Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches anpaßte und die Befolgung ihrer Bestimmungen erleichterte," und die deutschen Etwas wirklich neues bietet, da weder das Zeitalter Pauls IV. noch das Vene¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches anpaßte und die Befolgung ihrer Bestimmungen erleichterte," und die deutschen Etwas wirklich neues bietet, da weder das Zeitalter Pauls IV. noch das Vene¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226487"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_628" prev="#ID_627"> anpaßte und die Befolgung ihrer Bestimmungen erleichterte," und die deutschen<lb/> Bischöfe schlössen sich mit der Bitte um „Prüfung und Neufassung" des Index an.<lb/> Aber die Kurie ist bekanntlich Meisterin des passiven Widerstandes, erst am 27. Jcmunr<lb/> dieses Jahres ist die Encyklika (Meioruin ize wunoinm erschienen, die den bezeich¬<lb/> nenden einleitenden Satz bringt: „Wir haben uns entschlossen, die alten Bestim¬<lb/> mungen des Index unter Aufrechterhaltung ihres Wesens etwas zu mildern, sodaß<lb/> es für niemand mehr, der den guten Willen dazu hat, schwierig oder peinlich<lb/> fein kann, sich ihnen anzupassen." Thatsächlich umfaßt die Encyklika neuere Er¬<lb/> scheinungen des geistige» Lebeus abwehrend und verurteilend, aber im übrigen baut<lb/> sie sich oft in wörtlicher Fassung auf deu Tridentiner Regeln auf. Das trifft ganz<lb/> besonders zu für die grundlegenden Regeln I nud II. Auch heute uoch sind Ver¬<lb/> bote»: alle Bücher, die die Häresie (Ketzerei), das Schisma (die Trennung von der<lb/> Kirche) oder irgend einen sich gegen die natürlichen Grundwahrheiten richtenden<lb/> Irrtum predigen; ferner ganz allgemein alle ausdrücklich von Religion handelnden,<lb/> von Nichtkatholiken verfaßten Bücher, wenn nicht ihre Rechtgläubigkeit festgestellt<lb/> ist (Artikel 5, 7, 3 der Bulle). Es sind weiter verboten: Bibelübersetzungen jeder<lb/> Sprache von Nichtkatholiken verfaßt oder von Bibelgesellschaften verbreitet, endlich<lb/> der Gebrauch von Übertragungen in Volkssprachen, wenn sie nicht ausdrücklich<lb/> kirchlich anerkannt sind (Artikel 5, 6, 8). Die Geistesarbeit von Nichtkatholiken<lb/> und von drei Jahrhunderten auf religiösem Gebiet soll so mit einem Federstrich<lb/> für die katholische Welt verurteilt werden. Regel VII des Tridentiner Konzils<lb/> erfährt durch Artikel 9 und 10 die Erweiterung, daß anstößige Klassiker in Schulen<lb/> usw. gelesen werden können, wenn die anstößigen Stellen ausgemerzt sind. Eine<lb/> gesunde Grundlage zeigt der nu Regel VII und IX sich anlehnende Artikel 13 der<lb/> neuen Verordnung, der zum Aberglauben verführende Bücher, ekstatische und Visions-<lb/> beschreibuugen und dergleichen verbietet; innere Angelegenheiten der Kirche regeln<lb/> mit vollem Recht die Artikel 15 bis 20, die sich gegen nicht anerkannte Bilder,<lb/> Ablässe, Liturgien, Litaneien und Gebetbücher wenden. Wie dehnbar dagegen, und<lb/> deshalb für die Gewissensfreiheit gefährlich, sind Verbote von Büchern, die Be¬<lb/> leidigungen Gottes, der heiligen Jungfran, des heiligen Stahles, der katholischen<lb/> Hierarchie, des geistlichen oder religiösen Standes enthalten, die das Duell, den<lb/> Selbstmord, die Ehescheidung, geheime Gesellschaften oder Irrtümer verteidigen, die<lb/> vom heiligen Stuhl verdammt sind (Artikel 11 und 14)!</p><lb/> <p xml:id="ID_629"> Etwas wirklich neues bietet, da weder das Zeitalter Pauls IV. noch das Vene¬<lb/> digs XIV. die nach den Anschauungen der katholischen Kirche allerdings moralisch<lb/> nicht bestehende Preßfreiheit, unser heutiges Zeitungswesen und die Beteiligung<lb/> von Geistlichen an ihm kannte, Kapitel VHI der Encyklika Leos XIII. Die Inqui¬<lb/> sition verbot seinerzeit den gesamten Verlag von zweiundsechzig aufgeführte»<lb/> Buchdrucker», weil diese el»zel»e ketzerische Bücher veröffentlicht hatten. Solche<lb/> Waffen würden sich hente als stumpf erweisen, und so beschränkt sich Leo XIII.<lb/> darauf, das Halten und Lesen von Zeitungen zu verbieten, die systematisch die<lb/> Religion und die guten Sitten angreifen; Laien und namentlich Geistliche dürfen<lb/> nichts darin veröffentlichen; jede Veröffentlichung der Geistlichen in religiösen und<lb/> weltlichen Dingen unterliegt überhaupt der Begutachtung und Erlaubnis der Obern,<lb/> ebenso die Übernahme der Leitung eines täglich oder periodisch erscheinenden<lb/> Blattes oder einer Zeitschrift (Artikel 21, 22, 41, 42). Diese Anordnungen be¬<lb/> deuten eine große Stärkung des bischöflichen Einflusses, sie sind auch wohl als<lb/> Waffe gegen die namentlich in Amerika, Frankreich und Belgien der Kurie gegenüber<lb/> immer selbständiger auftretenden jüngern christlich-demokratischen Geistlichen gedacht.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0257]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
anpaßte und die Befolgung ihrer Bestimmungen erleichterte," und die deutschen
Bischöfe schlössen sich mit der Bitte um „Prüfung und Neufassung" des Index an.
