Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

schließen (und ich glaube, auch das toleranteste und freisinnigste Ausland thäte
dergleichen nicht), Augen und Ohren zuzumachen, wenn sie auf deutschem Voden
deutschfeindliche Vereine mit fremden Farben zu deutschfeindlichen Zwecken
gründen, mit ausländischen Friedensstörern in Verbindung treten, ausländischen
Fürsten huldigen, deutsche Mitbewohner boykottiren usw. Anschreien läßt man
sich wohl von einem Rowdy, ohne mehr zu thun als die Achseln zu zucken, aber
ins Gesicht speien läßt man sich doch nicht. So etwas legt niemand mehr
als ein Zeichen überlegner Stärke aus, sondern jeder als ein Zeichen von
Furcht -- und handelt darnach. Doch die Abwehrmaßregeln gegen jene Aus¬
schreitungen, das sind nach unsern Parteiführern grobe Verletzungen der
Menschenrechte! Und wo die Ausschreitungen allzu arg werden, da reden sie
von vereinzelten Hitzköpfen, nach denen man nicht das ganze Volk beurteilen
dürfe, und dergleichen mehr, wenn auch denen, die selber unter diesen "Ver¬
einzelten" wohnen müssen, deren Zahl mitunter auch etwas groß vorkommt.
Aber diese Deutschen in der Diaspora, die verdienen freilich den Schutz der frei¬
sinnigen Redner nicht, dessen sind nur Ausländer würdig! O du alte, ewig neue
theoretische Gutmütigkeit, und du ebenso alte und ebenso neue Auslcmdsver-
ehruug der braven Deutschen! Ich denke, mit diesem Ausruf ist das Verfahren
unsrer Taktiker noch von der besten Seite dargestellt. Es ist noch günstig
sür sie, wenn man annimmt, daß sie jede Beschwerde der Fremden leichtgläubig
aufnehmen, um sie mit Entrüstung zu verfechten; aber warum wenden sie
dieselbe Gutgläubigkeit nicht auch gegen die Beschwerden der Deutschen über
die Fremden an? warum kritisiren sie da so überscharf? Mögen sie doch be¬
denken, daß in ihrem Parteinamen auch das Wort "deutsch" vorkommt! Aber
man könnte ihren Handlungen auch eine zweite Auslegung geben, und ich
fürchte, es wird ihnen schwer möglich sein, diese völlig zu widerlegen: daß sie
den Fremden ihre Freundschaft um politischer Vorteile willen beweisen, um
Hilfe bei Wahlen und Abstimmungen. Die Provinz Posen könnte dafür einige
sehr merkwürdige Thatsachen anführen. Laßt euch doch wenigstens durch euer
Gefühl als Deutsche davon abhalten, um einiger kleinen Förderungen willen
Bündnisse mit denen zu schließen, denen alles Deutsche verhaßt ist! Um ein
paar Wahlstimmen oder kleine Beihilfen im Parlament seine Stammeszugehörig¬
keit zu verleugnen, das wäre doch eine Taktik, die euch nicht nur den Abfall
sehr vieler Liberalen im Lande, sondern auch Spott und Verachtung des Aus¬
landes einbrächte, wo kein einziger einen solchen Mangel an nationalem Ehr¬
gefühl zu zeigen wagt. Könntet ihr nach solchen Thaten noch aufrichtig
singen: "Deutschland, Deutschland über alles!"? Also, sei es nun überspannte
Gutmütigkeit, sei es wirklich die Taktik, das av, ut clss -- bleibt uns damit
vom Leibe! Ehrlich auf deutschem und liberalem Schilde zu fallen, ist weit
rühmlicher, als mit solcher Hilfe zu siegen, die euch zwingt, das Schwarz-
Weiß-Not auf dem Schilde ängstlich zu verhüllen!


