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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

Ebenso verlangen sie eine entschiedn? Einschränkung des Ideals vom
Kampfe gegen Adel und Agrarier. Das wäre ja gewiß kein Liberaler, der
der Bevorrechtung des Adels als Adels das Wort redete, der einen einzigen
Stand als den allein oder fast allein maßgebenden anerkennen und alle staat¬
lichen Maßregeln von der Rücksicht auf ihn abhangig machen wollte, wie es
leider jetzt von einer großen Partei geschieht. Die Forderung, daß ein Stand
oder gar die Gesamtheit der Warenabnehmer sich große Opfer auferlegen soll,
um dem Stande der Warenerzeuger Vorteil zu bringen, ist entschieden vom
liberalen Standpunkt verwerflich, von dem aus alle Stunde gleiches Recht
haben und jeder Lohn verdient, der Gutes leistet. Als die Blüte, als die
Edelsten der Nation erkennen wir nur die an, aus deren Thätigkeit Segen
für die Nation entspringt, und Unfreiheit sehen wir nicht in der Abkunft von
bürgerlichen Eltern, sondern in der Unfähigkeit, seine Leidenschaften zu be¬
herrschen und sich zu nutzbringender Arbeit aufzuschwingen. Aber wir werden
uns auch sehr davor hüten, in den Bürgern und Arbeitern die alleinigen Be¬
sitzer der Weisheit zu sehen und, im Gefolge verblendeter Theoretiker und ge¬
meiner Neidlinge, Adel mit Unwissenheit, Besitz mit Herzlosigkeit einfach und
allgemein gleichzustellen. Ein solches Treiben widert sehr viele an, die es
deutlich vor Auge" sehen, wieviel Gutes von manchen Angehörigen der ge-
scholtuen Klassen gewirkt wird. Und ebenso sind sie auch bereit, der Land¬
wirtschaft solche Hilfe zukommen zu lassen, die andern nicht schadet, sobald sie
nur anerkennt, daß auch bei ihr untaugliche Menschen dem Verderben über¬
lassen werden und ungünstige Zeitläufe so gut wie möglich ertragen werden
müssen. Einem so wichtigen Stande muß geholfen werden, mit leeren Schelt¬
reden gegen Junker usw. richtet man nichts aus; das sieht auch der Bürger,
besonders in kleinen Städten, die Not leiden, wenn es den Gutsbesitzern schlecht
geht. Auf gleichem Boden gleiche Hilfe, aber weder einseitige Bevorzugung,
noch einseitige Benachteiligung.

Endlich giebt es auch zahlreiche Liberale, die für das Ideal "So wenig
Steuern wie möglich!" kein Verständnis haben. An Steuern bereichert sich
bei uns niemand; werden sie gefordert, so soll das Geld zum Wohle des
Staates dienen. Und dennoch gilt es als ein furchtbares Brandmal, ein
schrecklicher Vorwarf, wenn von einer Negierung gesagt wird, sie verlange
neue, etwa gar viele neue Steuern. Auch das sind noch die Eierschalen des
Kvustitutionnlismus. Soviel ist doch gewiß, daß, wer z. B. 36 Mark jährliche
Steuern aufbringt, auch 40 Mark aufbringen kann, ohne dem Exekutor zu
verfallen; und eine solche Erhöhung würde dem Staate eine Summe einbringen,
um deren Bewilligung unsre Freisinnigen das fürchterlichste Kriegsgeschrei er¬
heben. Entbehrungen um des eignen Haushalts willen wagen sie nicht zu
verbieten, aber Entbehrungen um des Staatswohls willen werden als der
schrecklichste der Schrecken hingestellt. Um der schöne" Augen der Kellnev


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

Ebenso verlangen sie eine entschiedn? Einschränkung des Ideals vom
Kampfe gegen Adel und Agrarier. Das wäre ja gewiß kein Liberaler, der
der Bevorrechtung des Adels als Adels das Wort redete, der einen einzigen
Stand als den allein oder fast allein maßgebenden anerkennen und alle staat¬
lichen Maßregeln von der Rücksicht auf ihn abhangig machen wollte, wie es
leider jetzt von einer großen Partei geschieht. Die Forderung, daß ein Stand
oder gar die Gesamtheit der Warenabnehmer sich große Opfer auferlegen soll,
um dem Stande der Warenerzeuger Vorteil zu bringen, ist entschieden vom
liberalen Standpunkt verwerflich, von dem aus alle Stunde gleiches Recht
haben und jeder Lohn verdient, der Gutes leistet. Als die Blüte, als die
Edelsten der Nation erkennen wir nur die an, aus deren Thätigkeit Segen
für die Nation entspringt, und Unfreiheit sehen wir nicht in der Abkunft von
bürgerlichen Eltern, sondern in der Unfähigkeit, seine Leidenschaften zu be¬
herrschen und sich zu nutzbringender Arbeit aufzuschwingen. Aber wir werden
uns auch sehr davor hüten, in den Bürgern und Arbeitern die alleinigen Be¬
sitzer der Weisheit zu sehen und, im Gefolge verblendeter Theoretiker und ge¬
meiner Neidlinge, Adel mit Unwissenheit, Besitz mit Herzlosigkeit einfach und
allgemein gleichzustellen. Ein solches Treiben widert sehr viele an, die es
deutlich vor Auge» sehen, wieviel Gutes von manchen Angehörigen der ge-
scholtuen Klassen gewirkt wird. Und ebenso sind sie auch bereit, der Land¬
wirtschaft solche Hilfe zukommen zu lassen, die andern nicht schadet, sobald sie
nur anerkennt, daß auch bei ihr untaugliche Menschen dem Verderben über¬
lassen werden und ungünstige Zeitläufe so gut wie möglich ertragen werden
müssen. Einem so wichtigen Stande muß geholfen werden, mit leeren Schelt¬
reden gegen Junker usw. richtet man nichts aus; das sieht auch der Bürger,
besonders in kleinen Städten, die Not leiden, wenn es den Gutsbesitzern schlecht
geht. Auf gleichem Boden gleiche Hilfe, aber weder einseitige Bevorzugung,
noch einseitige Benachteiligung.

Endlich giebt es auch zahlreiche Liberale, die für das Ideal „So wenig
Steuern wie möglich!" kein Verständnis haben. An Steuern bereichert sich
bei uns niemand; werden sie gefordert, so soll das Geld zum Wohle des
Staates dienen. Und dennoch gilt es als ein furchtbares Brandmal, ein
schrecklicher Vorwarf, wenn von einer Negierung gesagt wird, sie verlange
neue, etwa gar viele neue Steuern. Auch das sind noch die Eierschalen des
Kvustitutionnlismus. Soviel ist doch gewiß, daß, wer z. B. 36 Mark jährliche
Steuern aufbringt, auch 40 Mark aufbringen kann, ohne dem Exekutor zu
verfallen; und eine solche Erhöhung würde dem Staate eine Summe einbringen,
um deren Bewilligung unsre Freisinnigen das fürchterlichste Kriegsgeschrei er¬
heben. Entbehrungen um des eignen Haushalts willen wagen sie nicht zu
verbieten, aber Entbehrungen um des Staatswohls willen werden als der
schrecklichste der Schrecken hingestellt. Um der schöne« Augen der Kellnev


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/263>, abgerufen am 26.06.2024.