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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

gewirkt, es wird mehr wissenschaftlich gearbeitet, besonders auch an den früher
sehr stagnirenden Lyceen der Bischofsstädte. Über den Zuwachs an jungen
Gelehrten ans den katholischen Kreisen kann man sich im Interesse der All¬
gemeinheit nur freuen. Natürlich werden diese dann auch ihren Anteil an der
Leitung der Geschäfte verlangen, und es wird hoffentlich eine "Parität" möglich
werden, die in der Mitte liegt zwischen den zwei extremen Auslegungen dieses
Wortes, die in Baiern immer einander so bitter bekämpft haben. Auf katho¬
lischer Seite verlangte man die Vertretung nach der Kopfzahl der Konfessionen,
auf protestantischer nach der Befähigung. Karl Stieler hat den Unterschied
in einem oberbairischen Wahlschnaderhüpfl witzig dargestellt, wo einer dem
Hansel sagt, der mit den Schwarzen geht: Bei enk (euch) san do die mehrere
Duenna. Hansel antwortet offenherzig:


7

Die Politik, auf die ich von München aus gekommen bin, ist im Leben
der bairischen Hauptstadt ein viel fremderes Gewächs als die Kunst. Der
Valer möchte sich eigentlich gar nicht um Politik kümmern, wenn es nach ihm
ginge. Er hat nichts von der Rechthaberei und dem Widerspruchsgeist, die
im Charakter des Franken liegen. Dieser Unterschied zwischen den beiden Stämmen
zeigt sich am deutlichsten beim Militär, wo der Altbaier trotz seiner gelegent¬
lichen Ausschreitungen als der folgsamste Soldat gilt, während sich Pfälzer
und Unterfranken am schwersten unterordnen. In den fränkischen Gauen haben
demokratische Richtungen immer viel mehr Anhänger gehabt als in den bai¬
rischen und bairisch-schwäbischen. Der Baier kümmert sich nicht gern um fremde
Angelegenheiten, während der Franke beweglich und neugierig ist. Ohne viel
Redens und Aufhebens vou der Anhänglichkeit an sein Fürstenhaus, die ihm
selbstverständlich ist, ist der Valer der loyalste Unterthan von der Welt. Ihm
ist eben wohl, wenn alles um ihn herum soweit in Ordnung ist, daß er auf
seiner Scholle ungeschoren bleibt. Er ist sowohl zu bequem als zu stolz,
Politischen Idealen nachzustreben. Niemand kann konservativer "von Natur"
sein als der bairische Bauer. Wenn die Sozialdemokratie in Baiern in
halbstädtischen Wahlkreisen mehrmals starke Rückschlüge erfahren hat (so
noch neulich in ganz auffallender Weise im Bezirk Weiden), so hängt das
mit diesem realpolitischen Zug zusammen; außerdem kommt aber auch dabei
die geringere Schärfe der Standesunterschiede in Betracht. Der altbairische
Bauer und Bürger gehen aufrecht durch die Welt und beneiden niemand, und
die altbairische Aristokratie zeichnete sich früher durch ihre Anspruchslosigkeit
aus. Man konnte vor einem Menschenalter noch das Bäuerliche als den


Altbairische Wanderungen

gewirkt, es wird mehr wissenschaftlich gearbeitet, besonders auch an den früher
sehr stagnirenden Lyceen der Bischofsstädte. Über den Zuwachs an jungen
Gelehrten ans den katholischen Kreisen kann man sich im Interesse der All¬
gemeinheit nur freuen. Natürlich werden diese dann auch ihren Anteil an der
Leitung der Geschäfte verlangen, und es wird hoffentlich eine „Parität" möglich
werden, die in der Mitte liegt zwischen den zwei extremen Auslegungen dieses
Wortes, die in Baiern immer einander so bitter bekämpft haben. Auf katho¬
lischer Seite verlangte man die Vertretung nach der Kopfzahl der Konfessionen,
auf protestantischer nach der Befähigung. Karl Stieler hat den Unterschied
in einem oberbairischen Wahlschnaderhüpfl witzig dargestellt, wo einer dem
Hansel sagt, der mit den Schwarzen geht: Bei enk (euch) san do die mehrere
Duenna. Hansel antwortet offenherzig:


7

Die Politik, auf die ich von München aus gekommen bin, ist im Leben
der bairischen Hauptstadt ein viel fremderes Gewächs als die Kunst. Der
Valer möchte sich eigentlich gar nicht um Politik kümmern, wenn es nach ihm
ginge. Er hat nichts von der Rechthaberei und dem Widerspruchsgeist, die
im Charakter des Franken liegen. Dieser Unterschied zwischen den beiden Stämmen
zeigt sich am deutlichsten beim Militär, wo der Altbaier trotz seiner gelegent¬
lichen Ausschreitungen als der folgsamste Soldat gilt, während sich Pfälzer
und Unterfranken am schwersten unterordnen. In den fränkischen Gauen haben
demokratische Richtungen immer viel mehr Anhänger gehabt als in den bai¬
rischen und bairisch-schwäbischen. Der Baier kümmert sich nicht gern um fremde
Angelegenheiten, während der Franke beweglich und neugierig ist. Ohne viel
Redens und Aufhebens vou der Anhänglichkeit an sein Fürstenhaus, die ihm
selbstverständlich ist, ist der Valer der loyalste Unterthan von der Welt. Ihm
ist eben wohl, wenn alles um ihn herum soweit in Ordnung ist, daß er auf
seiner Scholle ungeschoren bleibt. Er ist sowohl zu bequem als zu stolz,
Politischen Idealen nachzustreben. Niemand kann konservativer „von Natur"
sein als der bairische Bauer. Wenn die Sozialdemokratie in Baiern in
halbstädtischen Wahlkreisen mehrmals starke Rückschlüge erfahren hat (so
noch neulich in ganz auffallender Weise im Bezirk Weiden), so hängt das
mit diesem realpolitischen Zug zusammen; außerdem kommt aber auch dabei
die geringere Schärfe der Standesunterschiede in Betracht. Der altbairische
Bauer und Bürger gehen aufrecht durch die Welt und beneiden niemand, und
die altbairische Aristokratie zeichnete sich früher durch ihre Anspruchslosigkeit
aus. Man konnte vor einem Menschenalter noch das Bäuerliche als den


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[0241] Altbairische Wanderungen gewirkt, es wird mehr wissenschaftlich gearbeitet, besonders auch an den früher sehr stagnirenden Lyceen der Bischofsstädte. Über den Zuwachs an jungen Gelehrten ans den katholischen Kreisen kann man sich im Interesse der All¬ gemeinheit nur freuen. Natürlich werden diese dann auch ihren Anteil an der Leitung der Geschäfte verlangen, und es wird hoffentlich eine „Parität" möglich werden, die in der Mitte liegt zwischen den zwei extremen Auslegungen dieses Wortes, die in Baiern immer einander so bitter bekämpft haben. Auf katho¬ lischer Seite verlangte man die Vertretung nach der Kopfzahl der Konfessionen, auf protestantischer nach der Befähigung. Karl Stieler hat den Unterschied in einem oberbairischen Wahlschnaderhüpfl witzig dargestellt, wo einer dem Hansel sagt, der mit den Schwarzen geht: Bei enk (euch) san do die mehrere Duenna. Hansel antwortet offenherzig: 7 Die Politik, auf die ich von München aus gekommen bin, ist im Leben der bairischen Hauptstadt ein viel fremderes Gewächs als die Kunst. Der Valer möchte sich eigentlich gar nicht um Politik kümmern, wenn es nach ihm ginge. Er hat nichts von der Rechthaberei und dem Widerspruchsgeist, die im Charakter des Franken liegen. Dieser Unterschied zwischen den beiden Stämmen zeigt sich am deutlichsten beim Militär, wo der Altbaier trotz seiner gelegent¬ lichen Ausschreitungen als der folgsamste Soldat gilt, während sich Pfälzer und Unterfranken am schwersten unterordnen. In den fränkischen Gauen haben demokratische Richtungen immer viel mehr Anhänger gehabt als in den bai¬ rischen und bairisch-schwäbischen. Der Baier kümmert sich nicht gern um fremde Angelegenheiten, während der Franke beweglich und neugierig ist. Ohne viel Redens und Aufhebens vou der Anhänglichkeit an sein Fürstenhaus, die ihm selbstverständlich ist, ist der Valer der loyalste Unterthan von der Welt. Ihm ist eben wohl, wenn alles um ihn herum soweit in Ordnung ist, daß er auf seiner Scholle ungeschoren bleibt. Er ist sowohl zu bequem als zu stolz, Politischen Idealen nachzustreben. Niemand kann konservativer „von Natur" sein als der bairische Bauer. Wenn die Sozialdemokratie in Baiern in halbstädtischen Wahlkreisen mehrmals starke Rückschlüge erfahren hat (so noch neulich in ganz auffallender Weise im Bezirk Weiden), so hängt das mit diesem realpolitischen Zug zusammen; außerdem kommt aber auch dabei die geringere Schärfe der Standesunterschiede in Betracht. Der altbairische Bauer und Bürger gehen aufrecht durch die Welt und beneiden niemand, und die altbairische Aristokratie zeichnete sich früher durch ihre Anspruchslosigkeit aus. Man konnte vor einem Menschenalter noch das Bäuerliche als den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/241>, abgerufen am 29.06.2024.