Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

zu verhindern; dann können sie gehen. Natürlich werden sie sich ja auch mit
einem schönen Dank begnügen. Nein, ihr müßt ihnen eben wieder helfen! Und ist
eine Vermehrung des Heeres, der Flotte -- sie muß, wie gesagt, den Kräften
des Volks angemessen sein, aber die vertragen dafür noch viele Anspornung--,
eine Erhöhung des Zolls, die gegen unsre Grundsätze ist und recht un¬
angenehm werden kann, ist das alles wirklich so schlimm, daß man es selbst
mit einer Förderung der Partei abwenden muß, die nichts bestehen lassen
will, wie es ist? Leute, die zwar in einigen Dingen unannehmbare Forde¬
rungen stellen, aber es doch mit dem Reiche gut meinen, einen geordneten
Gang des Staatswesens anstreben und -- mit Ausnahme einiger Heißsporne --
alle gesetzlich gewahrten Freiheiten schützen wollen, müssen die unbedingt denen
nachstehen, sind sie mehr unsre Feinde als die, die uns alles nehmen wollen?
So behandelt ihr sie aber, ihr Taktiker! In solchem Grade wendet ihr nie eure
Entrüstung gegen die Feinde des Ganzen, wie gegen die Feinde der Margarine
oder der Produktenbörse! Für den Fall, daß die Sozialdemokraten, wie gesagt,
ihre Rechnung einreichen, seid ihr der Unterstützung der andern ja doch sicher!
Wenn jene sie nun also, großgezogen durch eure Beihilfe, wirklich einreichen,
wenn sie sich ernstlich erheben, glaubt ihr dann zum Lohn für eure Hilfe vor
ihnen sicher zu sein? O glaubt nur, wenn es zum Teilen kommt, sind freisinnige
Geldschränle vor dem Aufbrechen, freisinnige Kapitalistenhälse vor inniger Ver¬
knüpfung mit Laternenpfählen ebenso wenig sicher wie konservative, und -- es
wäre doch schade um solche Redekräfte! Bleibt also zurück von dem Bündnis!
Das raten euch eure eignen Genossen, die Ordnung, Gesittung und Vater¬
land nicht aufgeben mögen, um einige Stimmen im Reichstag zu gewinnen,
oder einige schädliche Maßregeln zu verhindern, die selbst im Falle ihrer Durch¬
führung doch etwas weniger als alles umwerfen.

Aber weiter in der Liste der Freunde unsrer Taktiker! Da kommen noch
die Polen, die Weisen, die französisch gesinnten Elsüsser und die Dünen. Diese
armen ruhigen und friedlichen Staatsbürger werden ja bekanntlich unablässig von
den Regierungen in ihren Rechten und Freiheiten unterdrückt und gekränkt und
verdienen daher die Unterstützung jedes wahrhaft liberal gesinnten Deutschen.
Sie würden es ja auch ganz gewiß, wenn wir in der Minderheit wären, mit
uus ebenso machen -- siehe Tschechien, Flamland usw.! Nun, wenn sich
diese lieben Leute darauf beschränkten, in Gedanken und Worten sich darüber
zu ärgern, daß das deutsche Reich so zusammengesetzt ist, wie es ist, dann
könnte man ihnen ja das Vergnügen lassen, wenigstens solange, wie diese
Worte noch einigermaßen in den Grenzen, wenn auch nicht des Auslands, so
doch des Strafgesetzbuchs bleiben. Zugrunde reden werden sie das Reich doch
nicht, und viel andern Schaden können sie anch nicht damit anrichten. Und ich
denke, Freiheit genug haben sie auch, ihre werte Meinung knndzuthun allen,
die sie hören wollen. Aber dazu können wir uns doch wirklich nicht ent-


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

zu verhindern; dann können sie gehen. Natürlich werden sie sich ja auch mit
einem schönen Dank begnügen. Nein, ihr müßt ihnen eben wieder helfen! Und ist
eine Vermehrung des Heeres, der Flotte — sie muß, wie gesagt, den Kräften
des Volks angemessen sein, aber die vertragen dafür noch viele Anspornung—,
eine Erhöhung des Zolls, die gegen unsre Grundsätze ist und recht un¬
angenehm werden kann, ist das alles wirklich so schlimm, daß man es selbst
mit einer Förderung der Partei abwenden muß, die nichts bestehen lassen
will, wie es ist? Leute, die zwar in einigen Dingen unannehmbare Forde¬
rungen stellen, aber es doch mit dem Reiche gut meinen, einen geordneten
Gang des Staatswesens anstreben und — mit Ausnahme einiger Heißsporne —
alle gesetzlich gewahrten Freiheiten schützen wollen, müssen die unbedingt denen
nachstehen, sind sie mehr unsre Feinde als die, die uns alles nehmen wollen?
