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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Prinz Ludwig von Vaiern, der nach menschlichem Ermessen eines Tages
die bairische Krone tragen wird, läßt in der ganzen Art, wie er die Pflichten
eines Thronfolgers auffaßt, deutlich merken, daß er die Dinge einst anders
behandeln wird. Früher beargwohnte man seine angebliche Hinneigung zur
klerikalen Partei, und später wurde ihm sein unbefangner Verkehr mit allen
Schichten der Gesellschaft als Popularitätssucht ausgelegt. Das war in einer
Zeit, wo sich das gute Baiernvolk noch nicht mit dem Verlust seines Ludwig II.
ausgesöhnt hatte, der doch eigentlich seinen Unterthanen wenig Liebe erzeigt
hatte. Der arme Narr! Diese Urteile haben sich gründlich geändert. Wo
immer Prinz Ludwig in den letzten Jahren das Wort ergriff, sprach er mit
Klarheit und Bestimmtheit von Sachen, die er genau kennen gelernt hatte.
Über seine Reden liest man nicht weg, wie über andre Fürstenreden, die der
Menschheit "Schnitzel kräuseln." Er macht keine Phrasen. Ja er hat es ver¬
standen, gelegentlich einmal gerade das auszusprechen, was das Volk dachte.
Besonders dankbar kann man ihm dafür sein, daß er seine Auffassung von der
Stellung Baierns zum Reich ganz unzweideutig kundgegeben hat; sie ist für
Baiern und Nichtbaiern gleich verstündlich, zufriedenstellend. So weit man in
politischen Dingen Prophezeiungen wagen kann, können beide mit einem solchen
Fürsten zufrieden sein. Gerade Deutschland kann in seiner "höchsten Aristokratie"
Leute von anerkannter Tüchtigkeit und Thatkraft brauchen; sie sind heute
doppelt nötig, wo der mittlere Adel immer mehr von seinem Ansehen einbüßt,
weil er mehr fordert, als er leistet. Übrigens hat auch das musterhafte
Familienleben des Prinzen Ludwig wesentlich zur Steigerung seiner Popularität
beigetragen. Kurz, man kann sagen, daß er ein König nach dem Herzen seiner
Baiern sein wird. So wie sein Vater etwas veradeltes Bäurisches hat, so
mag wohl mancher Fremde in München sich gefragt haben: Welcher Grvß-
bräuer mag das sein, dem alles so ehrerbietig Platz macht? Prinz Ludwig
liebt es, in bürgerlicher Kleidung und allein die Straßen zu durchwandern,
die Neubauten zu betrachten und mit vorübergehenden Bekannten zu plaudern.
Niemand vermutet in dem vierschrötiger Mann, dessen bebrilltes Gesicht
freundlich in die Welt schaut, einen künftigen König.

Baiern und das Reich! Besteht wirklich die Neichsverdrosfeuheit, vou der
uns die Berliner Blätter letzten Sommer zu unterhalten wünschten? Ja, sie
besteht, und zwar ist ihr Daseinsrecht hier genau dasselbe, wie anderswo das des
"Rackers von Staat." Der Baier liebt sein Baiern warm, weil das sein Mutter¬
boden ist, des Franken Liebe ist schon weniger warm, weil er diesem Königreich
erst spät eingegliedert worden ist. Ja ich weiß einen vberfrünkischen Winkel, wo
die preußischen Sympathien aus anspach-bahreuthischer Zeit noch recht lebendig
sind. Das findet man begreiflich. Ist es nicht natürlich, daß man mich an die
Liebe zum Reich gewöhnt werden muß? Es wäre thöricht, mehr zu verlangen,
als die aus verständiger Erwägung hervorgehende Erkenntnis von dem Wert


Prinz Ludwig von Vaiern, der nach menschlichem Ermessen eines Tages
die bairische Krone tragen wird, läßt in der ganzen Art, wie er die Pflichten
eines Thronfolgers auffaßt, deutlich merken, daß er die Dinge einst anders
behandeln wird. Früher beargwohnte man seine angebliche Hinneigung zur
klerikalen Partei, und später wurde ihm sein unbefangner Verkehr mit allen
Schichten der Gesellschaft als Popularitätssucht ausgelegt. Das war in einer
Zeit, wo sich das gute Baiernvolk noch nicht mit dem Verlust seines Ludwig II.
ausgesöhnt hatte, der doch eigentlich seinen Unterthanen wenig Liebe erzeigt
hatte. Der arme Narr! Diese Urteile haben sich gründlich geändert. Wo
immer Prinz Ludwig in den letzten Jahren das Wort ergriff, sprach er mit
Klarheit und Bestimmtheit von Sachen, die er genau kennen gelernt hatte.
Über seine Reden liest man nicht weg, wie über andre Fürstenreden, die der
Menschheit „Schnitzel kräuseln." Er macht keine Phrasen. Ja er hat es ver¬
standen, gelegentlich einmal gerade das auszusprechen, was das Volk dachte.
Besonders dankbar kann man ihm dafür sein, daß er seine Auffassung von der
Stellung Baierns zum Reich ganz unzweideutig kundgegeben hat; sie ist für
Baiern und Nichtbaiern gleich verstündlich, zufriedenstellend. So weit man in
politischen Dingen Prophezeiungen wagen kann, können beide mit einem solchen
Fürsten zufrieden sein. Gerade Deutschland kann in seiner „höchsten Aristokratie"
Leute von anerkannter Tüchtigkeit und Thatkraft brauchen; sie sind heute
doppelt nötig, wo der mittlere Adel immer mehr von seinem Ansehen einbüßt,
weil er mehr fordert, als er leistet. Übrigens hat auch das musterhafte
Familienleben des Prinzen Ludwig wesentlich zur Steigerung seiner Popularität
beigetragen. Kurz, man kann sagen, daß er ein König nach dem Herzen seiner
Baiern sein wird. So wie sein Vater etwas veradeltes Bäurisches hat, so
mag wohl mancher Fremde in München sich gefragt haben: Welcher Grvß-
bräuer mag das sein, dem alles so ehrerbietig Platz macht? Prinz Ludwig
liebt es, in bürgerlicher Kleidung und allein die Straßen zu durchwandern,
die Neubauten zu betrachten und mit vorübergehenden Bekannten zu plaudern.
Niemand vermutet in dem vierschrötiger Mann, dessen bebrilltes Gesicht
freundlich in die Welt schaut, einen künftigen König.

