Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Handelsverträge und die Flottenfrage Rathgens Gedankengang deckt sich, so sehr er sich auch in vieler Beziehung Der wenig angenehmen Aufgabe einer Kritik des eben erwähnten Vortrags 5) Art'eitcrfrennd 1S97, Drittes Vierteljahrsheft. Grenzboten IV 1897:z-l
Handelsverträge und die Flottenfrage Rathgens Gedankengang deckt sich, so sehr er sich auch in vieler Beziehung Der wenig angenehmen Aufgabe einer Kritik des eben erwähnten Vortrags 5) Art'eitcrfrennd 1S97, Drittes Vierteljahrsheft. Grenzboten IV 1897:z-l
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226505"/> <fw type="header" place="top"> Handelsverträge und die Flottenfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_663"> Rathgens Gedankengang deckt sich, so sehr er sich auch in vieler Beziehung<lb/> zu seinem Vorteil davon unterscheidet, in einem der wichtigsten Grundzüge mit<lb/> den Vorstellungen, von denen Otterberg in seinem Vortrag über Deutschland<lb/> als Industriestaat auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß am 10, Juni d. I.<lb/> in Leipzig ausging, und in denen Adolf Wagner ihm beipflichtete. Es ist<lb/> dies die Annahme, daß jede Möglichkeit einer Wiedererstarkung frcihändlerischer<lb/> Grundsätze im internationalen Verkehr vollständig ausgeschlossen sei, und damit<lb/> verbindet sich die vollständige Ableugnung und, mau darf wohl sagen, extreme<lb/> Bekämpfung aller kosmopolitischen Ideale. So erklärlich auch das immer<lb/> noch rege Neaktionsgcfühl gegen die freihündlerischen und kosmopolitischen<lb/> Übertreibungen der Manchesterschule in Deutschland ist, so ist doch auch jenes<lb/> entgegengesetzte Extrem für unrichtig, unwissenschaftlich und unpraktisch zu<lb/> erklären und so sehr es auch noch immer der herrschenden Zeitströmung<lb/> zu entsprechen scheint, so deuten doch schon manche Unterströmungen darauf<lb/> hin, daß die Protektionistische Überspannung des uativualwirtschaftlichen Egois¬<lb/> mus, wenn nicht bald und plötzlich, so doch sicher in der ersten Hälfte des<lb/> zwanzigsten Jahrhunderts, vielleicht noch vor der Entscheidung im Kampfe<lb/> um die chinesische Bärenhaut, zum Segen der Menschheit einer gemäßigter»,<lb/> freiern und vernünftigem handelspolitischen Praxis weichen wird. Es ist<lb/> nicht zu hoffen, daß man einen der Anhänger der modernen Auffassung der<lb/> Beziehungen der Völker zu einander von dieser Ansicht überzeugen wird, aber<lb/> man darf wohl darum bitten, deu Natiounlstolz und die Vaterlandsliebe derer<lb/> nicht geringer zu achten, für die die Bethätigung dieser Gefühle nicht aus¬<lb/> schließlich in dem Kampf um den Fntterplcitz aufgeht, und denen die Abstellung<lb/> internationaler Rücksichtslosigkeit und Ausbeutung nicht minder als Kultur-<lb/> aufgabe der Menschheit erscheint als die Bekämpfung sozialer Rücksichtslosigkeit<lb/> und Ausbeutung.</p><lb/> <p xml:id="ID_664" next="#ID_665"> Der wenig angenehmen Aufgabe einer Kritik des eben erwähnten Vortrags<lb/> Oldenbergs hat sich kürzlich Viktor Böhmert unterzogen.'") Wie sehr Olden-<lb/> bergs extreme Richtung im Grunde der herrschenden entspricht, wird einem<lb/> aus den Einwendungen Böhmerts besonders klar; man muß ihm dankbar dafür<lb/> sein, daß er sie gemacht hat. Es kann hier nicht näher auf sie eingegangen<lb/> werden, nur auf einen Punkt soll besonders hingewiesen werden, ehe von den<lb/> Praktischen handelspolitischen Aufgaben der Gegenwart, die uns unmittelbar<lb/> interessiren, gesprochen wird. Otterberg hatte seinem Grundgedanken in<lb/> folgendem Bilde Ausdruck gegeben: „Das starke Erdgeschoß ist die Landwirt¬<lb/> schaft, es trägt den industriellen Unterbau, die obere Etage, ans seinen<lb/> Schultern. solange noch unbebauter Boden verfügbar ist, kann das Erd¬<lb/> geschoß ausgebaut werden bis an die Landesgrenze, und das verbreiterte Erd-</p><lb/> <note xml:id="FID_29" place="foot"> 5) Art'eitcrfrennd 1S97, Drittes Vierteljahrsheft.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1897:z-l</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
Handelsverträge und die Flottenfrage
Rathgens Gedankengang deckt sich, so sehr er sich auch in vieler Beziehung
zu seinem Vorteil davon unterscheidet, in einem der wichtigsten Grundzüge mit
den Vorstellungen, von denen Otterberg in seinem Vortrag über Deutschland
als Industriestaat auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß am 10, Juni d. I.
