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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

Adler tragen, so wäre doch unter allen Umständen der bairische Postillon zu
schlitzen. Der gehört zur Landschaft. Die preußische Post hat den guten alten
Postillon schlecht zurechtgestutzt. Mau sehe nur diese steife Zivilpickelhaube
mit der sparsamen Andeutung eines Haarbüschleins, und die trübe dunkelblaue
Uniform mit den grell ziegelrotem Aufschlägen. Was für ein andrer Kerl ist
da ein bairischer Postillon mit seinem hellblauen Frack, seinen weißen Leder¬
hosen und seinen hohen Stiefeln! Mit Recht verehrt die ganze Anwohner¬
schaft einer Landstraße ihren Postillon und ist stolz auf ihn. Und auch er
kann stolz sein: Kaulbach und Schwind haben ihn verewigt, und Karl Stieler
hat ihm einen seiner feinsten Aufsätze gewidmet. Wenn er an Feiertagen in
Blau und Silber und mit weißem Federbusch am Hut ausfährt, ziert er die
ganze bairische Welt. Er reprciseutirt deu Staat besser als ein Dickbauch von
Minister in Frack und Degen. Kein Wunder, wenn er ein heiterer Gesell ist,
zu dem wir uns auch dann hingezogen fühlen, wenn er von seinem Bock herunter
"sakrisch" flucht und wettert. Er ist eben doch schon äußerlich kein Alltags¬
mensch wie der preußische und Neichsvostillon, und in ihm hat sich noch ein
Stück Neisepoesie in die Gegenwart gerettet. Kurz, für den bairischen Reservats¬
postillon müßte eigentlich jeder Deutsche von Geschmack eintreten.

Vergesse man doch nicht über dem Streit um Äußerlichkeiten und Äuße¬
rungen, daß die ganze Kulturentwicklung Baierns seit einem Jahrhundert das
Volk immer mehr an das übrige Deutschland angenähert und angeschlossen hat.
Vor hundert Jahren war Vaiern eine Welt für sich. Und heute? München
teilt sich mit Berlin in die geistige Führung Deutschlands, der wirtschaftliche
Zusammenhang ist nicht mehr aufzulösen, die Gemeinsamkeit der politischen
Interessen und Gefahren ist unter all dem Hader der Parteien immer mehr
gewachsen, der Bund mit Österreich hat selbst leidenschaftliche Großdeutsche
versöhnt. Ob Deutschland mehr gewonnen hat durch den Wiedereintritt seines
Südostens in das gemeinsame Leben, oder ob Baiern der Niederlegung der
Dornröschenhecke, hinter der es sich abgeschlossen hatte, mehr zu danken hat,
wollen wir nicht entscheiden. Das eine aber steht für jeden fest, der Land
und Volk und die Geschichte des Volkes kennt, daß Vaiern auf das übrige Deutsch¬
land angewiesen ist, und daß man das hier überall recht gut weiß, wo überhaupt
politisches Urteil zu Hause ist. Die Bedeutung Baierns für Deutschland wird
dagegen im "Reich" nicht so gewürdigt, wie man wünschen möchte. Baiern
wird zwar wie ein Eckstein angesehen, der die Südostseite des Reichs kräftig
stützt, für viele ist aber Altbaiern nichts als ein Ballast, der das Reichsschiff
beschwert. Das sind echt kleindeutsche Anschauungen.

Baierns Stellung kann nur aus einer großdeutschen Auffassung ver¬
standen werden, die seine geographische und Stammesvcrbinduug mit dem
bairischen Stamm außerhalb Deutschlands würdigt. Es ist der Übergang
zu den alten Baierngauen in den Ostalpen und der mittlern Donau und der


Altbairische Wanderungen

Adler tragen, so wäre doch unter allen Umständen der bairische Postillon zu
schlitzen. Der gehört zur Landschaft. Die preußische Post hat den guten alten
Postillon schlecht zurechtgestutzt. Mau sehe nur diese steife Zivilpickelhaube
mit der sparsamen Andeutung eines Haarbüschleins, und die trübe dunkelblaue
Uniform mit den grell ziegelrotem Aufschlägen. Was für ein andrer Kerl ist
da ein bairischer Postillon mit seinem hellblauen Frack, seinen weißen Leder¬
hosen und seinen hohen Stiefeln! Mit Recht verehrt die ganze Anwohner¬
schaft einer Landstraße ihren Postillon und ist stolz auf ihn. Und auch er
kann stolz sein: Kaulbach und Schwind haben ihn verewigt, und Karl Stieler
hat ihm einen seiner feinsten Aufsätze gewidmet. Wenn er an Feiertagen in
Blau und Silber und mit weißem Federbusch am Hut ausfährt, ziert er die
ganze bairische Welt. Er reprciseutirt deu Staat besser als ein Dickbauch von
Minister in Frack und Degen. Kein Wunder, wenn er ein heiterer Gesell ist,
zu dem wir uns auch dann hingezogen fühlen, wenn er von seinem Bock herunter
„sakrisch" flucht und wettert. Er ist eben doch schon äußerlich kein Alltags¬
mensch wie der preußische und Neichsvostillon, und in ihm hat sich noch ein
Stück Neisepoesie in die Gegenwart gerettet. Kurz, für den bairischen Reservats¬
postillon müßte eigentlich jeder Deutsche von Geschmack eintreten.