So behandelt ihr sie aber, ihr Taktiker! In solchem Grade wendet ihr nie eure
Entrüstung gegen die Feinde des Ganzen, wie gegen die Feinde der Margarine
oder der Produktenbörse! Für den Fall, daß die Sozialdemokraten, wie gesagt,
ihre Rechnung einreichen, seid ihr der Unterstützung der andern ja doch sicher!
Wenn jene sie nun also, großgezogen durch eure Beihilfe, wirklich einreichen,
wenn sie sich ernstlich erheben, glaubt ihr dann zum Lohn für eure Hilfe vor
ihnen sicher zu sein? O glaubt nur, wenn es zum Teilen kommt, sind freisinnige
Geldschränle vor dem Aufbrechen, freisinnige Kapitalistenhälse vor inniger Ver¬
knüpfung mit Laternenpfählen ebenso wenig sicher wie konservative, und — es
wäre doch schade um solche Redekräfte! Bleibt also zurück von dem Bündnis!
Das raten euch eure eignen Genossen, die Ordnung, Gesittung und Vater¬
land nicht aufgeben mögen, um einige Stimmen im Reichstag zu gewinnen,
oder einige schädliche Maßregeln zu verhindern, die selbst im Falle ihrer Durch¬
führung doch etwas weniger als alles umwerfen.

Aber weiter in der Liste der Freunde unsrer Taktiker! Da kommen noch
die Polen, die Weisen, die französisch gesinnten Elsüsser und die Dünen. Diese
armen ruhigen und friedlichen Staatsbürger werden ja bekanntlich unablässig von
den Regierungen in ihren Rechten und Freiheiten unterdrückt und gekränkt und
verdienen daher die Unterstützung jedes wahrhaft liberal gesinnten Deutschen.
Sie würden es ja auch ganz gewiß, wenn wir in der Minderheit wären, mit
uus ebenso machen — siehe Tschechien, Flamland usw.! Nun, wenn sich
diese lieben Leute darauf beschränkten, in Gedanken und Worten sich darüber
zu ärgern, daß das deutsche Reich so zusammengesetzt ist, wie es ist, dann
könnte man ihnen ja das Vergnügen lassen, wenigstens solange, wie diese
Worte noch einigermaßen in den Grenzen, wenn auch nicht des Auslands, so
doch des Strafgesetzbuchs bleiben. Zugrunde reden werden sie das Reich doch
nicht, und viel andern Schaden können sie anch nicht damit anrichten. Und ich
denke, Freiheit genug haben sie auch, ihre werte Meinung knndzuthun allen,
die sie hören wollen. Aber dazu können wir uns doch wirklich nicht ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226499"/>
          <fw type="header" place="top"> Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_652" prev="#ID_651"> zu verhindern; dann können sie gehen. Natürlich werden sie sich ja auch mit<lb/>
einem schönen Dank begnügen. Nein, ihr müßt ihnen eben wieder helfen! Und ist<lb/>
eine Vermehrung des Heeres, der Flotte &#x2014; sie muß, wie gesagt, den Kräften<lb/>
des Volks angemessen sein, aber die vertragen dafür noch viele Anspornung&#x2014;,<lb/>
eine Erhöhung des Zolls, die gegen unsre Grundsätze ist und recht un¬<lb/>
angenehm werden kann, ist das alles wirklich so schlimm, daß man es selbst<lb/>
mit einer Förderung der Partei abwenden muß, die nichts bestehen lassen<lb/>
will, wie es ist? Leute, die zwar in einigen Dingen unannehmbare Forde¬<lb/>
