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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

Grundzug der altbairischen Gesellschaft bezeichnen, ganz entsprechend der That¬
sache, daß Baiern das eigentlichste Bauernland ist. Selbst die Prinzen kleiden
sich, wenn sie als Jäger die Berge des Algäu oder des Berchtesgadner Landes
durchstreifen, in das Jagdgewand, das aus etwas gröberen Stoff die Bauern¬
burschen tragen; und wer dem Prinzregenten dort begegnet, glaubt einen
alten, verwitterten Bauersmann mit auffallend freundlichem und intelligentem
Blick zu sehen. Militarismus, Kastengeist und Geld arbeiten leider heftig
daran, diesen schönen Zustand zu zersetzen. In der einst so einfachen bairischen
Aristokratie sind die Geldheiraten an der Tagesordnung, und die Verjudung
macht Fortschritte. Baiern, und besonders München, übt auch eine merk¬
würdige Anziehung auf die Geldaristokratie andrer Himmelsstriche aus,
die es hier leider! leichter als anderswo zu Rang und Titeln oder wenigstens
zur Anerkennung ihrer anderswo gekauften Titel bringt.

Im allgemeinen gewinnt man in Baiern immer noch mehr als in vielen
andern Teilen Deutschlands den Eindruck einer kernigen Gesundheit des Volks-
kvrpers, die nicht so leicht durch die krankmachenden Einflüsse des Tages zu
erschüttern sein wird. Die Gefahr liegt hier mehr im Innern des Körpers
als in den äußern Einflüssen. Ein sich selbst täuschendes Gesundheitsgefühl möchte
ich aber jenen bajuvarischen Nationalstolz nennen, der von oben her mächtig
genährt wird. Die ganze Welt beneidet uns um unsre Zustände! hört mau
sagen. Ja, Baiern kaun um vieles beneidet werden, aber das liegt fast alles
mehr im Volk und im Lande als in der jeweiligen Regierung. Es wird leicht
übersehen, wieviel Heilsames von außen gekommen ist. Man hätte die Mi߬
erfolge von 1866 nicht so bald und so ganz über den um der Seite Preußens
1870 erreichten Erfolgen vergessen sollen. Die Armee ist unendlich viel besser
geworden. Daß sie aber auf die Stufe herunterkommen konnte, ans der sie
sich bei aller Tapferkeit 1866 befand, wird für alle Zeiten den Ruhm selbst
so trefflicher Männer wie Walter, Spruner, von der Tann u. v. a. trüben,
die nicht scharf genug gegen die Verlotterung angekämpft hatten, Baiern
hat ja immer vortreffliche Soldaten geliefert, und unter den Offizieren
sind immer hochgebildete Leute zu finden gewesen. Heute verbinden manche
in wohlthuender Weise die bescheidne Männlichkeit des süddeutschen Kavaliers
mit preußischer Strammheit, während wenige Jüngere die letztere in lächer¬
licher und herausfordernder Weise hervorkehren. Ältere Offiziere klagen,
daß mit vielem Guten von Norden her auch absolut Verwerfliches, wie die
streberische Ordenssucht, eingedrungen sei. Ich will nicht untersuchen, wie weit
die Klagen über Günstlings- und Prinzenwirtschaft hier tiefere Begründung
haben als anderwärts. Es macht mir mehr Freude, das unbeeinflußte Urteil
eines norddeutschen militärischen Kenners wiederzugeben: erbezeichnete die erste
bairische Brigade letzten Sommer als einen der bestgeübten Truppenteile der
deutschen Armee. Schade, daß man aus dem schönen Münchner Leibregiment, um


Altbairische Wanderungen

Grundzug der altbairischen Gesellschaft bezeichnen, ganz entsprechend der That¬
sache, daß Baiern das eigentlichste Bauernland ist. Selbst die Prinzen kleiden
sich, wenn sie als Jäger die Berge des Algäu oder des Berchtesgadner Landes
durchstreifen, in das Jagdgewand, das aus etwas gröberen Stoff die Bauern¬
burschen tragen; und wer dem Prinzregenten dort begegnet, glaubt einen
alten, verwitterten Bauersmann mit auffallend freundlichem und intelligentem
Blick zu sehen. Militarismus, Kastengeist und Geld arbeiten leider heftig
daran, diesen schönen Zustand zu zersetzen. In der einst so einfachen bairischen
Aristokratie sind die Geldheiraten an der Tagesordnung, und die Verjudung
macht Fortschritte. Baiern, und besonders München, übt auch eine merk¬
würdige Anziehung auf die Geldaristokratie andrer Himmelsstriche aus,
die es hier leider! leichter als anderswo zu Rang und Titeln oder wenigstens
zur Anerkennung ihrer anderswo gekauften Titel bringt.