Aber die Kurie ist bekanntlich Meisterin des passiven Widerstandes, erst am 27. Jcmunr
dieses Jahres ist die Encyklika (Meioruin ize wunoinm erschienen, die den bezeich¬
nenden einleitenden Satz bringt: „Wir haben uns entschlossen, die alten Bestim¬
mungen des Index unter Aufrechterhaltung ihres Wesens etwas zu mildern, sodaß
es für niemand mehr, der den guten Willen dazu hat, schwierig oder peinlich
fein kann, sich ihnen anzupassen." Thatsächlich umfaßt die Encyklika neuere Er¬
scheinungen des geistige» Lebeus abwehrend und verurteilend, aber im übrigen baut
sie sich oft in wörtlicher Fassung auf deu Tridentiner Regeln auf. Das trifft ganz
besonders zu für die grundlegenden Regeln I nud II. Auch heute uoch sind Ver¬
bote»: alle Bücher, die die Häresie (Ketzerei), das Schisma (die Trennung von der
Kirche) oder irgend einen sich gegen die natürlichen Grundwahrheiten richtenden
Irrtum predigen; ferner ganz allgemein alle ausdrücklich von Religion handelnden,
von Nichtkatholiken verfaßten Bücher, wenn nicht ihre Rechtgläubigkeit festgestellt
ist (Artikel 5, 7, 3 der Bulle). Es sind weiter verboten: Bibelübersetzungen jeder
Sprache von Nichtkatholiken verfaßt oder von Bibelgesellschaften verbreitet, endlich
der Gebrauch von Übertragungen in Volkssprachen, wenn sie nicht ausdrücklich
kirchlich anerkannt sind (Artikel 5, 6, 8). Die Geistesarbeit von Nichtkatholiken
und von drei Jahrhunderten auf religiösem Gebiet soll so mit einem Federstrich
für die katholische Welt verurteilt werden. Regel VII des Tridentiner Konzils
erfährt durch Artikel 9 und 10 die Erweiterung, daß anstößige Klassiker in Schulen
usw. gelesen werden können, wenn die anstößigen Stellen ausgemerzt sind. Eine
gesunde Grundlage zeigt der nu Regel VII und IX sich anlehnende Artikel 13 der
neuen Verordnung, der zum Aberglauben verführende Bücher, ekstatische und Visions-
beschreibuugen und dergleichen verbietet; innere Angelegenheiten der Kirche regeln
mit vollem Recht die Artikel 15 bis 20, die sich gegen nicht anerkannte Bilder,
Ablässe, Liturgien, Litaneien und Gebetbücher wenden. Wie dehnbar dagegen, und
deshalb für die Gewissensfreiheit gefährlich, sind Verbote von Büchern, die Be¬
leidigungen Gottes, der heiligen Jungfran, des heiligen Stahles, der katholischen
Hierarchie, des geistlichen oder religiösen Standes enthalten, die das Duell, den
Selbstmord, die Ehescheidung, geheime Gesellschaften oder Irrtümer verteidigen, die
vom heiligen Stuhl verdammt sind (Artikel 11 und 14)!
Etwas wirklich neues bietet, da weder das Zeitalter Pauls IV. noch das Vene¬
digs XIV. die nach den Anschauungen der katholischen Kirche allerdings moralisch
nicht bestehende Preßfreiheit, unser heutiges Zeitungswesen und die Beteiligung
von Geistlichen an ihm kannte, Kapitel VHI der Encyklika Leos XIII. Die Inqui¬
sition verbot seinerzeit den gesamten Verlag von zweiundsechzig aufgeführte»
Buchdrucker», weil diese el»zel»e ketzerische Bücher veröffentlicht hatten. Solche
Waffen würden sich hente als stumpf erweisen, und so beschränkt sich Leo XIII.
darauf, das Halten und Lesen von Zeitungen zu verbieten, die systematisch die
Religion und die guten Sitten angreifen; Laien und namentlich Geistliche dürfen
nichts darin veröffentlichen; jede Veröffentlichung der Geistlichen in religiösen und
weltlichen Dingen unterliegt überhaupt der Begutachtung und Erlaubnis der Obern,
ebenso die Übernahme der Leitung eines täglich oder periodisch erscheinenden
Blattes oder einer Zeitschrift (Artikel 21, 22, 41, 42). Diese Anordnungen be¬
deuten eine große Stärkung des bischöflichen Einflusses, sie sind auch wohl als
Waffe gegen die namentlich in Amerika, Frankreich und Belgien der Kurie gegenüber
immer selbständiger auftretenden jüngern christlich-demokratischen Geistlichen gedacht.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |