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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Runstausstellungen des Jahres ^89?

Während auf dem rechten Flügel die Rückkehr der Mädchen aus der Kirche,
auf dem linken Flügel ihr Schulunterricht dargestellt ist, sührt uns das Mittel¬
bild ihre Thätigkeit in der Küche, bei der Verteilung der Suppe an die Kleinen
vor. Vom materialistischen Standpunkte aus mag ja diese Anordnung
richtig sein; aber man wird zugeben, daß die ursprüngliche Bedeutung des
Triptychons durch solche Ausartungen zur Farce, zum bloßen Atelierwitz
herabgewürdigt wird.

Daß Phantasten, Symbolisten und Mystiker an dieser Modethorheit sehr
stark beteiligt sind, ist selbstverständlich, wird uns aber durch die Ausstellung
in Dresden, die ja den stärksten Auszug aus der modernsten Kunst bietet, den
man bisher an einem Orte genossen hat, noch ausdrücklich bezeugt. Eine be¬
sonders auffallende Leistung ans diesem Gebiete hat Fritz Mackensc" in einem
dreiteiliger Bilde zur Schau gestellt: "Trauernde Familie." Er ist das Haupt
oder doch das begabteste Mitglied einer Malerkolonie, die sich vor etwa drei
Jahren in Worpswede, einem Dorfe bei Bremen, niedergelassen hat, um, wie vor
einem halben Jahrhundert die Meister von Fontainebleau, von allen Einflüssen
der modernen Kultur und der alten Überlieferung unberührt, ganz der Natur
zu leben. Seit zwei Jahren treten sie auch bereits mit den Erzeugnissen ihrer
Kunst auf den großen Ausstellunge" in geschlossener Reihe auf. Was sie
aber bisher geschaffen haben, namentlich auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei,
ist teils von einem maßlos trüben und trocknen Naturalismus beherrscht, teils
von einer überschwänglichen Phantastik. die uns nur seltene Ausnahmezustände
der Natur vor die Augen zaubert. Nur Mackensen hat sich im vorigen Jahre
in der Schilderung eines Gottesdienstes im Freien zur Frühlingszeit mit
lebensgroßen Figuren als ein scharfer Charakterzeichner bewährt, der die Leute,
die er zu malen unternahm, gründlich kennen gelernt und alles herausgeholt hatte,
was aus den verschlossenen Seelen dieser niederdeutschen, hartköpfige" Marsch-
und Geestlandsbewohner ans Tageslicht zu ziehen ist. Ans dem neuen Bilde,
dessen Mitleiden eine trauernde Familie aus dem Handwerker- oder Arbeiterstande
am offnen Sarge eines kleines Mädchens darstellt, hat er diese Kraft der
Charakteristik noch zu größerer Schärfe und Härte gesteigert. Zugleich ist
aber auch die Farbe so hart, spröde und trocken geworden, daß man auch
nicht mehr koloristische Gründe anführen kann, die das Mißverhältnis zwischen
dem Umfang des Bildes und seinem geistigen und sachlichen Inhalt rechtfertigen.
Auf dem Mittelbild tritt uns das Alltagsleben in seiner trübseligster Er¬
scheinung, die menschliche Gestalt in trauriger Verkümmerung durch harte
Arbeit entgegen; die Absicht der Seitenbilder ist, durch Phantastik über das
Elend des Erdenlebens hinwegzuhelfen: links ein tief in Schnee gehüllter
Friedhof mit einem Kindergrab, rechts derselbe Schauplatz; aber ein Engel
hat das Kind aus seiner dunkeln Gruft geholt und führt den neuen Engel
sanft in das himmlische Reich.


Grenzboten IV 1897 Zi,
Die großen Runstausstellungen des Jahres ^89?

Während auf dem rechten Flügel die Rückkehr der Mädchen aus der Kirche,
auf dem linken Flügel ihr Schulunterricht dargestellt ist, sührt uns das Mittel¬
bild ihre Thätigkeit in der Küche, bei der Verteilung der Suppe an die Kleinen
vor. Vom materialistischen Standpunkte aus mag ja diese Anordnung
richtig sein; aber man wird zugeben, daß die ursprüngliche Bedeutung des
Triptychons durch solche Ausartungen zur Farce, zum bloßen Atelierwitz
herabgewürdigt wird.

