Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

s ist eine alte und wohlbegründete Erfahrung, daß Bewohner
alter Handelsstädte, zumal solcher, die ehemals frei waren oder
es noch sind, in überwiegender Mehrzahl politisch freisinnige
Anschauungen haben, mögen sie nun zum handeltreibenden Teil
der Bevölkerung gehören oder nicht. Die Luft macht es, so zu
sagen. So sehr auch viele von ihnen an althergebrachten Einrichtungen Hunger,
Politisch konservativ ist nur ein verschwindender Teil. Der eines in den Nach¬
kommen immer noch fortwirkende Stolz auf bürgerliche Selbständigkeit, auf
das, was die Heimat aus eigner Kraft vollbracht und errungen hat, beugt
sich gar zu ungern Vorschriften von oben her, die alle eigne Erwägung aus¬
schließen und nur Gehorsam fordern. Der Blick auf den weitausgedehnter
Verkehr mit fremden Völkern und Ländern, auf die Vorteile des beständigen
lebhaften Austauschs erweitert und kräftigt den Sir" des Einzelnen wie der
Blick auf die weite Meeresflüche und erzeugt ein unbeugsames Widerstreben
gegen eine Einschrünknng und Unterordnung, die nicht aus freier innerer
Neigung hervorgeht; eine solche giebt es aber anch, denn gerade jener Blick
ins Weite lehrt die Notwendigkeit von Ordnung und Gesetzen, aber es müsse"
sclbsterkcmnte und selbstauferlcgte sein. Und hüte nun jenen innern Freiheits¬
drang ein äußerer Zwang nieder, so kaun er sich wohl in starrem Schweigen
beugen, innerlich aber befestigt er sich umso mehr, und wo ihm Raum zur
Bethütigung gelassen wird, bei Wahlen oder in geheimen Gesprüchen, da bricht
er in alter Kraft hervor. Es ist nicht wohlgethan, diesen Sinn tüchtiger
Männer dnrch Drohungen oder Strafen niederzudrücken, selbst nicht, ihn in
Worten als tadelnswerte Auflehnung gegen die Negierungsweisheit zu brand¬
marken. Damit treibt man ihn, der ja doch nnr das Wohl des Ganzen will,
wenn anch ans eigne Art, zuletzt in das Bett wirklich gehässiger Strömung


Grenzboten IV 1897 W


Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei

s ist eine alte und wohlbegründete Erfahrung, daß Bewohner
alter Handelsstädte, zumal solcher, die ehemals frei waren oder
es noch sind, in überwiegender Mehrzahl politisch freisinnige
Anschauungen haben, mögen sie nun zum handeltreibenden Teil
der Bevölkerung gehören oder nicht. Die Luft macht es, so zu
sagen. So sehr auch viele von ihnen an althergebrachten Einrichtungen Hunger,
Politisch konservativ ist nur ein verschwindender Teil. Der eines in den Nach¬
kommen immer noch fortwirkende Stolz auf bürgerliche Selbständigkeit, auf
das, was die Heimat aus eigner Kraft vollbracht und errungen hat, beugt
sich gar zu ungern Vorschriften von oben her, die alle eigne Erwägung aus¬
schließen und nur Gehorsam fordern. Der Blick auf den weitausgedehnter
Verkehr mit fremden Völkern und Ländern, auf die Vorteile des beständigen
lebhaften Austauschs erweitert und kräftigt den Sir» des Einzelnen wie der
Blick auf die weite Meeresflüche und erzeugt ein unbeugsames Widerstreben
gegen eine Einschrünknng und Unterordnung, die nicht aus freier innerer
Neigung hervorgeht; eine solche giebt es aber anch, denn gerade jener Blick
ins Weite lehrt die Notwendigkeit von Ordnung und Gesetzen, aber es müsse»
sclbsterkcmnte und selbstauferlcgte sein. Und hüte nun jenen innern Freiheits¬
drang ein äußerer Zwang nieder, so kaun er sich wohl in starrem Schweigen
beugen, innerlich aber befestigt er sich umso mehr, und wo ihm Raum zur
Bethütigung gelassen wird, bei Wahlen oder in geheimen Gesprüchen, da bricht
er in alter Kraft hervor. Es ist nicht wohlgethan, diesen Sinn tüchtiger
Männer dnrch Drohungen oder Strafen niederzudrücken, selbst nicht, ihn in
Worten als tadelnswerte Auflehnung gegen die Negierungsweisheit zu brand¬
marken. Damit treibt man ihn, der ja doch nnr das Wohl des Ganzen will,
wenn anch ans eigne Art, zuletzt in das Bett wirklich gehässiger Strömung


