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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

sobald sie in der Hauptstadt akklimatisirt waren. Das Münchner Leben bringt
Gelehrte, Dichter, Künstler mit allen andern Ständen in die engste Verbindung.
König Maximilians Tafelrunde, die Liebig und Geibel, Sybel und Kobell
vereinigte, ist nichts künstliches gewesen, sondern sie war nur die königliche
Form für eine in der Münchner Auffassung von Verkehr eingeborne Abneigung
gegen bloße Standes- und Gattungssonderungen. Der enge Verkehr der ältern
und jüngern Künstler ist anerkanntermaßen von ebenso großem Vorteil sür die
Münchner Kunst gewesen, wie die Unterweisung in Malklasseu und Ateliers. Daß
die behagliche Geselligkeit am Biertisch, der nirgends in der Welt so verführe¬
rische Stätten bereitet sind wie in München, viele vom ernsten Arbeiten abzieht,
ist unzweifelhaft wahr, es gilt das übrigens mehr von den Jüngern der Wissen¬
schaft als der Kunst. In einer Geschichte der deutschen Kunst, die den Rahmen
und Hintergrund der Ereignisse berücksichtigt, werden immer einzelne Münchner
Bierlokale genannt werden, in denen sich berühmte Gruppen junger Künstler
bildeten, so wie die französische Litteraturgeschichte Pariser Kaffeehäuser historisch
gemacht hat- In der Corneliusschen Zeit war es der Slubenvoll, und ans
dem Ende der sechziger Jahre wäre der Letteubauer zu nennen, wo Courbet,
struppig, in Hemdärmeln und Bier aus Maßkrügen trinkend, das Evangelium
der modernsten Richtung verkündete.

Es ist eine Eigentümlichkeit des "dunkeln" Baiern, daß das Unterrichts¬
wesen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Das kommt von den
Angriffen des Zentrums, das in jeder Tagung an dem Kultusbudget herum¬
nörgelt und besonders mit den philosophischen Fakultäten aller drei Landes-
universitäten nicht zufrieden ist. Zu einem Zurückschrauben der ganzen Entwick¬
lung hat es aber dadurch nie kommen können, höchstens zu einer Verlangsamung.
Und die Thatsachen zeigen, daß die Universitäten im ganzen nicht gelitten
haben. Das Kliquenwesen hat nie allmächtig werden können, und kein Dozent hat
nach 1870 Baiern aus politischen Gründen verlassen. Lutz war als Kultusminister
liberaler als Müller und Landmann, hatte von früheren herzlicherm Einver¬
ständnis her eine persönliche Schwäche für die Altkatholiken, auch nachdem er
sie als Katholiken hatte fallen lassen müssen, und war nicht ganz frei von
politischen Erwägungen bei Neubesetzungen. Aber er bewährte doch jederzeit
dabei gesunden praktischen Sinn und scharfe Menschenkenntnis. Ihm ist die
Offenhaltung der bairischen Universitäten für die Wettbewerbung des ganzen
deutsche" Gelehrtentums zu danken. Eine Rückkehr zu der Abschließung vor
Maximilian II. wäre uach dein Tode dieses Herrschers noch möglich gewesen,
heute ist sie undenkbar. Es ist freilich auch undenkbar, daß noch einmal alle
historischen Lehrstühle an der Münchner Universität mit Protestanten und Alt¬
katholiken besetzt werden wie unter Lutz. Auch den vorwiegend protestantischen
Charakter des Obcrschulrats wird mau nicht anfrecht erhalten. Gerade die
Lntzische Unterrichtspolitik hat in den katholischen Kreisen Baierns aufrüttelnd


Altbairische Wanderungen

sobald sie in der Hauptstadt akklimatisirt waren. Das Münchner Leben bringt
Gelehrte, Dichter, Künstler mit allen andern Ständen in die engste Verbindung.
König Maximilians Tafelrunde, die Liebig und Geibel, Sybel und Kobell
vereinigte, ist nichts künstliches gewesen, sondern sie war nur die königliche
Form für eine in der Münchner Auffassung von Verkehr eingeborne Abneigung
gegen bloße Standes- und Gattungssonderungen. Der enge Verkehr der ältern
und jüngern Künstler ist anerkanntermaßen von ebenso großem Vorteil sür die
Münchner Kunst gewesen, wie die Unterweisung in Malklasseu und Ateliers. Daß
die behagliche Geselligkeit am Biertisch, der nirgends in der Welt so verführe¬
rische Stätten bereitet sind wie in München, viele vom ernsten Arbeiten abzieht,
ist unzweifelhaft wahr, es gilt das übrigens mehr von den Jüngern der Wissen¬
schaft als der Kunst. In einer Geschichte der deutschen Kunst, die den Rahmen
und Hintergrund der Ereignisse berücksichtigt, werden immer einzelne Münchner
Bierlokale genannt werden, in denen sich berühmte Gruppen junger Künstler
bildeten, so wie die französische Litteraturgeschichte Pariser Kaffeehäuser historisch
gemacht hat- In der Corneliusschen Zeit war es der Slubenvoll, und ans
dem Ende der sechziger Jahre wäre der Letteubauer zu nennen, wo Courbet,
struppig, in Hemdärmeln und Bier aus Maßkrügen trinkend, das Evangelium
der modernsten Richtung verkündete.

