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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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die preußische Garde nachzuahmen, ein Regiment mit ganz vorwiegend adlichen
Offizierkorps zu macheu sucht. Das ist ein unbairisches und höchst unkluges
Beginnen, unter hiesigen Verhältnissen und angesichts der wachsenden Pluto¬
tratischen Verbindungen dieses Adels sogar nicht unbedenklich.

Der bairische Beamtenstand hat stets das Lob der Ehrlichkeit, der Un¬
parteilichkeit und eines Vorgehens nach dem Grundsatz "Recht und Billigkeit"
verdient. Er enthält sehr viel Intelligenz, die sich aber nicht immer sehr
hervorthut; und das Verdienst macht bis zu den Spitzen seinen Weg, wobei
manchmal, wie so ziemlich überall, Verwandtschaft und Freundschaft unmerklich
oder auch merklich nachhelfen. Die höhern Verwaltungsstellen sind hier nicht
das Erbteil einer anspruchsvollen Aristokratie geworden, wie in manchen Teilen
Norddeutschlands; und zum Wohl des Landes. Um Beamte von höchster
Bildung und im besten Sinn bürgerlichem Auftreten, wie den jüngst ver¬
storbnen Ziegler, Regierungspräsidenten von Oberbaiern, oder den noch
rüstig arbeitenden Finanzminister Riedel kann manches deutsche Land Baiern
beneiden.

Auffallend selten sind im letzten Menschenalter adliche Politiker von
Bedeutung in Bniern aus Ruder gekommen. Leute wie Staufenberg,
Frankenstein, Preysing sind immer in der Opposition geblieben. Es ist,
als ob die durch den Orden der bairischen Krone geadelten Oberbüreau-
kraten solche Talente nicht liebte. Durch einen merkwürdigen Zufall
haben sich bei der Fuchsmühler Affaire die beiden Adlichen, von Crails-
heim, Minister des "schönen Äußern" und des Königlichen Hauses, zugleich
Leiter der Verkehrsanstalten, der in der Kammer unglaublich hohl sprach,
und der mit seinen Untergebnen zusammen schwer kompromittirte Minister
des Innern von Feilitzsch, der das ganze Unglück erst aus der Zeitung
erfahren hatte, am meisten blamirt. Jene Verhandlungen ließen erkennen,
daß die ganze Verwaltungsmaschine etwas verlottert war, und zwar mehr in
den obern Teilen als in den untern. Zentrumslente, Bauernbündler, Liberale
und Sozialdemokraten haben noch nie in der bairischen Kammer einen so voll¬
ständigen konzentrischen Angriff auf das Ministerium gemacht, das doch that¬
sächlich nichts andres thun, als kapituliren konnte. Und das hat es in der
That gethan, und zwar so, daß es eigentlich hätte zurücktreten müssen. Aber
in dieser Volkskammer giebt es viele Leute, die dem alternden Prinzregenten die
Unlust eines Ministerwechsels gern ersparen möchten. Und so erinnert denn das
Regieren in Baiern manchmal etwas an das "Wursteln" im österreichischen
Nachbarland, wie es bei der tiefwurzelnden Stammverwandtschaft nicht anders
sein kann. Schade, daß dabei das Wohl des Volks nicht überall so thätig
und umsichtig gefördert wird, wie es zu wünschen wäre. So ist im Vergleich
mit der Schweiz die Alpwirtschaft in Baiern auffallend zurückgeblieben, da
sie von der Regierung uicht energisch genug vorwärtsgedrüngt wird.


Grenzboten IV 1897 80

die preußische Garde nachzuahmen, ein Regiment mit ganz vorwiegend adlichen
Offizierkorps zu macheu sucht. Das ist ein unbairisches und höchst unkluges
Beginnen, unter hiesigen Verhältnissen und angesichts der wachsenden Pluto¬
tratischen Verbindungen dieses Adels sogar nicht unbedenklich.

Der bairische Beamtenstand hat stets das Lob der Ehrlichkeit, der Un¬
parteilichkeit und eines Vorgehens nach dem Grundsatz „Recht und Billigkeit"
verdient. Er enthält sehr viel Intelligenz, die sich aber nicht immer sehr
hervorthut; und das Verdienst macht bis zu den Spitzen seinen Weg, wobei
manchmal, wie so ziemlich überall, Verwandtschaft und Freundschaft unmerklich
oder auch merklich nachhelfen. Die höhern Verwaltungsstellen sind hier nicht
das Erbteil einer anspruchsvollen Aristokratie geworden, wie in manchen Teilen
Norddeutschlands; und zum Wohl des Landes. Um Beamte von höchster
Bildung und im besten Sinn bürgerlichem Auftreten, wie den jüngst ver¬
storbnen Ziegler, Regierungspräsidenten von Oberbaiern, oder den noch
rüstig arbeitenden Finanzminister Riedel kann manches deutsche Land Baiern
beneiden.

Auffallend selten sind im letzten Menschenalter adliche Politiker von
Bedeutung in Bniern aus Ruder gekommen. Leute wie Staufenberg,
Frankenstein, Preysing sind immer in der Opposition geblieben. Es ist,
als ob die durch den Orden der bairischen Krone geadelten Oberbüreau-
kraten solche Talente nicht liebte. Durch einen merkwürdigen Zufall
haben sich bei der Fuchsmühler Affaire die beiden Adlichen, von Crails-
heim, Minister des „schönen Äußern" und des Königlichen Hauses, zugleich
Leiter der Verkehrsanstalten, der in der Kammer unglaublich hohl sprach,
und der mit seinen Untergebnen zusammen schwer kompromittirte Minister
des Innern von Feilitzsch, der das ganze Unglück erst aus der Zeitung
erfahren hatte, am meisten blamirt. Jene Verhandlungen ließen erkennen,
daß die ganze Verwaltungsmaschine etwas verlottert war, und zwar mehr in
den obern Teilen als in den untern. Zentrumslente, Bauernbündler, Liberale
und Sozialdemokraten haben noch nie in der bairischen Kammer einen so voll¬
ständigen konzentrischen Angriff auf das Ministerium gemacht, das doch that¬
sächlich nichts andres thun, als kapituliren konnte. Und das hat es in der
That gethan, und zwar so, daß es eigentlich hätte zurücktreten müssen. Aber
in dieser Volkskammer giebt es viele Leute, die dem alternden Prinzregenten die
Unlust eines Ministerwechsels gern ersparen möchten. Und so erinnert denn das
Regieren in Baiern manchmal etwas an das „Wursteln" im österreichischen
Nachbarland, wie es bei der tiefwurzelnden Stammverwandtschaft nicht anders
sein kann. Schade, daß dabei das Wohl des Volks nicht überall so thätig
und umsichtig gefördert wird, wie es zu wünschen wäre. So ist im Vergleich
mit der Schweiz die Alpwirtschaft in Baiern auffallend zurückgeblieben, da
sie von der Regierung uicht energisch genug vorwärtsgedrüngt wird.


Grenzboten IV 1897 80
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/243>, abgerufen am 29.06.2024.