Baiern und das Reich! Besteht wirklich die Neichsverdrosfeuheit, vou der
uns die Berliner Blätter letzten Sommer zu unterhalten wünschten? Ja, sie
besteht, und zwar ist ihr Daseinsrecht hier genau dasselbe, wie anderswo das des
„Rackers von Staat." Der Baier liebt sein Baiern warm, weil das sein Mutter¬
boden ist, des Franken Liebe ist schon weniger warm, weil er diesem Königreich
erst spät eingegliedert worden ist. Ja ich weiß einen vberfrünkischen Winkel, wo
die preußischen Sympathien aus anspach-bahreuthischer Zeit noch recht lebendig
sind. Das findet man begreiflich. Ist es nicht natürlich, daß man mich an die
Liebe zum Reich gewöhnt werden muß? Es wäre thöricht, mehr zu verlangen,
als die aus verständiger Erwägung hervorgehende Erkenntnis von dem Wert


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[0244] Prinz Ludwig von Vaiern, der nach menschlichem Ermessen eines Tages die bairische Krone tragen wird, läßt in der ganzen Art, wie er die Pflichten eines Thronfolgers auffaßt, deutlich merken, daß er die Dinge einst anders behandeln wird. Früher beargwohnte man seine angebliche Hinneigung zur klerikalen Partei, und später wurde ihm sein unbefangner Verkehr mit allen Schichten der Gesellschaft als Popularitätssucht ausgelegt. Das war in einer Zeit, wo sich das gute Baiernvolk noch nicht mit dem Verlust seines Ludwig II. ausgesöhnt hatte, der doch eigentlich seinen Unterthanen wenig Liebe erzeigt hatte. Der arme Narr! Diese Urteile haben sich gründlich geändert. Wo immer Prinz Ludwig in den letzten Jahren das Wort ergriff, sprach er mit Klarheit und Bestimmtheit von Sachen, die er genau kennen gelernt hatte. Über seine Reden liest man nicht weg, wie über andre Fürstenreden, die der Menschheit „Schnitzel kräuseln." Er macht keine Phrasen. Ja er hat es ver¬ standen, gelegentlich einmal gerade das auszusprechen, was das Volk dachte. Besonders dankbar kann man ihm dafür sein, daß er seine Auffassung von der Stellung Baierns zum Reich ganz unzweideutig kundgegeben hat; sie ist für Baiern und Nichtbaiern gleich verstündlich, zufriedenstellend. So weit man in politischen Dingen Prophezeiungen wagen kann, können beide mit einem solchen Fürsten zufrieden sein. Gerade Deutschland kann in seiner „höchsten Aristokratie" Leute von anerkannter Tüchtigkeit und Thatkraft brauchen; sie sind heute doppelt nötig, wo der mittlere Adel immer mehr von seinem Ansehen einbüßt, weil er mehr fordert, als er leistet. Übrigens hat auch das musterhafte Familienleben des Prinzen Ludwig wesentlich zur Steigerung seiner Popularität beigetragen. Kurz, man kann sagen, daß er ein König nach dem Herzen seiner Baiern sein wird. So wie sein Vater etwas veradeltes Bäurisches hat, so mag wohl mancher Fremde in München sich gefragt haben: Welcher Grvß- bräuer mag das sein, dem alles so ehrerbietig Platz macht? Prinz Ludwig liebt es, in bürgerlicher Kleidung und allein die Straßen zu durchwandern, die Neubauten zu betrachten und mit vorübergehenden Bekannten zu plaudern. Niemand vermutet in dem vierschrötiger Mann, dessen bebrilltes Gesicht freundlich in die Welt schaut, einen künftigen König. Baiern und das Reich! Besteht wirklich die Neichsverdrosfeuheit, vou der uns die Berliner Blätter letzten Sommer zu unterhalten wünschten? Ja, sie besteht, und zwar ist ihr Daseinsrecht hier genau dasselbe, wie anderswo das des „Rackers von Staat." Der Baier liebt sein Baiern warm, weil das sein Mutter¬ boden ist, des Franken Liebe ist schon weniger warm, weil er diesem Königreich erst spät eingegliedert worden ist. Ja ich weiß einen vberfrünkischen Winkel, wo die preußischen Sympathien aus anspach-bahreuthischer Zeit noch recht lebendig sind. Das findet man begreiflich. Ist es nicht natürlich, daß man mich an die Liebe zum Reich gewöhnt werden muß? Es wäre thöricht, mehr zu verlangen, als die aus verständiger Erwägung hervorgehende Erkenntnis von dem Wert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/244>, abgerufen am 28.09.2024.