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

schließen (und ich glaube, auch das toleranteste und freisinnigste Ausland thäte
dergleichen nicht), Augen und Ohren zuzumachen, wenn sie auf deutschem Voden
deutschfeindliche Vereine mit fremden Farben zu deutschfeindlichen Zwecken
gründen, mit ausländischen Friedensstörern in Verbindung treten, ausländischen
Fürsten huldigen, deutsche Mitbewohner boykottiren usw. Anschreien läßt man
sich wohl von einem Rowdy, ohne mehr zu thun als die Achseln zu zucken, aber
ins Gesicht speien läßt man sich doch nicht. So etwas legt niemand mehr
als ein Zeichen überlegner Stärke aus, sondern jeder als ein Zeichen von
Furcht — und handelt darnach. Doch die Abwehrmaßregeln gegen jene Aus¬
schreitungen, das sind nach unsern Parteiführern grobe Verletzungen der
Menschenrechte! Und wo die Ausschreitungen allzu arg werden, da reden sie
von vereinzelten Hitzköpfen, nach denen man nicht das ganze Volk beurteilen
dürfe, und dergleichen mehr, wenn auch denen, die selber unter diesen „Ver¬
einzelten" wohnen müssen, deren Zahl mitunter auch etwas groß vorkommt.
Aber diese Deutschen in der Diaspora, die verdienen freilich den Schutz der frei¬
sinnigen Redner nicht, dessen sind nur Ausländer würdig! O du alte, ewig neue
theoretische Gutmütigkeit, und du ebenso alte und ebenso neue Auslcmdsver-
ehruug der braven Deutschen! Ich denke, mit diesem Ausruf ist das Verfahren
unsrer Taktiker noch von der besten Seite dargestellt. Es ist noch günstig
sür sie, wenn man annimmt, daß sie jede Beschwerde der Fremden leichtgläubig
aufnehmen, um sie mit Entrüstung zu verfechten; aber warum wenden sie
dieselbe Gutgläubigkeit nicht auch gegen die Beschwerden der Deutschen über
die Fremden an? warum kritisiren sie da so überscharf? Mögen sie doch be¬
denken, daß in ihrem Parteinamen auch das Wort „deutsch" vorkommt! Aber
man könnte ihren Handlungen auch eine zweite Auslegung geben, und ich
fürchte, es wird ihnen schwer möglich sein, diese völlig zu widerlegen: daß sie
den Fremden ihre Freundschaft um politischer Vorteile willen beweisen, um
Hilfe bei Wahlen und Abstimmungen. Die Provinz Posen könnte dafür einige
sehr merkwürdige Thatsachen anführen. Laßt euch doch wenigstens durch euer
Gefühl als Deutsche davon abhalten, um einiger kleinen Förderungen willen
Bündnisse mit denen zu schließen, denen alles Deutsche verhaßt ist! Um ein
paar Wahlstimmen oder kleine Beihilfen im Parlament seine Stammeszugehörig¬
keit zu verleugnen, das wäre doch eine Taktik, die euch nicht nur den Abfall
sehr vieler Liberalen im Lande, sondern auch Spott und Verachtung des Aus¬
landes einbrächte, wo kein einziger einen solchen Mangel an nationalem Ehr¬
gefühl zu zeigen wagt. Könntet ihr nach solchen Thaten noch aufrichtig
singen: „Deutschland, Deutschland über alles!"? Also, sei es nun überspannte
Gutmütigkeit, sei es wirklich die Taktik, das av, ut clss — bleibt uns damit
vom Leibe! Ehrlich auf deutschem und liberalem Schilde zu fallen, ist weit
rühmlicher, als mit solcher Hilfe zu siegen, die euch zwingt, das Schwarz-
Weiß-Not auf dem Schilde ängstlich zu verhüllen!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226500"/>