Daß Phantasten, Symbolisten und Mystiker an dieser Modethorheit sehr
stark beteiligt sind, ist selbstverständlich, wird uns aber durch die Ausstellung
in Dresden, die ja den stärksten Auszug aus der modernsten Kunst bietet, den
man bisher an einem Orte genossen hat, noch ausdrücklich bezeugt. Eine be¬
sonders auffallende Leistung ans diesem Gebiete hat Fritz Mackensc» in einem
dreiteiliger Bilde zur Schau gestellt: „Trauernde Familie." Er ist das Haupt
oder doch das begabteste Mitglied einer Malerkolonie, die sich vor etwa drei
Jahren in Worpswede, einem Dorfe bei Bremen, niedergelassen hat, um, wie vor
einem halben Jahrhundert die Meister von Fontainebleau, von allen Einflüssen
der modernen Kultur und der alten Überlieferung unberührt, ganz der Natur
zu leben. Seit zwei Jahren treten sie auch bereits mit den Erzeugnissen ihrer
Kunst auf den großen Ausstellunge» in geschlossener Reihe auf. Was sie
aber bisher geschaffen haben, namentlich auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei,
ist teils von einem maßlos trüben und trocknen Naturalismus beherrscht, teils
von einer überschwänglichen Phantastik. die uns nur seltene Ausnahmezustände
der Natur vor die Augen zaubert. Nur Mackensen hat sich im vorigen Jahre
in der Schilderung eines Gottesdienstes im Freien zur Frühlingszeit mit
lebensgroßen Figuren als ein scharfer Charakterzeichner bewährt, der die Leute,
die er zu malen unternahm, gründlich kennen gelernt und alles herausgeholt hatte,
was aus den verschlossenen Seelen dieser niederdeutschen, hartköpfige» Marsch-
und Geestlandsbewohner ans Tageslicht zu ziehen ist. Ans dem neuen Bilde,
dessen Mitleiden eine trauernde Familie aus dem Handwerker- oder Arbeiterstande
am offnen Sarge eines kleines Mädchens darstellt, hat er diese Kraft der
Charakteristik noch zu größerer Schärfe und Härte gesteigert. Zugleich ist
aber auch die Farbe so hart, spröde und trocken geworden, daß man auch
nicht mehr koloristische Gründe anführen kann, die das Mißverhältnis zwischen
dem Umfang des Bildes und seinem geistigen und sachlichen Inhalt rechtfertigen.
Auf dem Mittelbild tritt uns das Alltagsleben in seiner trübseligster Er¬
scheinung, die menschliche Gestalt in trauriger Verkümmerung durch harte
Arbeit entgegen; die Absicht der Seitenbilder ist, durch Phantastik über das
Elend des Erdenlebens hinwegzuhelfen: links ein tief in Schnee gehüllter
Friedhof mit einem Kindergrab, rechts derselbe Schauplatz; aber ein Engel
hat das Kind aus seiner dunkeln Gruft geholt und führt den neuen Engel
sanft in das himmlische Reich.


Grenzboten IV 1897 Zi,
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[0233] Die großen Runstausstellungen des Jahres ^89? Während auf dem rechten Flügel die Rückkehr der Mädchen aus der Kirche, auf dem linken Flügel ihr Schulunterricht dargestellt ist, sührt uns das Mittel¬ bild ihre Thätigkeit in der Küche, bei der Verteilung der Suppe an die Kleinen vor. Vom materialistischen Standpunkte aus mag ja diese Anordnung richtig sein; aber man wird zugeben, daß die ursprüngliche Bedeutung des Triptychons durch solche Ausartungen zur Farce, zum bloßen Atelierwitz herabgewürdigt wird. Daß Phantasten, Symbolisten und Mystiker an dieser Modethorheit sehr stark beteiligt sind, ist selbstverständlich, wird uns aber durch die Ausstellung in Dresden, die ja den stärksten Auszug aus der modernsten Kunst bietet, den man bisher an einem Orte genossen hat, noch ausdrücklich bezeugt. Eine be¬ sonders auffallende Leistung ans diesem Gebiete hat Fritz Mackensc» in einem dreiteiliger Bilde zur Schau gestellt: „Trauernde Familie." Er ist das Haupt oder doch das begabteste Mitglied einer Malerkolonie, die sich vor etwa drei Jahren in Worpswede, einem Dorfe bei Bremen, niedergelassen hat, um, wie vor einem halben Jahrhundert die Meister von Fontainebleau, von allen Einflüssen der modernen Kultur und der alten Überlieferung unberührt, ganz der Natur zu leben. Seit zwei Jahren treten sie auch bereits mit den Erzeugnissen ihrer Kunst auf den großen Ausstellunge» in geschlossener Reihe auf. Was sie aber bisher geschaffen haben, namentlich auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei, ist teils von einem maßlos trüben und trocknen Naturalismus beherrscht, teils von einer überschwänglichen Phantastik. die uns nur seltene Ausnahmezustände der Natur vor die Augen zaubert. Nur Mackensen hat sich im vorigen Jahre in der Schilderung eines Gottesdienstes im Freien zur Frühlingszeit mit lebensgroßen Figuren als ein scharfer Charakterzeichner bewährt, der die Leute, die er zu malen unternahm, gründlich kennen gelernt und alles herausgeholt hatte, was aus den verschlossenen Seelen dieser niederdeutschen, hartköpfige» Marsch- und Geestlandsbewohner ans Tageslicht zu ziehen ist. Ans dem neuen Bilde, dessen Mitleiden eine trauernde Familie aus dem Handwerker- oder Arbeiterstande am offnen Sarge eines kleines Mädchens darstellt, hat er diese Kraft der Charakteristik noch zu größerer Schärfe und Härte gesteigert. Zugleich ist aber auch die Farbe so hart, spröde und trocken geworden, daß man auch nicht mehr koloristische Gründe anführen kann, die das Mißverhältnis zwischen dem Umfang des Bildes und seinem geistigen und sachlichen Inhalt rechtfertigen. Auf dem Mittelbild tritt uns das Alltagsleben in seiner trübseligster Er¬ scheinung, die menschliche Gestalt in trauriger Verkümmerung durch harte Arbeit entgegen; die Absicht der Seitenbilder ist, durch Phantastik über das Elend des Erdenlebens hinwegzuhelfen: links ein tief in Schnee gehüllter Friedhof mit einem Kindergrab, rechts derselbe Schauplatz; aber ein Engel hat das Kind aus seiner dunkeln Gruft geholt und führt den neuen Engel sanft in das himmlische Reich. Grenzboten IV 1897 Zi,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/233>, abgerufen am 29.06.2024.