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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Handelsverträge und die Flottenfrage

Konsequenz sei doch die: "der Kampf um die Weltmacht sührt uns notwendig
in einen Konflikt der Interessen mit England, wie wir ihn keiner andern euro¬
päischen Macht gegenüber zu befürchten haben." Es handle sich am letzten
Ende um einen Kampf darum, welche Märkte uns offen bleiben. Der beste,
sicherste Markt seien die Kolonien. Und wenn unsre jetzigen überseeischen Be¬
sitzungen in absehbarer Zeit nur wenig aufnehmen könnten und im übrigen
die Welt weggegeben sei, so sollten wir nicht vergessen, daß um 1600 die
Welt schon einmal verteilt gewesen sei zwischen Spaniern und Portugiesen,
bis die Niederlande, Frankreich und vor allem England zu Seemächten wurden
und die überseeischen Kolonialländer neu verteilten. Was einst geschehen sei,
könne wieder geschehen. Weiter aber denkt Rathgen an China, das von den
Ländern, die keine eigne Wirtschaftspolitik hätten, außer der Türkei allein noch
wesentlich für die Versorgung mit europäischen Produkten in Betracht komme.
Wie das neunzehnte Jahrhundert die Aufteilung Afrikas und den Untergang
des spanischen Kolonialreichs, das achtzehnte die Entscheidung über Indien und
Nordamerika gebracht habe, so bringe das zwanzigste den Kampf um China.
"Wird dieses gewaltige Marktgebiet allein unsern wirtschaftlichen Gegnern zu¬
fallen? Alle Macht drängt sich zusammen in den Händen der großen Welt¬
reiche, wie Chamberlain sagt. Werden wir Deutschen zufrieden sein, zu den
"sekundären" Ländern zu gehören, "die nicht fortschreiten," oder werden wir
ebenso stolz wie die Engländer von der Bedeutung unsers Volkstums für die
Menschheit, von unsrer nationalen Kraft, unsern nationalen Aufgaben, unsrer
nationalen Ehre denken? Dann müssen wir uns klar werden, daß nur eine
Seemacht Weltmacht sein wird. Dann müssen wir auch den Willen haben,
die Opfer zu bringen, ohne die wir uns unter den großen Völkern nicht be¬
haupten können!"

Man wird diese Gedanken Rathgens dankbar zu begrüßen haben als eine
vortreffliche Formulirung der Anschauungen, die unsre akademischen Handels¬
politiker und mit ihnen den größten Teil der akademisch gebildeten Männer
in Deutschland überhaupt zur Zeit beherrschen. Sie stehen aber wenig im
Einklang mit den Auffassungen der Mehrzahl der am Wirtschaftsleben un¬
mittelbar beteiligten Bevölkerungskreise, am wenigsten mit denen des deutschen
Handelsstandes. Das spricht an sich noch nicht für ihre Unrichtigkeit, aber
es mahnt zu genauerer Prüfung, umso mehr als das nächste praktische Ziel,
dessen Verfolgung auch Rathgen bei seinen Ausführungen nicht fremd gewesen
ist, die deutsche Handelsvertrags- und die Flottenpolitik der nächsten Jahre,
mehr von den Auffassungen der Praktiker als von den Anschauungen der Aka¬
demiker abhängen wird. Auch scheint gerade heute und in diesen Fragen die
Gefahr besonders groß, daß die Formulirung weitgehender akademischer Pro¬
gramme durch schwache Seiten, die sie bieten, die praktischen Entscheidungen
über die nächste" Ziele ungünstig beeinflußt.


Handelsverträge und die Flottenfrage

Konsequenz sei doch die: „der Kampf um die Weltmacht sührt uns notwendig
in einen Konflikt der Interessen mit England, wie wir ihn keiner andern euro¬
päischen Macht gegenüber zu befürchten haben." Es handle sich am letzten
Ende um einen Kampf darum, welche Märkte uns offen bleiben. Der beste,
sicherste Markt seien die Kolonien. Und wenn unsre jetzigen überseeischen Be¬
sitzungen in absehbarer Zeit nur wenig aufnehmen könnten und im übrigen
die Welt weggegeben sei, so sollten wir nicht vergessen, daß um 1600 die
Welt schon einmal verteilt gewesen sei zwischen Spaniern und Portugiesen,
bis die Niederlande, Frankreich und vor allem England zu Seemächten wurden
und die überseeischen Kolonialländer neu verteilten. Was einst geschehen sei,
könne wieder geschehen. Weiter aber denkt Rathgen an China, das von den
Ländern, die keine eigne Wirtschaftspolitik hätten, außer der Türkei allein noch
wesentlich für die Versorgung mit europäischen Produkten in Betracht komme.
Wie das neunzehnte Jahrhundert die Aufteilung Afrikas und den Untergang
des spanischen Kolonialreichs, das achtzehnte die Entscheidung über Indien und
Nordamerika gebracht habe, so bringe das zwanzigste den Kampf um China.
„Wird dieses gewaltige Marktgebiet allein unsern wirtschaftlichen Gegnern zu¬
fallen? Alle Macht drängt sich zusammen in den Händen der großen Welt¬
reiche, wie Chamberlain sagt. Werden wir Deutschen zufrieden sein, zu den
»sekundären« Ländern zu gehören, »die nicht fortschreiten,« oder werden wir
ebenso stolz wie die Engländer von der Bedeutung unsers Volkstums für die
Menschheit, von unsrer nationalen Kraft, unsern nationalen Aufgaben, unsrer
nationalen Ehre denken? Dann müssen wir uns klar werden, daß nur eine
Seemacht Weltmacht sein wird. Dann müssen wir auch den Willen haben,
die Opfer zu bringen, ohne die wir uns unter den großen Völkern nicht be¬
haupten können!"