Vergesse man doch nicht über dem Streit um Äußerlichkeiten und Äuße¬
rungen, daß die ganze Kulturentwicklung Baierns seit einem Jahrhundert das
Volk immer mehr an das übrige Deutschland angenähert und angeschlossen hat.
Vor hundert Jahren war Vaiern eine Welt für sich. Und heute? München
teilt sich mit Berlin in die geistige Führung Deutschlands, der wirtschaftliche
Zusammenhang ist nicht mehr aufzulösen, die Gemeinsamkeit der politischen
Interessen und Gefahren ist unter all dem Hader der Parteien immer mehr
gewachsen, der Bund mit Österreich hat selbst leidenschaftliche Großdeutsche
versöhnt. Ob Deutschland mehr gewonnen hat durch den Wiedereintritt seines
Südostens in das gemeinsame Leben, oder ob Baiern der Niederlegung der
Dornröschenhecke, hinter der es sich abgeschlossen hatte, mehr zu danken hat,
wollen wir nicht entscheiden. Das eine aber steht für jeden fest, der Land
und Volk und die Geschichte des Volkes kennt, daß Vaiern auf das übrige Deutsch¬
land angewiesen ist, und daß man das hier überall recht gut weiß, wo überhaupt
politisches Urteil zu Hause ist. Die Bedeutung Baierns für Deutschland wird
dagegen im „Reich" nicht so gewürdigt, wie man wünschen möchte. Baiern
wird zwar wie ein Eckstein angesehen, der die Südostseite des Reichs kräftig
stützt, für viele ist aber Altbaiern nichts als ein Ballast, der das Reichsschiff
beschwert. Das sind echt kleindeutsche Anschauungen.

Baierns Stellung kann nur aus einer großdeutschen Auffassung ver¬
standen werden, die seine geographische und Stammesvcrbinduug mit dem
bairischen Stamm außerhalb Deutschlands würdigt. Es ist der Übergang
zu den alten Baierngauen in den Ostalpen und der mittlern Donau und der


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[0246] Altbairische Wanderungen Adler tragen, so wäre doch unter allen Umständen der bairische Postillon zu schlitzen. Der gehört zur Landschaft. Die preußische Post hat den guten alten Postillon schlecht zurechtgestutzt. Mau sehe nur diese steife Zivilpickelhaube mit der sparsamen Andeutung eines Haarbüschleins, und die trübe dunkelblaue Uniform mit den grell ziegelrotem Aufschlägen. Was für ein andrer Kerl ist da ein bairischer Postillon mit seinem hellblauen Frack, seinen weißen Leder¬ hosen und seinen hohen Stiefeln! Mit Recht verehrt die ganze Anwohner¬ schaft einer Landstraße ihren Postillon und ist stolz auf ihn. Und auch er kann stolz sein: Kaulbach und Schwind haben ihn verewigt, und Karl Stieler hat ihm einen seiner feinsten Aufsätze gewidmet. Wenn er an Feiertagen in Blau und Silber und mit weißem Federbusch am Hut ausfährt, ziert er die ganze bairische Welt. Er reprciseutirt deu Staat besser als ein Dickbauch von Minister in Frack und Degen. Kein Wunder, wenn er ein heiterer Gesell ist, zu dem wir uns auch dann hingezogen fühlen, wenn er von seinem Bock herunter „sakrisch" flucht und wettert. Er ist eben doch schon äußerlich kein Alltags¬ mensch wie der preußische und Neichsvostillon, und in ihm hat sich noch ein Stück Neisepoesie in die Gegenwart gerettet. Kurz, für den bairischen Reservats¬ postillon müßte eigentlich jeder Deutsche von Geschmack eintreten. Vergesse man doch nicht über dem Streit um Äußerlichkeiten und Äuße¬ rungen, daß die ganze Kulturentwicklung Baierns seit einem Jahrhundert das Volk immer mehr an das übrige Deutschland angenähert und angeschlossen hat. Vor hundert Jahren war Vaiern eine Welt für sich. Und heute? München teilt sich mit Berlin in die geistige Führung Deutschlands, der wirtschaftliche Zusammenhang ist nicht mehr aufzulösen, die Gemeinsamkeit der politischen Interessen und Gefahren ist unter all dem Hader der Parteien immer mehr gewachsen, der Bund mit Österreich hat selbst leidenschaftliche Großdeutsche versöhnt. Ob Deutschland mehr gewonnen hat durch den Wiedereintritt seines Südostens in das gemeinsame Leben, oder ob Baiern der Niederlegung der Dornröschenhecke, hinter der es sich abgeschlossen hatte, mehr zu danken hat, wollen wir nicht entscheiden. Das eine aber steht für jeden fest, der Land und Volk und die Geschichte des Volkes kennt, daß Vaiern auf das übrige Deutsch¬ land angewiesen ist, und daß man das hier überall recht gut weiß, wo überhaupt politisches Urteil zu Hause ist. Die Bedeutung Baierns für Deutschland wird dagegen im „Reich" nicht so gewürdigt, wie man wünschen möchte. Baiern wird zwar wie ein Eckstein angesehen, der die Südostseite des Reichs kräftig stützt, für viele ist aber Altbaiern nichts als ein Ballast, der das Reichsschiff beschwert. Das sind echt kleindeutsche Anschauungen. Baierns Stellung kann nur aus einer großdeutschen Auffassung ver¬ standen werden, die seine geographische und Stammesvcrbinduug mit dem bairischen Stamm außerhalb Deutschlands würdigt. Es ist der Übergang zu den alten Baierngauen in den Ostalpen und der mittlern Donau und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/246>, abgerufen am 29.06.2024.