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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

willen opfert der Deutsche jährlich unzählige Mark an Trinkgeld; nur die
Hälfte davon statt für jenen edeln Zweck für nützliche Staatseinrichtungen hin¬
zugeben, das -- gilt als einfach unmöglich. Und doch, wie viele Kriegsschiffe
z. B. könnten davon gebaut werden! Dem Spießbürger freilich erscheinen von
allen Ausgaben die Steuern als die unnützesten, weil er dafür nicht wie beim
Kaufmann oder in der Kneipe sofort etwas in die Hand bekommt. Statt ihn aber
zu belehren, bestärken ihn die freisinnigen Führer in dieser Abneigung; und
solche Männer verlangen unsre Unterstützung bei der Wahl! Ganz gewiß soll
ans die Zahlungsfähigkeit der Bürger Rücksicht genommen werden bei neuen
kostspieligen Einrichtungen, ganz gewiß sollen die Kosten gerechterweise mehr
aus den vollem Schränken als aus den leerem genommen werden, und in
diesem Sinne war die Einführung der Selbsteinschätzung eine der vortreff¬
lichsten Maßnahmen ausgleichender Gerechtigkeit, der bisher gerade von so
vielen Vermögenden Hohn gesprochen worden war. Das alles ist gewiß.
Aber noch viel gewisser ist: Lg,In8 xubllcA suproir^ lex! Vor allem das für
den Staat notwendige, dann das für ihn sehr nützliche, und dann erst die
Schonung des Geldbeutels! Nur wo der zweite Grundsatz ganz übermüßig
hohe Belastung bringen würde, darf er durch den dritten eingeschränkt werden;
und erst bei dem nur Wünschenswerten darf die Geldfrage eine Hauptrolle
spielen. ?rivickn8 illis ohn8U8 eine vrsvi8, oommuns maznum -- das war
das Ideal einer Republik! Und auch heutzutage wirtschaftet auch die liberalste
Republik nicht ohne Steuern -- und oft wie hohe! Das ist verständigen
Liberalen ebenso gut bekannt wie Konservativen, und deshalb wollen jene von
den unverständigen Steucruhetzern nichts wissen.

Was die andern Ideale der freisinnigen Partei betrifft, so gilt es, wie
gesagt, nur sie mit der wirklichen Welt und den entgegenstehenden Idealen in
Einklang zu bringen; an sich findet die liberale Bürgerschaft ihre Vertretung
durch die Partei gerecht, aber diese Bedingung muß durchaus eingehalten
werden. Vor dem Mißbrauch der Freiheit müssen wir ganz ebenso sehr ge¬
schützt werden, wie vor dem Mißbrauch der Gewalt -- das ist eine Forderung,
die heutzutage fast noch dringender ist als die Abwehr der Reaktion, da die
Reaktion ohnehin bei unsern heutigen Staatseinrichtungen eine viel geringere
sein kann als am Anfang unsers konstitutionelle" Lebens, aus dem dies
Schlagwort stammt. Vorwärts schreiten wollen wir, aber nicht vorwärts
taumeln!

Noch viel mehr aber als falsche oder zu schrankenlos hervorgedrängte
Grundsätze thut der freisinnigen Partei Schaden die "Parteitaktik." Die Mi߬
billigung, ja Entrüstung, die diese unter ihren eignen Angehörigen erweckt, ist
den Herren zuweilen auch schon recht vernehmlich ins Ohr geklungen. Ich
rechne hierher den Widerstand gegen Ausnahmegesetze, ihre Wahl- und parla¬
mentarischen Bündnisse, ihre Redeweise, ihre Obstruktion u. tgi.


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

willen opfert der Deutsche jährlich unzählige Mark an Trinkgeld; nur die
Hälfte davon statt für jenen edeln Zweck für nützliche Staatseinrichtungen hin¬
zugeben, das — gilt als einfach unmöglich. Und doch, wie viele Kriegsschiffe
z. B. könnten davon gebaut werden! Dem Spießbürger freilich erscheinen von
allen Ausgaben die Steuern als die unnützesten, weil er dafür nicht wie beim
Kaufmann oder in der Kneipe sofort etwas in die Hand bekommt. Statt ihn aber
zu belehren, bestärken ihn die freisinnigen Führer in dieser Abneigung; und
solche Männer verlangen unsre Unterstützung bei der Wahl! Ganz gewiß soll
ans die Zahlungsfähigkeit der Bürger Rücksicht genommen werden bei neuen
kostspieligen Einrichtungen, ganz gewiß sollen die Kosten gerechterweise mehr
aus den vollem Schränken als aus den leerem genommen werden, und in
diesem Sinne war die Einführung der Selbsteinschätzung eine der vortreff¬
lichsten Maßnahmen ausgleichender Gerechtigkeit, der bisher gerade von so
vielen Vermögenden Hohn gesprochen worden war. Das alles ist gewiß.
Aber noch viel gewisser ist: Lg,In8 xubllcA suproir^ lex! Vor allem das für
den Staat notwendige, dann das für ihn sehr nützliche, und dann erst die
Schonung des Geldbeutels! Nur wo der zweite Grundsatz ganz übermüßig
hohe Belastung bringen würde, darf er durch den dritten eingeschränkt werden;
und erst bei dem nur Wünschenswerten darf die Geldfrage eine Hauptrolle
spielen. ?rivickn8 illis ohn8U8 eine vrsvi8, oommuns maznum — das war
das Ideal einer Republik! Und auch heutzutage wirtschaftet auch die liberalste
Republik nicht ohne Steuern — und oft wie hohe! Das ist verständigen
Liberalen ebenso gut bekannt wie Konservativen, und deshalb wollen jene von
den unverständigen Steucruhetzern nichts wissen.

Was die andern Ideale der freisinnigen Partei betrifft, so gilt es, wie
gesagt, nur sie mit der wirklichen Welt und den entgegenstehenden Idealen in
Einklang zu bringen; an sich findet die liberale Bürgerschaft ihre Vertretung
durch die Partei gerecht, aber diese Bedingung muß durchaus eingehalten
werden. Vor dem Mißbrauch der Freiheit müssen wir ganz ebenso sehr ge¬
schützt werden, wie vor dem Mißbrauch der Gewalt — das ist eine Forderung,
die heutzutage fast noch dringender ist als die Abwehr der Reaktion, da die
Reaktion ohnehin bei unsern heutigen Staatseinrichtungen eine viel geringere
sein kann als am Anfang unsers konstitutionelle» Lebens, aus dem dies
Schlagwort stammt. Vorwärts schreiten wollen wir, aber nicht vorwärts
taumeln!

Noch viel mehr aber als falsche oder zu schrankenlos hervorgedrängte
Grundsätze thut der freisinnigen Partei Schaden die „Parteitaktik." Die Mi߬
billigung, ja Entrüstung, die diese unter ihren eignen Angehörigen erweckt, ist
den Herren zuweilen auch schon recht vernehmlich ins Ohr geklungen. Ich
rechne hierher den Widerstand gegen Ausnahmegesetze, ihre Wahl- und parla¬
mentarischen Bündnisse, ihre Redeweise, ihre Obstruktion u. tgi.


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[0264] Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei willen opfert der Deutsche jährlich unzählige Mark an Trinkgeld; nur die Hälfte davon statt für jenen edeln Zweck für nützliche Staatseinrichtungen hin¬ zugeben, das — gilt als einfach unmöglich. Und doch, wie viele Kriegsschiffe z. B. könnten davon gebaut werden! Dem Spießbürger freilich erscheinen von allen Ausgaben die Steuern als die unnützesten, weil er dafür nicht wie beim Kaufmann oder in der Kneipe sofort etwas in die Hand bekommt. Statt ihn aber zu belehren, bestärken ihn die freisinnigen Führer in dieser Abneigung; und solche Männer verlangen unsre Unterstützung bei der Wahl! Ganz gewiß soll ans die Zahlungsfähigkeit der Bürger Rücksicht genommen werden bei neuen kostspieligen Einrichtungen, ganz gewiß sollen die Kosten gerechterweise mehr aus den vollem Schränken als aus den leerem genommen werden, und in diesem Sinne war die Einführung der Selbsteinschätzung eine der vortreff¬ lichsten Maßnahmen ausgleichender Gerechtigkeit, der bisher gerade von so vielen Vermögenden Hohn gesprochen worden war. Das alles ist gewiß. Aber noch viel gewisser ist: Lg,In8 xubllcA suproir^ lex! Vor allem das für den Staat notwendige, dann das für ihn sehr nützliche, und dann erst die Schonung des Geldbeutels! Nur wo der zweite Grundsatz ganz übermüßig hohe Belastung bringen würde, darf er durch den dritten eingeschränkt werden; und erst bei dem nur Wünschenswerten darf die Geldfrage eine Hauptrolle spielen. ?rivickn8 illis ohn8U8 eine vrsvi8, oommuns maznum — das war das Ideal einer Republik! Und auch heutzutage wirtschaftet auch die liberalste Republik nicht ohne Steuern — und oft wie hohe! Das ist verständigen Liberalen ebenso gut bekannt wie Konservativen, und deshalb wollen jene von den unverständigen Steucruhetzern nichts wissen. Was die andern Ideale der freisinnigen Partei betrifft, so gilt es, wie gesagt, nur sie mit der wirklichen Welt und den entgegenstehenden Idealen in Einklang zu bringen; an sich findet die liberale Bürgerschaft ihre Vertretung durch die Partei gerecht, aber diese Bedingung muß durchaus eingehalten werden. Vor dem Mißbrauch der Freiheit müssen wir ganz ebenso sehr ge¬ schützt werden, wie vor dem Mißbrauch der Gewalt — das ist eine Forderung, die heutzutage fast noch dringender ist als die Abwehr der Reaktion, da die Reaktion ohnehin bei unsern heutigen Staatseinrichtungen eine viel geringere sein kann als am Anfang unsers konstitutionelle» Lebens, aus dem dies Schlagwort stammt. Vorwärts schreiten wollen wir, aber nicht vorwärts taumeln! Noch viel mehr aber als falsche oder zu schrankenlos hervorgedrängte Grundsätze thut der freisinnigen Partei Schaden die „Parteitaktik." Die Mi߬ billigung, ja Entrüstung, die diese unter ihren eignen Angehörigen erweckt, ist den Herren zuweilen auch schon recht vernehmlich ins Ohr geklungen. Ich rechne hierher den Widerstand gegen Ausnahmegesetze, ihre Wahl- und parla¬ mentarischen Bündnisse, ihre Redeweise, ihre Obstruktion u. tgi.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/264>, abgerufen am 26.06.2024.