Man wird diese Gedanken Rathgens dankbar zu begrüßen haben als eine
vortreffliche Formulirung der Anschauungen, die unsre akademischen Handels¬
politiker und mit ihnen den größten Teil der akademisch gebildeten Männer
in Deutschland überhaupt zur Zeit beherrschen. Sie stehen aber wenig im
Einklang mit den Auffassungen der Mehrzahl der am Wirtschaftsleben un¬
mittelbar beteiligten Bevölkerungskreise, am wenigsten mit denen des deutschen
Handelsstandes. Das spricht an sich noch nicht für ihre Unrichtigkeit, aber
es mahnt zu genauerer Prüfung, umso mehr als das nächste praktische Ziel,
dessen Verfolgung auch Rathgen bei seinen Ausführungen nicht fremd gewesen
ist, die deutsche Handelsvertrags- und die Flottenpolitik der nächsten Jahre,
mehr von den Auffassungen der Praktiker als von den Anschauungen der Aka¬
demiker abhängen wird. Auch scheint gerade heute und in diesen Fragen die
Gefahr besonders groß, daß die Formulirung weitgehender akademischer Pro¬
gramme durch schwache Seiten, die sie bieten, die praktischen Entscheidungen
über die nächste» Ziele ungünstig beeinflußt.


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[0274] Handelsverträge und die Flottenfrage Konsequenz sei doch die: „der Kampf um die Weltmacht sührt uns notwendig in einen Konflikt der Interessen mit England, wie wir ihn keiner andern euro¬ päischen Macht gegenüber zu befürchten haben." Es handle sich am letzten Ende um einen Kampf darum, welche Märkte uns offen bleiben. Der beste, sicherste Markt seien die Kolonien. Und wenn unsre jetzigen überseeischen Be¬ sitzungen in absehbarer Zeit nur wenig aufnehmen könnten und im übrigen die Welt weggegeben sei, so sollten wir nicht vergessen, daß um 1600 die Welt schon einmal verteilt gewesen sei zwischen Spaniern und Portugiesen, bis die Niederlande, Frankreich und vor allem England zu Seemächten wurden und die überseeischen Kolonialländer neu verteilten. Was einst geschehen sei, könne wieder geschehen. Weiter aber denkt Rathgen an China, das von den Ländern, die keine eigne Wirtschaftspolitik hätten, außer der Türkei allein noch wesentlich für die Versorgung mit europäischen Produkten in Betracht komme. Wie das neunzehnte Jahrhundert die Aufteilung Afrikas und den Untergang des spanischen Kolonialreichs, das achtzehnte die Entscheidung über Indien und Nordamerika gebracht habe, so bringe das zwanzigste den Kampf um China. „Wird dieses gewaltige Marktgebiet allein unsern wirtschaftlichen Gegnern zu¬ fallen? Alle Macht drängt sich zusammen in den Händen der großen Welt¬ reiche, wie Chamberlain sagt. Werden wir Deutschen zufrieden sein, zu den »sekundären« Ländern zu gehören, »die nicht fortschreiten,« oder werden wir ebenso stolz wie die Engländer von der Bedeutung unsers Volkstums für die Menschheit, von unsrer nationalen Kraft, unsern nationalen Aufgaben, unsrer nationalen Ehre denken? Dann müssen wir uns klar werden, daß nur eine Seemacht Weltmacht sein wird. Dann müssen wir auch den Willen haben, die Opfer zu bringen, ohne die wir uns unter den großen Völkern nicht be¬ haupten können!" Man wird diese Gedanken Rathgens dankbar zu begrüßen haben als eine vortreffliche Formulirung der Anschauungen, die unsre akademischen Handels¬ politiker und mit ihnen den größten Teil der akademisch gebildeten Männer in Deutschland überhaupt zur Zeit beherrschen. Sie stehen aber wenig im Einklang mit den Auffassungen der Mehrzahl der am Wirtschaftsleben un¬ mittelbar beteiligten Bevölkerungskreise, am wenigsten mit denen des deutschen Handelsstandes. Das spricht an sich noch nicht für ihre Unrichtigkeit, aber es mahnt zu genauerer Prüfung, umso mehr als das nächste praktische Ziel, dessen Verfolgung auch Rathgen bei seinen Ausführungen nicht fremd gewesen ist, die deutsche Handelsvertrags- und die Flottenpolitik der nächsten Jahre, mehr von den Auffassungen der Praktiker als von den Anschauungen der Aka¬ demiker abhängen wird. Auch scheint gerade heute und in diesen Fragen die Gefahr besonders groß, daß die Formulirung weitgehender akademischer Pro¬ gramme durch schwache Seiten, die sie bieten, die praktischen Entscheidungen über die nächste» Ziele ungünstig beeinflußt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/274>, abgerufen am 26.06.2024.