in Leipzig ausging, und in denen Adolf Wagner ihm beipflichtete. Es ist
dies die Annahme, daß jede Möglichkeit einer Wiedererstarkung frcihändlerischer
Grundsätze im internationalen Verkehr vollständig ausgeschlossen sei, und damit
verbindet sich die vollständige Ableugnung und, mau darf wohl sagen, extreme
Bekämpfung aller kosmopolitischen Ideale. So erklärlich auch das immer
noch rege Neaktionsgcfühl gegen die freihündlerischen und kosmopolitischen
Übertreibungen der Manchesterschule in Deutschland ist, so ist doch auch jenes
entgegengesetzte Extrem für unrichtig, unwissenschaftlich und unpraktisch zu
erklären und so sehr es auch noch immer der herrschenden Zeitströmung
zu entsprechen scheint, so deuten doch schon manche Unterströmungen darauf
hin, daß die Protektionistische Überspannung des uativualwirtschaftlichen Egois¬
mus, wenn nicht bald und plötzlich, so doch sicher in der ersten Hälfte des
zwanzigsten Jahrhunderts, vielleicht noch vor der Entscheidung im Kampfe
um die chinesische Bärenhaut, zum Segen der Menschheit einer gemäßigter»,
freiern und vernünftigem handelspolitischen Praxis weichen wird. Es ist
nicht zu hoffen, daß man einen der Anhänger der modernen Auffassung der
Beziehungen der Völker zu einander von dieser Ansicht überzeugen wird, aber
man darf wohl darum bitten, deu Natiounlstolz und die Vaterlandsliebe derer
nicht geringer zu achten, für die die Bethätigung dieser Gefühle nicht aus¬
schließlich in dem Kampf um den Fntterplcitz aufgeht, und denen die Abstellung
internationaler Rücksichtslosigkeit und Ausbeutung nicht minder als Kultur-
aufgabe der Menschheit erscheint als die Bekämpfung sozialer Rücksichtslosigkeit
und Ausbeutung.
Der wenig angenehmen Aufgabe einer Kritik des eben erwähnten Vortrags
Oldenbergs hat sich kürzlich Viktor Böhmert unterzogen.'") Wie sehr Olden-
bergs extreme Richtung im Grunde der herrschenden entspricht, wird einem
aus den Einwendungen Böhmerts besonders klar; man muß ihm dankbar dafür
sein, daß er sie gemacht hat. Es kann hier nicht näher auf sie eingegangen
werden, nur auf einen Punkt soll besonders hingewiesen werden, ehe von den
Praktischen handelspolitischen Aufgaben der Gegenwart, die uns unmittelbar
interessiren, gesprochen wird. Otterberg hatte seinem Grundgedanken in
folgendem Bilde Ausdruck gegeben: „Das starke Erdgeschoß ist die Landwirt¬
schaft, es trägt den industriellen Unterbau, die obere Etage, ans seinen
Schultern. solange noch unbebauter Boden verfügbar ist, kann das Erd¬
geschoß ausgebaut werden bis an die Landesgrenze, und das verbreiterte Erd-
5) Art'eitcrfrennd 1S97, Drittes Vierteljahrsheft.
Grenzboten IV 1897:z-l
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