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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Handelsverträge und die Flottenfrage

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lWZen einem Aufsatz über die Kündigung des englischen Handelsver¬
trags und ihre Gefahr für Deutschlands Zukunft in Schmollers
Jahrbuch (N. F. Band XXI, 4. Heft) zitirt Professor Karl
Rathgen folgenden Ausspruch Chamberlains vom 31. März d. I.
aus einer Rede bei der Jahresfeier des Lolomg.1 Instituts: "Mir
scheint, daß die Richtung der Zeit dahin geht, alle Macht in den Händen der
großen Reiche zu vereinigen. Die kleinern Länder, die nicht fortschreiten,
scheinen bestimmt zu sein, in eine untergeordnete Stellung zu rücken. Bleibt
aber 6rsater Lritain einig, so kann kein Reich der Welt es übertreffen an
Ausdehnung, an Volkszahl, an Reichtum und an Mannichfaltigkeit der Hilfs¬
quellen." Es wird den, der die herrschenden Anschauungen in der deutschen
nationalökonomischen Wissenschaft berücksichtigt, nicht Wundern, wenn Nathgen
den "großen Zug" in den Gedanken Chamberlains ganz besonders anerkennt,
deren stolzer patriotischer Klang wohlthätiger berühre als die "utilitarische Denk¬
weise der alten Freihändler": "Chamberlains Stärke ist das starke Staats¬
gefühl, und das. was jeder politischen Persönlichkeit ihre Bedeutung giebt,
daß er ganz in den typischen Eigenschaften seines Volkes wurzelt. Auch in
ihm vereinigt sich jener scheinbare Widerspruch von Verteidigung von Freiheit
und friedlichem Fortschritt und bis zur Unterdrückung fremder Freiheit ge¬
triebnen nationalem Herrscherstreben, welches das englische Volk als Ganzes
charakterisirt und aus ihm gemacht hat, was es ist."

Es wäre thöricht, meint Nathgen, wenn wir der englischen Politik einen
Vorwurf daraus machen wollten, daß sie das Interesse des eignen Landes rück¬
sichtslos in den Vordergrund stelle. Aber wir müßten für uns die Konse¬
quenzen darcins ziehen- Als Nächstliegende Konsequenz erscheint ihm die Be¬
seitigung der Meistbcgünstigungsklausel in unsern vertragsmäßigen Beziehungen
zu England und den Vereinigten Staaten, aber die letzte Konsequenz, die wir
aus Englands Verhalten ziehen müßten, gehe weiter. So schmerzlich sie sei
für jeden, der von Bewunderung erfüllt sei für das, was das englische Volk
für sich und für die Menschheit geleistet habe, und der durchdrungen sei davon,
"wieviel wir von unsern englischen Vettern noch zu lernen haben," diese letzte




Handelsverträge und die Flottenfrage

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lWZen einem Aufsatz über die Kündigung des englischen Handelsver¬
trags und ihre Gefahr für Deutschlands Zukunft in Schmollers
Jahrbuch (N. F. Band XXI, 4. Heft) zitirt Professor Karl
Rathgen folgenden Ausspruch Chamberlains vom 31. März d. I.
aus einer Rede bei der Jahresfeier des Lolomg.1 Instituts: „Mir
scheint, daß die Richtung der Zeit dahin geht, alle Macht in den Händen der
großen Reiche zu vereinigen. Die kleinern Länder, die nicht fortschreiten,
scheinen bestimmt zu sein, in eine untergeordnete Stellung zu rücken. Bleibt
aber 6rsater Lritain einig, so kann kein Reich der Welt es übertreffen an
Ausdehnung, an Volkszahl, an Reichtum und an Mannichfaltigkeit der Hilfs¬
quellen." Es wird den, der die herrschenden Anschauungen in der deutschen
nationalökonomischen Wissenschaft berücksichtigt, nicht Wundern, wenn Nathgen
den „großen Zug" in den Gedanken Chamberlains ganz besonders anerkennt,
deren stolzer patriotischer Klang wohlthätiger berühre als die „utilitarische Denk¬
weise der alten Freihändler": „Chamberlains Stärke ist das starke Staats¬
gefühl, und das. was jeder politischen Persönlichkeit ihre Bedeutung giebt,
daß er ganz in den typischen Eigenschaften seines Volkes wurzelt. Auch in
ihm vereinigt sich jener scheinbare Widerspruch von Verteidigung von Freiheit
und friedlichem Fortschritt und bis zur Unterdrückung fremder Freiheit ge¬
triebnen nationalem Herrscherstreben, welches das englische Volk als Ganzes
charakterisirt und aus ihm gemacht hat, was es ist."

Es wäre thöricht, meint Nathgen, wenn wir der englischen Politik einen
Vorwurf daraus machen wollten, daß sie das Interesse des eignen Landes rück¬
sichtslos in den Vordergrund stelle. Aber wir müßten für uns die Konse¬
quenzen darcins ziehen- Als Nächstliegende Konsequenz erscheint ihm die Be¬
seitigung der Meistbcgünstigungsklausel in unsern vertragsmäßigen Beziehungen
zu England und den Vereinigten Staaten, aber die letzte Konsequenz, die wir
aus Englands Verhalten ziehen müßten, gehe weiter. So schmerzlich sie sei
für jeden, der von Bewunderung erfüllt sei für das, was das englische Volk
für sich und für die Menschheit geleistet habe, und der durchdrungen sei davon,
„wieviel wir von unsern englischen Vettern noch zu lernen haben," diese letzte


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[0273] [Abbildung] Handelsverträge und die Flottenfrage hMtö lWZen einem Aufsatz über die Kündigung des englischen Handelsver¬ trags und ihre Gefahr für Deutschlands Zukunft in Schmollers Jahrbuch (N. F. Band XXI, 4. Heft) zitirt Professor Karl Rathgen folgenden Ausspruch Chamberlains vom 31. März d. I. aus einer Rede bei der Jahresfeier des Lolomg.1 Instituts: „Mir scheint, daß die Richtung der Zeit dahin geht, alle Macht in den Händen der großen Reiche zu vereinigen. Die kleinern Länder, die nicht fortschreiten, scheinen bestimmt zu sein, in eine untergeordnete Stellung zu rücken. Bleibt aber 6rsater Lritain einig, so kann kein Reich der Welt es übertreffen an Ausdehnung, an Volkszahl, an Reichtum und an Mannichfaltigkeit der Hilfs¬ quellen." Es wird den, der die herrschenden Anschauungen in der deutschen nationalökonomischen Wissenschaft berücksichtigt, nicht Wundern, wenn Nathgen den „großen Zug" in den Gedanken Chamberlains ganz besonders anerkennt, deren stolzer patriotischer Klang wohlthätiger berühre als die „utilitarische Denk¬ weise der alten Freihändler": „Chamberlains Stärke ist das starke Staats¬ gefühl, und das. was jeder politischen Persönlichkeit ihre Bedeutung giebt, daß er ganz in den typischen Eigenschaften seines Volkes wurzelt. Auch in ihm vereinigt sich jener scheinbare Widerspruch von Verteidigung von Freiheit und friedlichem Fortschritt und bis zur Unterdrückung fremder Freiheit ge¬ triebnen nationalem Herrscherstreben, welches das englische Volk als Ganzes charakterisirt und aus ihm gemacht hat, was es ist." Es wäre thöricht, meint Nathgen, wenn wir der englischen Politik einen Vorwurf daraus machen wollten, daß sie das Interesse des eignen Landes rück¬ sichtslos in den Vordergrund stelle. Aber wir müßten für uns die Konse¬ quenzen darcins ziehen- Als Nächstliegende Konsequenz erscheint ihm die Be¬ seitigung der Meistbcgünstigungsklausel in unsern vertragsmäßigen Beziehungen zu England und den Vereinigten Staaten, aber die letzte Konsequenz, die wir aus Englands Verhalten ziehen müßten, gehe weiter. So schmerzlich sie sei für jeden, der von Bewunderung erfüllt sei für das, was das englische Volk für sich und für die Menschheit geleistet habe, und der durchdrungen sei davon, „wieviel wir von unsern englischen Vettern noch zu lernen haben," diese letzte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/273>, abgerufen am 26.06.2024.