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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

alles unter eisernem Druck halten will, in den unzerbrechlichen Fesseln der
Unterwerfung unter höhere Bestimmung, die noch dazu in den Händen einer
nichtdeutschen Gewalt zusammenlaufen! Und umsonst bekommt ihr ja bekanntlich
deren Unterstützung auch nicht, souderu ihr müßt ihnen dafür versprechen, sie
in einem andern Wahlkreise zu unterstützen oder für Gesetze zu stimmen, die
nach ihrem Sinne sind. Rom thut nichts umsonst. Und mit solchen An¬
forderungen wagt ihr es vor die freisinnige deutsche Wählerschaft zu treten?
Da wundert euch auch nicht, wenn sie von ihrer Freiheit Gebrauch macht
und euch den Gehorsam versagt! Es giebt doch glücklicherweise noch recht viel
Liberale, die sich schämen, einen solchen Vertrag gutzuheißen, der um der
Taktik willen empfohlen wird, ja die es schließlich vorziehen, einen konser¬
vativen, aber ehrlichen und aufrichtige" Vertreter zu haben, als einen frei¬
sinnigen, der auf Kredit von den Ultramontanen gewählt ist und daher in
seinem Verhalten keine Freiheit mehr hat. Und wenn nun auch im Reichstag
diese "Stimme fehlt" -- wäre das denn eine Stimme, die uns wirklich gehört
und zukommt? Wenn wir sie ferner haben, dann haben wir, euch folgend,
auch so und so viel Ultramontanen Plätze im Reichstag verschafft, die den
freisinnigen Grundsätzen in vielen Fällen geradezu entgegenwirken! Schöne
Vorteile, die hier die Taktik einbringt! Wie müssen die wohl zur Ausbreitung
liberaler Gesinnung beitragen! Aber anch im Reichstage selbst an der Seite dieser
Partei zu stehen, ihr die freisinnigen Stimmen zu leihe", wo es Befreiung
des Ultramontanismus von gesetzlichen Schranken gilt, "in dafür vielleicht mit
ihrer Hilfe eine" mißliebige" -- ja, mag es auch sei", einen reaktionären
Negierungsvorschlag zurückzuweisen, auch das ist eine für manchen Freisinnigen
im Lande unverständliche Politik. Kann das eine an Thaten fruchtbare Mehr¬
heit geben, eine Mehrheit, die einer Negierung ein bestimmtes Gepräge auf¬
drückt? Nimmermehr! Stürzen könnt ihr gemeinschaftlich, aber auch nicht
einen Zoll hoch gemeinschaftlich bauen! Zum Baue" braucht ihr Kräfte, die
mit euch wenigstens einige Verwandtschaft haben, und die wohnen doch wohl
nicht in nltramontmien Geister". Doch "ein, erreicht habt ihr ja etwas! Sie
haben euch, einer Partei von zwanzig Stimmen, zu einem Sitz im Präsidium
verholfen, und noch dazu bei einer Gelegenheit, wo ihr so recht aus dem
Herzen aller vaterlandsliebenden einheitsfrohcn deutschen Männer gesprochen
habt! Das war doch ein rühmenswerter, wohlverdienter Erfolg! Nicht wahr, da
haben alle, alle Liberalen jubelnd hinter euch gestanden, als ihr dem Manne,
der selbst nach dem Urteil der Feinde doch etwas mehr für Deutschland gethan
hat, als eure ganze so schön zusammengesetzte Mehrheit, den Glückwunsch auch
im Privatstande versagtet! Nein, wahrhaftig, da hättet ihr lieber den Ultra-
montanen auch den dritten Platz im Vorsitz des Reichstags lasse" solle", der
die Nückbenlfuug der Jesuiten verlangt hat! So aber sitzt ihr von ihren Gnade"
im Bündnis mit ihnen dort, trotz eurer geringen Zahl -- wie ehrenvoll! Und


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

alles unter eisernem Druck halten will, in den unzerbrechlichen Fesseln der
Unterwerfung unter höhere Bestimmung, die noch dazu in den Händen einer
nichtdeutschen Gewalt zusammenlaufen! Und umsonst bekommt ihr ja bekanntlich
deren Unterstützung auch nicht, souderu ihr müßt ihnen dafür versprechen, sie
in einem andern Wahlkreise zu unterstützen oder für Gesetze zu stimmen, die
nach ihrem Sinne sind. Rom thut nichts umsonst. Und mit solchen An¬
forderungen wagt ihr es vor die freisinnige deutsche Wählerschaft zu treten?
Da wundert euch auch nicht, wenn sie von ihrer Freiheit Gebrauch macht
und euch den Gehorsam versagt! Es giebt doch glücklicherweise noch recht viel
Liberale, die sich schämen, einen solchen Vertrag gutzuheißen, der um der
Taktik willen empfohlen wird, ja die es schließlich vorziehen, einen konser¬
vativen, aber ehrlichen und aufrichtige» Vertreter zu haben, als einen frei¬
sinnigen, der auf Kredit von den Ultramontanen gewählt ist und daher in
seinem Verhalten keine Freiheit mehr hat. Und wenn nun auch im Reichstag
diese „Stimme fehlt" — wäre das denn eine Stimme, die uns wirklich gehört
und zukommt? Wenn wir sie ferner haben, dann haben wir, euch folgend,
auch so und so viel Ultramontanen Plätze im Reichstag verschafft, die den
freisinnigen Grundsätzen in vielen Fällen geradezu entgegenwirken! Schöne
Vorteile, die hier die Taktik einbringt! Wie müssen die wohl zur Ausbreitung
liberaler Gesinnung beitragen! Aber anch im Reichstage selbst an der Seite dieser
Partei zu stehen, ihr die freisinnigen Stimmen zu leihe», wo es Befreiung
des Ultramontanismus von gesetzlichen Schranken gilt, »in dafür vielleicht mit
ihrer Hilfe eine» mißliebige» — ja, mag es auch sei», einen reaktionären
Negierungsvorschlag zurückzuweisen, auch das ist eine für manchen Freisinnigen
im Lande unverständliche Politik. Kann das eine an Thaten fruchtbare Mehr¬
heit geben, eine Mehrheit, die einer Negierung ein bestimmtes Gepräge auf¬
drückt? Nimmermehr! Stürzen könnt ihr gemeinschaftlich, aber auch nicht
einen Zoll hoch gemeinschaftlich bauen! Zum Baue» braucht ihr Kräfte, die
mit euch wenigstens einige Verwandtschaft haben, und die wohnen doch wohl
nicht in nltramontmien Geister». Doch »ein, erreicht habt ihr ja etwas! Sie
haben euch, einer Partei von zwanzig Stimmen, zu einem Sitz im Präsidium
verholfen, und noch dazu bei einer Gelegenheit, wo ihr so recht aus dem
Herzen aller vaterlandsliebenden einheitsfrohcn deutschen Männer gesprochen
habt! Das war doch ein rühmenswerter, wohlverdienter Erfolg! Nicht wahr, da
haben alle, alle Liberalen jubelnd hinter euch gestanden, als ihr dem Manne,
der selbst nach dem Urteil der Feinde doch etwas mehr für Deutschland gethan
hat, als eure ganze so schön zusammengesetzte Mehrheit, den Glückwunsch auch
im Privatstande versagtet! Nein, wahrhaftig, da hättet ihr lieber den Ultra-
montanen auch den dritten Platz im Vorsitz des Reichstags lasse» solle», der
die Nückbenlfuug der Jesuiten verlangt hat! So aber sitzt ihr von ihren Gnade»
im Bündnis mit ihnen dort, trotz eurer geringen Zahl — wie ehrenvoll! Und


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[0266] Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei alles unter eisernem Druck halten will, in den unzerbrechlichen Fesseln der Unterwerfung unter höhere Bestimmung, die noch dazu in den Händen einer nichtdeutschen Gewalt zusammenlaufen! Und umsonst bekommt ihr ja bekanntlich deren Unterstützung auch nicht, souderu ihr müßt ihnen dafür versprechen, sie in einem andern Wahlkreise zu unterstützen oder für Gesetze zu stimmen, die nach ihrem Sinne sind. Rom thut nichts umsonst. Und mit solchen An¬ forderungen wagt ihr es vor die freisinnige deutsche Wählerschaft zu treten? Da wundert euch auch nicht, wenn sie von ihrer Freiheit Gebrauch macht und euch den Gehorsam versagt! Es giebt doch glücklicherweise noch recht viel Liberale, die sich schämen, einen solchen Vertrag gutzuheißen, der um der Taktik willen empfohlen wird, ja die es schließlich vorziehen, einen konser¬ vativen, aber ehrlichen und aufrichtige» Vertreter zu haben, als einen frei¬ sinnigen, der auf Kredit von den Ultramontanen gewählt ist und daher in seinem Verhalten keine Freiheit mehr hat. Und wenn nun auch im Reichstag diese „Stimme fehlt" — wäre das denn eine Stimme, die uns wirklich gehört und zukommt? Wenn wir sie ferner haben, dann haben wir, euch folgend, auch so und so viel Ultramontanen Plätze im Reichstag verschafft, die den freisinnigen Grundsätzen in vielen Fällen geradezu entgegenwirken! Schöne Vorteile, die hier die Taktik einbringt! Wie müssen die wohl zur Ausbreitung liberaler Gesinnung beitragen! Aber anch im Reichstage selbst an der Seite dieser Partei zu stehen, ihr die freisinnigen Stimmen zu leihe», wo es Befreiung des Ultramontanismus von gesetzlichen Schranken gilt, »in dafür vielleicht mit ihrer Hilfe eine» mißliebige» — ja, mag es auch sei», einen reaktionären Negierungsvorschlag zurückzuweisen, auch das ist eine für manchen Freisinnigen im Lande unverständliche Politik. Kann das eine an Thaten fruchtbare Mehr¬ heit geben, eine Mehrheit, die einer Negierung ein bestimmtes Gepräge auf¬ drückt? Nimmermehr! Stürzen könnt ihr gemeinschaftlich, aber auch nicht einen Zoll hoch gemeinschaftlich bauen! Zum Baue» braucht ihr Kräfte, die mit euch wenigstens einige Verwandtschaft haben, und die wohnen doch wohl nicht in nltramontmien Geister». Doch »ein, erreicht habt ihr ja etwas! Sie haben euch, einer Partei von zwanzig Stimmen, zu einem Sitz im Präsidium verholfen, und noch dazu bei einer Gelegenheit, wo ihr so recht aus dem Herzen aller vaterlandsliebenden einheitsfrohcn deutschen Männer gesprochen habt! Das war doch ein rühmenswerter, wohlverdienter Erfolg! Nicht wahr, da haben alle, alle Liberalen jubelnd hinter euch gestanden, als ihr dem Manne, der selbst nach dem Urteil der Feinde doch etwas mehr für Deutschland gethan hat, als eure ganze so schön zusammengesetzte Mehrheit, den Glückwunsch auch im Privatstande versagtet! Nein, wahrhaftig, da hättet ihr lieber den Ultra- montanen auch den dritten Platz im Vorsitz des Reichstags lasse» solle», der die Nückbenlfuug der Jesuiten verlangt hat! So aber sitzt ihr von ihren Gnade» im Bündnis mit ihnen dort, trotz eurer geringen Zahl — wie ehrenvoll! Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/266>, abgerufen am 26.06.2024.