine anerkennen oder die Ausdehnung der Staatsgrenzen durch überseeische Eroberungen. Das sind Ideen, die zur Zeit die Verfolgung naher, klar erkennbarer Ziele in der deutschen Handelspolitik leicht mehr stören als fordern können, zumal in einer Wahlkampagne. Zunächst handelt es sich darum, die Absatzgebiete für unsre Exportindustrie zu sichern und zu erweiter», auch ohne Eroberungskriege gegen die ganze Welt, durch eine kluge Handels- vertrcigspvlitik und eine energische Flottenpolitik. Es gilt, nicht unsre Nord- uud Ostseeküsten allem zu schützen gegen die Vergewaltigung der „großen Reiche" im Sinne Chamberlains, sondern alle Küsten der Welt, die die großen Reiche noch nicht vergewaltigt haben. Es giebt noch viele Küsten und viele reiche Länder und Völker in der Welt, die gar keine Lust haben, sich von einem großen Reiche erobern zu lassen, auch von Deutschland nicht, die aber nur durch eine starke deutsche Seemacht vor der Unterjochung durch andre bewahrt bleibe» können. Bismarck hat sehr Recht, wenn er es in gewissen Sinne beklagt, daß man bisher in der Kolonialpolitik nicht dem Kaufmann die Vorhand ge¬ lassen, sondern Armee und Marine in erster Linie als Kolonisatoren verwendet habe. Das wird wahrscheinlich auch in Zukunft richtig bleibe», sogar bei der etwa zur Verteilung kommenden chinesischen Beute. Etwas ganz andres ist es natürlich mit der Erwerbung, Besetzung und Befestigung hinreichend zahl¬ reicher, gut gelegner Stütz- und Schutzpunkte für unsre Kriegs- und Handels¬ flotte in der Ferne, und deshalb war z. B. die Lage in Samoa immer im höchsten Grade zu bedauern. Wenn man die Notwendigkeit der Flottenver- mehrung durch den Hinweis ans Eroberungszüge begründet, so ist das schlimmste dabei, daß man damit den Resten der überzeugten deutscheu Manchcsterleute, die in ihrer echt deutschen Konsequenz jeden Schutz des Handels durch die Kriegsmarine als schädliche Staatseinmischuug und Protektion grundsätzlich ablehnen, Wasser auf die Mühle gießt, ihnen vielleicht gar in der praktisch zur Entscheidung stehenden Frage bei den Neichstagswahlen Oberwasser verschafft, ein so unvernünftiger Widerspruch auch es bei rechtem Lichte be¬ sehen ist, eine Handelsvertragspolitik im freihändlerischen Sinne zu fordern und gegen die Flottenvermehrung zu eifern. Hier und dort führt die leidige Einseitigkeit und Prinzipienreiterei zu Widersprüche», auf der einen Seite zu dem Verlangen nach Einschränkung, ja »ach Vernichtung der Exportindustrie und des auswärtigen Handels bei gleichzeitiger Flottenbegeisterung, auf der andern Seite zum Kampf gegen die Flotte, bei gleichzeitiger Begeisterung für absolute Handelsfreiheit. Und doch liegt das praktische Bedürfnis klar da: Deutschland muß, wenn es nicht zu Schande» werden will, die Absatzgebiete seiner Export¬ industrie erweitern und sichern, es hat mehr als irgend ein großes Kulturland der Welt Grund, für die Wiedererstarkung freihändlcrischer Grundsätze im interimticmalen Güteraustausch den Kampf aufzunehmen, und dazu ist eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/278>, abgerufen am 26.06.2024.