Grenzboten IV 1897 W
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226489"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341865_226231/figures/grenzboten_341865_226231_226489_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei</head><lb/>
          <p xml:id="ID_632" next="#ID_633"> s ist eine alte und wohlbegründete Erfahrung, daß Bewohner<lb/>
alter Handelsstädte, zumal solcher, die ehemals frei waren oder<lb/>
es noch sind, in überwiegender Mehrzahl politisch freisinnige<lb/>
Anschauungen haben, mögen sie nun zum handeltreibenden Teil<lb/>
der Bevölkerung gehören oder nicht. Die Luft macht es, so zu<lb/>
sagen. So sehr auch viele von ihnen an althergebrachten Einrichtungen Hunger,<lb/>
Politisch konservativ ist nur ein verschwindender Teil. Der eines in den Nach¬<lb/>
kommen immer noch fortwirkende Stolz auf bürgerliche Selbständigkeit, auf<lb/>
das, was die Heimat aus eigner Kraft vollbracht und errungen hat, beugt<lb/>
sich gar zu ungern Vorschriften von oben her, die alle eigne Erwägung aus¬<lb/>
schließen und nur Gehorsam fordern. Der Blick auf den weitausgedehnter<lb/>
Verkehr mit fremden Völkern und Ländern, auf die Vorteile des beständigen<lb/>
lebhaften Austauschs erweitert und kräftigt den Sir» des Einzelnen wie der<lb/>
Blick auf die weite Meeresflüche und erzeugt ein unbeugsames Widerstreben<lb/>
gegen eine Einschrünknng und Unterordnung, die nicht aus freier innerer<lb/>
Neigung hervorgeht; eine solche giebt es aber anch, denn gerade jener Blick<lb/>
ins Weite lehrt die Notwendigkeit von Ordnung und Gesetzen, aber es müsse»<lb/>
sclbsterkcmnte und selbstauferlcgte sein. Und hüte nun jenen innern Freiheits¬<lb/>
drang ein äußerer Zwang nieder, so kaun er sich wohl in starrem Schweigen<lb/>
beugen, innerlich aber befestigt er sich umso mehr, und wo ihm Raum zur<lb/>
Bethütigung gelassen wird, bei Wahlen oder in geheimen Gesprüchen, da bricht<lb/>
er in alter Kraft hervor. Es ist nicht wohlgethan, diesen Sinn tüchtiger<lb/>
Männer dnrch Drohungen oder Strafen niederzudrücken, selbst nicht, ihn in<lb/>
Worten als tadelnswerte Auflehnung gegen die Negierungsweisheit zu brand¬<lb/>
marken. Damit treibt man ihn, der ja doch nnr das Wohl des Ganzen will,<lb/>
wenn anch ans eigne Art, zuletzt in das Bett wirklich gehässiger Strömung</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1897 W</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] [Abbildung] Gedanken eines Freisinnigen über die freisinnige Partei s ist eine alte und wohlbegründete Erfahrung, daß Bewohner alter Handelsstädte, zumal solcher, die ehemals frei waren oder es noch sind, in überwiegender Mehrzahl politisch freisinnige Anschauungen haben, mögen sie nun zum handeltreibenden Teil der Bevölkerung gehören oder nicht. Die Luft macht es, so zu sagen. So sehr auch viele von ihnen an althergebrachten Einrichtungen Hunger, Politisch konservativ ist nur ein verschwindender Teil. Der eines in den Nach¬ kommen immer noch fortwirkende Stolz auf bürgerliche Selbständigkeit, auf das, was die Heimat aus eigner Kraft vollbracht und errungen hat, beugt sich gar zu ungern Vorschriften von oben her, die alle eigne Erwägung aus¬ schließen und nur Gehorsam fordern. Der Blick auf den weitausgedehnter Verkehr mit fremden Völkern und Ländern, auf die Vorteile des beständigen lebhaften Austauschs erweitert und kräftigt den Sir» des Einzelnen wie der Blick auf die weite Meeresflüche und erzeugt ein unbeugsames Widerstreben gegen eine Einschrünknng und Unterordnung, die nicht aus freier innerer Neigung hervorgeht; eine solche giebt es aber anch, denn gerade jener Blick ins Weite lehrt die Notwendigkeit von Ordnung und Gesetzen, aber es müsse» sclbsterkcmnte und selbstauferlcgte sein. Und hüte nun jenen innern Freiheits¬ drang ein äußerer Zwang nieder, so kaun er sich wohl in starrem Schweigen beugen, innerlich aber befestigt er sich umso mehr, und wo ihm Raum zur Bethütigung gelassen wird, bei Wahlen oder in geheimen Gesprüchen, da bricht er in alter Kraft hervor. Es ist nicht wohlgethan, diesen Sinn tüchtiger Männer dnrch Drohungen oder Strafen niederzudrücken, selbst nicht, ihn in Worten als tadelnswerte Auflehnung gegen die Negierungsweisheit zu brand¬ marken. Damit treibt man ihn, der ja doch nnr das Wohl des Ganzen will, wenn anch ans eigne Art, zuletzt in das Bett wirklich gehässiger Strömung Grenzboten IV 1897 W

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/259>, abgerufen am 26.06.2024.