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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

Außer den Bündnissen ist aber auch das Verhalten der Freisinnigen im
Parlament oft so, daß ein Freisinniger im Lande sich ihrer schämen muß. Es
sind doch -- größtenteils wenigstens -- Leute aus gebildeten Ständen, ja oft
genug Männer auf der höchsten Stufe der Bildung, die uns dort vertreten,
und dennoch stehen sie an skrupelloser Redeweise hinter den Ungebildeten
oft wenig zurück. Wenn man ihre Reden liest, muß jeder ja eigentlich Gott
dafür danken, daß er ihn nicht damit bestraft hat, Minister sein und sich das
alles sagen lassen zu müssen! "Der Herr Minister" ist nach ihnen entweder ein
herzloser Volksunterdrücker von Geburt, oder ein Wortbrüchiger und Abtrünniger,
der in seinem siebzehnten Lebensjahre ganz anders gesprochen hat als jetzt, oder
ein Schwächling, der durch jeden Hauch "von oben her" umgebogen und um¬
gelenkt wird, wenn er es nicht aus Strebertum thut, um noch höher zu steigen,
oder ein Mensch, der gar nichts versteht und den Wald vor lauter Bäumen
nicht sehen würde, wenn er nicht von den erleuchteten freisinnigen Abgeordneten
mit der Nase darauf gestoßen würde. Merkwürdig, daß sich der Kaiser
immer so völlig unpassende Personen zu Ministern aussucht! Ja, der Kaiser!
Wenn er nur immer die Reden unsrer Heroen recht ausführlich und sorgfältig
lesen wollte, dann würde er manchen recht deutlichen Wink für sich darin
sinden. Daß er nicht mit allem einverstanden ist, was die Hochwohlweise
Mehrheit Schwarz-Himmelblau-Blutrot beschließt, daß er nicht alles sofort
aufgiebt, was der nicht genehm ist, daß er sich ebenso über sie ärgert, wie sie
sich über ihn, nicht die Minister sofort fallen läßt, deren Projekte sie ablehnt --
kurz, daß er sich gestattet zu lieben, wo sie haßt, und zu hassen, wo sie liebt
oder -- schmeichelt, dafür muß er sich, wenn auch nicht ganz offen, so doch
für fünfzig Millionen unter einunfllnfzig recht verständlich allerlei sagen lassen,
was jemand unter vier Augen wahrscheinlich etwas unhöflich beantworten
würde. Und dabei beklagen sich die Herren noch über ihre Machtlosigkeit!
Sie, die durch ihre Abstimmungen schon so manches zu nichte gemacht haben,
was der "allerhöchsten Stelle," wie sie immer umschreibend sagen, am Herzen
lag! Innerhalb ihrer Rechte liegt das ja; aber mögen sie ihre Rechte in an¬
gemessener Form ausüben -- Bosheiten, Verdächtigungen, Grobheiten gehören
nicht zu den verbürgten Volks- und Volkstribunenrcchten. Auch das ent¬
schuldigt sie nicht, daß von Angehörigen andrer Parteien auch oft die rechte"
Formen nicht eingehalten werden; es wäre ihrer würdig, sich jenen andern an
Vornehmheit der Redeweise überlegen zu zeigen. Ernste Angriffe, aber in
würdevoller Form, werden an jeder Stelle Wirkung thun, an jeder -- wo
aber bleibt bei den meisten unsrer Parteiführer die würdevolle Form!

Damit in Verbindung steht endlich auch die zuweilen ausgeübte Obstruk¬
tion. Wirksam hat sich ja dies Mittel neuerdings hie und da gezeigt, aber
eine sichere Bürgschaft für Wirksamkeit bietet es doch nicht, ebenso wenig wie
Fliegengesumm einen Wandrer vom Ziele abzubringen Pflegt, mag es ihn


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

Außer den Bündnissen ist aber auch das Verhalten der Freisinnigen im
Parlament oft so, daß ein Freisinniger im Lande sich ihrer schämen muß. Es
sind doch — größtenteils wenigstens — Leute aus gebildeten Ständen, ja oft
genug Männer auf der höchsten Stufe der Bildung, die uns dort vertreten,
und dennoch stehen sie an skrupelloser Redeweise hinter den Ungebildeten
oft wenig zurück. Wenn man ihre Reden liest, muß jeder ja eigentlich Gott
dafür danken, daß er ihn nicht damit bestraft hat, Minister sein und sich das
alles sagen lassen zu müssen! „Der Herr Minister" ist nach ihnen entweder ein
herzloser Volksunterdrücker von Geburt, oder ein Wortbrüchiger und Abtrünniger,
der in seinem siebzehnten Lebensjahre ganz anders gesprochen hat als jetzt, oder
ein Schwächling, der durch jeden Hauch „von oben her" umgebogen und um¬
gelenkt wird, wenn er es nicht aus Strebertum thut, um noch höher zu steigen,
oder ein Mensch, der gar nichts versteht und den Wald vor lauter Bäumen
nicht sehen würde, wenn er nicht von den erleuchteten freisinnigen Abgeordneten
mit der Nase darauf gestoßen würde. Merkwürdig, daß sich der Kaiser
immer so völlig unpassende Personen zu Ministern aussucht! Ja, der Kaiser!
Wenn er nur immer die Reden unsrer Heroen recht ausführlich und sorgfältig
lesen wollte, dann würde er manchen recht deutlichen Wink für sich darin
sinden. Daß er nicht mit allem einverstanden ist, was die Hochwohlweise
Mehrheit Schwarz-Himmelblau-Blutrot beschließt, daß er nicht alles sofort
aufgiebt, was der nicht genehm ist, daß er sich ebenso über sie ärgert, wie sie
sich über ihn, nicht die Minister sofort fallen läßt, deren Projekte sie ablehnt —
kurz, daß er sich gestattet zu lieben, wo sie haßt, und zu hassen, wo sie liebt
oder — schmeichelt, dafür muß er sich, wenn auch nicht ganz offen, so doch
für fünfzig Millionen unter einunfllnfzig recht verständlich allerlei sagen lassen,
was jemand unter vier Augen wahrscheinlich etwas unhöflich beantworten
würde. Und dabei beklagen sich die Herren noch über ihre Machtlosigkeit!
Sie, die durch ihre Abstimmungen schon so manches zu nichte gemacht haben,
was der „allerhöchsten Stelle," wie sie immer umschreibend sagen, am Herzen
lag! Innerhalb ihrer Rechte liegt das ja; aber mögen sie ihre Rechte in an¬
gemessener Form ausüben — Bosheiten, Verdächtigungen, Grobheiten gehören
nicht zu den verbürgten Volks- und Volkstribunenrcchten. Auch das ent¬
schuldigt sie nicht, daß von Angehörigen andrer Parteien auch oft die rechte»
Formen nicht eingehalten werden; es wäre ihrer würdig, sich jenen andern an
Vornehmheit der Redeweise überlegen zu zeigen. Ernste Angriffe, aber in
würdevoller Form, werden an jeder Stelle Wirkung thun, an jeder — wo
aber bleibt bei den meisten unsrer Parteiführer die würdevolle Form!