          <fw type="header" place="top"> Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_654" prev="#ID_653"> schließen (und ich glaube, auch das toleranteste und freisinnigste Ausland thäte<lb/>
dergleichen nicht), Augen und Ohren zuzumachen, wenn sie auf deutschem Voden<lb/>
deutschfeindliche Vereine mit fremden Farben zu deutschfeindlichen Zwecken<lb/>
gründen, mit ausländischen Friedensstörern in Verbindung treten, ausländischen<lb/>
Fürsten huldigen, deutsche Mitbewohner boykottiren usw. Anschreien läßt man<lb/>
sich wohl von einem Rowdy, ohne mehr zu thun als die Achseln zu zucken, aber<lb/>
ins Gesicht speien läßt man sich doch nicht. So etwas legt niemand mehr<lb/>
als ein Zeichen überlegner Stärke aus, sondern jeder als ein Zeichen von<lb/>
Furcht &#x2014; und handelt darnach. Doch die Abwehrmaßregeln gegen jene Aus¬<lb/>
schreitungen, das sind nach unsern Parteiführern grobe Verletzungen der<lb/>
Menschenrechte! Und wo die Ausschreitungen allzu arg werden, da reden sie<lb/>
von vereinzelten Hitzköpfen, nach denen man nicht das ganze Volk beurteilen<lb/>
dürfe, und dergleichen mehr, wenn auch denen, die selber unter diesen &#x201E;Ver¬<lb/>
einzelten" wohnen müssen, deren Zahl mitunter auch etwas groß vorkommt.<lb/>
Aber diese Deutschen in der Diaspora, die verdienen freilich den Schutz der frei¬<lb/>
sinnigen Redner nicht, dessen sind nur Ausländer würdig! O du alte, ewig neue<lb/>
theoretische Gutmütigkeit, und du ebenso alte und ebenso neue Auslcmdsver-<lb/>
ehruug der braven Deutschen! Ich denke, mit diesem Ausruf ist das Verfahren<lb/>
unsrer Taktiker noch von der besten Seite dargestellt. Es ist noch günstig<lb/>
sür sie, wenn man annimmt, daß sie jede Beschwerde der Fremden leichtgläubig<lb/>
aufnehmen, um sie mit Entrüstung zu verfechten; aber warum wenden sie<lb/>
dieselbe Gutgläubigkeit nicht auch gegen die Beschwerden der Deutschen über<lb/>
die Fremden an? warum kritisiren sie da so überscharf? Mögen sie doch be¬<lb/>
denken, daß in ihrem Parteinamen auch das Wort &#x201E;deutsch" vorkommt! Aber<lb/>
man könnte ihren Handlungen auch eine zweite Auslegung geben, und ich<lb/>
fürchte, es wird ihnen schwer möglich sein, diese völlig zu widerlegen: daß sie<lb/>
den Fremden ihre Freundschaft um politischer Vorteile willen beweisen, um<lb/>
Hilfe bei Wahlen und Abstimmungen. Die Provinz Posen könnte dafür einige<lb/>
sehr merkwürdige Thatsachen anführen. Laßt euch doch wenigstens durch euer<lb/>
Gefühl als Deutsche davon abhalten, um einiger kleinen Förderungen willen<lb/>
Bündnisse mit denen zu schließen, denen alles Deutsche verhaßt ist! Um ein<lb/>
paar Wahlstimmen oder kleine Beihilfen im Parlament seine Stammeszugehörig¬<lb/>
keit zu verleugnen, das wäre doch eine Taktik, die euch nicht nur den Abfall<lb/>
sehr vieler Liberalen im Lande, sondern auch Spott und Verachtung des Aus¬<lb/>
landes einbrächte, wo kein einziger einen solchen Mangel an nationalem Ehr¬<lb/>
gefühl zu zeigen wagt. Könntet ihr nach solchen Thaten noch aufrichtig<lb/>
singen: &#x201E;Deutschland, Deutschland über alles!"? Also, sei es nun überspannte<lb/>
Gutmütigkeit, sei es wirklich die Taktik, das av, ut clss &#x2014; bleibt uns damit<lb/>
vom Leibe! Ehrlich auf deutschem und liberalem Schilde zu fallen, ist weit<lb/>
rühmlicher, als mit solcher Hilfe zu siegen, die euch zwingt, das Schwarz-<lb/>