Es ist eine Eigentümlichkeit des „dunkeln" Baiern, daß das Unterrichts¬
wesen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Das kommt von den
Angriffen des Zentrums, das in jeder Tagung an dem Kultusbudget herum¬
nörgelt und besonders mit den philosophischen Fakultäten aller drei Landes-
universitäten nicht zufrieden ist. Zu einem Zurückschrauben der ganzen Entwick¬
lung hat es aber dadurch nie kommen können, höchstens zu einer Verlangsamung.
Und die Thatsachen zeigen, daß die Universitäten im ganzen nicht gelitten
haben. Das Kliquenwesen hat nie allmächtig werden können, und kein Dozent hat
nach 1870 Baiern aus politischen Gründen verlassen. Lutz war als Kultusminister
liberaler als Müller und Landmann, hatte von früheren herzlicherm Einver¬
ständnis her eine persönliche Schwäche für die Altkatholiken, auch nachdem er
sie als Katholiken hatte fallen lassen müssen, und war nicht ganz frei von
politischen Erwägungen bei Neubesetzungen. Aber er bewährte doch jederzeit
dabei gesunden praktischen Sinn und scharfe Menschenkenntnis. Ihm ist die
Offenhaltung der bairischen Universitäten für die Wettbewerbung des ganzen
deutsche» Gelehrtentums zu danken. Eine Rückkehr zu der Abschließung vor
Maximilian II. wäre uach dein Tode dieses Herrschers noch möglich gewesen,
heute ist sie undenkbar. Es ist freilich auch undenkbar, daß noch einmal alle
historischen Lehrstühle an der Münchner Universität mit Protestanten und Alt¬
katholiken besetzt werden wie unter Lutz. Auch den vorwiegend protestantischen
Charakter des Obcrschulrats wird mau nicht anfrecht erhalten. Gerade die
Lntzische Unterrichtspolitik hat in den katholischen Kreisen Baierns aufrüttelnd


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[0240] Altbairische Wanderungen sobald sie in der Hauptstadt akklimatisirt waren. Das Münchner Leben bringt Gelehrte, Dichter, Künstler mit allen andern Ständen in die engste Verbindung. König Maximilians Tafelrunde, die Liebig und Geibel, Sybel und Kobell vereinigte, ist nichts künstliches gewesen, sondern sie war nur die königliche Form für eine in der Münchner Auffassung von Verkehr eingeborne Abneigung gegen bloße Standes- und Gattungssonderungen. Der enge Verkehr der ältern und jüngern Künstler ist anerkanntermaßen von ebenso großem Vorteil sür die Münchner Kunst gewesen, wie die Unterweisung in Malklasseu und Ateliers. Daß die behagliche Geselligkeit am Biertisch, der nirgends in der Welt so verführe¬ rische Stätten bereitet sind wie in München, viele vom ernsten Arbeiten abzieht, ist unzweifelhaft wahr, es gilt das übrigens mehr von den Jüngern der Wissen¬ schaft als der Kunst. In einer Geschichte der deutschen Kunst, die den Rahmen und Hintergrund der Ereignisse berücksichtigt, werden immer einzelne Münchner Bierlokale genannt werden, in denen sich berühmte Gruppen junger Künstler bildeten, so wie die französische Litteraturgeschichte Pariser Kaffeehäuser historisch gemacht hat- In der Corneliusschen Zeit war es der Slubenvoll, und ans dem Ende der sechziger Jahre wäre der Letteubauer zu nennen, wo Courbet, struppig, in Hemdärmeln und Bier aus Maßkrügen trinkend, das Evangelium der modernsten Richtung verkündete. Es ist eine Eigentümlichkeit des „dunkeln" Baiern, daß das Unterrichts¬ wesen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Das kommt von den Angriffen des Zentrums, das in jeder Tagung an dem Kultusbudget herum¬ nörgelt und besonders mit den philosophischen Fakultäten aller drei Landes- universitäten nicht zufrieden ist. Zu einem Zurückschrauben der ganzen Entwick¬ lung hat es aber dadurch nie kommen können, höchstens zu einer Verlangsamung. Und die Thatsachen zeigen, daß die Universitäten im ganzen nicht gelitten haben. Das Kliquenwesen hat nie allmächtig werden können, und kein Dozent hat nach 1870 Baiern aus politischen Gründen verlassen. Lutz war als Kultusminister liberaler als Müller und Landmann, hatte von früheren herzlicherm Einver¬ ständnis her eine persönliche Schwäche für die Altkatholiken, auch nachdem er sie als Katholiken hatte fallen lassen müssen, und war nicht ganz frei von politischen Erwägungen bei Neubesetzungen. Aber er bewährte doch jederzeit dabei gesunden praktischen Sinn und scharfe Menschenkenntnis. Ihm ist die Offenhaltung der bairischen Universitäten für die Wettbewerbung des ganzen deutsche» Gelehrtentums zu danken. Eine Rückkehr zu der Abschließung vor Maximilian II. wäre uach dein Tode dieses Herrschers noch möglich gewesen, heute ist sie undenkbar. Es ist freilich auch undenkbar, daß noch einmal alle historischen Lehrstühle an der Münchner Universität mit Protestanten und Alt¬ katholiken besetzt werden wie unter Lutz. Auch den vorwiegend protestantischen Charakter des Obcrschulrats wird mau nicht anfrecht erhalten. Gerade die Lntzische Unterrichtspolitik hat in den katholischen Kreisen Baierns aufrüttelnd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/240>, abgerufen am 29.06.2024.