Damit in Verbindung steht endlich auch die zuweilen ausgeübte Obstruk¬
tion. Wirksam hat sich ja dies Mittel neuerdings hie und da gezeigt, aber
eine sichere Bürgschaft für Wirksamkeit bietet es doch nicht, ebenso wenig wie
Fliegengesumm einen Wandrer vom Ziele abzubringen Pflegt, mag es ihn


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[0271] Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei Außer den Bündnissen ist aber auch das Verhalten der Freisinnigen im Parlament oft so, daß ein Freisinniger im Lande sich ihrer schämen muß. Es sind doch — größtenteils wenigstens — Leute aus gebildeten Ständen, ja oft genug Männer auf der höchsten Stufe der Bildung, die uns dort vertreten, und dennoch stehen sie an skrupelloser Redeweise hinter den Ungebildeten oft wenig zurück. Wenn man ihre Reden liest, muß jeder ja eigentlich Gott dafür danken, daß er ihn nicht damit bestraft hat, Minister sein und sich das alles sagen lassen zu müssen! „Der Herr Minister" ist nach ihnen entweder ein herzloser Volksunterdrücker von Geburt, oder ein Wortbrüchiger und Abtrünniger, der in seinem siebzehnten Lebensjahre ganz anders gesprochen hat als jetzt, oder ein Schwächling, der durch jeden Hauch „von oben her" umgebogen und um¬ gelenkt wird, wenn er es nicht aus Strebertum thut, um noch höher zu steigen, oder ein Mensch, der gar nichts versteht und den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen würde, wenn er nicht von den erleuchteten freisinnigen Abgeordneten mit der Nase darauf gestoßen würde. Merkwürdig, daß sich der Kaiser immer so völlig unpassende Personen zu Ministern aussucht! Ja, der Kaiser! Wenn er nur immer die Reden unsrer Heroen recht ausführlich und sorgfältig lesen wollte, dann würde er manchen recht deutlichen Wink für sich darin sinden. Daß er nicht mit allem einverstanden ist, was die Hochwohlweise Mehrheit Schwarz-Himmelblau-Blutrot beschließt, daß er nicht alles sofort aufgiebt, was der nicht genehm ist, daß er sich ebenso über sie ärgert, wie sie sich über ihn, nicht die Minister sofort fallen läßt, deren Projekte sie ablehnt — kurz, daß er sich gestattet zu lieben, wo sie haßt, und zu hassen, wo sie liebt oder — schmeichelt, dafür muß er sich, wenn auch nicht ganz offen, so doch für fünfzig Millionen unter einunfllnfzig recht verständlich allerlei sagen lassen, was jemand unter vier Augen wahrscheinlich etwas unhöflich beantworten würde. Und dabei beklagen sich die Herren noch über ihre Machtlosigkeit! Sie, die durch ihre Abstimmungen schon so manches zu nichte gemacht haben, was der „allerhöchsten Stelle," wie sie immer umschreibend sagen, am Herzen lag! Innerhalb ihrer Rechte liegt das ja; aber mögen sie ihre Rechte in an¬ gemessener Form ausüben — Bosheiten, Verdächtigungen, Grobheiten gehören nicht zu den verbürgten Volks- und Volkstribunenrcchten. Auch das ent¬ schuldigt sie nicht, daß von Angehörigen andrer Parteien auch oft die rechte» Formen nicht eingehalten werden; es wäre ihrer würdig, sich jenen andern an Vornehmheit der Redeweise überlegen zu zeigen. Ernste Angriffe, aber in würdevoller Form, werden an jeder Stelle Wirkung thun, an jeder — wo aber bleibt bei den meisten unsrer Parteiführer die würdevolle Form! Damit in Verbindung steht endlich auch die zuweilen ausgeübte Obstruk¬ tion. Wirksam hat sich ja dies Mittel neuerdings hie und da gezeigt, aber eine sichere Bürgschaft für Wirksamkeit bietet es doch nicht, ebenso wenig wie Fliegengesumm einen Wandrer vom Ziele abzubringen Pflegt, mag es ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/271>, abgerufen am 26.06.2024.