Weiß-Not auf dem Schilde ängstlich zu verhüllen!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei schließen (und ich glaube, auch das toleranteste und freisinnigste Ausland thäte dergleichen nicht), Augen und Ohren zuzumachen, wenn sie auf deutschem Voden deutschfeindliche Vereine mit fremden Farben zu deutschfeindlichen Zwecken gründen, mit ausländischen Friedensstörern in Verbindung treten, ausländischen Fürsten huldigen, deutsche Mitbewohner boykottiren usw. Anschreien läßt man sich wohl von einem Rowdy, ohne mehr zu thun als die Achseln zu zucken, aber ins Gesicht speien läßt man sich doch nicht. So etwas legt niemand mehr als ein Zeichen überlegner Stärke aus, sondern jeder als ein Zeichen von Furcht — und handelt darnach. Doch die Abwehrmaßregeln gegen jene Aus¬ schreitungen, das sind nach unsern Parteiführern grobe Verletzungen der Menschenrechte! Und wo die Ausschreitungen allzu arg werden, da reden sie von vereinzelten Hitzköpfen, nach denen man nicht das ganze Volk beurteilen dürfe, und dergleichen mehr, wenn auch denen, die selber unter diesen „Ver¬ einzelten" wohnen müssen, deren Zahl mitunter auch etwas groß vorkommt. Aber diese Deutschen in der Diaspora, die verdienen freilich den Schutz der frei¬ sinnigen Redner nicht, dessen sind nur Ausländer würdig! O du alte, ewig neue theoretische Gutmütigkeit, und du ebenso alte und ebenso neue Auslcmdsver- ehruug der braven Deutschen! Ich denke, mit diesem Ausruf ist das Verfahren unsrer Taktiker noch von der besten Seite dargestellt. Es ist noch günstig sür sie, wenn man annimmt, daß sie jede Beschwerde der Fremden leichtgläubig aufnehmen, um sie mit Entrüstung zu verfechten; aber warum wenden sie dieselbe Gutgläubigkeit nicht auch gegen die Beschwerden der Deutschen über die Fremden an? warum kritisiren sie da so überscharf? Mögen sie doch be¬ denken, daß in ihrem Parteinamen auch das Wort „deutsch" vorkommt! Aber man könnte ihren Handlungen auch eine zweite Auslegung geben, und ich fürchte, es wird ihnen schwer möglich sein, diese völlig zu widerlegen: daß sie den Fremden ihre Freundschaft um politischer Vorteile willen beweisen, um Hilfe bei Wahlen und Abstimmungen. Die Provinz Posen könnte dafür einige sehr merkwürdige Thatsachen anführen. Laßt euch doch wenigstens durch euer Gefühl als Deutsche davon abhalten, um einiger kleinen Förderungen willen Bündnisse mit denen zu schließen, denen alles Deutsche verhaßt ist! Um ein paar Wahlstimmen oder kleine Beihilfen im Parlament seine Stammeszugehörig¬ keit zu verleugnen, das wäre doch eine Taktik, die euch nicht nur den Abfall sehr vieler Liberalen im Lande, sondern auch Spott und Verachtung des Aus¬ landes einbrächte, wo kein einziger einen solchen Mangel an nationalem Ehr¬ gefühl zu zeigen wagt. Könntet ihr nach solchen Thaten noch aufrichtig singen: „Deutschland, Deutschland über alles!"? Also, sei es nun überspannte Gutmütigkeit, sei es wirklich die Taktik, das av, ut clss — bleibt uns damit vom Leibe! Ehrlich auf deutschem und liberalem Schilde zu fallen, ist weit rühmlicher, als mit solcher Hilfe zu siegen, die euch zwingt, das Schwarz- Weiß-Not auf dem Schilde ängstlich zu verhüllen!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/270>, abgerufen am 26.06.2024.