rungen stellen, aber es doch mit dem Reiche gut meinen, einen geordneten<lb/>
Gang des Staatswesens anstreben und &#x2014; mit Ausnahme einiger Heißsporne &#x2014;<lb/>
alle gesetzlich gewahrten Freiheiten schützen wollen, müssen die unbedingt denen<lb/>
nachstehen, sind sie mehr unsre Feinde als die, die uns alles nehmen wollen?<lb/>
So behandelt ihr sie aber, ihr Taktiker! In solchem Grade wendet ihr nie eure<lb/>
Entrüstung gegen die Feinde des Ganzen, wie gegen die Feinde der Margarine<lb/>
oder der Produktenbörse! Für den Fall, daß die Sozialdemokraten, wie gesagt,<lb/>
ihre Rechnung einreichen, seid ihr der Unterstützung der andern ja doch sicher!<lb/>
Wenn jene sie nun also, großgezogen durch eure Beihilfe, wirklich einreichen,<lb/>
wenn sie sich ernstlich erheben, glaubt ihr dann zum Lohn für eure Hilfe vor<lb/>
ihnen sicher zu sein? O glaubt nur, wenn es zum Teilen kommt, sind freisinnige<lb/>
Geldschränle vor dem Aufbrechen, freisinnige Kapitalistenhälse vor inniger Ver¬<lb/>
knüpfung mit Laternenpfählen ebenso wenig sicher wie konservative, und &#x2014; es<lb/>
wäre doch schade um solche Redekräfte! Bleibt also zurück von dem Bündnis!<lb/>
Das raten euch eure eignen Genossen, die Ordnung, Gesittung und Vater¬<lb/>
land nicht aufgeben mögen, um einige Stimmen im Reichstag zu gewinnen,<lb/>
oder einige schädliche Maßregeln zu verhindern, die selbst im Falle ihrer Durch¬<lb/>
führung doch etwas weniger als alles umwerfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653" next="#ID_654"> Aber weiter in der Liste der Freunde unsrer Taktiker! Da kommen noch<lb/>
die Polen, die Weisen, die französisch gesinnten Elsüsser und die Dünen. Diese<lb/>
armen ruhigen und friedlichen Staatsbürger werden ja bekanntlich unablässig von<lb/>
den Regierungen in ihren Rechten und Freiheiten unterdrückt und gekränkt und<lb/>
verdienen daher die Unterstützung jedes wahrhaft liberal gesinnten Deutschen.<lb/>
Sie würden es ja auch ganz gewiß, wenn wir in der Minderheit wären, mit<lb/>
uus ebenso machen &#x2014; siehe Tschechien, Flamland usw.! Nun, wenn sich<lb/>
diese lieben Leute darauf beschränkten, in Gedanken und Worten sich darüber<lb/>
zu ärgern, daß das deutsche Reich so zusammengesetzt ist, wie es ist, dann<lb/>
könnte man ihnen ja das Vergnügen lassen, wenigstens solange, wie diese<lb/>
Worte noch einigermaßen in den Grenzen, wenn auch nicht des Auslands, so<lb/>
doch des Strafgesetzbuchs bleiben. Zugrunde reden werden sie das Reich doch<lb/>
nicht, und viel andern Schaden können sie anch nicht damit anrichten. Und ich<lb/>
denke, Freiheit genug haben sie auch, ihre werte Meinung knndzuthun allen,<lb/>