Im allgemeinen gewinnt man in Baiern immer noch mehr als in vielen
andern Teilen Deutschlands den Eindruck einer kernigen Gesundheit des Volks-
kvrpers, die nicht so leicht durch die krankmachenden Einflüsse des Tages zu
erschüttern sein wird. Die Gefahr liegt hier mehr im Innern des Körpers
als in den äußern Einflüssen. Ein sich selbst täuschendes Gesundheitsgefühl möchte
ich aber jenen bajuvarischen Nationalstolz nennen, der von oben her mächtig
genährt wird. Die ganze Welt beneidet uns um unsre Zustände! hört mau
sagen. Ja, Baiern kaun um vieles beneidet werden, aber das liegt fast alles
mehr im Volk und im Lande als in der jeweiligen Regierung. Es wird leicht
übersehen, wieviel Heilsames von außen gekommen ist. Man hätte die Mi߬
erfolge von 1866 nicht so bald und so ganz über den um der Seite Preußens
1870 erreichten Erfolgen vergessen sollen. Die Armee ist unendlich viel besser
geworden. Daß sie aber auf die Stufe herunterkommen konnte, ans der sie
sich bei aller Tapferkeit 1866 befand, wird für alle Zeiten den Ruhm selbst
so trefflicher Männer wie Walter, Spruner, von der Tann u. v. a. trüben,
die nicht scharf genug gegen die Verlotterung angekämpft hatten, Baiern
hat ja immer vortreffliche Soldaten geliefert, und unter den Offizieren
sind immer hochgebildete Leute zu finden gewesen. Heute verbinden manche
in wohlthuender Weise die bescheidne Männlichkeit des süddeutschen Kavaliers
mit preußischer Strammheit, während wenige Jüngere die letztere in lächer¬
licher und herausfordernder Weise hervorkehren. Ältere Offiziere klagen,
daß mit vielem Guten von Norden her auch absolut Verwerfliches, wie die
streberische Ordenssucht, eingedrungen sei. Ich will nicht untersuchen, wie weit
die Klagen über Günstlings- und Prinzenwirtschaft hier tiefere Begründung
haben als anderwärts. Es macht mir mehr Freude, das unbeeinflußte Urteil
eines norddeutschen militärischen Kenners wiederzugeben: erbezeichnete die erste
bairische Brigade letzten Sommer als einen der bestgeübten Truppenteile der
deutschen Armee. Schade, daß man aus dem schönen Münchner Leibregiment, um


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[0242] Altbairische Wanderungen Grundzug der altbairischen Gesellschaft bezeichnen, ganz entsprechend der That¬ sache, daß Baiern das eigentlichste Bauernland ist. Selbst die Prinzen kleiden sich, wenn sie als Jäger die Berge des Algäu oder des Berchtesgadner Landes durchstreifen, in das Jagdgewand, das aus etwas gröberen Stoff die Bauern¬ burschen tragen; und wer dem Prinzregenten dort begegnet, glaubt einen alten, verwitterten Bauersmann mit auffallend freundlichem und intelligentem Blick zu sehen. Militarismus, Kastengeist und Geld arbeiten leider heftig daran, diesen schönen Zustand zu zersetzen. In der einst so einfachen bairischen Aristokratie sind die Geldheiraten an der Tagesordnung, und die Verjudung macht Fortschritte. Baiern, und besonders München, übt auch eine merk¬ würdige Anziehung auf die Geldaristokratie andrer Himmelsstriche aus, die es hier leider! leichter als anderswo zu Rang und Titeln oder wenigstens zur Anerkennung ihrer anderswo gekauften Titel bringt. Im allgemeinen gewinnt man in Baiern immer noch mehr als in vielen andern Teilen Deutschlands den Eindruck einer kernigen Gesundheit des Volks- kvrpers, die nicht so leicht durch die krankmachenden Einflüsse des Tages zu erschüttern sein wird. Die Gefahr liegt hier mehr im Innern des Körpers als in den äußern Einflüssen. Ein sich selbst täuschendes Gesundheitsgefühl möchte ich aber jenen bajuvarischen Nationalstolz nennen, der von oben her mächtig genährt wird. Die ganze Welt beneidet uns um unsre Zustände! hört mau sagen. Ja, Baiern kaun um vieles beneidet werden, aber das liegt fast alles mehr im Volk und im Lande als in der jeweiligen Regierung. Es wird leicht übersehen, wieviel Heilsames von außen gekommen ist. Man hätte die Mi߬ erfolge von 1866 nicht so bald und so ganz über den um der Seite Preußens 1870 erreichten Erfolgen vergessen sollen. Die Armee ist unendlich viel besser geworden. Daß sie aber auf die Stufe herunterkommen konnte, ans der sie sich bei aller Tapferkeit 1866 befand, wird für alle Zeiten den Ruhm selbst so trefflicher Männer wie Walter, Spruner, von der Tann u. v. a. trüben, die nicht scharf genug gegen die Verlotterung angekämpft hatten, Baiern hat ja immer vortreffliche Soldaten geliefert, und unter den Offizieren sind immer hochgebildete Leute zu finden gewesen. Heute verbinden manche in wohlthuender Weise die bescheidne Männlichkeit des süddeutschen Kavaliers mit preußischer Strammheit, während wenige Jüngere die letztere in lächer¬ licher und herausfordernder Weise hervorkehren. Ältere Offiziere klagen, daß mit vielem Guten von Norden her auch absolut Verwerfliches, wie die streberische Ordenssucht, eingedrungen sei. Ich will nicht untersuchen, wie weit die Klagen über Günstlings- und Prinzenwirtschaft hier tiefere Begründung haben als anderwärts. Es macht mir mehr Freude, das unbeeinflußte Urteil eines norddeutschen militärischen Kenners wiederzugeben: erbezeichnete die erste bairische Brigade letzten Sommer als einen der bestgeübten Truppenteile der deutschen Armee. Schade, daß man aus dem schönen Münchner Leibregiment, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/242>, abgerufen am 29.06.2024.