die sie hören wollen.  Aber dazu können wir uns doch wirklich nicht ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei zu verhindern; dann können sie gehen. Natürlich werden sie sich ja auch mit einem schönen Dank begnügen. Nein, ihr müßt ihnen eben wieder helfen! Und ist eine Vermehrung des Heeres, der Flotte — sie muß, wie gesagt, den Kräften des Volks angemessen sein, aber die vertragen dafür noch viele Anspornung—, eine Erhöhung des Zolls, die gegen unsre Grundsätze ist und recht un¬ angenehm werden kann, ist das alles wirklich so schlimm, daß man es selbst mit einer Förderung der Partei abwenden muß, die nichts bestehen lassen will, wie es ist? Leute, die zwar in einigen Dingen unannehmbare Forde¬ rungen stellen, aber es doch mit dem Reiche gut meinen, einen geordneten Gang des Staatswesens anstreben und — mit Ausnahme einiger Heißsporne — alle gesetzlich gewahrten Freiheiten schützen wollen, müssen die unbedingt denen nachstehen, sind sie mehr unsre Feinde als die, die uns alles nehmen wollen? So behandelt ihr sie aber, ihr Taktiker! In solchem Grade wendet ihr nie eure Entrüstung gegen die Feinde des Ganzen, wie gegen die Feinde der Margarine oder der Produktenbörse! Für den Fall, daß die Sozialdemokraten, wie gesagt, ihre Rechnung einreichen, seid ihr der Unterstützung der andern ja doch sicher! Wenn jene sie nun also, großgezogen durch eure Beihilfe, wirklich einreichen, wenn sie sich ernstlich erheben, glaubt ihr dann zum Lohn für eure Hilfe vor ihnen sicher zu sein? O glaubt nur, wenn es zum Teilen kommt, sind freisinnige Geldschränle vor dem Aufbrechen, freisinnige Kapitalistenhälse vor inniger Ver¬ knüpfung mit Laternenpfählen ebenso wenig sicher wie konservative, und — es wäre doch schade um solche Redekräfte! Bleibt also zurück von dem Bündnis! Das raten euch eure eignen Genossen, die Ordnung, Gesittung und Vater¬ land nicht aufgeben mögen, um einige Stimmen im Reichstag zu gewinnen, oder einige schädliche Maßregeln zu verhindern, die selbst im Falle ihrer Durch¬ führung doch etwas weniger als alles umwerfen. Aber weiter in der Liste der Freunde unsrer Taktiker! Da kommen noch die Polen, die Weisen, die französisch gesinnten Elsüsser und die Dünen. Diese armen ruhigen und friedlichen Staatsbürger werden ja bekanntlich unablässig von den Regierungen in ihren Rechten und Freiheiten unterdrückt und gekränkt und verdienen daher die Unterstützung jedes wahrhaft liberal gesinnten Deutschen. Sie würden es ja auch ganz gewiß, wenn wir in der Minderheit wären, mit uus ebenso machen — siehe Tschechien, Flamland usw.! Nun, wenn sich diese lieben Leute darauf beschränkten, in Gedanken und Worten sich darüber zu ärgern, daß das deutsche Reich so zusammengesetzt ist, wie es ist, dann könnte man ihnen ja das Vergnügen lassen, wenigstens solange, wie diese Worte noch einigermaßen in den Grenzen, wenn auch nicht des Auslands, so doch des Strafgesetzbuchs bleiben. Zugrunde reden werden sie das Reich doch nicht, und viel andern Schaden können sie anch nicht damit anrichten. Und ich denke, Freiheit genug haben sie auch, ihre werte Meinung knndzuthun allen, die sie hören wollen. Aber dazu können wir uns doch wirklich nicht ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/269>, abgerufen am 26.06.2024.